Читать книгу Vom selben Blut - Schweden-Krimi - Åke Smedberg - Страница 11

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Leif Ahrén hatte den Bericht des Rechtsmediziners vor sich liegen, als Rydalen hereinkam. Er nickte ihm zu und tippte mit dem Finger auf das Gutachten.

»Du hast das hier gesehen, oder?«

»Ja«, sagte Rydalen.

Ahrén sah seinen Kollegen nachdenklich an.

»Er hatte also noch eine Kopfverletzung, zusätzlich zu der, an der er gestorben ist. Und die hat er, nach allem zu urteilen, eine ganze Weile früher bekommen. Hast du eine Ahnung, worum es überhaupt geht? Was passiert sein kann?«

Rydalen legte den Kopf schief und rieb sich das Kinn.

»Tja«, sagte er dann.

Leif Ahrén wartete. Einen Augenblick dachte er daran, Rydalen anzuschweigen, aber ihm war sofort klar, wie absurd dieser Gedanke war. Er kannte niemanden, der so lange schweigen konnte wie Knut Rydalen, wenn er in der Stimmung war.

»Es wirkt fast wie eine Abrechnung«, fuhr er fort, »dass man das Opfer zu dem Müllplatz in dem Wald gebracht hat, weit weg von allem. Und dass er schon vorher misshandelt wurde. Kann das etwas mit einer Gang zu tun haben?«

Rydalen schüttelte den Kopf.

»Und warum nicht?«, fragte er.

»Er war schließlich nackt«, antwortete Rydalen.

Ahrén machte eine Handbewegung.

»Ja, um die Identifikation zu erschweren?«

Aber Rydalen schüttelte wieder den Kopf.

»Vielleicht um sie zu verzögern. Aber das glaube ich nicht. Und das Opfer komplett auszuziehen? Sogar Strümpfe und Unterhose. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es um so etwas ging, also um irgendeine Abrechnung zwischen Kleinkriminellen. Seit wann kümmern die sich darum? Die Spuren zu verwischen? Das ist denen doch sonst auch egal. Die vertrauen darauf, dass alle, die etwas gesehen haben, die Klappe halten. Oder besser gesagt, sie kümmern sich darum, dass sie es tun.«

Er schwieg, und Ahrén wartete wieder.

»Was glaubst du dann?«, sagte er schließlich und bemühte sich, seine Ungeduld nicht im Tonfall anklingen zu lassen.

Rydalen fuhr sich übers Kinn.

»Ich denke, dass es hier so einige unterschwellig sexuelle Fingerzeige gibt. Dass wir vielleicht in diese Richtung denken sollten.«

»Trotz des Berichts des Rechtsmediziners?«

»Naja, die können ja nur sagen, dass sie keine Anzeichen für einen konkreten sexuellen Missbrauch gefunden haben, oder? Keine Wunden oder so.«

Rydalen blickte mit halbgeschlossenen Augen auf den Bericht.

»Aber meiner Erfahrung nach ist meistens so was im Spiel, wenn man ein Mordopfer völlig nackt findet. Irgendwas Sexuelles. Egal, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelt. Man sollte die Möglichkeit auf keinen Fall ausschließen.«

Ahrén sah ihn an, dann nickte er.

»Ja, du hast vielleicht Recht. Wir müssen wohl auch in diese Richtung ermitteln.«

»Und ich will, dass man die Leiche noch einmal auf DNS-Spuren untersucht. So genau wie möglich.«

Ahrén seufzte.

»Ich werde mit Forss reden. Darüber wird er nicht froh sein.«

»Das ist er nie«, entgegnete Rydalen trocken. »Aber wenn sie etwas finden, dann werde ich froh sein. Und das wiegt es wohl auf.«

Es klopfte an der Tür, und Sandra Mattsson trat ein. Sie blickte abwechselnd von Ahrén zu Rydalen.

»Nur wir?«

»Im Augenblick schon«, antwortete Ahrén. »Ich dachte, dass du und ich und Knut uns erst noch ein wenig besprechen sollten. Du solltest doch mit der Spurensicherung reden. Hast du was Neues?«

Sandra Mattsson verzog entschuldigend das Gesicht.

»Das kann ich eigentlich nicht sagen. Ja, es gab genug Blut auf den Betonsteinen für eine DNS-Analyse. Trotz des Regens. Aber das gehört wahrscheinlich dem Opfer. Dieselbe Blutgruppe, so viel ist schon klar.«

»Und immer noch nichts über die Identität?«

Sandra Mattsson schüttelte den Kopf.

»Die Fingerabdrücke sind nicht archiviert. Und es liegt keine Vermisstenmeldung vor, die auf ihn passt. Nicht im Inland.«

Rydalen hatte ihr einen Stuhl herangezogen, sie setzte sich und wandte sich ihm zu.

»Danke, Knut. Und hallo übrigens. Entschuldige, dass ich beim Hereinkommen nicht gegrüßt habe. Wirst du mir das verzeihen können?«

»Aber sicher«, antwortete er mit leichtem Achselzucken. »Das ist ja nicht so verwunderlich . . .«

»So unbedeutend wie du bist, oder was?«, ergänzte sie, bevor er den Satz beenden konnte.

Rydalen lächelte.

»So ungefähr.«

Sandra Mattsson beugte sich zu ihm und kniff ihn in die Wange.

»Aber was du hast, hast du auf jeden Fall in . . . War es Lissabon?«

Rydalen lächelte noch breiter. Leif Ahrén schüttelte den Kopf.

»Mit euch zu arbeiten, ist, als arbeitete man mit . . . Komikern zusammmen . . .«

Er wollte eigentlich Pat und Patachon sagen, tat es aber doch nicht. Sandra hatte einen athletischen Körperbau und war sowohl breitschultriger als auch größer als der gebeugte Rydalen. Nach ihrer zweiten Schwangerschaft war sie außerdem recht vollschlank geworden. Ahrén war sich nicht sicher, ob sie so einen Scherz mit Humor nehmen würde.

»Du bist ja bloß neidisch«, sagte sie augenzwinkernd. »Weil du nicht unser Niveau erreichst.«

Ahrén verzog das Gesicht.

»Du meinst wohl, so tief sinke ich nicht?«

Er sah die beiden an. Er war froh, dass es die beiden waren, die am engsten mit ihm zusammenarbeiteten. Knut Rydalen hatte so viel Erfahrung wie kaum sonst jemand in der Truppe, und Sandra hatte sich zu einer gewieften Analytikerin und einer geschickten Ermittlerin entwickelt. Er fragte sich, wie lange sie noch zusammenarbeiten würden. Nicht mehr allzu lange, nahm er an. Knut hatte nicht mehr viele Jahre bis zu seiner Pension vor sich und würde wahrscheinlich etwas früher gehen, er hatte so etwas erwähnt. Und Sandra wollte auch weiterkommen, das wusste er. Nach oben. Was sie auch verdiente.

Sandra sah ihn mit ihren grauen und jetzt ernsten Augen an.

»Wir bekommen bestimmt noch mehr Hinweise«, sagte sie. »Die Abendzeitungen haben sich ja richtig gierig darauf gestürzt. Wir sollten die Presse vielleicht darum bitten, zusammenzuarbeiten und zu erwähnen, dass wir Beobachtungen von Augenzeugen brauchen. Und dass wir natürlich auch gern die Identität des Opfers erfahren würden.«

»Und der dritte Kanal. Hasse Aro. Dabei kommt meistens etwas raus.«

Das kam von Rydalen. Leif Ahrén sah ihn eine Weile an.

»Naja. Wir sollten wohl erst noch einen Augenblick warten, bevor wir die Medien so stark einschalten.«

»Wir haben keine Zeit«, erwiderte Rydalen. »Es ist wichtig, dass wir so schnell wie möglich herausfinden, um wen es sich handelt. Und es dringen ja doch immer Details zur Presse durch, das weißt du.«

Ahrén trommelte mit den Fingern auf der Tischplatte. Dann nickte er.

»Sicher. Da hast du Recht. Ja, ja, ich denke mal darüber nach.«

Er lehnte sich im Stuhl zurück und schwieg.

»Diese neue Information«, sagte er schließlich, »dass er eine ältere Kopfverletzung hat, könnte uns jedenfalls ein wenig weiterbringen. Wenn man sich vorstellt, dass er am Vortag misshandelt wurde, vielleicht bewusstlos war und danach in den Rimbowald gebracht wurde. Dort wurde ihm dann die Gewalt zugefügt, die zu seinem Tod geführt hat. Das sind ungefähr achtundvierzig Stunden, in denen jemand etwas gesehen haben kann, mehr, als wenn das ganze bloß die Arbeit eines Augenblicks gewesen wäre.«

»Und achtundvierzig Stunden, in denen jemand seine Spuren verwischen konnte«, entgegnete Rydalen.

Leif Ahrén machte eine zustimmende Handbewegung.

»Das auch. Also müssen wir loslegen, so schnell wir können.«

Während der Mittagspause suchte er Rydalen und nahm ihn zur Seite.

»Wie geht es dir eigentlich mit dem Fall, Knut?«, fragte er. »Wenn du willst, kann ich versuchen, die Ermittlung jemand anderem zu übergeben.«

Rydalen lächelte ihn kurz an.

»Danke, aber ich komme schon klar.«

Vor fast zwölf Jahren war Knut Rydalens neunzehnjähriger Sohn während eines Mittsommerfestes auf einem Festplatz in Westschweden zu Tode geprügelt worden. Die Leiche wurde erst am nächsten Tag gefunden, sie war ins Gebüsch geworfen worden. Niemand war für die Straftat verurteilt worden.

»Ich habe die Statistik nicht im Kopf«, fuhr Rydalen fort, »aber wenn man sich die Gewaltverbrechen ganz allgemein ansieht, dann handelt es sich zum großen Teil um junge Männer, oder? In Thomas’ Alter in etwa. Als Täter und als Opfer oder beides. Wenn ich mich vor all dem drücken würde, gäbe es bald nicht mehr viel, um das ich mich kümmern könnte.«

Ahrén nickte.

»Ja, ich will dich natürlich weiterhin bei dem Fall dabeihaben. Glaub bloß nichts anderes. Es gibt hier niemanden mit deiner Erfahrung. Aber ich dachte nur, dass das hier vielleicht . . . ja, also, dass es schwierig würde . . . bei all den Ähnlichkeiten . . .«

Rydalen schüttelte den Kopf.

»Dank dir. Aber wie gesagt, ich komme schon klar. Es sind inzwischen ja einige Jahre vergangen. Und schlussendlich ist man gezwungen, sich zu bemühen, das, was geschehen ist, zu akzeptieren. Wenn das überhaupt möglich ist. Nicht, dass man vergisst. Aber es wird nicht mehr schlimmer.«

Er musterte Ahrén erneut.

»Auch nicht viel besser. Aber es gibt eine Art Gleichgewicht. Etwas, mit dem man leben kann. Das konnte ich damals nicht glauben. Aber dann . . . ja, es geht . . .«

Er schwieg und machte eine ausholende Geste.

»Also mache ich weiter. Wenn du nichts dagegen hast.«

»Das freut niemanden mehr als mich«, sagte Ahrén. »Ja, dann gehört also Sandra noch dazu. Wenn du ihre Witze erträgst.«

Rydalen lächelte wieder kurz.

»Vielleicht sollte ich ihr ein paar von meinen erzählen?«

Ahrén sah ihn mit einem gequälten Gesichtsausdruck an.

»Du willst mir nur Angst einjagen, oder?«

Vom selben Blut - Schweden-Krimi

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