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Teil 1: Krise 1. Wehrlos Kent

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Das war’s. Das ändert alles.

Unsere erste Ebola-Patientin sah matt zu mir auf, als ich mich neben ihr Bett aus Decken auf der Veranda in der Nähe der Krankenhausapotheke kniete. Die Krankheit, auf die wir uns vorbereitet hatten, während wir beteten, dass wir ihr niemals begegnen würden, war tatsächlich in unserem Krankenhaus angekommen. Und mir wurde bewusst, dass ich jetzt den Ton dafür angeben musste, wie wir Ebola-Patienten die restliche Zeit über behandelten – wie lange das auch immer dauern mochte.

In volle Schutzkleidung gehüllt reichte ich der jungen Frau die rechte Hand, die von zwei übereinandergezogenen Latexhandschuhen geschützt war. Sie umklammerte meine Hand.

„Felicia? Ich bin Dr. Brantly“, sagte ich. „Das hier ist David. Er ist einer unserer Pfleger.“

David begrüßte sie.

„Wir werden hier gut für Sie sorgen“, versicherte ich Felicia.

Es war Mittwochabend, am 11. Juni 2014. Unser Krankenhaus hatte die einzige Ebola-Station in der liberianischen Hauptstadt Monrovia, und früher an diesem Abend hatten wir einen Anruf vom liberianischen Ministry of Health – dem Gesundheitsministerium – erhalten. Zwei mögliche Ebola-Fälle würden von einem Krankenhaus im nördlichen Vorort New Kru Town zu uns verlegt werden.

In der letzten Woche waren drei Mitglieder einer Familie gestorben, und der Verdacht auf Ebola bestand. Zwei weitere Familienmitglieder waren erkrankt und waren jetzt dort im Krankenhaus. Während wir anfingen, unsere Ebola-Station vorzubereiten, die monatelang leer gestanden hatte, wussten wir nicht, wann wir mit den beiden rechnen sollten.

Wir waren nicht einmal sicher, ob sie tatsächlich bei uns erscheinen würden.

Nancy Writebol kam, um zu helfen. Nancy, die Personalleiterin des Missionswerks Serving In Mission (SIM) in Liberia, hatte sich bereit erklärt, die Hygienikerin für unsere Station zu sein, sollten wir es mit Ebola zu tun bekommen. Nancy wechselte die Bettlaken und stellte eine ausreichende Menge der Bleiche-Wasser-Lösung her, die wir für die Dekontaminierung brauchten.

Dr. Debbie Eisenhut – Dr. Debbie genannt – meldete sich freiwillig, Bereitschaftsdienst im Krankenhaus zu machen und sagte, sie würde mich zu Hause anrufen, wenn etwas geschah. Kurz darauf rief Debbie tatsächlich an und teilte mir mit, dass ein Krankenwagen mit zwei Patienten eingetroffen sei, einem Mann von Mitte vierzig und seiner Nichte. Ich fuhr wieder zum Krankenhaus.

Während unsere beiden Patienten vor dem Krankenwagen warteten, mussten wir zwei Pfleger oder Schwestern rekrutieren, die bereit waren, als Erste ihr Leben zu riskieren, indem sie mit unseren ersten Ebola-Patienten auf der neuen Station arbeiteten. Ich ging nicht davon aus, dass jemand sich gerne melden würde.

Ich wandte all meine Überredungskünste an, als ich mit dem Personal sprach: „Hören Sie, diese Menschen haben auch Geschwister, Kinder, Mütter, Väter, Cousins. Wir müssen für sie sorgen. Stellen Sie sich vor, es würde sich um Ihre Angehörigen handeln!“

Dr. Jerry Brown, der medizinische Leiter unserer Organisation Eternal Love Winning Africa (ELWA – Ewige Liebe gewinnt Afrika), unterstützte mich bei der Telefonaktion. Schließlich meldeten sich zwei Freiwillige für die Aufgabe: Louise, eine Krankenschwester aus der Notaufnahme und David, ein Pflegehelfer.

Es dauerte zwei Stunden, bis wir die Leute zusammengetrommelt, die Station vorbereitet und uns vier in Schutzkleidung gehüllt hatten. In dieser Zeit ging Debbie mehrmals zu dem Krankenwagen hinaus. Jedes Mal erklärte sie allen, sie müssten bei dem Wagen bleiben und dürften nicht herumlaufen oder das Krankenhaus betreten, bis wir kamen um sie zu holen.

Monrovia verfügte nicht über Rettungsdienste. Die einzigen verfügbaren Krankenwagen waren die der Krankenhäuser und der Regierung, um Patienten von einem Krankenhaus zum anderen zu befördern. Diese Krankenwagen waren normalerweise umgebaute Land Cruiser mit seitlich ausgerichteten Sitzen im hinteren Teil. Die Mannschaft saß vorne, in keiner Weise von den Patienten hinten getrennt.

In dem Wagen vor unserem Krankenhaus saßen drei Pfleger, die beiden Patienten und zwei Angehörige – ein Mann in den Dreißigern und ein Junge, der etwa zwölf Jahre alt war.

Während wir die Station vorbereiteten, wurde der kranke Onkel, der wach gewesen war und geredet hatte, ganz ruhig und schweigsam. Die beiden Angehörigen halfen Felicia, aus dem Wagen zu klettern und sich hinter dem Fahrzeug auf den Asphalt zu legen.

Schließlich wurde einer der Verwandten wütend, weil sie warten mussten. Er stürzte auf den Eingang der Notaufnahme zu und trat ein Loch in die Tür. Er beschuldigte uns, Felicias Behandlung hinauszuzögern und sie nicht aufnehmen zu wollen.

Wir versuchten, die Familie davon zu überzeugen, dass wir sie nicht ignorierten, sondern uns so gut wie möglich darauf vorbereiteten, Felicia richtig und sicher zu betreuen. Der Mann beruhigte sich und kehrte zum Krankenwagen zurück.

Dann fing es an zu regnen. Ich weiß nicht, ob Felicia lief oder ob sie getragen wurde, aber man brachte sie zu einer überdachten Veranda vor der Krankenhausapotheke und breitete dort Decken aus, auf denen sie liegen konnte.

Als die Station drinnen vollständig gerüstet war, zogen David und ich unsere Schutzanzüge an und näherten uns Felicia auf der Veranda. Während ich mich neben ihr auf ein Knie niederließ, spürte ich die enorme Last der Situation auf den Schultern. Denn die ganze Zeit hatte ich gewusst, sobald der erste Fall eintraf, würden Arbeit und Leben in Monrovia nie mehr so sein wie vorher.

„Wir haben eine Trage“, sagte ich zu Felicia, „und wir werden Sie darauf legen und Sie in einen Raum bringen, den wir für Sie vorbereitet haben.“

Ich blickte zu David. „Willst du den Kopf nehmen oder die Füße?“

„Die Füße“, erwiderte er.

Ich packte Felicia unter den Armen, und gemeinsam hoben wir sie auf die Trage und legten die Decken über sie. Dann trugen wir sie um das Krankenhaus herum und in unsere Isolierstation.

Drinnen warteten Dr. Debbie und Louise auf sie. Ich nahm eine Spraydose mit Chlorlösung und ging wieder um das Gebäude herum zu dem Krankenwagen. Felicias Onkel lag noch immer zusammengerollt im Wagen über einen Rucksack gelehnt. Ich beugte mich vor, tastete nach einem Puls und musterte ihn dann gründlich. Er war gestorben.

„Ich brauche diesen Rucksack“, sagte der Mann neben ihm. „Da ist mein Ausweis drin.“

Ich zog den Rucksack unter dem Onkel hervor. Der Leichnam fiel auf den Boden des Krankenwagens, ohne dass seine Lage sich veränderte. Er sah immer noch so aus, als läge er auf dem Rucksack. Die Leichenstarre hatte bereits eingesetzt.

Mit dem Rucksack in der Hand stand ich da. Ich musste eine Entscheidung treffen.

Ich konnte dem Mann keinen Rucksack geben, der mit Ebola infiziert war. Andererseits war er dem Erreger schon die ganze Zeit ausgesetzt gewesen, weil er mit im Krankenwagen gesessen und sich um den Onkel und Felicia gekümmert hatte. Ich gab ihm den Rucksack.

Der kleine Junge fing an zu weinen.

„Hör auf zu heulen!“, schnauzte der Mann ihn an.

„Er darf ruhig weinen“, sagte ich. „Sie sind es vielleicht gewöhnt, mit dem Tod konfrontiert zu werden, aber er ist erst zwölf. Er hat in einer Woche vier Angehörige verloren. Es ist völlig in Ordnung, wenn er Angst hat und weint.“

Ich sprühte die Ladefläche des Krankenwagens, die Straße und die Veranda, auf der Felicia gelegen hatte, mit Bleiche ein. Dann desinfizierte ich auch die Tür der Notaufnahme, die der Mann eingetreten hatte, und alles auf den Wegen dazwischen.

Mit der Rettungsmannschaft vereinbarte ich, dass sie den Leichnam zum Redemption Hospital bringen sollten, und wir würden uns um Felicia kümmern. Keiner der drei Sanitäter trug einen Schutzanzug. Nicht einmal Gummihandschuhe.

Der Mann und der Junge sagten, sie würden mit dem Krankenwagen bis zu dem anderen Krankenhaus mitfahren. Diese Vorstellung gefiel mir nicht.

„Ist schon in Ordnung“, sagte der Mann. „Es ist nur eine Leiche.“

Es war nicht nur eine Leiche; es war eine Leiche, die mit einem tödlichen Virus verseucht war.

Das Gesundheitssystem in Liberia war für Ebola nicht gerüstet.

Während der zwei Tage, die Felicia bei uns verbrachte, ging es mit ihrem Zustand auf und ab. Manchmal saß sie im Bett und sprach mit den Pflegekräften, wenn wir sie fütterten, dann wieder lag sie eine ganze Stunde reglos da und war nicht ansprechbar. Danach setzte sie sich wieder auf und wollte essen und reden.

Am dritten Tag ging es Felicia besser. Sie war häufiger wach und munter, und ihr Fieber sank. Wir hofften, sie sei über den Berg und würde es schaffen, sodass unsere erste Ebola-Patientin überleben würde.

Am nächsten Tag, den 14. Juni, verstärkte sich ihr Durchfall. Die Temperatur schoss erneut nach oben. Schließlich war sie nicht mehr ansprechbar. Und so blieb es, bis sie starb.

Felicia machte unser Krankenhaus mit Ebola bekannt.

In jeder Schicht mussten wir Pflegekräfte von ihren anderen Aufgaben abziehen, sodass manche Bereiche des Krankenhauses unterbesetzt waren. Ein Ebola-Fall hatte bereits unser Personal belastet. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie es sein würde, wenn es zu einer Epidemie kam.

Unsere Pfleger und Schwestern, die Felicia versorgten, waren mutig und mitfühlend. Sie waren die Ersten, die in einem Krankenhaus unserer Organisation einen Ebola-Patienten betreuten, und sie sorgten wunderbar für Felicia.

Außerdem machten sie ihren Kolleginnen und Kollegen Mut, sich ebenfalls für die Arbeit auf der Station zu melden. Die Arbeit war nicht so schlimm gewesen, wie sie befürchtet hatten. Sie beklagten sich lediglich darüber, dass es in den Schutzanzügen heiß war und es in dieser hohen Luftfeuchtigkeit keine Klimaanlage gab. Aber ansonsten hatten sie festgestellt, dass sie durchaus in der Lage waren, einen Ebola-Patienten zu behandeln.

Wir hatten eine Schwester, die wegen ihres Asthmas Probleme mit der Maske hatte, die wir tragen mussten. Aber alle anderen, die auf der Isolierstation gearbeitet hatten, erklärten sich bereit, es wieder zu tun.

Alle im Land hatten Angst vor dieser Ebola-Sache. Aber die Pflegekräfte, die sich auf unserer Station um Felicia kümmerten, erkannten, dass wir es nicht nur mit einer Krankheit zu tun hatten, sondern vielmehr mit einem Menschen, der unser Mitgefühl brauchte.

Berufen, den Menschen zu dienen

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