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Ein Unwetter braut sich zusammen

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Der Kampf gegen Ebola fühlte sich an wie ein Wettrennen, bei dem der Starter vergessen hat, „Auf die Plätze“ und „Fertig“ zu sagen und sofort „Los!“ brüllt.

Ende März hatte „Ärzte ohne Grenzen“ angesichts der Ebola-Fälle in Guinea, das im Norden an Liberia grenzt, einen Notfallplan ins Leben gerufen. Ärzte ohne Grenzen, das international unter seiner französischen Abkürzung MSF (Médecins Sans Frontières) bekannt ist, wurde 1971 von französischen Ärzten als humanitäre Organisation gegründet, um medizinische Notfallhilfe auf der ganzen Welt zu leisten. MSF ist in der Regel die erste Organisation, die vor Ort ist und auf Epidemien wie Ebola in Guinea reagiert.

In der Vergangenheit hatte Ärzte ohne Grenzen Ebola-Ausbrüche erfolgreich eingedämmt. Seit das Virus 1976 entdeckt wurde, und zwar gleichzeitig an zwei Orten – im Sudan und in Zaire (heute Demokratische Republik Kongo), in einem Dorf unweit des Ebola-Flusses –, hatte es keine zwanzig Ebola-Zwischenfälle gegeben. Das schnelle Eingreifen von MSF hatte diese Ausbrüche der Krankheit daran gehindert, sich auszubreiten. Die meisten Ebola-Toten hatte es 1976 in Zaire gegeben.

Nun erkannte MSF das gewaltige Unwetter, das sich bei diesem Wiederaufflammen von Ebola zusammenbraute: Denn diesmal war der Erreger in einer sehr mobilen Gesellschaft ausgebrochen, in einem Dreiländereck, in dem das Virus bislang noch nicht vorgekommen war. Deshalb waren die Menschen in dieser Region nicht wachsam. Guinea, Sierra Leone und Liberia waren außerdem drei der ärmsten Länder der Erde, und weil man den Regierenden grundsätzlich misstraute, behauptete man, Ebola sei kein echtes Virus und existiere gar nicht.

Aus all diesen Gründen wusste MSF, dass es ausgesprochen schwierig sein würde, einen Ausbruch in Westafrika unter Kontrolle zu bringen.

Ich war erst seit acht Monaten in dem ELWA-Krankenhaus im Süden von Monrovia tätig, als wir Felicia aufnahmen. Das Missionswerk Serving in Mission leitete die Missionsstation ELWA in Liberia, wo es 1952 unter dem gleichen Namen einen Radiosender gegründet hatte. 1965 hatte Serving in Mission zudem ein Krankenhaus auf einem mehr als 500000 Quadratmeter großen Gelände errichtet, das als ELWA bekannt wurde. Die Einwohner von Monrovia betrachten ELWA wie einen Stadtteil.

Amber und ich hatten uns über die Organisation World Medical Mission – Medizinische Weltmission – für zwei Jahre zum Dienst in ELWA verpflichtet. Dieser Anbieter ist der medizinische Arm von Samaritan’s Purse – Geldbörse des Samariters –, einer christlichen Hilfsorganisation, die jungen Ärzten wie mir, die ihren Beruf und ihr Leben in den Dienst der Mission stellen wollen, Posten in Krankenhäusern vermittelte. Samaritan’s Purse (SP) war nach dem Barmherzigen Samariter aus dem Lukasevangelium benannt, der einen Sterbenden rettete, den andere ignoriert hatten. Die Organisation wurde 1970 gegründet, um den Armen und Kranken in Krisengebieten auf der ganzen Welt zu helfen.

Samaritan’s Purse und Serving in Mission hatten in den vergangenen fünfundzwanzig Jahren schon bei verschiedenen Projekten zusammengearbeitet, um der liberianischen Bevölkerung beim Wiederaufbau nach zwei Bürgerkriegen zu helfen.

Liberia – was „Freiheit“ bedeutet – begann als Siedlung der amerikanischen Kolonisierungsgesellschaft in den Zwanzigerjahren des 19. Jahrhunderts. Freie Schwarze und später auch von illegalen Handelsschiffen gerettete Sklaven landeten an der Westküste Afrikas. 1847 unterzeichneten sie eine Unabhängigkeitserklärung und gründeten die Republik Liberia, deren Verfassung sich an der der Vereinigen Staaten von Amerika orientiert. Amerikanische Siedler waren natürlich nicht die ersten Menschen, die dort lebten, und so kam es sofort zu Spannungen und Misstrauen zwischen den Siedlern und einheimischen Stammesgruppen.

Vielleicht lag es an dieser Spannung, dass hundert Jahre später, im Jahr 1980, mit Samuel Doe ein indigener Anführer durch einen Putsch und die Ermordung des Präsidenten und seines Kabinetts an die Macht kam. Durch manipulierte Wahlen ernannte Doe sich zum Präsidenten und begann eine blutige und rassistische Herrschaft. 1989 stürzte der Rebellenführer Charles Taylor Does Regierung, worauf in Liberia ein Bürgerkrieg ausbrach. Mehr als 200000 Liberianer starben in diesem Krieg, und eine Million Menschen wurden zu vertriebenen Flüchtlingen.

Im Jahr 2003 wurde Charles Taylor schließlich zum Rücktritt gezwungen – überwiegend durch den Mut und die Entschlossenheit liberianischer Frauen und Mütter – und ein Friedensvertrag wurde unterzeichnet. Taylor wurde später wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt. Die United Nations Mission in Liberia (UNMIL) sollte im Auftrag der Vereinten Nationen den Friedensprozess überwachen. 2005 wurde dann Afrikas erste Präsidentin gewählt: Ellen Johnson Sirleaf oder „Ma Ellen“, wie ihr Volk sie nennt.

Es gab viel, was die Liberianer brauchten. Und wir waren nicht aus dem Westen eingefallen, um alles so zu machen, wie wir es von unserer Heimat gewohnt waren, oder um das Land nach unseren Vorstellungen umzukrempeln. Wir wollten den Liberianern vielmehr zur Seite stehen, während sie ihre Probleme selbst lösten. Der medizinische Leiter unseres Krankenhauses, Dr. Brown, ist selbst Liberianer und hat in seinem Land eine sehr einflussreiche Stimme. Außerdem arbeiteten wir mit einem Team aus einheimischen Allgemeinmedizinern und Pflegekräften zusammen.

Dr. Debbie, eine Chirurgin aus Oregon, war ein Jahr zuvor nach Liberia gezogen und hatte die Federführung bei der Ebola-Behandlung im ELWA-Krankenhaus. Am 22. März schickte sie eine E-Mail an das medizinische Personal und wies uns auf einen Zeitungsbericht hin, in dem es hieß, in Guinea seien bis zu neunundfünfzig Menschen an der seltenen und tödlichen Ebola-Krankheit gestorben. Der Artikel berichtete auch, dass das Virus sich nach Sierra Leone, also Liberias Nachbarn im Nordwesten, ausgebreitet haben könnte.

„Ich dachte, das wird euch alle interessieren“, schrieb sie. „Es ist ungemütlich nahe. Wir müssen damit rechnen, dass es auch hierher kommt.“

Zwei Tage später hielten wir unsere erste Ärztebesprechung über Ebola ab, um zu überlegen, wie wir die Krankheit bekämpfen würden, wenn sie unser Land und unsere Stadt erreichte.

Aus meiner medizinischen Ausbildung, in der wir seltene tropische Viren wie Ebola, Lassa-Fieber und Hantavirus studiert hatten, wusste ich von dem Ebola-Erreger. Ich wusste, dass es sich bei der Krankheit um ein sehr schlimmes, von einem Virus verursachtes, hämorrhagisches Fieber handelte, für das es keine Heilung und keinen Impfstoff gab und an dem erstaunlich viele Menschen starben.

Im Jahr 2013, im Rahmen meiner praktischen Ausbildung, hatte ich drei Wochen in Uganda im Mulago Hospital verbracht. Dort hatten sie einen Monat vor meiner Ankunft einen Ebola-Patienten behandelt, und es hatte in Uganda noch andere Fälle gegeben. Die Schilder auf dem Krankenhausgelände warnten Patienten und Pflegekräfte vor den Symptomen der Krankheit: „Haben Sie Fieber?“ „Bluten Sie?“ „Haben Sie Ebola?“. Diese Art Sensibilisierung der Öffentlichkeit hatte geholfen, die Epidemie in Ostafrika einzudämmen.

Aber als wir im Oktober 2013 nach Liberia zogen, waren noch keine Ebola-Fälle in Westafrika gemeldet worden – noch nie. Ebola hatte ich gar nicht auf dem Schirm; ich erwartete nicht, dieser Krankheit dort zu begegnen.

Vielleicht sehen wir zu schwarz, denn Guinea ist weit entfernt, dachte ich, als unsere Besprechung begann. Von Monrovia bis zur Stadt Foya an der Grenze zu Guinea waren es mehr als 450 Kilometer. Doch nachdem Dr. Debbie und Dr. John Fankhauser die Situation beschrieben hatten, änderte ich meine Meinung und stimmte zu, dass wir sofort handeln mussten. Wir mussten uns eindeutig auf das Schlimmste vorbereiten.

Wir überlegten gemeinsam, wo wir einen sicheren Ort schaffen konnten, um Patienten zu isolieren. Am Ende war dieser Ort unsere Kapelle – ein kleines, freistehendes Gebäude im Hof des hufeisenförmigen Krankenhauses. Wir hielten jeden Morgen in der Kapelle unsere Andachten mit dem Team, und außerdem fanden dort Glaubenskurse für Mitarbeiter statt.

Die Entscheidung, Ebola-Patienten in der Kapelle zu isolieren, brachte Dr. Brown und Dr. Fankhauser einigen Gegenwind ein. Manche waren entsetzt darüber, dass die Kapelle für eine so dreckige Arbeit gebraucht werden sollte, und meinten, wir würden den Tod an einen heiligen Ort bringen.

Jerry und John erklärten ihre Entscheidung, indem sie fragten, wo die Menschen früher, in Kriegszeiten, Zuflucht gesucht hätten. Sie gingen zu den Kirchen, sagten Jerry und John, und konnte es einen besseren Ort als eine Kapelle für kranke Menschen geben, die das Leben suchten?

Wir begannen unverzüglich damit, die Kapelle in eine Quarantänestation umzubauen, die wir als Fallzentrale bezeichneten – mit fünf Betten und einem kleinen Vorratsraum.

Am 24. März, einem Montag, berieten wir als Ärzte über die Ebola-Gefahr. Ich war vor Kurzem zum Verbindungsarzt für das HIV-Programm ernannt worden und verbrachte in dieser Woche drei Tage in Besprechungen beim nationalen AIDS-Kontroll-Programm für das Personal in allen liberianischen HIV-Ambulanzen. Während dieser Sitzungen musste ich so oft an Ebola denken, dass ich mir die Twitter-App auf mein Telefon herunterlud und mir ein Konto zulegte, um aktuelle Ebola-Nachrichten der Weltgesundheitsorganisation, den Centers for Disease Control and Prevention (CDC – Zentren für Seuchenschutz und Prävention) und von United Nations Mission in Liberia zu erhalten.

In ELWA fingen wir an, überall strenge Vorkehrungen einzuführen, was den Kontakt mit potenziellen Ebola-Patienten betraf. Diese Sicherheitsregeln stammten aus einem Heft der Weltgesundheitsorganisation von 1998 mit dem Titel „Kontrolle von Infektionen durch virale, hämorrhagische Fiebererkrankungen im afrikanischen Gesundheitssystem“, das wir im Internet fanden.

Die besten wissenschaftlichen Erkenntnisse, die wir damals hatten, besagten, dass Ebola durch Körperflüssigkeiten wie Schweiß, Blut, Erbrochenes und Durchfall übertragen wurde. Für ein Virus verbreitete Ebola sich eigentlich nicht so leicht. Direkter Kontakt mit Schleimhäuten – Augen, Nase, Mund – oder mit verletzter Haut – Schnittwunden oder sogar Kratzer – war die Voraussetzung für eine Ansteckung.

Ebola wurde nicht durch Husten übertragen wie Masern oder Grippe. Wenn wir husten, enthält unser Atem winzige Partikel, die durch Luftströmungen übertragen werden können. Mit Ebola konnte man sich nur über Tröpfcheninfektion anstecken, also mit größeren Partikeln. Wegen ihres Gewichts verhindert die Schwerkraft, dass sie durch die Luft getragen werden.

Ebola mag also nicht so leicht übertragbar sein, aber die größte Gefahr liegt darin, dass bereits eine kleine Menge von dem Virus ausreicht, um sich zu infizieren. Der medizinische Begriff Virenlast bezieht sich auf die Anzahl der Virenexemplare pro Milliliter Körperflüssigkeit. Bei HIV zum Beispiel sind 100.000 Exemplare pro Milliliter eine hohe Virenlast. Bei einem Ebola-Patienten, der dem Tod nahe ist, kann die Anzahl der Erreger pro Milliliter in die Milliarden gehen. Außerdem ist nur eine relativ kleine Zahl Ebola-Partikel nötig, um eine Infektion zu verursachen. Ich habe Schätzungen von zehn bis eintausend gehört. Wenn man bedenkt, dass ein sterbender Patient bis zu einer Milliarde Virenpartikel pro Milliliter Körperflüssigkeit haben kann, wird deutlich, wie gefährlich Ebola ist.

Um einen militärischen Vergleich zu gebrauchen: Die meisten Viren sind wie ein Staat mit einer schlecht ausgebildeten Armee, der seine gesamten Truppen in Feindesland schicken muss, um einen Einsatz erfolgreich durchzuführen. Ebola hingegen wäre wie eine Terrorzelle, die nur zwei oder drei Terroristen braucht, um einzudringen und tödlichen Schaden anzurichten.

Aus zwei Gründen sind Pflegekräfte unverhältnismäßig oft von dem Virus betroffen. Erstens pflegen sie sehr kranke Patienten. In den frühen Stadien der Krankheit wird Ebola nicht so leicht übertragen. Aber während die Erkrankung weiter fortschreitet, nimmt ihre Virenlast zu.

Ein gutes Beispiel ist das von Thomas Eric Duncan, dem Liberianer, bei dem im September 2014 als Erster in den USA Ebola diagnostiziert wurde. In den ersten Tagen der Krankheit war er mit seiner Familie zusammen, aber keiner der Angehörigen infizierte sich. Die beiden Personen, die sich durch den Kontakt zu ihm ansteckten, waren Pflegekräfte, die für ihn sorgten, als sich die Krankheit verschlimmerte.

Zweitens kommen Pflegekräfte mit Ebola-Patienten in Kontakt, bevor bekannt ist, dass sie Ebola haben. Vor allem zu Beginn der Epidemie in Westafrika kamen Patienten mit Symptomen in die Notaufnahme oder eine Arztpraxis, die normalerweise mit Malaria in Verbindung gebracht werden. Das medizinische Personal, das diese Menschen untersuchte, hatte oft nicht die richtige Schutzausrüstung und konnte die Sicherheitsvorkehrungen, die verhindern, dass das Virus sich ausbreitet, nicht befolgen.

Deshalb ist eine der wichtigsten Aufgaben, um eine Epidemie zu vermeiden, dass Ärzte und Pflegekräfte ausreichend geschützt und vorbereitet sind.

Berufen, den Menschen zu dienen

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