Читать книгу Ruthchen schläft - Kerstin Campbell - Страница 5

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Über dem Tisch mit der Edelstahlplatte, auf den er Ruthchen gelegt hatte, saß eine Eule auf einem Ast und schaute auf sie herunter. Noch nie hatte Georg solch ein Tier aus der Nähe gesehen. Es war größer, als er sich vorgestellt hatte, und strahlte tatsächlich etwas Kluges aus. Ihm schien, als verfolgten die großen gläsernen Augen, wie er Ruthchen aus ihrer Decke wickelte. Neben der Eule, auch über dem Arbeitstisch, breitete ein Raubvogel seine Schwingen aus, seine Fänge packten eine Maus. Es roch nach abgestandener Luft und nach Desinfektionsmittel. Wie Ruthchen jetzt so dalag, sah sie richtig tot aus, fand Georg.

Herr Schürmann wischte seine Finger auf Brusthöhe an der Schürze ab, wo sich Flecken und Streifen zu einem abstrakten Gemälde vereinten, zog Ruthchens Auge auf, sodass der weißbläuliche Augapfel sichtbar wurde. Georg rieb seine Hand an seiner Jeans, allein der Gedanke, dass er Herrn Schürmanns Hand zur Begrüßung berührt hatte …

»Und die Augen brauchen Sie nicht? Wenn Sie Fotos von der Katze hätten, könnten wir sie so präparieren, dass sie sitzt und Sie anschaut, oder springt, so wie der hier.« Herr Schürmann zeigte auf den Luchs hinter sich, der sich scheinbar auf eine Beute stürzte.

»Nein, sie soll genau so, wie sie jetzt liegt, ausgestopft werden, sodass sie quasi auf ihrem Sofa weiterschlafen kann.«

»Wir stopfen nicht aus, wir präparieren«, sagte Herr Schürmann. Alles an ihm wirkte bärig. Er war groß und rund, hatte Hände wie Tatzen, einen dichten Bart und wellige Haare. In den Sprechpausen brummte er »hm«.

Georg stieß auf. All die toten Tiere um ihn. Er hatte außer einem Kaffee am Morgen nichts zu sich genommen. Die Übelkeit hatte sich nicht gelegt, seit er Ruthchen bei Frau Lemke vom Sofa gehoben hatte.

»Wie lange ist sie schon tot? Kann ja noch nicht so lange sein«, sagte Herr Schürmann.

»Gestern Nachmittag hat sie noch gelebt.«

»Gut, dass Sie gleich gekommen sind. Wir nehmen keine Tiere, bei denen der Verwesungsprozess eingesetzt hat.« Er zog an dem Fell. »Ist alles noch ganz fest, sehen Sie?«

Georg wurde heiß.

»Ich kann sie einfrieren und mich nächste Woche dranmachen.«

»Erst nächste Woche? Ich brauche sie gleich, ich habe Frau Lemke gesagt, ich bringe sie sofort zurück.«

»Und Ihre Frau Lemke ist so neben der Kappe, dass sie glaubt, die Katze würde nur schlafen?«

»Nein, nein.« Gregor merkte, wie der Stoff unter seinen Achselhöhlen feucht wurde. »Es ist nur so, dass die Katze auf ihrem Sofa liegen sollte und nirgendwo anders, das würde es Frau Lemke leichter machen.«

»Ich habe gerade einen Fuchs aufgetaut, den muss ich jetzt erst mal machen.«

»Frau Lemke braucht ihre Katze, bitte.« Georg wunderte sich selbst über seinen flehenden Ton. Herr Schürmann zupfte an seinem Bart, wie er an Ruthchens Bauch gezupft hatte.

»Ich kann es machen.«

Eine Frauenstimme aus dem hinteren Teil der Werkstatt, neben dem Fenster, der einzigen Stelle, an der Tageslicht in den Raum gelangte. Hinter dem Arbeitstisch, den er nicht wahrgenommen hatte, hinter zwei farbenfrohen, prächtigen Papageien und einem Waschbären tauchte eine Frau auf, schob sich die Schutzbrille wie eine Sonnenbrille in die Haare.

»Ich kann es machen«, sagte sie noch einmal und schritt auf Georg zu, majestätisch, der Kopf wie eine Krone auf dem letzten Halswirbel thronend, das schwarze Haar zu einem Pagenkopf geschnitten. Für einen kurzen Moment dachte er, es wäre Linda. Die gleiche ZwanzigerJahre-Frisur, die markante Nase, die durch die kurzen Haare umso mehr betont wurde, der gleiche erhabene Gang. Nach Lindas Abreise hatte er immer wieder gemeint, sie zu sehen. In einer Warteschlange eine Jacke wie ihre, auf der Straße eine Frau mit ihrer Figur, eine Geste, und er dachte für einen kurzen Moment, Linda wäre zurück und wollte ihn überraschen. Aber das hier, inmitten toter Tiere, das hier war stärker.

Die Frau nickte ihm zu und streichelte Ruthchen, als lebte sie noch, als wollte sie sie beruhigen.

»Caro, du hast doch gar keine Zeit. Das Frettchen ist dran, und morgen bist du wieder im Naturkundemuseum«, sagte Herr Schürmann.

Sie schaute Georg in die Augen, von oben herab, weil sie ein wenig größer war als er, eine schlanke, komplett in Schwarz gekleidete Gestalt. Ihr Blick war intensiver als Lindas, die zumeist schnell weggeschaut hatte, dachte Georg.

»Es scheint sehr dringend zu sein«, sagte sie.

Georg nickte.

»Wenn du sie abhäutest, kann ich in einer Stunde anfangen«, sagte sie zu Herrn Schürmann. Und zu Georg: »Aber es dauert auf jeden Fall bis übermorgen. Kriegen Sie das hin?«

Er würde Frau Lemke sagen, dass Ruthchen im Tierkrankenhaus wäre, sozusagen.

Die Frau streichelte Ruthchen, ertastete das Tier. »Und sie soll genau so schlafen?«

Georg bejahte.

Sie war älter als Linda, die Falten um die Augen tiefer, am Scheitel sah er einen weißen Ansatz.

»Wie heißt sie denn?«

»Frau Lemke.«

»Nein, die Katze.«

»Ruthchen, sie heißt Ruthchen.«

Herr Schürmann schnaufte laut neben ihnen, als wolle er die Dinge beschleunigen, so kam es Georg vor. »Da können Sie froh sein, dass meine Tochter ein so großes Herz hat.«

Sie machte mit ihrem Handy Fotos von Ruthchen, dann sagte sie zu ihrem Vater: »Du kannst loslegen.«

Herr Schürmann rieb sich die Hände, drehte Ruthchen auf den Rücken, zog an ihren Beinen, klappte sie vor und zurück, als machte er Lockerungsübungen mit ihr. Georgs Magen zog sich zusammen, wie ein Überraschungsangriff, er krümmte sich leicht nach vorne.

Die Frau lächelte ihn an: »Gehen Sie ruhig, ich melde mich bei Ihnen.«

Ruthchen schläft

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