Читать книгу Ruthchen schläft - Kerstin Campbell - Страница 7

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Der Klingelton seines Handys webte sich in seinen Schlaf, schrillte laut in der gedämpften Traumwelt. Georgs Kopf pochte, das Innere gegen die Schädeldecke. Als er die Augen aufschlug, sah er blonde Haare und eine nackte Schulter neben sich im Bett. Er blinzelte, langsam kamen die Erinnerungen an den vergangenen Abend, an das Treffen mit Kai. An Madeleine.

Das Klingeln ertönte von Neuem, als hätte es zwischenzeitlich tief Luft geholt und neue Kraft gesammelt. Wenn jemand ihn so dringend erreichen wollte, musste es ernst sein. Wahrscheinlich Frau Lemke, er hatte sie gestern nur kurz gesprochen, nachdem er Ruthchen weggebracht hatte. Hatte ihr berichtet, dass der Tierarzt zuversichtlich sei, dass Ruthchen bald wieder bei ihr sein könne, und Frau Lemke tat glücklich und dankte Georg für die guten Nachrichten. Ihm schien, als wären sie beide erleichtert gewesen, als sie endlich auflegen konnten.

Er dachte, es wäre vielleicht Linda, die Probleme mit ihrem australischen Freund hätte und ihn anrief. Und er erinnerte sich, was er in der vergangenen Nacht erfahren hatte. Linda war schwanger. Das Handy steckte in seiner Hosentasche, die Jeans lag mitten im Raum. Er stand mit einem Ruck auf, der für seinen Kopf zu schnell und kräftig war. Madeleine stöhnte und drehte sich auf die Seite.

Sein »Hallo« klang kratziger, als er es erwartet hatte, er räusperte sich, sagte noch einmal »Hallo«.

»Herr Neumann?«, fragte eine Frauenstimme.

Sie kam ihm bekannt vor, aber er konnte sie nicht einordnen.

»Es geht um Ihre Katze.«

Auf einmal war er hellwach, verließ das Schlafzimmer, schloss die Tür hinter sich und ging in die Küche. Er hatte plötzlich wieder das Bild vor Augen, wie Herr Schürmann Ruthchens Gelenke lockerte.

»Ich habe ein paar Fragen zum Ausdruck Ihrer Katze, bevor ich sie final fixiere. Haben Sie Zeit, heute vorbeizukommen?«

»Ich denke schon, wie spät ist es?«

»Zwei Uhr.« Nach einer Pause fügte sie hinzu: »Mittags.«

Auf dem Tisch stand ein voller Aschenbecher. Georg erinnerte sich, dass sie gestern in der Küche geraucht hatten.

»Ich kann in einer Stunde bei Ihnen sein, reicht das?«

»Das geht.«

Er öffnete das Fenster. Die Luft fühlte sich nach Frühling an, immer noch kalt, aber milder. Er kippte die Asche in eine Plastiktüte und verknotete sie, spülte den Aschenbecher aus und ging unter die Dusche. Das Wasser stellte er so heiß, dass es wehtat auf der Haut und der Raum sich mit Dampf füllte. Er rieb alles von sich ab, den Rauch, den Sex. Er wollte diese One-Night-Stands nicht mehr, das hatte er zu Linda gesagt, er brauche sie nicht mehr. Nur gestern Nacht war es anders. Er war mit Madeleine in der Bar zurückgeblieben, nachdem Kais schlechtes Gewissen ihn irgendwann nach Hause getrieben hatte. Sie waren noch in eine andere Bar gegangen und schließlich, als sie auch dort die letzten Gäste gewesen waren, zu ihm, um noch etwas zu trinken. Wenn er ehrlich zu sich war, hatte die ganze Zeit eine Spannung zwischen ihnen gelegen. Und wenn Linda ohne ihn weiterlebte, wenn sie ihn aus ihrem Leben herausschnitt wie einen entzündeten Blinddarm, hat auch er keinen Sinn darin gesehen, sich zurückzuhalten. Georg kämmte sich die Haare aus dem Gesicht, klopfte mit den Fingerspitzen auf seine Augenringe.

Die Küche roch noch immer nach kaltem Rauch. Er beobachtete, wie sich Kaffeepulver und heißes Wasser in der Presskanne vermischten, studierte die Magnetwörter auf dem Kühlschrank, seine Morgenroutine. Seit eineinhalb Jahren putzte er um die Wortfelder herum, um Lindas Botschaften nicht zu zerstören. Sie hatte die Magnete gekauft und ihm Nachrichten hinterlassen wie KUSS ABEND FREU.

An dem Tag, an dem sie gegangen war, fand er auf dem Kühlschrank: SCHATTEN LÖSUNG LACHEN, und rechts an der Seite: AUFWACHEN.

Er rätselte, ob sie den Schatten der leblosen Kinder meinte, der sich über sie gelegt hatte. Und wie das Lachen hineinpasste, das sie schon Monate vor ihrem Verschwinden verloren hatte.

Links darüber der Worthaufen: HERBST SCHNEE TRAUM.

Sie war am Ende des Sommers gegangen, ohne seine Entschuldigung anzunehmen.

Der Kaffee tat gut, zwickte ein wenig in seinem leeren Magen. Er überlegte, ob er etwas essen sollte, bevor er zu der Tierpräparatorin ging. Ob es besser wäre, mit leerem Magen zu würgen, oder ob es seinen Magen beruhigte, wenn er etwas zu tun hatte. Ein Toast würde helfen, beschloss Georg und deckte den Tisch. Damit hatte er auch die Frage beantwortet, ob er Madeleine ein Frühstück anbieten sollte. Marmelade, ein wenig Käse, nicht zu aufwendig, denn das könnte falsche Signale senden. Er überlegte, ob er gestern etwas Verbindliches gesagt hatte. Ob er etwas klären müsste, bevor er ging.

Madeleine erschien in der Küchentür, sie sah verschlafen aus.

»Kaffee?«, fragte er.

»Gerne«, sagte sie und setzte sich auf einen Küchenstuhl, Lindas Stuhl. Jetzt, mit müdem Gesicht ohne Make-up, fand er sie viel hübscher, nur die Haare waren einen Tick zu blond, wirkten aber nicht mehr so künstlich, weil sie zerzaust waren. Georg schenkte ihr Kaffee ein, stellte Milch und Zucker daneben.

»Toast?«, fragte er.

Sie nickte etwas unentschlossen.

Kein Morgenmensch, das kam ihm sehr entgegen. Sie fasste den Toast nicht an, trank ihren Kaffee, ohne die Tasse abzustellen, pustete abwechselnd hinein und nahm wieder einen Schluck. Nichts deutete für ihn darauf hin, dass sie mehr erwartete. Er verteilte etwas Butter auf seinem Toast, zum ersten Mal seit Lindas Auszug aß er nicht alleine an diesem Tisch. Das Alleinsein machte ihm nicht viel aus, darüber war er erstaunt gewesen. Im Gegenteil, er fand es befreiend, in seiner Wohnung tun und lassen zu können, was er wollte. Er musste niemandem Rechenschaft ablegen, wenn er montags bis elf Uhr im Bett lag und Serien schaute. Er fühlte sich wie ein Teenager, den die Eltern über das Wochenende allein gelassen hatten. Anfangs dachte er, es wäre eine Phase, aber der Zustand verlor den Status des Außergewöhnlichen und wurde Normalität.

Georg wollte, dass Klarheit zwischen ihm und Madeleine herrschte, keine Hoffnungen, keine Enttäuschungen. Er überlegte, wie er es am besten formulierte.

»Musst du weg?«, fragte sie.

»Ein Termin, ich muss in einer Viertelstunde los.«

Er prüfte, ob sie enttäuscht reagierte, ob sie damit gerechnet hatte, dass sie den Tag miteinander verbrachten. Dass das der Anfang von irgendetwas wäre.

Sie senkte den Blick.

Er seufzte.

»Hör mal«, sagte sie, und er machte sich bereit, möglichst höflich, ohne sie zu verletzen, zu erklären, dass er nicht bereit war für eine neue Beziehung. Dass er auf dem Weg war, aber dass er es sich im Moment nicht vorstellen konnte.

»Es ist so«, sagte Madeleine und nahm die Ringe aus der kleinen Keramikschale auf dem Tisch. Lindas Ringe, die er dort gelassen hatte, weil sie ihm das Gefühl gaben, dass sie nur nebenan war. Madeleine streifte die Ringe über ihren Finger, zog sie wieder ab, ließ sie in ihrer Hand klimpern. Er war fassungslos, wie Madeleine mit wenigen Bewegungen seine Ordnung zerstörte.

»Es tut mir leid«, sagte sie. »Aber mit uns beiden, daraus wird auf keinen Fall mehr.«

Georg versuchte, nicht auf ihre Hände zu starren.

»Kein Problem, wirklich, kein Problem«, sagte er.

»Ich finde Kai gut«, sagte sie. Ihre Offenheit erstaunte ihn.

»Aber Kai hat eine Familie.«

»Wirkt er auf dich glücklich?«

»Die ersten Jahre mit Kind sind immer stressig, sagt man.«

Madeleine blickte auf die Ringe in ihrer Hand. »Das sind ihre, oder?«

Er nickte.

Sie legte sie zurück in die Schale.

Er erinnerte sich, wie gut es ihm am Abend getan hatte, die Geschichte mit Linda jemandem zu erzählen, der sie noch nicht kannte, und dass er kein Ende gefunden hatte.

»Die ganze Wohnung ist voll von ihren Sachen, der Flur ist gruselig, als würde sie alles beobachten, was du tust. Warum wirfst du das Zeug nicht weg und startest neu?«

»Weil sie zurückkommt.«

»Ach Georg«, sagte sie, wie sie es am Abend mehrmals getan hatte, als er ihr erklärt hatte, was alles dafür spräche, dass Linda zu ihm zurückkehren würde. In diesem mitleidigen Ton.

»Kann ich duschen?«, fragte sie.

Er gab ihr ein Handtuch und ging ins Schlafzimmer, um sein Portemonnaie zu holen. Aus Gewohnheit öffnete er Lindas Seite des Schrankes und roch an ihren Kleidern, ihr Duft wurde schwächer, bald würde er verschwunden sein. In der Küche nahm er zwei Aspirin, er musste sich beeilen, mit dem Fahrrad brauchte er zwanzig Minuten. Madeleine kam aus der Dusche, in ein großes Handtuch gewickelt.

»So, wie du aussiehst, bist du vielleicht doch bereit für etwas Neues«, sagte sie und lächelte.

»Quatsch«, sagte er.

Er spürte seinen Magen, wenn er nur an die Werkstatt der Tierpräparatorin dachte. Caro, der Name klang so harmlos für das, was sie machte.

»Warte mal.« Madeleine lief über den Flur zu ihrer Tasche. Sie kam zurück, stellte sich auf die Zehenspitzen und wuschelte ihm durch die Haare, die er, seit er seinen Job gekündigt hatte, hatte wachsen lassen. Madeleine band sie zu einem Zopf zusammen.

»Mega«, sagte sie. »So wird das was mit deinem Termin.«

Er dachte, dass er sich im Hausflur sofort das Band aus den Haaren ziehen würde, aber dann fiel sein Blick in den Spiegel. Er sah gut aus. Er hatte Glück, dass sein Haar noch voll war, er war schlank, hatte keinen Bauchansatz, was wohl auch an seinem nervösen Magen lag.

»Ich muss los«, sagte er. »Kannst du einfach die Tür hinter dir zuziehen?«

»Klar«, sagte sie, stellte sich wieder auf die Zehenspitzen und gab ihm einen Kuss auf den Mund.

Ruthchen schläft

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