Читать книгу Ruthchen schläft - Kerstin Campbell - Страница 9

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Georg lauschte dem Regen, der gegen die Fenster- scheiben prasselte. Ruthchen lag schlafend auf dem Sofa zwischen ihnen, so wie immer. Sie streichelten die Katze, als könnten sie sich an dem Fell festhalten, schweigend den Prozess aufhalten, der in Gang gesetzt worden war. Ruthchen fühlte sich kalt und hart an, keiner von beiden sprach darüber. Es war dunkel geworden in der Küche, sie schalteten das Licht nicht ein, Georg wollte den Moment der Stille und des Friedens nicht zerstören. Nichts würde zu ihnen gelangen, wenn sie es nicht erlaubten.

»Da bist du ja wieder«, hatte Frau Lemke gesagt, als er mit der in ihrer Decke eingewickelten Katze in der Tür stand. Frau Lemke streichelte ihr über den Kopf, sie vermieden es, sich anzuschauen, denn dann hätten sie nicht weiterspielen können, ihr Theaterstück über Leben und Tod.

Georg war ihr über die Diele in die Küche gefolgt, hielt Ruthchen jetzt nicht mehr von sich entfernt, sondern fest in seinen Armen, wickelte sie aus und legte sie auf das Sofa, auf ihren Platz. Es sah tatsächlich so aus, als schliefe sie. Frau Lemke wirkte müde, ihr Gesicht war eingefallen, und er fragte sich, ob es wegen der Katze war oder wegen der Drohung, nach New York ziehen zu müssen. Denn so empfand er es, als eine Drohung, nicht als Gefallen, wie Wolfgang seiner Mutter weismachen wollte.

Er hing seinen Gedanken nach, wie er Ruthchen bei Caro abgeholt hatte, wie müde, aber auch glücklich sie gewirkt hatte, als sie ihm die Katze übergeben hatte. Dass Caro ihm gesagt hatte, er solle ihr bitte Bescheid geben, wie Frau Lemke die Katze gefallen habe. Während er überlegte, wie er Caro fragen könnte, ob er sie zum Essen oder zu einem Drink einladen dürfe, als Dankeschön sozusagen, und wie es ihm albern erschien und er es nicht über sich brachte, weil »Wollen Sie mit mir essen oder etwas trinken gehen?« so trivial klang. Ihr Händedruck war fest, aber ihre Haut fühlte sich zarter an, als er vermutet hätte. Danach hatte er nicht das Gefühl, sich die Hände waschen zu müssen.

Das Telefon klingelte.

Der Regen trommelte gegen die Scheiben, Ruthchen lag still.

Georg wusste, dass es Wolfgang war. Wolfgang hatte ein Gespür dafür, Momente zu zerstören, sich einzumischen und ihn daran zu erinnern, dass Georg dieser Platz nicht zustand, dass er weder Sohn noch Enkelsohn, sondern nur ein netter, aufmerksamer Nachbar war. Und der Vermieter.

Frau Lemke ging zum Telefon, das sie, wie andere notwendige Dinge, in die Küche verlegt hatte, als sie ihr Leben mehr und mehr in diesen Raum verlagert hatte. Sie drehte sich mit dem Rücken zu Georg, beugte die Schultern leicht nach vorne, als wollte sie sich schützen. Er schnappte nur wenige Gesprächsfetzen auf.

»Ruthchen geht es gut, sie schläft viel.«

»Mir ist ein wenig schwindelig.«

»Nein, ich habe noch nicht mit der Bank gesprochen.«

»Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist.«

»Doch, du hast recht.«

»Ruthchen geht es gut, wirklich.«

Nachdem Frau Lemke aufgelegt hatte, wischte sie sich über die Augen, zog ein Taschentuch aus ihrer Hosentasche und schnäuzte sich.

Am liebsten würde er Frau Lemke sagen, dass er von Anfang an gewusst hatte, dass mehr dahintersteckte, wenn Wolfgang von Bülow – für seinen Neustart als Geschäftsmann in New York hatte er Frau Lemkes Mädchennamen angenommen – auf einmal die Liebe zu seiner Mutter wiederentdeckte.

Vor mehr als drei Jahrzehnten hatte Georg Frau Lemke auf dem Steinboden kauernd gefunden, hatte sich Wolfgangs stechender, hasserfüllter Blick, in dem Georg auch etwas Verlorenes sah, gegen ihn gerichtet. Kurz nach dem Vorfall war Wolfgang nach New York gezogen. Frau Lemke hatte nie mehr darüber gesprochen, lenkte ab, wenn Georg das Thema aufbrachte. Sie hatte das Geschehene tief in sich verschlossen wie einen bösen Geist.

Erzählte Frau Lemke von ihrem Sohn, war es nur Gutes. Georg hatte sich angewöhnt, nichts dazu zu sagen. Für ihn war Wolfgang ein selbstsüchtiger Mensch, dem es an Mitgefühl fehlte. Er hatte sich in all den Jahren, seit er weggezogen war, immer nur bei seiner Mutter gemeldet, wenn er irgendetwas wollte. Meistens Geld.

Frau Lemke setzte sich auf das Sofa, streichelte Ruthchens Kopf. Der Regen klopfte nur noch leicht an die Scheiben.

»Wolfgang meint, dass die Bäume schon blühen in New York«, sagte sie.

Ruthchen schläft

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