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DONNERSTAG, 27. NOVEMBER 2025

Eklampsie – das seltene Worst-Case-Szenario:

Die bereits zuvor beschriebenen Symptome (Übelkeit, Kopfschmerzen, Augenflimmern, womöglich ein rasanter Anstieg des Blutdrucks) können möglicherweise auch die Vorboten einer Eklampsie darstellen.

Hierbei handelt es sich um die kritischste Form der bereits zuvor beschriebenen Gestose (Bluthochdruck bei Schwangerschaft) und um eine Entwicklung der Präeklampsie. In diesem seltenen Fall treten bei der werdenden Mutter krampfartige Anfälle und Muskelzuckungen auf. Die sofortige Konsultation eines Arztes ist unerlässlich; in der Regel wird die Ausweitung der Erkrankung durch die Einleitung der Geburt (oftmals via Kaiserschnitt) beendet. Ohne medizinische Behandlung kann eine Eklampsie im weiteren Verlauf für Mutter und Kind lebensbedrohlich werden. Bei der werdenden Mutter können aufgrund der gestörten Durchblutung schwere Organschäden auftreten, während der Säugling …

„Herr Alexander Schalk?“

Alexander saß auf der abgewetzten Couch im Wartezimmer des Urologen im Nachbardörfchen Langenhofen und hatte sich in eine der zahlreichen medizinischen Broschüren vertieft, die auf dem großen Glastisch in der Zimmermitte zur Unterhaltung, Zerstreuung (und scheinbar auch zur Beunruhigung) der wartenden Patienten dargeboten wurden. Erst nach ein paar Sekunden identifizierte er den ausgerufenen Namen als seinen eigenen und schreckte auf. Er blickte in ein Dutzend müder Männergesichter, von alt bis jung, die an diesem Vormittag ebenfalls in die Praxis vorgeladen worden waren. Dann sah er die Dame im Türrahmen, eine Sprechstundenhilfe mit blondem Kurzhaarschnitt, lächelte schwach und erhob sich mit einem angestrengten Ruck von der Couch. „Kommen Sie, Herr Schalk.“

„Schon unterwegs.“ Er klappte die Broschüre zu und ließ sie auf den Glastisch zwischen all die anderen Traktate fallen. Vom Titelblatt strahlten ihm die erwartungsvollen Augen einer jungen, blonden Frau entgegen, die ihre Hände behutsam auf ihren entblößten Babybauch gelegt hatte. Er wünschte sich, er hätte sich für eine andere Lektüre entschieden. Doch ihm war der Titel Was Sie über Schwangerschaftskrankheiten wissen sollten förmlich ins Auge gesprungen; also hatte er die Broschüre gelesen, und nun fühlte er sich umfassender und gründlicher informiert, als ihm lieb war. Er hätte sich auch im Internet darüber schlau machen können. Doch Alina hatte es ihm verboten. Sie hatte gemeint, eine solche Recherche würde einer Selbstanzeige gleichkommen. Früher hatten die Frauen sich über solche Dinge auch kaum Gedanken gemacht. Außerdem fühlte sich Alina bereits aus ihrem Alltag bei Dr. Andris ausreichend aufgeklärt, und sagte ihm, er solle sich keine Sorgen machen.

Während er auf die Sprechstundenhilfe zutrat, fasste er sich ans Gesäß, so als ob ihn der Ischias plagte. In Wahrheit tastete er nach der kleinen Plastikkapsel, die er in seiner Unterhose versteckt hatte. Sie enthielt das Sperma seines Bruders Harald.

Vergangene Woche hatte er seine Vorladung erhalten, die auf braun-grauem, streng riechendem Recyclingpapier gedruckt war und wie ein Steuerbescheid vom Finanzamt aussah. Es war ein standardisiertes Schreiben von der Gemeinde, ohne Unterschrift, und er hatte Datum, Uhrzeit und durchführende Arztpraxis einer Tabelle zu entnehmen, wo die entsprechenden Angaben angekreuzt waren. Bei etwaiger Abwesenheit hätte er die untere Seite des Schreibens abtrennen und, binnen vierzehn Tagen, unter Angabe des Verhinderungsgrundes und eines Ausweichtermins, an die Gemeinde zurücksenden müssen. Es wurde somit ein spürbar strengerer Ton angeschlagen, denn der Regierung war klar, dass sie ihr Volk mit den Vorräten der Samenbanken nur eine begrenzte Zeit lang versorgen konnte. Er hatte zunächst befürchtet, dass Harald seine Hilfe nach ihrem Disput nun doch verweigern würde. Das war aber nicht der Fall. Harald war zwar nicht besonders gesprächig am Telefon gewesen, hatte ihm aber versprochen, die Probe am Tag des Termins zu nehmen und bereitzuhalten.

Er hatte sich extra einen halben Tag freinehmen müssen. Sein Termin war auf neun Uhr morgens angesetzt worden. Er war bei Harald vorbeigefahren, um die Kapsel abzuholen (nicht ohne sich etliche Male zu bedanken und zu versprechen, ihn dafür demnächst zum Abendessen einzuladen), dann war er pünktlich beim Langenhofener Urologen erschienen, wo bereits das halbe Dorf wartete. Nun war es halb zwölf, als er hinter der Sprechstundenhilfe durch die teppichbelegten Flure der Arztpraxis schritt.

Die blonde Dame machte vor einer weißen Tür Halt und öffnete sie. „Einen kleinen Moment“, bat sie. Alexander trat ein, und sie schloss die Tür hinter ihm. Er schien sich in einem Sprechzimmer zu befinden, dem Schreibtisch und den Stühlen nach zu urteilen, in dem sich jedoch außer ihm gerade niemand aufhielt. Da öffnete sich eine weitere Tür an der Wand zu seiner Rechten und ein junger, hagerer Mann mit hektischem Gesichtsausdruck erschien, der ein Klemmbrett und einen Kugelschreiber in der Hand hielt. „Guten Tag, kommen Sie bitte hier herein“, sagte er mit lauter, sachlicher Stimme und machte eine einladende Geste. Alexander folgte ihr und fand sich in einem kleinen, neonbeleuchteten Raum mit hellgrauen Wänden wieder. In einer Ecke des Raumes stand ein hölzerner Schemel, und eine andere Ecke wurde komplett von einem Gerüst eingenommen, das aus Metallstreben und einem samtroten, schwer aussehenden Vorhang bestand und wie eine Umkleidekabine aussah.

„Schalk Alexander“, brummte der Mann in einem Tonfall, der unklar ließ, ob es sich um eine Frage oder eine Feststellung handelte, und machte ein Kreuz in der Liste auf seinem Klemmbrett. „Ich muss Sie bitten, sich zu entkleiden, und zwar vollständig, Ihre Kleidung lassen Sie bitte hier auf dem Schemel zurück. In zwei Minuten bin ich wieder da.“ Der Mann verschwand blitzschnell und ließ die Tür hinter sich zufallen.

Er musste lächeln. Alina hatte mal wieder recht gehabt. Sie war sicher gewesen, er würde sich komplett ausziehen müssen; er hingegen hatte vermutet, man würde ihn mitsamt seiner Kleidung in einen abgeschiedenen Raum stecken und dort sich selbst überlassen. Weder Harald noch seine Stammtischkollegen hatten ihm darüber Auskunft geben können, denn sie alle hatten einen späteren Termin zugewiesen bekommen. Punkt für dich, Alina, dachte er. Dann hättest du mir ja auch gleich einen Vorschlag machen können, wo ich diese verfluchte Kapsel verstecken soll, ohne dass der Typ was mitbekommt.

Er riss den Vorhang beiseite. Was er sah, unterschied sich tatsächlich nicht von einer gewöhnlichen Umkleidekabine. Die Wand war jedoch nicht mit Spiegeln verkleidet. Sollte er die Kapsel mit Tesafilm unter der Sitzfläche befestigen, in der Hoffnung, dass sein Wärter, oder wie auch immer er den namenlosen Angestellten, der ihn empfangen hatte, nennen sollte, nicht entdecken würde?

Das wäre zwar riskant gewesen, aber er hätte es getan … wenn er daran gedacht hätte, so etwas Profanes wie Tesafilm in die Praxis mitzubringen.

Auch sonst sah er keinen Spalt, keinen Schlitz und kein Loch, das ein geeignetes Versteck bieten konnte; die Metallstreben verliefen an einem Stück vom Boden bis zur Decke.

Er begann sich auszuziehen und spürte, wie er unruhig wurde. Er brauchte einen Einfall. Was würde passieren, wenn er den Wärter bewusstlos schlug und die Praxis einfach verließ?

Du bist ja so was von gerissen … und so einfallsreich noch dazu, schalt er sich selbst im Stillen und streifte die Hose seines schicken Hugo-Boss-Businessanzugs ab, den er im Büro immer am liebsten trug, denn er hatte vorgehabt, nach seinem Besuch beim Urologen sofort zur Arbeit zu gehen. Nun stand er, nur noch in Unterhose bekleidet, in dem engen Kämmerchen, das zwar gut beheizt war, ihm aber wie eine Gefängniszelle erschien, hielt seine Hose an einem Bein zwischen den Händen und blickte ziemlich ratlos drein. Er griff nach der Kapsel, holte sie hervor und sah sie nachdenklich an. Sie war recht groß für eine gewöhnliche Pille und bestand aus ultradünnem, weißen Plastik. Wahrscheinlich hatte sie eines der Medikamente enthalten, die sein Bruder regelmäßig nehmen musste. Sollte er sie sich rektal einführen? Was, wenn sie wieder herausfiel, solange der Wärter noch im Raum war, oder noch schlimmer, wenn sie kaputt ginge? Dann wäre die ganze Sache im wahrsten Sinne des Wortes im Arsch.

Da hörte er, wie die Tür zum Sprechzimmer aufgerissen wurde, hastige Schritte.

Ohne eine Sekunde länger nachzudenken, öffnete er den Mund und ließ die Kapsel unter seiner Zunge verschwinden.

Die Tür öffnete sich, der dünne Mann mit der Liste trat eilig herein, ließ die Tür wieder zufallen und betrachtete Alexander missbilligend. „Unterhose und Schuhe auch, mein Herr. Ich sagte doch, alles.“

„Okay“, brachte Alexander vorsichtig hervor. Mehr wagte er nicht zu sprechen.

Hastig streifte er Schuhe, Socken und Unterhose ab. Jedes einzelne Stück ein Markenartikel. Alexander hatte eine Schwäche für exklusive Kleidung, das war schon immer so gewesen.

Du hast gerade das Sperma deines Bruders im Mund, schoss es ihm durch den Kopf, und der Gedanke an sich erschien ihm so skurril, dass er für einen Moment Gefahr lief, in einen Lachanfall auszubrechen. Nur ein Zehntel Millimeter Plastik trennen deine Schleimhäute von Haralds Saft, mit dem er weiß Gott wie viele Mädchen in seiner Zeit am Gymnasium und an der Universität besudelt hat.

Er wusste nicht, welcher Gedanke ihm einen größeren Schrecken versetzte: die zu erwartenden Folgen, wenn sein Wärter die Kapsel entdeckte, oder die Vorstellung, die Kapsel könnte sich in seinem Mund öffnen. Alexander versuchte, sein Gehirn in Ruhezustand zu versetzen, aber er versagte kläglich dabei.

Der junge Mann streckte ihm eine Zeitschrift entgegen, die er von irgendwo hervorgezaubert hatte. Es war eine Ausgabe des Playboy, die nach dem Datum zu urteilen jedoch schon einige Jahre alt war und recht eselsohrig und zerfleddert aussah. „Das lege ich Ihnen in die Kabine. Sie sind doch heterosexuell?“

„Ähm … ja, das bin ich.“

„Prima. Ich werde sie dann allein lassen. Bedenken Sie, Sie haben Zeit, aber es wäre mir recht, Sie würden das zügig erledigen, denn Sie haben ja sicher selbst gesehen, es werden nicht weniger Leute da draußen im Wartezimmer. Ich warte nebenan im Sprechzimmer, und Sie melden sich, wenn Sie fertig sind. Zeigen Sie mir aber bitte vorher noch ihre Hände.“ Alexander streckte sie ihm entgegen. Der Mann betrachtete sie kaum, ging dann einmal im Kreis um ihn herum, warf einen kurzen Blick in die Kabine und meinte dann: „Also, dann mal rein mit ihnen.“ Er drückte ihm einen weißen Plastikbecher in die Hand. „Bis später.“ Er griff sich Alexanders Kleidung und Schuhe.

„Okay“, sagte Alexander erneut, dann verließ der Mann mit Alexanders Sachen in den Händen das Zimmer.

Er betrat die Kabine, atmete tief durch, schloss den Vorhang hinter sich und legte den Becher und die Zeitschrift auf die Sitzfläche, dann ließ er sich ebenfalls darauf nieder. Das Hartplastik fühlte sich kalt auf seiner nackten Haut an. Er malte sich aus, wie viele Männer hier wohl heute schon gesessen haben mussten. Vorsichtig fingerte er die Kapsel aus seinem Mund.

Wie viel Zeit sollte er sich lassen? Er wusste es nicht, aber dann entschied er, dass fünf Minuten eine unauffällige Zeit waren; also würde er hier drin sitzen, bis er glaubte, dass fünf Minuten verstrichen waren, da er keine Armbanduhr besaß. Nachdenklich betrachtete er das Heft und blätterte darin, mehr aus Langeweile denn aus echtem Interesse. Nach einigen Sekunden legte er es wieder zurück.

Warum hatte Gott, die Natur, oder eine andere geheime Kraft, es so eingerichtet, dass das Leben bei einem Akt entstand, der doch mit so viel Schmutzigem und Niedrigem in Verbindung stand? Wie konnte etwas so Wunderbares, so Heiliges wie das Leben eines Kindes zustande kommen, bei einem Akt, der gleichzeitig von stöhnenden Frauen in den Dauerwerbesendungen der Privatsender ab Mitternacht beworben wurde, mit dem brutale Zuhälter weltweit ihr schmutziges Geschäft machten, das Vergewaltiger ins Gefängnis brachte und ihre Opfer in die Psychiatrie? Es war eine Frage, die er sich seit dem Aufklärungsunterricht in der Schule gestellt und bis heute nicht beantwortet hatte. Warum konnten Frauen nicht durch einen Kuss schwanger werden? Warum konnten sie nicht durchs Zähneputzen schwanger werden, durchs Kochen, oder ganz einfach von selbst?

Und was, zum Teufel, sollte es ihm in dieser Situation eigentlich bringen, über derlei Fragen nachzugrübeln?

Eine Zeit lang saß er einfach nur da und starrte auf den roten Samt des Kabinenvorhangs.

Er wartete noch eine gefühlte Minute, dann brach er die Kapsel und goss ihren Inhalt in den Plastikbecher. Er stellte sich intensiv vor, dass es sich dabei nur um wässriges Mehl oder Handseife oder um etwas anderes Unverfängliches handelte, als er das Geräusch hörte, mit dem die Flüssigkeit auf dem Boden des Bechers aufschlug. Er wollte hier raus. Er wollte nach Hause zu seiner Frau, sie in den Arm nehmen und nicht mehr loslassen.

Alexander öffnete die Kabine und trat zur Tür. Die leere Kapsel hielt er in der linken Hand verborgen; um nichts in der Welt hätte er sie zurück in den Mund gesteckt. Er öffnete die Tür einen Spalt und rief: „Ich bin fertig!“

„Alles klar“, hörte er die Stimme des Mannes aus dem Nebenzimmer, der sich sofort in Bewegung setzte und die Tür öffnete. „Ich wünschte, alle wären so flott wie Sie. Einer heute morgen brauchte beinahe eine halbe Stunde. Der hat echt den Vogel abgeschossen.“ Er drückte Alexander seine Sachen in die Hand, der sofort begann, sich wieder anzuziehen. Die Kapsel ließ er unauffällig in der Hosentasche verschwinden. „Es ist auch keine sonderlich schöne Situation“, gab er mit säuerlicher Miene zu bedenken, während sein Wärter den Plastikbecher und das Pornoheft aus der Kabine holte und in das Sprechzimmer hinüber brachte, wo er den Becher umgehend mit schwarzem Filzstift beschriftete.

„Ich weiß, ich weiß. Meinen Sie, ich selbst hab das nicht auch mitmachen müssen? Ich war gleich der Erste heute morgen“, sagte dieser in gleichgültigem Tonfall.

Alexander war fertig angezogen und trat aus dem Kämmerchen. „Ich kann dann gehen, nehme ich an?“

Der Mann wandte sich halber zu ihm um. „Ja, alles erledigt. Auf Wiedersehen.“

„Auf Wiedersehen.“ Alexander schritt zu der Tür, die wieder auf den Flur hinausführte.

„Und viel Glück.“

Alexander blieb stehen und runzelte die Stirn. „Wobei?“

„Na, dass der Virus Sie verschont hat, beziehungsweise dass Sie sich regeneriert haben, warum auch immer. Auch wenn’s extrem unwahrscheinlich ist.“

„Oh.“

„Die meisten Kerle, die hier reinkommen, brennen darauf, zu diesen Auserwählten zu gehören, wenn ich das mal so nennen darf. Jeder zweite schwärmt mir davon vor. Es wäre ja auch keine unangenehme Vorstellung, nicht wahr?“ Er sprach immer noch auf seine betont gleichgültige Weise, aber seine Miene schien etwas freundlicher geworden zu sein.

„Nun ja, ich weiß nicht.“

„Die Chance auf Ruhm und Reichtum. Die Chance, auf die jeder wartet. Nur quasi ohne jede Eigenleistung dafür zu bringen.“

Alexander lächelte ihn an und winkte ab. „Sie sind mir vielleicht ein Scherzkeks.“

Er verließ die Praxis und machte sich auf den Weg ins Büro.

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