Читать книгу Die Chiòcciola-Trilogie - Kiara Borini - Страница 6
Ein Gespräch mit Dennis
ОглавлениеIrgendwie hatte mich das „Gespräch” mit Chiòcciola ganz schön mitgenommen. Wer ist schon gewohnt, wenn sich jemand bei den intimsten Gedanken einfach selbst bedient, auch dann wenn sie im Flur bereitgestellt sind und quasi auf die Stirn geschrieben sind.
Und dann war es auch noch wieder so weit. Mein Bauch krampfte sich um die Wette mit meinem Kopf. Es kommt bei mir immer alles zusammen. Das Fazit ist, dass ich für ein paar Tage nicht recht ansprechbar war und mich mit ein paar Zeitschriften und einer Wärmflasche in meinem Zimmer eingenistet hatte.
Ich lag also auf meinem Bett und blätterte in Magazinen, die sich mit dem kommenden Herbst mit seinen doofen Brauntönen schon mitten im Sommer beschäftigten, während ich überlegte, ob die Idee mit der Wärmflasche wirklich so intelligent gewesen war, wenn man die sommerlichen Temperaturen berücksichtigt.
Dennis hatte ich nur bei den Mahlzeiten gesehen, oder wenn er mir auf dem Flur über den Weg gelaufen ist. Ich war auch nicht sonderlich erpicht darauf, mit ihm zu reden, nachdem er mich neulich so schroff abgewiesen hatte. Ohnehin war es nicht zu erwarten, dass eine Unterhaltung mehr als drei Sätze beinhaltete, ohne entweder in eine Unterrichtsstunde über globale physikalische Weltzusammenhänge verwandelt zu werden, oder schlicht im Sande zu verlaufen. Mir war im Moment nicht danach zu Mute, den ersten Schritt zu machen, und die Treppe zu ihm hinaufzugehen.
Es klopfte an meiner Tür und Dennis öffnete sie und steckte vorsichtig den Kopf durch den Spalt, noch ehe ich „herein!” rufen konnte.
„Störe ich?”
„Nein. Mir ist nur gerade nicht gut heute.”
„Menstruation?”
„Wenn du es unbedingt thematisieren musst – ja. Nur bitte keine Vorlesung über Humanbiologie jetzt.”
„Schon gut.”
Dennis sah so aus, als ob er das Thema auch ohne meinen Hinweis lieber nicht weiter vertieft hätte. Auch mir war das ganz recht.
Er setzte sich in den Schaukelstuhl, der in meiner Leseecke stand, und sah so aus, als ob er erwartete, dass ich mit irgendeinem beliebigen Thema das Gespräch eröffnete. Diesen Gefallen wollte ich ihm aber nicht tun.
Es dauerte eine ganze Weile, dann erfuhr ich, was Dennis’ Herz bedrückte.
„Er ist wirklich ein Hund! Wirklich! Ich hätte nicht gedacht, dass er mich so einfach kriegt. Es ist, als ob er immer eine zehntel Sekunde im Voraus weiß, was ich als nächstes tue.”
„Wer?”
„Rìccio – er hat meinen HighScore geknackt.”
„Du willst mir sagen, du kommst zu Deiner älteren Schwester und heulst dich aus, weil jemand mehr Aliens abgeschossen hat als du?”
„Es geht nicht um Aliens. Nicht wirklich! Es geht darum – dass – dass er besser ist als ich!”
„Und das passiert dir jetzt zum ersten Mal in Deinem Leben? Im zarten Alter von fünfzehn. Behütetes Kind. Wenn ich nicht gerade am Menstruieren wäre, wie du vorhin so treffend bemerkt hast, dann würde ich dich jetzt ganz doll bedauern.”
„Du musst ja nicht gleich zickig werden. Ich weiß, dass das bescheuert ist von mir. Und glaube mir, ich fange schon an, Gespenster zu sehen. Und da dachte ich, ich bespreche das mal mit Dir. Aber wenn es dir im Moment nicht passt, dann gehe ich wieder. Vielleicht können wir ja ein anderes Mal darüber reden.”
Solch eine lange Dialogfolge hatte ich mit Dennis noch nie. Es muss ihn tief getroffen haben, einmal nicht der Beste zu sein. Klar, auch ich mag es, wenn ich irgendwo richtig gut bin. Aber wenn es mal Platz zwei oder drei ist, dann kann ich mich immer noch darüber freuen. Für Dennis ist der Zweite immer schon der erste Verlierer.
„Da ist nämlich noch etwas.”
„Sprich, kleiner Bruder.”
„Rìccio hat sich kurz nachdem sie hier eingezogen sind, einfach in mein WLAN eingeklinkt und auf meinen Server zugegriffen. Dabei ist mein Master-Password extrem gut und der Server natürlich optimal verschlüsselt. Da sollte so schnell keiner reinkommen dürfen. Selbst ich könnte ein so gesichertes System nur nach mehreren Wochen hacken, wenn ich in der Zeit auf das Schlafen völlig verzichten würde. Aber nach ein paar Stunden. Ich bin schockiert.”
„Gut, dein Funknetz ist gehackt, von Rìccio, unserem neuen Nachbarn, sagst Du. Lassen wir mal dein verletztes Ego aus dem Spiel. Wer ist Rìccio. Der Vater von Chiòcciola?”
„Wer ist Chiòcciola?”
„Chiòcciola ist die Tochter von den neuen Nachbarn. Ich hatte neulich eine sonderbare Unterhaltung mit ihr, wenn man das so nennen kann.”
„Nee, Rìccio ist der Sohn. Dass er eine Schwester hat, habe ich bisher noch nicht von ihm gehört. Aber so intensiv haben wir uns auch noch nicht unterhalten.”
„Was habt ihr denn gemacht?”
Dennis wirkte verlegen.
„Na, so Netzwerkspiele halt.”
„Du meinst, ihr habt gemeinsam arme kleine Aliens platzen lassen?”
„Wenn du das so siehst, ja. Er war immer schneller. Er schien meine Reaktionen vorhersehen zu können und fing mich da ab, wohin ich manövrierte. Es war unfair. Er war einfach um Klassen besser als ich. Ich hatte nicht die geringste Chance.”
„So wie Deine anderen Gegner normalerweise?”
Dennis blickte zwar etwas verlegen, erwiderte aber nichts auf meine Bemerkung.
„Du musst Deine Taktik nicht in den Flur stellen.” sagte ich und versuchte so auszusehen, wie ich mir die Pythia aus dem delphischen Orakel immer vorgestellt habe. Ich weiß nicht, ob das Ergebnis historisch korrekt war, aber, die Wirkung war enorm. In der Wertungsskala von Dennis hatte ich gerade mindestens zehn Punkt gut gemacht.
Deshalb konnte ich ihm auch von meiner Begegnung mit Chiòcciola erzählen. Natürlich ließ ich die Komponenten aus, die meinen pubertierenden Bruder nur verwirrt hätten. Dennis schaute mich mit großen, interessierten Augen an und – man glaubt es kaum – hörte mir ohne Kommentare einfach zu.
„Da ist aber noch etwas.” meinte Dennis dann eine ganze Weile später, nachdem ich meine Erzählung abgeschlossen hatte.
Ich blickte ihn gespannt an.
„Rìccio ist italienisch.”
„Sagtest du nicht, das sind Engländer?”
„Rìccio ist nicht nur italienisch, sondern heißt auch Schnecke! Wer nennt denn seinen Sohn ‘Schnecke’?”
Ich sah ihn wortlos an und schnappte mir mein Smartphone. ‘Leo’ sagte mir gleich, dass Chiòcciola ebenfalls italienisch war.
„Auch die Tochter heißt Schnecke.”
„Wer macht denn so was? Die spinnen, die Römer!”
#
„Nette Leute, unsere Nachbarn!”, meinte Pa beim Abendessen ohne Vorwarnung. „Arbeiten zwar nicht für die Regierung, aber zumindest für die UNO.”
Er balancierte eine Rolle Spaghetti auf seiner Gabel in den Mund. Wenn Ma fastet, gibt es für den Rest lediglich schnelle Kohlehydrate mit Pesto.
„Irgend ein Sonderausschuss für die Erarbeitung von Protokollfragen bei interstellaren Besuchen. Mehr könnte er nicht sagen. Alles streng geheim natürlich und vielleicht auch etwas verfrüht. Aber es hat irgendwann natürlich auch Auswirkungen auf den Außenhandel. Muss man also im Auge behalten und gegebenenfalls mal nachhaken.”
„Wenn du meinst mein Schatz...”
„Haben wir denn eigentlich unseren rustikalen Grill noch? Man könnte ja mal gemeinsam angrillen. Was meint ihr, Kinder? Vielleicht haben die auch Kinder in Eurem Alter!”
„Pa, ‘Angrillen’ im Hochsommer? Meinst du nicht, dass das etwas spät ist im Jahr?”, ich hatte mich fast verschluckt und nun mehrere grüne Pesto-Sprenkel auf meinem Top. „Außerdem ist unser Grill nicht rustikal, sondern rostig. Wenn du die beeindrucken willst, benötigen wir schleunigst einen neuen.”
„Am besten einen Weber, mit Gas, Flavour-Bars und Fach für die Gasflasche.”, Dennis war mal wieder bestens informiert.
„Gas, ist das nicht gefährlich?”
Ma war - wie immer - ängstlich. Und da ihr spiritueller Führer auf glühenden Holzkohlen lief, war das auch schließlich in ihren Augen das Maß der Dinge.
„Am Samstag fahren wir in den Baumarkt und lassen uns beraten. So etwas muss es doch irgendwo in Berlin geben, oder?”
Pa hatte mal wieder das Schlusswort, auch wenn es genau genommen mehr eine Frage war.
#
Was dann kam, war noch peinlicher! Seit wir hierher gezogen sind und Pa Anrecht auf einen Dienstwagen mit Chauffeur hatte, war das große Auto verkauft worden. Ma hatte noch ihren kleinen sportlichen Zweisitzer, mit dem man auch - mit ein bisschen Geschick - den Wochenendeinkauf erledigen konnte. Das meiste brachten ohnehin die diversen Eismänner tiefgefrorenen vorbei. Und einen Bio-Direktverkauf mit Obst und Gemüse gab es ebenfalls im Ort. Da konnte man mit dem Fahrrad hinfahren.
Nur, einen Gasgrill aus dem Baumarkt bekam man weder aufs Fahrrad, noch in den Zweisitzer von Ma. Und Pa, der immer meinte, im Zweifelsfall kann man ja einen Bus leihen, war viel zu entschlossen, seinen Angrillplan in die Tat umzusetzen.
Also musste Jupp aushelfen. Jupp ist der Fahrer von Pa. Eigentlich ein recht netter Typ, der gelegentlich bei uns einen Kaffee trinkt, wenn er noch vor der Fahrt wegen der wichtigen Dinge, die Pa noch zu erledigen hat, warten muss. Jupp nahm es gelassen. Das war so seine Art. Er war wohl schon zu lange Fahrer im Ministerium, um sich über irgendwelche Sonderlocken noch großartig aufzuregen.
Mir war es nur hochnotpeinlich, als wir mit schwarzer Limousine und Fahrer im Baumarkt aufschlugen. PA steuerte sofort auf die ausgestellten Grills zu und Dennis sogar noch gezielter direkt auf ein ganz spezielles Modell. „Das ist der beste. Der Preis ist auch OK!”, meinte er und hatte den Karton schon in der Hand.
„Halt! Da wird doch noch ein wenig Beratung möglich sein, oder?”, fuhr Pa dazwischen.
Inzwischen hatte sich auch ein entsprechend zertifizierter Ideengeber zu uns gesellt, wie auf seinem Schild zu lesen stand.
„Herr Kurowsky, welches Modell würden Sie uns empfehlen für das Grillvergnügen mit verwöhnten Freunden, bei dem selbstverständlich nicht nur Bratwürste gereicht werden sollen?”
Herr Kurowsky erläuterte die Wichtigkeit einer stufenlosen Temperaturregelung, die insbesondere für maritime Krustentiere unerlässlich sei, das indirekte Grillen, das Flavorisieren mit Aromahölzern, die Verstaubarkeit von Gasflaschen, die spezielle Emaillierung der teilbaren und deshalb Spülmaschinen geeigneten Grillroste, die Auffangschalen für Fett und Grillreste, den separaten Brenner für einen Wok und die beschichtete witterungsbeständige Edelstahlausführung.
Nachdem er bei seinem Rundgang durch die Ausstellung mit seinen Ausführungen soweit gekommen war, blieb er genau vor dem Grill stehen, auf den Dennis schon vor einer halben Stunde gezeigt hatte. Pa schaute Herrn Kurowsky an und sagte: „Gut, den nehmen wir!”
Jupp fiel die ehrenvolle Aufgabe zu, das gekaufte Geraffel im Kofferraum zu verstauen. Und da die Gasflasche aus Sicherheitsgründen unbedingt hinter den Vordersitzen verstaut werden musste - Jupp ist in solchen Dingen extrem pingelig - hatte ich auf der Rückfahrt kaum noch Platz für meine Beine.
Den Grill hatte Dennis dann schnell aufgebaut, zumindest schneller, als Pa die Anleitung gelesen hatte.
„Na, ihr hättet auf dem Weg ja zumindest noch Bratwürste mitbringen können”, meinte Ma und fuhr mit ihrem Zweisitzer los, das Wesentliche zu besorgen.
Immer, wenn man denkt, der Sommer bringt keine Überraschungen mehr, dann steht man plötzlich neben einem funkelnden Gasgrill und wartet darauf, dass ein Potpourri aus Geflügel- und Sojawürsten langsam Farbe annimmt.
„Das ist jetzt aber nur eine Probe!”, meinte Pa mit Blick auf den Grill. „Unseren neuen Nachbarn werden wir mit so etwas nicht kommen. Das gibt es dann erlesene Fisch- und Langusten-Variationen, gutes Rindfleisch und keine schnöde Bratwurst!”