Читать книгу Die Chiòcciola-Trilogie - Kiara Borini - Страница 8
Rìccio und Dennis
ОглавлениеAls ich Rìccio das erste Mal bei Dennis im Spitzboden sah, trugen beide eine komische Taucherbrille und fuchtelten wild mit den Armen. Da sie mich offensichtlich nicht sahen, versuchte ich mich möglichst still zu verhalten, um sie ungestört eine Weile beobachten zu können. Es sah einfach zu komisch aus.
Natürlich war das keine Taucherbrille. Dennis hatte mir die letzten Wochen mehrfach von Virtual Reality erzählt und dass man mit Hilfe eines Vorsatzes aus Pappe, den man sich vor den Kopf bindet und an den man vorne sein Smartphone steckt, Computerbilder so dreidimensional sehen kann, dass man glaubt, mitten im Geschehen zu sein. Nur, das Ganze sah wirklich aus wie eine Taucherbrille, bei der man vorn das Glas durch ein Smartphone ersetzt hatte.
Ich räusperte mich, um mich bemerkbar zu machen. Und beide nahmen diese lächerlichen Brillen ab. Was ich dann sah, war gar nicht lächerlich! Solche Freunde hatte Dennis bisher noch nie gehabt. Der sah gar nicht mal so übel aus!
„Darf ich dir Rìccio vorstellen, unseren neuen Nachbarn. Er konnte leider nicht zu unserer fulminanten Grillparty kommen.”
‘Sehr erfreut, meine Schwester hat mir schon viel von dir erzählt. Annika, nicht wahr.’
Bevor ich rot wurde, versuchte ich das Gespräch auf etwas neutraleren Boden zu lenken.
„Was habt ihr denn in der virtuellen Welt bewegt? Ihr habt ja offensichtlich große Dinge hin und hergeschoben, so wie das aussah.”
„Sehr große Dinge sogar. Setz die Maske auf, dann siehst du es.”
Der Anblick war in der Tat bewältigend. Bisher hatte ich Dennis Gefasel von der Virtual Reality in die Ecke seiner üblichen Spinnereien gepackt, aber das war wirklich beeindruckend. Ich sah eine riesige Menge an Sternen und ich konnte sogar meine Hände danach ausstrecken. Obwohl ich ja wusste, dass das alles nur eine optische Täuschung war, konnte ich sie anfassen und bewegen.
„Das ist unsere Milchstraße.”
„Beeindruckend!”
„Der rote Punkt, das sind wir. Das heißt, das ist unsere Sonne.”
‘Und wir versuchen herauszufinden, wo wir jetzt sind im Verhältnis zu dem Ort, von dem wir kommen.’
Ich riss mir die virtuelle Taucherbrille vom Gesicht.
„Von woher ihr kommt?”
‘Ja, wir reisen durch unsere Galaxie. Wir haben Ferien und schauen uns andere Sonnensysteme an. Allerdings sind wir hier gestrandet.’
Alle verreisen im Urlaub, nur ich nicht! Und dann stranden sie ausgerechnet noch da, wo es richtig öde ist!
„Und wieso seid ihr hier gestrandet?”
‘Unser Weltraumhaus hat einen Bedarf gemeldet. Und dann steuert es automatisch einen Planeten an, auf dem es meint, dass dieser Mangel abgestellt werden kann.’
„Wenn ich Rìccio vorhin richtig verstanden habe, dann muss man sich das Ganze als eine Art gigantisches Weltraumwohnmobil vorstellen, mit dem die Familie Urlaubsfahrten durch unsere Milchstraße unternimmt. Ist vielleicht etwas vereinfacht, aber darauf läuft es wohl hinaus.”
‘Es ist einfacher, in Galaxis-Kunde eine gute Note zu bekommen, wenn man sich wichtige Orte aus der Nähe ansieht.’
„Wir sind jetzt aber nicht irgendein wichtiger Ort, den ihr auf eurer Sight-Seeing-Tour unbedingt abhaken musstet?”
‘Nein.’
„Denn, wie ich in den letzten zwei Jahren zu jedem hier gesagt habe: Hier ist es öde!”
‘Ja.’
„Gut, dann sind wir uns ja in diesem Punkt einig.”
„Annika, es ist wohl so, dass sie nicht freiwillig hier sind und eigentlich unsere Hilfe benötigen, um ihre Reise fortzusetzen. Irgendetwas fehlt, und das Raumschiff war intelligent genug, um hier zu landen, weil es vermutet, dass das, was benötigt wird, hier vorhanden ist oder besorgt werden kann.”
‘Wir wissen leider noch nicht, was fehlt, aber dein Bruder hat Recht. Eure Hilfe wäre uns sehr angenehm.’
„Ok, und wo kommt ihr jetzt genau her?”
„Das ist ja unser großes Problem. Unsere Karten von unserer Milchstraße sind nicht gerade aktuell. Denn wir sehen ja nur die Sterne, nachdem ihr Licht über viele Jahre durch den Weltraum gereist ist, bis es zu uns gekommen ist und von unseren Sternwarten fotografiert wurde.”
„Wie lange reist denn das Licht von einem Stern so im Durchschnitt? Ich meine bei Lichtgeschwindigkeit.”
‘Das mit dem Durchschnitt ist schwierig. Das Licht von eurem Stern - ihr nennt ihn Sonne - benötigt acht Minuten, um zu euch zu gelangen. Zum nächsten Stern in unserer Galaxis, die ihr Milchstraße nennt, ist es bei Lichtgeschwindigkeit länger als vier Jahre unterwegs.’
„Wow! Das ist lange. Und wo ihr herkommt, das ist noch weiter weg?”
‘Euer Planet ist an einem Rand der Galaxis. Unserer ist etwa auf der anderen Seite der vielen Sterne.’
„Das klingt recht weit weg.”
‘Ja, sehr weit. Das Licht von unserem Stern benötigt etwa 90.000 Jahre, bis ihr es sehen könnt.’
„Ganz schön weit weg für eine Urlaubsreise!”
‘Wir haben aber auch nicht 90.000 Jahre gebraucht bis hierher. Uns hat ein Trick geholfen, die Reise zu verkürzen.’
„Was Rìccio meint, ist, dass das Weltall nicht überall gleich leer ist. An manchen Stellen ist es leerer, und an anderen Stellen nicht so.”
Ich muss wohl ziemlich verständnislos ausgesehen haben, denn normalerweise lässt Dennis mich deutlich länger zappeln. Vielleicht lag es aber auch daran, das die beiden so dringend nach einer Lösung suchten.
„Als sich das Universum vor etwa 15 Milliarden Jahren mit einem lauten Rums ins Dasein katapultierte, da ist es von Stecknadelkopfgröße in einer zehntel Sekunde schon so groß gewesen wie unsere Milchstraße jetzt ist, und es ist seitdem mit rasender Geschwindigkeit immer weiter gewachsen.”
„Du meinst beim Urknall, ist in nicht mal einer Sekunde bereits ein Raum entstanden, der so groß ist, dass das Licht dann 100.000 Jahre braucht, um von einer Seite zur anderen zu gelangen? Das ist ja Wahnsinn! Wer denkt sich so etwas aus.”
‘Es wird noch unvorstellbarer. Der Raum, der entstanden ist, ist nicht gleichmäßig gefüllt, sondern das Nichts hat mal mehr und mal weniger ‘Nichts’. Und für die subatomaren Partikel ist es nicht egal, ob mehr oder weniger nichts vorhanden ist, sie reagieren darauf unterschiedlich.’
„Subatomare Partikel? Diese Higgs-Dinger, die die in Genf erforschen? Dann seid ihr hier falsch, die gibt es hier nicht. Hier ist es öde!”
„Doch die gibt es überall. In Genf am CERN versucht man sie nur zu erforschen. Aber dort gibt es nicht mehr von ihnen als hier in der brandenburgischen Ödnis.”
‘Stell dir das vor wie Nähte oder Falten im Raum. Dort wo die Falte oder die Naht ist, ist es einfach anders. Und dieses Anderssein hilft uns beim Reisen.’
Ich hatte eine spontane Idee. Ich nahm einen dieser quadratischen Notizzettel vom Denis’ Schreibtisch. Den faltete ich diagonal, und dann in Hälften, drehte ihn um und faltete von der anderen Seite wieder. Nach einer Zeit hielt ich einen niedlichen kleinen Schmetterling in den Händen und alle sahen mich fragend an.
Dann nahm ich einen Stift und markierte auf den Flügeln zwei Punkte nebeneinander. Einen rechts und einen links.
Noch immer fragende Gesichter.
Dann faltete ich den Schmetterling auseinander und die Punkte waren nicht nur auf unterschiedlichen Seiten des Blattes, sondern auch recht weit voneinander entfernt. Der Origami-Kurs zu dem mich Ma damals mit in die Volkshochschule geschleift hatte, war also doch zu etwas nutze.
„Ihr meint, wenn man den Raum geschickt faltet, benötigt man gar nicht 100.000 Jahre, um ans Ende der Milchstraße zu gelangen?”
‘Ja! So funktioniert unsere Reisemethode.’
„Und ihr glaubt, wenn man sich unsere Milchstraße durch eine Taucherbrille ansieht, findet ihr die Falten?”
„Leider nein. Das ist ja unser Problem.”
„Wie macht ihr das denn sonst?”
‘Unser Weltraumhaus macht das sonst für uns. Und das funktioniert im Moment ja nicht.’
„Dann ist die Lösung doch, es wieder zum Funktionieren zu bekommen, oder? 100.000 Jahre alte Sternkarten bringen uns doch nicht weiter.”
‘Ja.’’
„Überlegen wir uns also, was euch fehlt und was diese Ödnis bietet, was ihr so dringend braucht. Und nein, so spontan fällt mir wirklich nichts ein.”
Und dann plärrte Naike auch schon wieder.