Читать книгу Mond der Unsterblichkeit - Kim Landers - Страница 10
5.
ОглавлениеWährend der gesamten Vorlesung konnte Amber sich nicht auf die literarischen Ergüsse Lord Byrons konzentrieren, denn immer wieder schweiften ihre Gedanken zu dem attraktiven Kursleiter nebenan ab. Er beschäftigte sie jetzt schon mehr als Charles es je getan hatte. Und das nach einer einzigen Begegnung. Sie benahm sich wie eine alberne Gans. Beth hatte ihr vorausgesagt, sie würde für ihn schwärmen. Und sie hatte recht behalten. Während die anderen ungeniert mit ihm flirteten, stammelte sie herum. Nein, sie würde ihre Zeit nicht mehr mit Männern vergeuden. Erleichtert atmete sie auf, als der Referent die Vorlesung beendete.
Im Innenhof der Uni setzte sie sich auf eine der Bänke in die Sonne und schloss die Augen. In London waren sie immer in den Pausen zwischen den Vorlesungen in einen der Coffeeshops gegangen, wo sie über Gott und die Welt diskutiert hatten. Wieder etwas, das sie vermisste.
Amber zuckte zusammen, als sie Beths Stimme dicht an ihrem Ohr hörte. „Na, habe ich zuviel versprochen? Der is doch wohl klasse!“
„Schleichst du dich immer so an? Wen meinst du denn?“ Sie stellte sich ahnungslos, in der Hoffnung, Beth möge ihr Interesse an ihm vorhin nicht bemerkt haben.
„Nun tu nich so. Unsern Fechtlehrer.“
„Ach, so.“
„Und der is wieder solo. Darum rechnen sich alle eine Chance bei ihm aus.“
Eigentlich verspürte Amber keine Lust auf die geschwätzige Beth, doch jetzt ergab sich eine günstige Gelegenheit, mehr über ihn herauszufinden. „Vielleicht zeigt er nur nicht jedem seine Freundin.“
Beth schüttelte den Kopf. „Nein, der hat keine. Alle glauben, er trauert noch immer Moira hinterher. Eine traurige Geschichte. Er hat sie wohl sehr geliebt.“ Sie seufzte, aber im Handumdrehen erklärte sie lächelnd, dass dadurch auch für sie eine Chance bestünde, den begehrtesten Mann der Uni für sich zu gewinnen.
„Und was war mit dieser Moira?“ Ambers Neugier war nicht mehr zu bremsen. Sie wandte sich Beth zu, die von der Sonne geblendet ihre Nase rümpfte, und die Augen zusammenkniff.
„Sie und Aidan waren über ein Jahr ein Paar. Die große Liebe. Sie is hier früher auch zur Uni gegangen, hat im vergangenen Jahr den Abschluss geschafft, und is danach an die Bühne in ein Theater nach Edinburgh gegangen. Zum Beltanefest kam sie nach Hause. Da is sie mit nem anderen auf und davon.“
„Er heißt Aidan? Seltsamer Name.“ Solch antiquierte Namen trugen Ritter im frühen Mittelalter, und doch passte er irgendwie zu ihm.
„Ja, Aidan Macfarlane.“
Amber verschluckte sich fast an ihrer Spucke. „Macfarlane von Gealach Castle?“
„Ja, der von Gealach Castle.“
Dieser Traummann sollte der Sohn von dem griesgrämigen Schlossbesitzer sein? Kein Wunder, dass die beiden sich nicht verstanden, so unterschiedlich, wie sie waren. Selbst äußerlich bestand nicht die geringste Ähnlichkeit. Sie war ihm dort noch nie begegnet. Vielleicht wohnte er nicht mehr dort, wegen des gespannten Verhältnisses zu seinem Vater.
„Ich glaube auch, er trauert Moira noch immer nach“, fuhr Beth fort, seufzte laut, lümmelte sich neben Amber und legte den Kopf zurück. Genüsslich streckte sie die Beine aus. „Es is so tragisch. Erst hat er kurz vorher seine Mutter durch Selbstmord verloren, und dann verlässt Moira ihn auch noch.“
„Seine Mutter hat sich das Leben genommen?“
„Sagte ich doch. Ganz Gealach heulte um sie, weil sie so nett und hilfsbereit war. Hat sich in der Brauerei die Pulsadern geöffnet, und is verblutet. Stand in allen Zeitungen. Die Macfarlanes sind wegen des Whiskys sehr bekannt.“
„Das ist ja furchtbar.“ Amber fühlte mit Aidan. Was musste er durchgemacht haben? Und dann das Fremdgehen von dieser Moira!
„Hat er denn von dem anderen Mann nichts gewusst, oder hat Moira ihn offen betrogen?“
„Wir haben alle geglaubt, dass es zwischen den beiden die große Liebe is. Die waren unzertrennlich. Dann tauchte Connor auf. Er arbeitete in der Brauerei der Macfarlanes und wohnte bei seiner Tante, Cecilia Hayden, einer Hexe, die ab und zu im Schloss aushilft. Ein verwegener Typ, berechnend und skrupellos, all das, was Aidan nich is. Und einer, der jedem Weiberrock nachläuft. Soll eine nach der anderen vernascht haben. War ja auch ein sexy Kerl. Vielleicht war es gerade das, was Moira so anziehend fand. Sie trafen sich heimlich. Beim Beltanefest kam alles raus. Einige hatten Moira und Connor gesehen, als sie zusammen das Fest verlassen haben, und es Aidan gleich brühwarm erzählt. Seitdem zieht er sich von allem zurück. Ach, dieser traurige Blick in seinen Augen … so süß.“ Beth seufzte erneut und verdrehte die Augen.
„Und wie war diese Moira? Kanntest du sie näher?“ Amber wollte zu gern wissen, welchen Frauentyp Aidan anziehend fand.
„Moira war lebenslustig und immer gut drauf. Die Männer standen auf sie. Sie hat nach dem Uniabschluss uns hier noch regelmäßig besucht, ich glaube nicht nur wegen Aidan, sondern auch wegen der verrückten Sally. Und sie hing an diesem alten Kasten. Hat ihn oft gemalt. Konnte toll malen, ihre Bilder sind oben in der Schulgalerie ausgestellt. Können sie uns ja zusammen ansehen.“
„Ja, sicher, wenn es sich ergibt.“ Amber war Beth zwar für die Informationen dankbar, aber sie verspürte keine Lust, mit ihr die Galerie zu besuchen.
„Okay, sag Bescheid.“ Beth gähnte und räkelte sich in der Sonne.
„Danke, mach ich.“
Amber sah auf, als ein Schatten auf den Pflasterweg fiel, und erkannte Sally, die sie nur wenige Schritte entfernt mit verkniffener Miene fixierte.
„Sally ist wirklich merkwürdig“, sagte Amber leise, „die steht die ganze Zeit dort drüben an der Hofmauer und starrt zu uns rüber.“
Beth blinzelte. „Musst dir nix dabei denken. Das macht sie immer bei den Neuen.“
Amber spürte wieder, wie die Welle von Schmerz und Angst, die Sally beherrschte, zu ihr hinüber schwappte, begleitet von dem vertrauten Kribbeln in ihren Adern. Eine zeitlang stand Sally noch immer an derselben Stelle, mit bohrendem Blick. Eine Swingmelodie ertönte, die sich als Klingelton von Beths Handy entpuppte.
Mit einem verschwörerischen Lächeln auf den Lippen, und einer knappen Geste erhob Beth sich und lief ins Foyer der Uni.
Als Amber sich wieder nach Sally umsah, war sie verschwunden. Zurück blieb jedoch die Aura ihrer Angst.
Die Sonne wurde von dicken, grauen Wolken verdeckt, und ein leichter Wind kam auf, der Amber frösteln ließ. Sie parkte ihren Mini auf der anderen Seite des Lochs, gegenüber von Gealach Castle. Die vielen Eindrücke, die der erste Tag hinterlassen hatte, galt es zu verdauen. Sie brauchte jetzt Ruhe, musste sich sammeln, denn sie verspürte wenig Lust auf die nervigen Sprüche ihres Bruders oder die neugierigen Fragen der Eltern. Was wäre besser geeignet, als ein Spaziergang in der Natur?
Sie stieg aus dem Wagen und lief zum Ufer des Sees. Tief sog sie die würzige Luft ein. Noch immer wurmte sie ihr Verhalten bei der Probe. Wenn sie so weitermachte, würde Aidan auch ihre Schwärmerei für ihn bald bemerken, und sich darüber amüsieren. Mein Gott, das musste anstrengend sein, wenn sich schmachtende Studentinnen um ihn scharten. Kaum befand Amber sich an der Universität, reihte auch sie sich in den Club seiner Verehrerinnen ein. Schluss damit. Wenn sie sich nicht lächerlich machen wollte, musste sie sofort damit aufhören. Sie war schon einmal auf einen Blender reingefallen. Vielleicht war dieser Aidan auch einer. Ihr Blick wanderte über die Kulisse von Gealach Castle hinauf zu dem Menhir. Die Beklemmungen, die sie dort oben auf dem Hügel heimgesucht hatten, mussten einen Grund haben, davon war sie überzeugt.
„Sie ist ein Monster. Ich habe sie gesehen.“ Amber wirbelte herum und fand sich Sally gegenüber.
„Du hast mich erschreckt, Sally. Was pirschst du dich so an mich heran?“
Anstelle einer Erklärung streckte Sally ihren dürren Arm aus, und deutete auf die Hügelspitze. „Dort oben habe ich sie gesehen. Bei den Steinen.“
„Was redest du denn da? Wen hast du gesehen?“ Amber betrachtete Sally, die einem grauen, viel zu weiten Pullover und zerzausten Haaren wie eine Vogelscheuche aussah. Ihre Augen wirkten noch größer als vorhin und dominierten ihr spitzes Gesicht mit hohen Wangenknochen. Plötzlich drehte Sally sich um, und umklammerte grob Ambers Handgelenk.
„Du musst mir glauben. Moira ist nicht mit Connor fortgelaufen.“
Amber entzog Sally ihre Hand. „Und wieso bist du nicht zur Polizei gelaufen und hast das ausgesagt?“
„Weil die mir nicht glauben.“.“
„Und was geht das mich an? Ich habe Moira gar nicht gekannt.“
Sallys Blick war wirr, ihre Lider flatterten. Sie fuhr mit der Zunge über ihre spröden Lippen. „Du bist anders als die anderen, gehörst nicht zu denen.“
„Ich kann dir nicht folgen, Sally.“
„Viele von ihnen treffen sich regelmäßig. Connors Tante gehört auch zu ihnen.“ Sallys Hände zitterten. „Ich will nicht, dass sie mich holen, so wie Moira“, brach es aus ihr. In ihren Augen schimmerte es feucht.
„Wer trifft sich und will dich holen? Du sprichst in Rätseln.“ Amber stöhnte auf. Dann sah sie, wie Sally in sich zusammensackte.
„Vielleicht gehörst du auch schon zu denen.“
Sie war ein bedauernswertes Geschöpf. Irgendein Trauma musste diese Verwirrtheit ausgelöst haben. Amber bemitleidete das blasse Mädchen, das nur noch ein Schatten seiner selbst war.
„Zu wem, in Gottes Namen? Ich kenne hier doch niemanden.“
„Der Orden.“
„Der Orden?“
„Der Druidenorden.“ Sally schluchzte auf. „Ich fürchte mich so sehr. Sie hat gesagt, sie werden mich auch holen.“ Sie schlug die Hände vors Gesicht, ihre Schultern zuckten im Rhythmus der Schluchzer.
„Niemand wird dich holen. Irgendjemand will dich ängstigen, glaub mir.“
„Wenn ich sie doch gesehen habe! Blut, überall war Blut. Sie trinken es. Sie essen unser Fleisch!“
Amber legte den Arm um sie. Das alles hörte sich nach einem schlechten Horrorfilm an. Sie fragte sich, was Sally zu diesen Fantasien beflügelt haben mochte. Der schmächtige Körper in ihren Armen zitterte wie Espenlaub. Amber strich ihr eine Weile über das dunkle Haar, bis Sally sich ein wenig beruhigt hatte. Sally erinnerte sie an ihr Kätzchen Morgaine, das sie in der Londoner Mülltonne gefunden hatte, genau so verängstigt.
„Bitte sag niemandem etwas davon, sonst bringen die mich wieder in die Anstalt zurück“, bat Sally und schniefte.
Amber nickte und reichte ihr ein Taschentuch. „Das bleibt unter uns.“
„Hältst du mich auch für verrückt?“
Amber zögerte einen Moment mit der Antwort. Dann sagte sie schließlich: „Nein, du bist nur verstört.“
„Danke.“ Ein schüchternes Lächeln flog über Sallys Gesicht, das Farbe in ihren Teint zauberte.
„Ist schon okay. Soll ich dich nach Hause bringen?“
Sally nahm das Angebot dankend an.