Читать книгу Mond der Unsterblichkeit - Kim Landers - Страница 12
7.
ОглавлениеDie Vorlesungen über englische Literatur des 20. Jahrhunderts dehnten sich ins Unendliche. Es war nicht gerade ihr Lieblingsthema und der Vortrag des Professors sterbenslangweilig. Außerdem war sie hundemüde, musste ständig gähnen, weil sie in der vergangenen Nacht schlecht geschlafen hatte. Ihr Gesicht spiegelte sich in der Fensterscheibe. Ihr Make-up konnte heute nicht die dunklen Ränder unter den Augen verdecken. Sie sah zu den riesigen Eichen dicht neben dem Gebäude. Ihr Laub schimmerte in der Herbstsonne rotgolden.
Die Eichen erinnerten sie an die Szene des gestrigen Abends. Gordon Macfarlane ein Druide? Dieser Gedanke kam ihr irreal vor, und dennoch wie das letzte Stück eines Puzzles. Wusste Aidan davon?
Plötzlich sah sie eine Bewegung im Schatten der Baumkronen. Es war Sally, die geduckt vorbei eilte. Als spürte sie Ambers Blick, blieb sie stehen, und starrte für einen Moment zu ihr hinüber. Panik lag in Sallys weit aufgerissenen Augen. Wellen der Angst schwappten zu Amber. Angstgefühle besaßen die stärksten pulsierenden Wellen von allen, die sich wie elektrische Ladungen in ihrem Körper entluden, und feinen Nadelstichen in ihrem Nacken glichen.
Als sich eine Handvoll Studenten Sally näherte, stob sie wie von Furien gehetzt davon. Mit ihrer Flucht verflog auch die Aura der Angst, die Amber gespürt hatte. Die pulsierenden Wellen verebbten, und hinterließen Kälte auf ihrer Haut. Sie atmete erleichtert aus.
Es schien, als hätte Sally sie gesucht, um ihr etwas mitzuteilen. Sie beschloss, sie nach der letzten Vorlesung aufzusuchen.
Selbst Stunden später beschäftigten sich Ambers Gedanken mit Sally.
„Haste nich gehört? Die Probe fürs Schauspiel beginnt gleich. Kommste nun mit oder nich?“ Beth zog sie ungeduldig am Ärmel.
Amber schob ihre Bücher ins Schließfach. „Ja, geh schon mal vor.“
Amber wusste, Aidan Macfarlane leitete den Kurs, was ihren Puls in Rekordhöhe emporschnellen ließ. Sie war bemüht, jegliches Interesse für ihn vor den anderen zu verbergen, und betete inständig, es möge ihr gelingen. Dazu brauchte sie einen Moment für sich allein. Sie atmete tief durch, bevor sie den Theatersaal betrat, an dessen Ende sich die Bühne befand. Sofort fiel ihr Blick auf Aidans Schopf, der in der ersten Reihe saß, und das aufgeschlagene Drehbuch in Händen hielt.
Zu ihrem Verdruss waren alle Plätze in den hinteren Reihen belegt, sodass sie gezwungen war, sich nach vorn zu setzen. Beth saß hinter Aidan und versuchte, durch Kokettieren seine Aufmerksamkeit zu erringen.
Einmal wandte er sich um, und als ihre Blicke sich trafen, glaubte Amber, es in seinen Augen freudig aufleuchten zu sehen. Doch schon war der Moment verflogen, und sie versuchte, sich auf das Geschehen auf der Bühne zu konzentrieren.
Sie kannte das Theaterstück aus London, als sie bei dem Laientheater mitgespielt hatte. Viele Szenen beherrschte sie noch auswendig, wie sie feststellte, denn die Hauptrolle der Paula war einmal ihr Part gewesen.
Thomas, den Aidan neulich beim Fechten korrigiert hatte, spielte in dem modernen Liebesdrama die männliche Hauptrolle. Die weibliche Hauptdarstellerin war eine spargeldünne Brünette namens Cleo. Sie wirkte mit ihrem schüchternen Auftreten in der Rolle der selbstbewussten Reporterin deplaziert. Ihr Lispeln trug zur allgemeinen Erheiterung bei. Amber fand die Sticheleien Cleo gegenüber unfair, da diese mit Begeisterung ihre Rolle spielte.
„Cleo, haste deine Zahnspange nicht rausgenommen oder warum lispelste so?“, rief einer der Studenten, und alles grölte.
Cleo stand auf der Bühne mit Tränen in den Augen. Sie machte den Eindruck, als sei sie kurz davor, ihr Drehbuch auf den Boden zu werfen.
„Ihr müsst es erst mal besser machen“, tadelte Aidan die kichernden und tuschelnden Zuhörer, eine Zornesfalte auf der Stirn. Deutlich spürte sie seine Enttäuschung, die von ihm in unsichtbaren, wahrnehmbaren Wellen ausging. Auch in seiner tiefen, melodischen Stimme schwang eine Dissonanz. Er steckte die Daumen in die Schlaufen seiner Jeans und kniff die Lippen zusammen.
„Möchtest du vielleicht die Paula spielen, Michael?“ Aidan war aufgestanden und sah zu dem Blonden hinüber, der eben noch gelästert hatte, und mit hochrotem Gesicht abwinkte. „Oder jemand anderes?“ Alle verstummten. „Ich schlage vor, bei den nächsten Proben im Frühjahr übernimmt Michael eine Hauptrolle“, verkündete Aidan lächelnd, woraufhin alle klatschten. „Können wir weitermachen, Cleo?“, fragte Aidan sanft, und lächelte sie aufmunternd an.
Doch Cleo brach in Tränen aus. Aidan erhob sich und stieg zu ihr auf die Bühne. Er legte ihr den Arm um die Schultern und reichte ihr ein Taschentuch aus seiner Hosentasche.
„Das wird schon, Cleo. Ich bin sicher, du schaffst das.“
Er zauberte tatsächlich ein Lächeln auf Cleos Lippen. Amber nahm seine Einfühlsamkeit bewundernd zur Kenntnis und stellte fest, dass sie ihn immer mehr mochte.
„Können wir weitermachen?“, fragte er die schniefende Cleo, und erntete ein Nicken.
„So, Leute, weiter geht’s! Thomas, man muss dir den Liebhaber abkaufen. Mehr Leidenschaft, schmachte sie an. Und halte Cleo vor allem nicht wie einen Besenstiel im Arm.“ Wieder folgte Gelächter.
Aidan zog Cleo in seine Arme und demonstrierte Thomas, wie er sich die Gestaltung der Szene vorstellte. Thomas’ Miene drückte Zweifel und Widerwillen aus. Schweigend beobachtete er die Demonstration. Alle Augenpaare, vor allem die weiblichen, hingen wie gebannt an Aidans Bewegungen. Seine Hand umschloss sanft Cleos Nacken, als er sich über sie beugte. Er sah ihr tief in die Augen. Im Saal herrschte absolute Stille. Seine andere Hand strich hinab über ihren nackten Arm, bis sie auf ihrer Taille verharrte, diese umfasste und sie an sich zog.
Amber hielt gespannt den Atem an, als Cleo die Augen schloss. Eine Gänsehaut breitete sich auf ihrem Arm aus, als hätte er sie anstelle Cleos berührt. Amber leckte sich über die trockenen Lippen. Heiß durchfuhr es sie bei dem Wunsch, an Cleos Stelle in seinen Armen zu liegen. Gebannt verfolgte sie, wie sich Aidans Lippen langsam auf Cleos senkten. Die Luft schien elektrisiert. Ambers Haut begann zu prickeln.
Beim Kuss seufzten alle Studentinnen auf. Nur mit Mühe unterdrückte Amber den Wunsch, es ihnen gleich zu tun. Unter tosendem Applaus ließ Aidan schließlich von Cleo ab und verneigte sich professionell vor seinem Publikum. Seine Demo wirkte selbstsicher und verriet seine Bühnenpraxis, man merkte ihm allerdings an, dass es für ihn nichts Besonderes war. Er war ein geübter Schauspieler. Die Wangen seiner Partnerin hingegen glühten, und ihr Blick wirkte entrückt.
„Danke, danke, Leute.“ Aidan hob lächelnd die Hände. Anschließend setzte er sich auf seinen Platz zurück, und begann von Neuem Anweisungen zu erteilen. Die Szene von eben wurde wiederholt, aber Aidans Regieanweisungen wurden nicht umgesetzt. Cleo hing starr und verkrampft in Thomas’ Armen, dem man Widerwillen ansah.
„Herrgott noch mal, mehr Leidenschaft! Nimm sie in den Arm! Flüster ihr Koseworte ins Ohr. Zeig ihr, was für ein leidenschaftlicher Kerl du bist, dem sie nicht widerstehen kann“, rief er Thomas erneut zu, woraufhin dieser Cleo so ungestüm in die Arme riss, dass beide das Gleichgewicht verloren und zu Boden stürzten.
Thomas fiel auf Cleo, die schrie auf und strampelte unter dem weitaus größeren Mann. Der Saal bebte vor Gejohle und Gelächter.
„Aber doch nicht wie ein Neandertaler!“, rief Aidan.
Thomas rappelte sich auf, und trat dabei auf Cleos Rock, der bei ihren Bemühungen freizukommen, mit einem Ratschen zerriss. Beim Aufstehen raffte sie den zerfetzten Rock notdürftig zusammen.
„Jetzt reicht’s mir! In Zukunft könnt ihr auf mich verzichten!“, rief Cleo.
Dann verpasste sie Thomas eine Ohrfeige, warf das Drehbuch von der Bühne und stürmte aus dem Saal. Thomas rieb sich die Wange und sah ihr mit grimmiger Miene hinterher.
„Zicke!“
„Tja, Thomas, nun ist deine Geliebte auf und davon. Starker Abgang“, scherzte Aidan.
„Und wer soll jetzt die Paula spielen?“
„Da wird sich bestimmt jemand finden.“ Aidan stand auf und drehte sich zu den Zuhörern um. „Welche von den anwesenden Damen kennt den Text und kann aushelfen?“
Schweigen. Eigentlich hatte Amber damit gerechnet, dass sich viele darum reißen würden. Aber anscheinend beherrschte keine den Text und fürchtete sich vor einer Blamage.
„Nun? Leute, lasst uns nicht hängen. In ein paar Wochen ist schon die Aufführung. Es ist doch nur für zwei, drei Proben. Ich bin sicher, Cleo überreden zu können, weiterzumachen.“
Aidans Blick glitt über die Anwesenden, bis er auf Amber verweilte. Hitze schoss ihr ins Gesicht, und sie richtete ihren Blick nach unten. Sie wollte sich auf keinen Fall vor allen anbieten. Es lag ihr fern, sich in den Vordergrund zu spielen. Außerdem wollte sie nicht, dass Aidan glaubte, sie böte sich seinetwegen an.
„Also, ich spiel jedenfalls nicht nur den Lückenbüßer bis Cleo wiederkommt. Dafür bin ich mir zu schade“, sagte eine Blonde schnippisch, die in einer der vorderen Reihen saß. Sie stand auf und verließ hoch erhobenen Hauptes den Saal. Ein paar andere folgten ihrem Beispiel.
„Leute, lasst mich jetzt nicht hängen. Keiner ist hier ein Lückenbüßer, sondern nur Vertreter. Schließlich sollten wir Cleo noch eine Chance geben, es sich anders zu überlegen“, sagte Aidan.
Die übrigen Studentinnen beherrschten den Text tatsächlich nicht, was sich aus Aidans Nachfragen ergab. Er brach die Probe ab. Genau so, wie sie Sallys Furcht erlebt hatte, konnte sie auch Aidans Enttäuschung spüren. Die Wellen hinterließen ein dumpfes Echo in ihr, wie nach einem Paukenschlag.
Die Studenten verließen den Saal, während Aidan die herumliegenden Textblätter einsammelte. Amber stand an der Tür und zögerte, ihm ihren Vorschlag zu unterbreiten. Es reizte sie, in dem Theaterstück mitzuspielen, weil sie es liebte, vielmehr die Rolle der Paula, die für jede Schauspielerin eine Traumrolle bedeutete. Sie ging den Weg zwischen den Zuschauerreihen zurück, bis sie vor der Bühne stand. Aidan blickte erst auf, als sie sich räusperte. Fragend hob er die Augenbrauen.
„Entschuldigung, Mr. Macfarlane …“
„Aidan“, verbesserte er lächelnd.
„Gut, Aidan, ich bin neu hier und habe zum ersten Mal bei der Probe zugehört. Es hat mir gefallen.“
„Danke“, antwortete er, und lächelte.
„Schade, dass sich niemand für Cleos Vertretung gemeldet hat.“
„Ja, das stimmt.“
„Ich kenne das Stück aus London. Ich habe es in einem Laientheater gespielt. Wenn Sie möchten, kann ich übergangsweise die Rolle der Paula übernehmen, bis Cleo wieder zurück ist.“ So, jetzt war es heraus. Jetzt hatte sie doch alle Vorsätze über Bord geworfen, und sich auch noch als Lückenbüßer angeboten. Sein Lächeln wurde strahlender.
„Großartig. Ein tolles Angebot. Wie war nochmal dein Name?“
Wie konnte sie nur annehmen, er hätte sich neulich ihren Namen eingeprägt?
„Amber.“
„Amber, ein wunderschöner Name, passt zu deinem Haar. Willkommen im Team, Amber.“
Sein Händedruck war fest, und löste ungeahnte Gefühle aus. „Danke, dass Sie mich in Ihren Theaterkurs aufnehmen. Ich freue mich.“
„Hier duzen wir uns alle. Ah, jetzt weiß ich wieder, wir sind uns doch neulich schon begegnet.“
Ihr wurde heiß unter seinem Blick, der langsam über ihren Körper glitt, an ihren weiblichen Rundungen hängen blieb, als wolle er sich jedes Detail einprägen.
*
Aidan schätzte sie auf Anfang zwanzig, wenngleich sie reifer wirkte, als die anderen ihres Alters. Die kleinen Fältchen um ihre Augen verrieten, dass sie gern lachte, und das machte sie sympathisch. Das bernsteinfarbene Haar fiel ihr in weichen Wellen auf die Schultern. Es glänzte, und als sie es schüttelte, roch es nach fruchtigem Shampoo. Sie war ein Blickfang. Jede Rundung war perfekt. Amber besaß eine sinnliche Ausstrahlung, die einem Mann gefährlich werden konnte. Aber sie war seine Studentin, und damit hing ein fettes Tabu-Schild um ihrem Hals.
„Ja, als ich mich an meinem ersten Tag verlaufen hatte …“
„Ah, ja, ich erinnere mich.“
Ihr Gesicht konnte man nicht vergessen.
„Und gestern vor dem Schloss.“
„Richtig“, antwortete er.
Wenn er an den Streit mit seinem Vater dachte, spürte er wieder die kalte Wut in sich aufsteigen. Er würde seine Leidenschaft für die Schauspielerei nie verstehen, egal wie lange sie sich auch anschrieen oder er es ihm erklärte.
Aidan entging nicht Ambers interessierter und offener Blick. Ihre halbgeöffneten, vollen Lippen luden geradezu zum Küssen ein. Als er sich räusperte, errötete sie leicht und heftete verlegen ihren Blick auf die Zehenspitzen.
„Gut. Wann ist die nächste Probe?“, fragte sie.
„Übermorgen, um zwei. Schön, dass du uns nicht hängen lässt. Die Proben sind ungeheuer wichtig. Und ich hätte nur ungern den Part der Paula übernommen, damit Thomas mir bei einer Umarmung das Kreuz verbiegen kann.“
Amber lachte auf. Es war so ansteckend, dass er einstimmte.
„Diese Vorstellung wäre grandios. Vielleicht sollte ich doch nicht mitmachen, und dir den Vorzug geben.“
„Das könnte dir so passen. Du hast mir deine Zusage außerdem schon gegeben.“
Ihre Miene wurde ernster und sie blickte ihm tief in die Augen. Er begab sich auf gefährliches Terrain. Moira hatte ihm mit ihrem Betrug ein tiefes Misstrauen ins Herz gepflanzt. So schnell würde er sich nicht mehr von den großen Augen einer Frau einlullen lassen.
„Okay, okay, ich halte mich an die Abmachung“, sagte sie hastig und hob die Hände.
Dann machte sie auf dem Absatz kehrt, und steuerte den Ausgang an.
„Übrigens, was hast du im Gealach Castle gewollt?“, rief er ihr hinterher.
Ohne sich umzudrehen, blieb sie stehen. „Ich wohne dort.“
Aidan erinnerte sich an Vaters beifällige Bemerkung, dass er die Wohnung im Ostflügel an den neuen Geschäftsführer vermieten wollte. Trotz der kursierenden Gerüchte in Gealach, die das Schloss betrafen, hatte er einen gefunden. Die konnten nicht aus den Highlands stammen. Kein Highlander aus der Umgebung würde auch nur eine Nacht unter dem Dach der Macfarlanes verbringen. Hier waren die Menschen abergläubisch. Die meisten hielten Vater, der nach den Bräuchen alter Druiden lebte, für verrückt, und mieden jeglichen Kontakt.
„Finlay Stern, mein Vater, ist der Geschäftsführer von Macfarlanes Brennerei“, ergänzte sie. Aidan stutzte, denn Vater hatte ihm noch nicht den Namen verraten. Schließlich war er ja erst zum Semesterbeginn aus Kanada zurückgekehrt.
„Das freut mich, Amber. Dann sehen wir uns sicher.“
„Ich denke schon. Also, bis dann.“
Eilig verließ sie den Saal und er ertappte sich dabei, wie er ihr nachsah.