Читать книгу Mond der Unsterblichkeit - Kim Landers - Страница 9

4.

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Amber steuerte ihren Mini die Auffahrt zur Universität entlang. Das leichte Kribbeln im Magen, und die feuchten Hände, versuchte sie zu ignorieren. Manchmal wünschte sie sich, in die Zukunft sehen zu können. Als sie um die Kurve bog, sah sie von weitem ein imposantes Gebäude aus Sandstein mit Patina behaftetem Ziegeldach, das inmitten eines gepflegten Parks lag. Deutlich erkannte man auch hier den Baustil viktorianischer Zeit. Vor dem Haupteingang empfing die Besucher ein Rosenrondell, das im Sommer sicher üppig blühte. Jetzt zum Herbstanfang waren von den Blüten nur noch die Hagebutten übrig geblieben. Der Parkplatz lag davor und war leer.

Einen Moment verharrte sie, bevor sie nach einem tiefen Atemzug die Eingangshalle betrat. Der Duft frischen Bohnerwachses stieg ihr in die Nase. Bei jedem Schritt knarrte der Dielenboden, der wie eine Speckschwarte glänzte. Sie schlug den ausgeschilderten Weg zum Sekretariat ein, vorbei an unzähligen, verwaisten Arbeitsräumen und Vorlesesälen, die in wenigen Minuten mit Leben erfüllt sein würden. Das Sekretariat war noch geschlossen. Amber entschied, vor der Tür zu warten.

Als ein Gong ertönte, fuhr sie zusammen, der Autoschlüssel entglitt ihrer Hand und polterte auf den Holzfußboden.

„Hier“, sagte eine Stimme, als Amber sich bücken wollte. Eine Brünette mit Pagenkopf und zahlreichen Sommersprossen im Gesicht hielt ihr den Autoschlüssel entgegen. Freundlich lächelte sie Amber an.

„Danke“, antwortete Amber und nahm den Schlüssel.

„Bist wohl neu hier?“ In den grünen Augen der Brünetten blitzte es neugierig auf.

„Ja, mein erster Tag. Ich bin Amber Stern.“ Amber reichte ihr die Hand.

„Herzlich willkommen in der Highland University, Amber. Und ich bin Beth Gardener.“

„Hallo, Beth. Weißt du, wann Mr. Muff heute kommt?“

„Nee. Wenn er jetzt nich da is, kommt er auch nich. Was willste denn von dem?“

„Ich sollte mich bei ihm am ersten Tag melden, und mir den Kurszettel abholen.“

„Brauchste nich, die Kurse stehn alle da hinten am Schwarzen Brett, du musst dich nur eintragen. Komm, ich zeig’s dir. Ins Sekretariat kannste später gehen. Miss McCormick kommt eh erst gegen zehn.“

Beth hakte sich bei Amber ein, und zog sie zurück in die Eingangshalle, vor eine große, schwarze Tafel. Interessiert studierte Amber die Kursangebote der künstlerischen Fakultät.

„Biste eine von den Musikerinnen oder vom Schauspiel?“ Beth lächelte sie breit an und entblößte dabei schief gewachsene Zähne, die ihr hübsches Gesicht ein wenig entstellten.

„Schauspiel, denn ich will nach meinem Abschluss zum Theater gehen. Wie ist das Sportangebot? Oder gibt’s außer Tanzen etwa keins?“

„Doch, doch. So ganz gut, aber wirklich empfehlen kann ich dir nur eins.“

„Und das wäre?“

„Fechten.“ Beth schürzte die Lippen.

„Fechten? Weshalb ausgerechnet das? Ich dachte eigentlich eher an Tennis, Schwimmen oder so. In London gab es einen klasse Tennislehrer.“

„Der is bestimmt nix gegen unseren Dozenten, der zufällig auch die Abteilung Schauspiel leitet.“ Beth verdrehte schwärmerisch die Augen.

Endlich wieder auf der Bühne zu stehen, hörte sich verlockend an. Aber mit Fechten als Sportart mochte sie sich nicht anfreunden. Gott sei Dank bestand kein Zwang dafür im Studium. Also würde sie sich im nächsten Semester wohl fürs Tanzen entscheiden.

„Ich hab noch nie ein Florett oder einen Säbel in der Hand gehalten.“ Wenn sie nur an die Gesichtsmasken dachte, bekam sie schon Platzangst.

Beth winkte ab und kicherte. „Ich auch nich, wir alle nich, aber wir besuchen seinen Kurs eh nur wegen ihm.“

„Wegen ihm?“ Das musste ja ein toller Hecht sein. So wie Charles. Sofort war ihr der Dozent unsympathisch.

„Na, klar, alle sind in ihn verknallt. Du wirst dich bestimmt auch in ihn verknallen. Das geht jeder so.“

Bei Charles war es auch so gewesen. Und sie hatte sich auch wie alle anderen in ihn verknallt. Leider. „Ich bin aber nicht jede. Es ist mir wichtiger was zu lernen, als mich in meinen Kursleiter zu verknallen.“

Die Schwärmerei von Beth ging ihr allmählich auf die Nerven. Und immer wieder schweiften ihre Gedanken zurück zu Charles. Himmel, würde sie hier weiterhin von ihren Erinnerungen verfolgt? Der Kerl war es doch gar nicht wert.

„Das haben alle gesagt.“ Beth grinste. „Bist du auch im letzten Jahr?“

„Ja“, antwortete Amber knapp, und suchte den Stundenplan der Vorlesungen ab.

Hin und wieder notierte sie auf ihrem Block einige wissenswerte Details. Beth wich nicht von ihrer Seite und plapperte munter drauf los. Sie berichtete von allem, was sie als wissenswert betrachtete, über Studenten, Freundschaften und Skandale an der Uni. Ab und zu warf Amber ein „Hm, hm“ oder ein „Ach ja“ ein und hoffte, Beth würde es aufgeben, ihr mehr zu erzählen. Doch ihr Redefluss war nicht zu stoppen. Amber stöhnte innerlich auf. Das konnte ja noch heiter werden mit dieser Klatschbase. In der Zwischenzeit füllten sich die Flure und Eingangshalle mit Studenten, die sich schnatternd gruppierten.

„Ich werde zuerst den Dramatikkurs besuchen, zu dem ich mich gerade eingetragen habe“, wandte Amber sich an Beth.

„Ach, du liebe Güte. Wie kann man das nur freiwillig wählen? Ich werde dich ein Stück begleiten. Bin eh auf dem Weg zur Fechthalle, die gleich nebenan is.“

Ehe Amber antworten konnte, hatte Beth sie erneut untergehakt, und bugsierte sie geschickt durch die Menge der Kommilitonen zu einem weiteren Korridor. Pünktlich, zum Beginn der Vorlesungen ertönte der Neun-Uhr-Gong, und die Studenten stoben wie Ameisen in verschiedene Richtungen davon. Amber und Beth gingen einen langen Gang entlang, der am Ende nach rechts abbog. Eine Schwarzhaarige stand in der Ecke und sah ihnen mit trauriger Miene hinterher. Ihr Haar war so dünn, dass an einigen Stellen ihre Kopfhaut durchleuchtete. Keiner der anderen Schüler schenkte ihr Beachtung.

„Wer ist das?“, flüsterte Amber Beth zu.

„Das ist die verrückte Sally. Ihre beste Freundin ist im Frühjahr mit nem Kerl durchgebrannt. Aber Sally behauptet, dass was anderes geschehen wäre, etwas, das die Freundin in ein Monster verwandelt hat. Sie war deshalb schon ein paar Mal in psychiatrischer Behandlung, hat wohl nix gebracht. Die is völlig durchgeknallt. Am besten, du beachtest sie gar nicht.“

Furcht, Traurigkeit und Einsamkeit zugleich las Amber in den dunklen Augen Sallys, die unter schweren Lidern ruhten. Sie konnte fühlen, wie sehr Sally litt, wie Furcht und Einsamkeit sie beherrschten. Amber lächelte der schwarzhaarigen, jungen Frau zu. Sallys Augenlider begannen zu flattern, und die Mundwinkel zogen sich nach unten, als wolle sie losheulen. Dann machte sie auf dem Absatz kehrt, und rannte den Flur entlang. Beth schüttelte den Kopf.

„Hab doch gleich gesagt, die ist durchgeknallt.“

„Ich glaube, sie hat nur vor irgendwas panische Angst. Und sie fühlt sich einsam.“

„Ach, Quatsch, du glaubst doch wohl nicht an so’ nen Müll, dass Menschen sich in Monster verwandeln können?“ Beth lachte schrill.

„Meistens steckt dahinter ein schreckliches Erlebnis.“

Amber erzählte ihr von dem Fall einer ehemaligen Kommilitonin, die als Kind ein Missbrauchserlebnis hatte, und nicht in ihrem Zimmer schlafen wollte, weil sie dort Monster sah. Beth hörte ihr gar nicht richtig zu, sondern starrte geradeaus. Ihre Wangen waren leicht gerötet.

„So, da drüben sind die Arbeitsräume des Literaturbereiches.“ Beth deutete auf eine Reihe gleich aussehender Türen. „Ich gehe jetzt in die Fechthalle“, flötete sie.

Dann knöpfte sie den oberen Knopf ihrer gelben Bluse auf, und schob den ohnehin schon knappen Jeansrock weiter nach oben. Schließlich verschwand sie hinter einer breiten Stahltür. Verwundert und amüsiert zugleich blieb Amber stehen, und beobachtete das illustre Treiben der Studentinnen, bevor sie die Fechthalle betraten. Rasch wurden Lippen- und Lidstrich nachgezogen, um schließlich mit wiegenden Schritten die Halle zu betreten. Amber fragte sich in diesem Moment, weshalb die Studentinnen keine Fechtkleidung trugen. Ihre Neugier war geweckt, Dramatik für den Augenblick vergessen.

Als zwei weitere Kommilitonen die Fechthalle betraten, schlüpfte Amber hinter ihnen her. Drinnen war es mucksmäuschenstill, und die Zuschauerreihen dunkel. Alle Augenpaare waren nach vorn auf die beleuchtete Planche gerichtet, auf der zwei Männer gegeneinander kämpften. Eine tiefe, samtige Männerstimme rief ihnen Befehle zu. Die Stimme zog Amber sofort in den Bann. Sie gehörte dem Trainer, der irgendwo vorne an der Planche saß, und von den Zuschauern verdeckt wurde, die bei jedem seiner Vorschläge und Hinweise applaudierten. Einer der beiden Fechter reagierte auf den zugerufenen Verbesserungsvorschlag verärgert und riss die Maske vom Kopf.

„Ich versuch es ja, so wie Sie gesagt haben. Aber ich komme mit meiner Attacke nicht durch.“ Der blonde Fechter wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn.

„Du bewegst dein Florett wie einen Stock, Thomas. Aber sie ist eine elegante Waffe, zu der auch geschmeidige Bewegungen hören. Du musst deinen Gegner fixieren, den Zeitpunkt seines Angriffs erahnen. Dann konterst du.“

Die Worte des Trainers schmolzen wie Schokolade, verführerisch und süß. Amber hätte seiner Stimme stundenlang zuhören können, die melodisch und sexy klang.

„Ich schaff das nicht.“ Thomas schlug wütend mit dem Florett durch die Luft.

„Nun gut, ich zeig dir noch einmal, worauf es beim Angriff ankommt, damit die Treffer auch sitzen.“

Neugierig, wie der Besitzer einer solchen Stimme wohl aussah, reckte Amber den Kopf ein wenig mehr nach vorn. Würde sein Aussehen seiner Stimme entsprechen? Amber sah nur seine Rückseite. Aber schon diese ließ ihren Puls beschleunigen. Breite Schultern steckten in einem weißen Fechtanzug. Perfekter Körperbau, schmale Hüften, die in wohlgeformte Beine verliefen, und muskulöse Arme, er schaffte es doch tatsächlich, dass sich die Muskelbewegungen seiner Oberarme beeindruckend unter dem weißen Stoff abzeichneten. Dunkelbraunes, gewelltes Haar fiel auf den Kragen. Er stülpte sich die Maske über, und jemand aus der ersten Reihe überreichte ihm ein Florett. Dann betrat er unter Applaus und Anfeuerungsrufen die Planche und bat Thomas, sich stattdessen auf seinen Platz zu setzen, und ihm zuzusehen. Sobald er die Planche betrat, bemerkte sie eine Wandlung in ihm. Es war ihr nicht klar, ob die anderen es auch sahen, aber er wurde in ihren Augen vom nachsichtigen Lehrer zum geschmeidigen Kämpfer.

In den Mienen der umstehenden Studenten erkannte Amber Bewunderung. Es herrschte Stille. Alle Augenpaare verfolgten jede seiner geschmeidigen Bewegungen. Nie hätte sie gedacht, dass der Fechtsport eine solche Faszination auf sie ausüben könnte. Jede seiner Bewegungen fand in vollendeter Perfektion statt. Zwischendurch stoppte er und erklärte, worauf bei den Attacken zu achten war. Schnell trieb er seinen Gegner rückwärts, mit einer Ästhetik, die bewundernswert war. Doch schon nach einer kurzen Demonstration beendete er seine Vorführung.

Unbewusst hatte Amber sich zwischen den Zuschauerreihen der Planche genähert, gespannt darauf, welches Gesicht sich unter der Fechtmaske verbergen mochte. Nur wenige Schritte entfernt starrte sie auf ihn. Er überreichte Thomas das Florett und zog die Maske vom Kopf. Gespannt hielt sie den Atem an. Er fuhr sich kurz durchs Haar und plötzlich begegnete sein Blick Ambers. In diesem Moment begann es in ihrem Magen zu kribbeln, und sie spürte, wie ihre Wangen sich rot färbten.

Beth hatte nicht zuviel versprochen, dieser Mann war eine absolute Klasse für sich. Amber musste zu ihm aufsehen. Jetzt sah sie aus der Nähe, wie sich unter seinem weißen Fechtanzug deutlich ein durchtrainierter Körper abzeichnete, mit breiten Schultern, kräftigen Schenkeln und einem wohlproportionierten Hinterteil, das unglaublich sexy war. Mit seiner leicht gebräunten Haut und dem längeren Haar erinnerte er sie an kalifornische Surfer. Sinnlich volle Lippen in einem klassisch geschnittenen Gesicht formten ein Lächeln. In seinen haselnussbraunen Augen blitzte es kurz interessiert auf, und er nickte ihr zu.

„Hat Ihnen meine Demo gefallen? Möchten Sie sich vielleicht deshalb auch zu meinem Kurs anmelden, Miss?“, fragte er mit dieser samtigen, durchdringenden Stimme.

Unfähig eines Wortes starrte sie ihn nur an.

„Miss? Ich fragte, ob Sie auch an meinem Fechtkurs teilnehmen möchten?“

Seine Stimme klang warm, hatte aber einen leicht amüsierten Unterton. Bestimmt war er es gewöhnt, von Frauen angestarrt zu werden. Hatte sie denn nichts durch Charles gelernt? Der Gedanke an ihn riss sie aus der Starre.

„Äh, ich, äh, nein, bin neu hier und hab mich verirrt. Ich kann nicht fechten.“ Jetzt stammelte sie auch noch wie eine Schulanfängerin.

„Schade. In der Damenriege wäre noch ein Platz frei. Ich hätte Sie gern zu einem Duell herausgefordert.“ In seinen Augen blitzte es wieder kurz auf.

„Besser nicht.“

„Schade. Ich sehe schon, ich kann Sie weder für mich noch meine Fechtkunst begeistern. Wo wollten Sie denn hin, Miss …?“

Wie er das Wort schade betonte, löste bei Amber eine Gänsehaut aus. „Stern. Amber Stern. Ich suche den Raum, in dem der Dramatikkurs stattfinden soll“, antwortete sie heiser. Ihre Hände verkrampften sich ineinander. Reiß dich zusammen, Amber, ermahnte sie sich. Ein Kerl konnte sie doch nicht so nervös machen.

„Leider kann ich meinen Kurs nicht einfach so unterbrechen, sonst hätte ich Sie gern begleitet.“ Er zwinkerte ihr verschwörerisch zu. „Thomas, würdest du bitte Miss Stern führen? Bitte entschuldigen Sie, aber wir müssen weitermachen. Bestimmt sehen wir uns noch öfter. Der Nächste auf die Planche.“

Der Mann war sich seiner Wirkung bewusst. Und schon war Thomas neben ihr und zog sie am Arm mit sich.

Mond der Unsterblichkeit

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