Читать книгу Mond der Unsterblichkeit - Kim Landers - Страница 11
6.
ОглавлениеDer Wind hatte zugelegt, als Ambers Mini später auf dem Parkplatz vor dem Schloss hielt. Es heulte um die Mauern, und am Himmel braute sich ein Gewitter zusammen.
Um dem drohenden Regenguss zu entgehen, schloss sie den Wagen ab, und eilte auf dem schmalen, von Efeu überwucherten Pfad entlang, der zum Schlosseingang führte. Stimmen drangen zu ihr, deren Worte durch den Wind nur verzerrt bei ihr ankamen.
Sie sah Aidan aus der Entfernung auf sich zu kommen, die Hände tief in den Jackentaschen vergraben. Sein Blick war starr nach vorne gerichtet und er life schnellen Schrittes fast an ihr vorbei. Er musste in Gedanken versunken sein.
„Hallo …“
Plötzlich sah er sie an, sein Blick verwandelte sich in ein kleines, schiefes Lächeln und er eilte weiter.
Enttäuscht sah sie ihm hinterher. Seine Wagentür klappte zu, der Motor heulte auf, und Aidan fuhr mit quietschenden Reifen davon.
„Na, wie war dein Tag, Liebes?“
„Sehr abwechslungsreich, Dad“, antwortete Amber, und brachte nur mit Mühe ein Lächeln zustande. „Ich bin schrecklich müde.“
„Das glaube ich. Erzähl uns doch ein wenig beim Abendessen, wie es in der Uni gelaufen ist. Mom und ich sind schon gespannt. Kevin ist übrigens begeistert von seinem neuen College. Die haben dort einen engagierten Fußballtrainer.“
Amber schmunzelte und dachte daran, wie sorgsam ihr Bruder das BeckhamPoster im Umzugskarton verstaut, und das Aufhängen in seinem Zimmer zelebriert hatte, als wäre der Fußballstar ein Heiliger.
„Schön, freut mich. Ich ruh mich ein wenig aus.“
„Wie war’s denn?“
Mom trat aus der Küche mit erwartungsvollem Blick, eine Rührschüssel mit Kuchenteig unter den Arm geklemmt. Mehl klebte an Gesicht und Kleidung. Der Anblick hatte etwas Behagliches, Vertrautes. Der Duft von kandiertem Zucker drang in ihre Nase. Sie beobachtete amüsiert, wie ihr Vater, angelockt vom süßen Duft, in der Küche verschwand.
„Mhm, riecht das lecker, Mom. Machst du etwa wieder deinen berühmten Applepie?“
Schon bei der Vorstellung lief Amber das Wasser im Mund zusammen. Sie streckte den Zeigefinger aus, um ihn in die Teigschale zu tauchen. Mom hob warnend den Zeigefinger.
„Mr. Macfarlane hat mich darum gebeten einen zu backen, weil er heute Abend Gäste bekommt.“
„Wieso kauft der sich denn keinen Kuchen?“
„Selbstgebackener Kuchen ist was Besonderes. Ich freue mich, ihm helfen zu können.“ Für Mom gab es nichts Schöneres, als wenn jemand ihre Back- und Kochkünste in den Himmel lobte.
„Hoffentlich nutzt der das nicht aus, und will jeden Tag deinen Kuchen haben. Dem trau ich alles zu.“ Nur nichts Gutes, ergänzte Amber in Gedanken.
„Ich möchte nicht, dass du so abfällig über Mr. Macfarlane sprichst. Er ist ein sehr großzügiger Mann“, verteidigte ihn Mom. Dann drehte sie sich um und hielt beim Rühren inne.
„Fin, nimm den Finger aus der Zuckerglasur, ich sehe es genau.“ Sie verdrehte die Augen. „Dieser Mann ist eine Naschkatze. Keine Süßigkeit ist vor ihm sicher.“
„Ehrlich, Mom, mit diesem Macfarlane stimmt was nicht, das hab ich im Gefühl.“
„Ach, Blödsinn. Er ist vielleicht kauzig, aber nicht unrecht. Vergiss nicht, was wir ihm zu verdanken haben.“
„Wenn du meinst. Ich mag ihn trotzdem nicht.“
„Du solltest ihn das nicht spüren lassen. Ohne ihn hätte Dad keinen Job, und wir würden jetzt in einer kleinen Sozialwohnung irgendwo in London wohnen. Und deine Träume als Schauspielerin hättest du begraben können. Versuch bitte, nett zu ihm zu sein.“
Todmüde sank Amber auf das weiche Bett und schlief sofort ein. Als sie erwachte, war es bereits dunkel. Ein Blick auf die Uhr verriet, dass ihre Mutter in wenigen Minuten zum Abendessen rufen würde. Es klopfte an der Tür. Kevin trat ein, was für ihn sehr ungewöhnlich war, weil er nie freiwillig schrille Weiberzimmer betrat.
„Hast du kurz Zeit?“, fragte er mit seiner blechern klingenden Stimme, die im Stimmbruch nach Belieben die Tonhöhe wechselte.
„Wenn du von deinem ersten Schultag erzählen willst, ist das okay, willst du aber eine meiner DVDs, kannst du dir das aus dem Kopf schlagen. Batman hat nämlich einen dicken Kratzer und hakt. Oder bist du etwa wieder heimlich mit meinem Wagen gefahren? Wehe dir, ich petze es Dad“, sagte sie vorwurfsvoll.
„Nee, alles nicht.“ Er trat von einem Fuß auf den anderen, den Blick auf seine Zehenspitzen geheftet.
„Was dann? Mach’s kurz, weil Mom uns gleich zum Abendessen ruft.“
„Hier gehen merkwürdige Dinge vor sich.“
So etwas Ähnliches hatte sie heute schon einmal gehört. „Und was?“
„Jeden Abend, auch heute, wird Macfarlane von Leuten besucht.“
„Na und? Er kann doch jederzeit Besucher empfangen. Was ist schlimm daran?“
„Eigentlich nichts, aber die verhalten sich wie Sektenmitglieder, mit so komischen Zeremonien und so.“
„Kannst du deutlicher werden?“
„Na, ja, eben so …“
„Komm zur Sache, Bruderherz.“
„Du musst mit in mein Zimmer kommen, und zum Fenster hinaussehen.“
„Von mir aus.“
Amber bahnte sich einen Weg durch die am Boden befindliche Unordnung aus schmutzigen Klamotten, leeren Flaschen und Müll, und trat neben Kevin ans Fenster. Er schob die Vorhänge beiseite.
Sie lehnte ihre Stirn an die kalte Scheibe und erkannte im Schein der Beleuchtung den Eingang zum Haupttrakt. Alles war wie immer.
„Ich sehe nichts. Willst du mich verklapsen?“
Kevin stieß sie an. „Ey, Mann, du sollst auch nicht zum Eingang sehen, sondern da drüben zur alten Eiche.“ Er tippte mit dem Finger gegen die Scheibe.
„Mach mal das Licht aus, ich kann nichts sehen.“
Kurz darauf schweifte ihr Blick durch die Dunkelheit hinüber zu der alten Eiche.
„Tatsächlich, da brennen Fackeln.“
Fackeln, in einem großzügigen Kreis um die Eiche in den Boden gesteckt, beleuchteten eine Szenerie, die an eine Hexenverbrennung oder ein geheimes Ku-Klux-Clan-Treffen erinnerte. Sofort dachte sie an ihre Begegnung mit dem Wolf und verspürte ein mulmiges Gefühl. Im Halbkreis standen Männer und Frauen in Schwarz gekleidet, deren Gesichter von Kapuzen verdeckt wurden. Jeder von ihnen trug ein hölzernes Kreuz in der Hand. Ihre Aufmerksamkeit galt einem Mann in weißer Kutte, der einen Stab quer über aufgeschichtete Findlinge hielt, und zum Himmel blickte.
„Das ist ein Druidenaltar“, sagte Kevin.
Erstaunt hob Amber die Brauen. „Ich sehe keinen.“ Sie zuckte mit den Schultern.
„Es ist auch kein Altar, wie wir ihn kennen, sondern einer aus Findlingen, so wie der da. Und in einem der Steine ist eine Spirale eingehauen, für irgendeine Flüssigkeit, die sie dann in Schalen auffangen.“
„Woher weißt du denn das schon wieder?“ Amber wunderte sich über Kevins plötzliches Interesse, das normalerweise nicht das Wissen über Computerspiele und Heavy Metal überstieg.
„Habe es mir vorhin angesehen. Sechs Spiralen sind eingraviert, und eine siebte tief eingeschlagen. In einem Buch habe ich gelesen, dass die sieben Spiralen für die Kelten, speziell Druiden, eine wichtige Bedeutung besaßen.“
„Du liest Bücher?“
„Selten. Aber das musste ich unbedingt nachschlagen.“
„Aha, das hätte mich auch gewundert. Aber gut, was folgerst du daraus?“
„Die da unten praktizieren einen Druidenkult.“
„Klingt plausibel. Es gibt heutzutage viele, die sich den alten Naturreligionen verschrieben haben. Nichts Neues also.“
„Und dass sie Blut trinken, findest du normal?“
„Wie kommst du denn darauf?“ Auch Sally hatte vom Bluttrinken gesprochen. Vor Ekel lief Amber eine Gänsehaut den Rücken entlang. „Bestimmt hast du dich geirrt, und es ist Wein oder was anderes gewesen.“
„Nein, nein, überzeug dich morgen selbst. Ich habe gesehen, wie sie sich in ihre Arme schneiden, und das Blut in die siebte Spirale tropfen lassen, das die anderen dann trinken.“
„Das ist ja widerlich. Mir scheint, du hast zu viele Horrorfilme gesehen.“
„Nein, ehrlich, ich habe es vorgestern beobachtet. Der alte Macfarlane ist ihr Anführer, der Druide. Ich erkenne ihn an seiner Statur, an der leicht gebeugten Haltung. Sie feiern Blutrituale. Ich weiß zwar nicht, was die bewirken sollen, aber sie tun es.“
„Bist du dir sicher?“ Die Worte ihres Bruders und das, was Sally ihr heute erzählt hatte, weckten in Amber das Gefühl, in eine Welt der Finsternis gezogen zu werden, die neben der realen Welt existierte. Versteckte Gordon Macfarlane sein wahres Gesicht hinter einer Maske aus arroganter Gelassenheit? Das würde seine negative Aura erklären.
„Ja, ich bin mir sicher“, antwortete Kevin mit Bestimmtheit.
„Und was wollen die mit den Kreuzen?“
Kevin zuckte mit den Schultern. Doch kurz darauf erhielten sie die Antwort. Der Druide nahm eine Fackel und entzündete in einem mit Stroh gefüllten Metallkorb ein Feuer. Danach warfen alle Anwesenden die Kreuze in die Flammen. Immer mehr verstärkte sich Ambers Gefühl, dieser seltsame Trupp dort unten beschwor dunkle Mächte. Wie oft las, oder hörte man in den Medien über Sekten, deren wahnwitzige Ideologien für die Anhänger tödlich enden konnten.
„Sollten wir nicht Mom und Dad davon erzählen?“, fragte Kevin.
„Sie werden uns nicht glauben. Erst wenn sie selbst Zeugen eines Rituals werden. Die sind so von Macfarlane eingenommen, dass sie ihn verteidigen würden.“
Bevor Kevin etwas antwortete, rief ihre Mutter sie zum Abendessen.