Читать книгу Magische Orte in der Lüneburger Heide - Kirsten Fock - Страница 12
ОглавлениеDer Opferplatz auf dem Giersberg bei Armsen
Ende der 1990er besuchte ich zum ersten Mal diesen Kultplatz. Ein sonniger Herbsttag hatte mich in die Natur gelockt. Gern habe ich ein Ziel für solche Spaziergänge und kurzentschlossen machte ich mich auf den ersten der Kultplatzbuch-Plätze zu entdecken. Es hatte mich neugierig gemacht.
Ungeübt im Lesen von Anfahrtsbeschreibungen fand ich mich nicht gleich zurecht. Eine geraume Zeit streifte ich dort durch die Landschaft. Stieg auf Anhöhen, suchte meinen Pfad durchs Unterholz, zerriss mir beim Überklettern eines Weidezauns sogar meine neue Jacke, aber das war ein akzeptables Opfer für den Besuch eines Kultplatzes. Auf der anderen Seite des Weges suchte ich auch. Auf einer Kuhweide lagen Findlinge, sollte das der Platz sein? So nahm ich auch sie in Augenschein. Nichts.
Gerade wollte ich aufgeben und meinte: „Heute ist wohl nicht der Tag dafür…“ Nein, damit war ich nicht einverstanden. Also rekapitulierte ich die Anfahrtsbeschreibung noch einmal und musste feststellen, dass ich nicht weit genug in den Wald hineingefahren war. Der Schlagbaum war eigentlich nicht zu übersehen. Manchmal lohnt sich Beharrlichkeit.
Jenseits des Schlagbaums liegt eine ehemalige Sandkuhle wie sie früher hier in der Gegend zu jedem Hof gehörte. Inzwischen ist sie stillgelegt und um den so entstandenen Talkessel wachsen große Kiefern. Der Rand der Kuhle zeichnet sich noch deutlich sichtbar von der Umgebung ab. Ausgetretene Wildwechsel erleichtern dem Besucher das Klettern durch Brombeerranken und Brennnesseln. So einem Pfad folgte ich bis auf die Anhöhe hinter dem Talkessel. Schon war das Hinweisschild auf die alte sakrale Stätte des Giersberg zu erblicken.
Archäologische Untersuchungen in der 1980ern brachten wenig Funde zutage.
Typisch für einen Opferplatz und damit anders als auf einer Begräbnisstätte. Dort werden bekanntlich meistens allerlei verschiedene Grabbeigaben gefunden. Bodenproben ergaben an einer Stelle Brandrückstände und symmetrisch angeordnete Phosphatrückstände, die auf Pflanzen- und Tieropfer schließen lassen. Die Gräben der Bodenuntersuchungen zeichnen sich noch heute in der Vegetation ab. Sicher hat dieser Kultplatz durch den Sandabbau etwas von seiner früheren Ausstrahlung verloren. Erfreulich finde ich, dass der Sandabbau eingestellt wurde, kurz bevor der Platz selbst verloren ging.
Es ist einer der Plätze, die auf den ersten Blick völlig langweilig erscheinen. Erst ein unvoreingenommener Blick in die Bachaue gibt dem Platz seinen Charme. Durch die Stille und Abgelegenheit in der Natur gelingt es mir immer wieder zur Ruhe zu kommen. Anzukommen, letztlich auch bei mir selbst. An diesem Ort scheinen die Geräusche draußen zu bleiben und eine Zeitlosigkeit entsteht.
Dieser Platz besitzt sehr viele unterschiedliche Qualitäten, die eigentlich jeder Mensch einfach in seinem Körper wahrnehmen kann. Es benötigt nur etwas Übung wieder zu fühlen, was wo im Körper passiert. Oder einfach abzuwarten, welche Bilder in mir aufsteigen und dann ihnen nachzugehen, um zu verstehen, was sie mir sagen wollen. Das Unterbewusstsein spricht in Bildern und durch Gefühle.Dort sind wir alle miteinander und mit allem Lebendigen verbunden.
Einfach wunderbar ist es für mich meiner Intuition zu Vertrauen und den Platz zu beschreiten. Dadurch Stellen zu finden, die mir guttun. Auf diese Weise wurden zu Vorzeiten solche Plätze gefunden. Von Menschen, die noch offen waren. Die solche Orte noch unterscheiden und schützen konnten. Von Menschen, die sich ganz selbstverständlich als Teil des großen Lebendigen wahrnehmen konnten. Von Menschen, die keine lineare Zeit kannten. Sie lebten in stetig fließendem Jetzt. Vielleicht hatten sie nicht einmal einen Begriff für das, was wir heute Zeit nennen.
Seit Isaak Newton die Zeit als absolut erklärte, wurde lineare Zeit eine gesellschaftliche Vereinbarung. Seit Albert Einstein wissen wir eigentlich, dass die Zeit relativ ist.
Dennoch erziehen wir unsere Kinder zu einer linearen Wahrnehmung von Zeit, wie wir selbst dazu erzogen wurden. Jedes kleine Kind muss irgendwann die Uhr lesen lernen und spätestens beim Schulbeginn regelt sich der Tagesablauf nach der Uhrzeit, nach der Linearität, ein.
Viele von uns erinnern sich noch daran als wir kleine Kinder waren und wie lange Zeit es von Weihnachten bis zum nächsten Weihnachten war. Eine gefühlte Ewigkeit. Später, sozusagen mitten im Leben, war gefühlt dauernd Weihnachten. Eben hatten wir auf das neue Jahr angestoßen und schon war es wieder Zeit die Sektgläser zu füllen. Jeder macht die persönliche Erfahrung, dass die Zeit verschiedene Geschwindigkeiten hat. Und dennoch glauben wir an die Linearität der Zeit, ganz im Gegensatz zu der eigenen Erfahrung. Seltsam, oder?
Auch heute gibt es noch Naturvölker, die kein Wort für „Zeit“ haben. Und fragt man sie, dann wird es eher als Kreis wahrgenommen denn als Linie. Von Sonnenaufgang zu Sonnenaufgang. Wie ein stetiger Fluss, mal schneller, mal langsamer, nach einem ganz eigenem Rhythmus. Wie weiter vorne beschrieben, habe ich auch einen Zeitsprung erlebt. Nicht nur einmal. Auch nach dem Besuch der Nikolai-Kirche in Stralsund passierte das Gleiche. Einfach ein kurzer Moment realwirkende Vergangenheit. Diesmal allerdings meine eigene Vergangenheit. Schwubs war ich auf einem Kirchplatz mit Jahrmarkt in Holland, den ich Jahre vorher, auch nach einem Kirchenbesuch betrat. Ein anderes Mal an einem Freitag Nachmittag fehlten einfach zwei Stunden des Nachmittags. Ich schaute auf die Uhr und es war 15 Uhr. Einen Moment später war es bereits nach 17 Uhr. Ein Freund hatte am selben Tag das Gleiche erlebt, wie er mir im Gespräch bestätigte.
Wir teilen die Zeit in Vergangenheit, Jetzt und Zukunft auf. Wie viel deiner Zeit verbringst du in Gedanken bei irgendwelchen Ereignissen die Vergangenheit sind, gute oder schlechte? Wie viele Sorgen und Wünsche bewegst du in Gedanken für die Zukunft? Wie viel Zeit bist du wirklich hier? Wirkliches Leben findet nur in diesem Augenblick statt. Nur in diesem Moment liegt Sinn und Lebens-Erfüllung. Nur Jetzt kann ich mein Leben verändern. Alle anderen Zeitpunkte sind unerreichbar. Da komm ich noch nicht oder nicht mehr hin.
Mit ihren Ritualen ehrten unsere Altvorderen das Lebendige. Das Bewusstsein, ein Teil des Lebendigen zu sein war noch vorhanden. Die Gewissheit, dass alles mit allem in Verbindung steht und dem gleichen Gesetz von Werden und Vergehen unterliegt, war Bestandteil der Weltanschauung. Sie ehrten auch den Ort und die Erde damit. Sie wertschätzten sie, ganz anders als wir heute. Manchmal habe ich den Eindruck diese Verehrung wieder aufzunehmen.
Die Orte einfach wieder lieb zu haben und ein gern gesehener Besucher zu sein. Es ist als ob ein Teil von mir ein Zwiegespräch mit dem Platz aufnimmt, ohne Worte, nur durch das Sein.
Anfahrt:
Von Hohenaverbergen Richtung Walsrode auf die L160
nach einigen km links abbiegen nach Armsen
Kreuzung in der Ortsmitte rechts,
dann die Zweite links Richtung Kückenmoor
Auf der „Hochebene“ rechts halten Richtung Kückenmoor,
dann links in den Feldweg abbiegen Richtung Biogasanlage,
die dann linkerhand passieren und in den Wald hineinfahren
An der Gabelung den Weg rechts nehmen, auf der linken Seite sieht man einen
Schlagbaum,
hinter dem Schlagbaum durch die ehemalige Sandkuhle die Anhöhe ersteigen. Oben sieht man auch das Schild mit Erläuterungen zu dem Kultplatz.