Читать книгу Kein Applaus für den Mörder - Norwegen-Krimi - Kjersti Scheen - Страница 10

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I’d sigh for you, I’d cry for you,

I’d tear down the stars from the skies for you,

if that isn’t love, it will have to do

until the real thing comes along.

Holiner/Nichols/Cahn/Chaplin/Freeman

»Du bist ein Mistkerl«, sagte Margaret und blickte stur geradeaus. »Hin und wieder rufst du mal an, aber nie hinterläßt du eine Nachricht für mich!«

Roland Rud schaltete in den nächsten Gang und schwieg.

Der große Lastzug neigte sich vornüber, so daß der Schneematsch auf der E 6 nur so spritzte; die Landschaft dort draußen sah in dem grauen Halbdunkel reichlich trostlos aus. Sie waren auf dem Weg zu Karen. Margaret saß mit übergeschlagenen Beinen und den Händen in den Jackentaschen und kaute auf der Unterlippe.

Sie hätte ihn nicht bitten sollen, sie dorthin zu fahren.

Er schwieg, war eingeschnappt und vermittelte ihr das Gefühl, aufdringlich und quengelig zu sein. Warum um alles in der Welt hatte er sie wohl angerufen – zweimal sogar! –, wenn er nichts mit ihr zu tun haben wollte?

Das Problem war, daß der Renault kaputtgegangen war. Er hatte seit Weihnachten in der Garage gestanden und sich geweigert zu starten. Es hatte nicht so viel ausgemacht, solange sie den festen Arbeitsplatz am Theater im Stadtzentrum gehabt hatte, denn die Straßenbahn fuhr beinahe von Tür zu Tür. Sie besaß auch kein Geld, um das Auto reparieren zu lassen; bei dem hohen Alter des Wagens wurde sie das Gefühl nicht los, daß er ohnehin in den letzten Zügen lag.

Sie schluchzte unterdrückt, wischte sich mit der Rückseite der Hand die Nase ab und steckte die Hand wieder in die Tasche zurück.

Er drehte den Kopf und sah sie an. »Heulst du?«

»Jedenfalls nicht deinetwegen!«

Sie vermied es, ihn anzusehen.

»Es ist nur wegen des Renaults. Er ist kaputt. Und ich kann mir kein neues Auto leisten, nicht mal einen Gebrauchtwagen, und ich verdiene kein Geld mehr, wenn ich nicht mehr am Theater arbeite, und ich schaffe es einfach nicht, am ›Odeon‹ weiterzumachen, und Meyer, ach ... und Karen ist so komisch, wenn ich sie anrufe.«

Sie schluchzte und wischte sich wieder die Nase ab.

»Wir fahren doch jetzt hin«, sagte Roland, ließ mit der rechten Hand das Lenkrad los und legte ihr seine Hand beruhigend aufs Knie. »Es ist bestimmt nichts, du weißt doch, wie Mädchen in dem Alter sind!«

»Ja«, sagte Margaret.

»Und dein Auto kann ich mir nachher mal anschauen, ist ja gar nicht sicher, daß es völlig hinüber ist, und außerdem habe ich dich neulich bei der Premiere gesehen.«

Das letzte kam ziemlich schnell. Sie drehte sich ganz zu ihm um.

»Du warst da? War es sehr schlimm?«

»Nein«, sagte er und räusperte sich. »Du warst wirklich gut. Ich war ... ich war ziemlich stolz auf dich, wirklich.«

Sie blickte noch immer starr geradeaus. »Ich wußte gar nicht, daß du da warst«, sagte sie. »Komisch, daß Tante Maisen und Karen dich nicht gesehen haben.«

»Ich saß ziemlich weit hinten«, sagte er.

Dann schwiegen sie beide, bis sie Gjelleråsen überquert hatten.

Die Heimvolkshochschule lag ein wenig nordöstlich von Kongsvinger im Rauschen des Fichtenwaldes. Karen hatte auf sie gewartet und kam in Filzpantoffeln und eingewikkelt in einen flatternden, schwarzen Schal herausgelaufen, als sie auf den Hof fuhren.

»Meine Kleine«, sagte Margaret, weinte ein paar Tränen und umarmte sie. »Mensch, sind deine Haare gar nicht mehr grün?«

»Ich lasse sie lang wachsen«, erwiderte Karen und zupfte an ihren ohrenlangen Löckchen von undefinierbarer Farbe. »Morgan steht auf langes Haar.«

»Morgan«, sagte Margaret. »Das war’s also. Mal wieder verliebt? Geht er auch hier zur Schule? Ist er anständig? Du mußt jetzt auf dich selbst aufpassen, wenn du so weit weg von zu Hause bist, dann ist es auch deine eigene Verantwortung ...«

»Jetzt friere ich mich langsam tot«, sagte Roland und schob sie zum Eingang. »Nimmst du uns mit auf dein Zimmer?«

Karen umarmte ihn schnell. »Ach, du riechst so gut«, sagte sie entzückt und zupfte an seiner Lederjacke. »Genau wie früher.«

Er fühlte sich geschmeichelt. »Wird wohl das Rasierwasser sein«, sagte er.

»Nein«, meinte Karen. »Das ist der Dieselgeruch.«

Es stellte sich heraus, daß Morgan keineswegs die Heimvolkshochschule besuchte, sondern arbeitslos war und in Kongsvinger wohnte.

»Aber er hat ein Auto«, sagte Karen und rollte sich mit der Teetasse zwischen den Händen im Bett zusammen.

Jasmintee.

Roland zog die Augenbrauen hoch, als er seine Tasse bekam. Er trank für gewöhnlich Instantkaffee.

»Opel Ascona«, sagte Karen.

»Aha, verstehe«, sagte Roland. »So richtig mit Wunderbaum und Schaumstoffwürfel im Fenster?«

»Genau«, sagte Karen begeistert. »Ist ein total starker Typ.«

»Und Samstagabends gibt er auf der Landstraße ordentlich Gummi, wie?«

»Ja!« schwärmte Karen.

»Du liebe Güte«, meinte Roland und nahm einen großen Schluck Tee, verzog sein Gesicht und stellte die Tasse auf Karens Nachttisch ab. Karens Zimmergenossin hatte sich aus Rücksicht auf die Familienidylle verzogen.

»Wovon redet ihr eigentlich?« fragte Margaret. »Ich verstehe rein gar nichts.«

»Sie macht soziologische Studien in den breiteren Gesellschaftsschichten«, sagte Roland. »Und setzt sich Auspuffgasen und Rücksitzschmusereien aus.«

»Wie ihre Mutter«, sagte Karen. »Ich meine, ich dachte ... seid ihr noch zusammen?«

»Na ja«, sagte Margaret und bekam heiße Wangen. »Es geht eigentlich nur um den Renault, der ...«

»Was sagt eigentlich deine Frau dazu?« fragte Karen, zupfte an einer Haarsträhne und musterte Roland. Der warf ihr einen unglücklichen Blick zu.

»Sie weiß es also nicht«, konstatierte Karen. Dann beugte sie sich plötzlich vor und legte ihren Kopf in Margarets Schoß. »Es ist so schön, daß ihr gekommen seid, Mama«, sagte sie in den Jeansstoff hinein. »Ich war so fertig.«

Es dauerte eine Weile, all das zu sortieren, was passiert war, doch als die Dunkelheit auf die Fensterscheiben drückte und der Abend beinahe vorbei war, hatten sie das meiste aufgeklärt.

Karen war nicht schwanger, hatte jedoch eine Zeitlang geglaubt, sie sei es. Und sie hatte gemeint, daß sie ihre vielbeschäftigte Mutter nicht mitten in der Premierenhektik stören durfte.

Und Morgan war nicht so treu, wie sie gedacht hatte, da gab es noch eine Exfreundin mit langem, blondem Haar, zu der sich Morgan in den kritischen Tagen verzogen hatte.

»Und da hatte ich niemanden«, sagte Karen und hielt die Hand ihrer Mutter.

Deshalb also sollte das Haar herauswachsen, dachte Margaret. Die Rivalin war so eine Solveig, wie in ›Peer Gynt‹. Arme Karen, die doch seit mehreren Jahren Hobbypunk gewesen war.

»Webt sie auch?« fragte sie. »Die Blonde, meine ich?«

»Ja«, nickte Karen eifrig. »Sie färbt sogar das Garn selbst. Hier unten wohnt so eine Frau, die das alles kann, sie kommt aus Oslo, weißt du, Mama. Die war übrigens mit dem Schauspieler verheiratet, der gestorben ist. Der den DeVito gespielt hat!«

Sie setzte sich hin und blickte Margaret aufmerksam an.

»Mit der wollte ich sowieso noch sprechen«, sagte Margaret. »Wohnt sie in Kongsvinger?«

»Eher bei Kirkenær«, antwortete Karen. »Mit dem Auto ist das nicht so weit. Und leicht zu finden.«

Roland rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her. »Du wirst doch wohl nicht ...«, sagte er.

»Irgendwo müssen wir ja wohl übernachten«, meinte Margaret. »Es wird schon langsam spät, und hier können wir ohnehin nicht bleiben. Wir finden sicher irgendwas dort in Kirkenær. Dann können wir ... dann sehen wir die großen Wälder hier auch mal bei Tageslicht, der Finnskogen ist doch sicher schön, oder?«

»Ja, schon, wunderschön«, sagte Karen und blickte vor sich hin. »Mama, geht’s dir eigentlich gut?«

»Doch«, sagte Margaret. »Mir geht’s wirklich gut.«

Wenig später brachen sie auf; Karen stand in dem leichten Schneetreiben auf der Treppe und winkte, während der Schal um sie herumflatterte.

»Sie sieht aus wie ein Sozialfall«, sagte Margaret. »Hast du den langen Rock und die Stricksocken gesehen?«

»Kirkenær, here we come«, meinte Roland nur, drehte den Zündschlüssel im Schloß und brachte damit den ganzen schweren Lastzug zum Brummen und Zittern.

Hoher Wald erhob sich auf beiden Seiten der dunklen Straße, als Margaret fertiggewinkt hatte und die Schule hinter ihnen verschwunden war.

»Hier gibt es Wölfe«, sagte Roland Rud und legte den dritten Gang ein. »Vergiß nicht, daß ich in Elverum aufgewachsen bin – in diese Gegend sind wir nie zum Tanzen gefahren!«

Die Unterkunft erinnerte an eine Pension; vier Herren in undefinierbarem Alter saßen im Gemeinschaftsraum und sahen fern. Die Wirtin war streng und klein, doch sie erklärte sich bereit, den beiden ein paar Scheiben Brot mit Spiegelei anzubieten, obwohl die Küche offiziell schon geschlossen hatte.

»Wir essen auf dem Zimmer«, sagte Margaret schnell. Die vier Herren gingen ihr auf die Nerven. »Und dann hätten wir gerne Bier, und vielleicht ... du?« Sie drehte sich zu Roland um: »Wie wäre es mit einem kleinen Schnaps? Ich bin den ganzen Tag schon so verfroren!«

Roland zupfte sie am Ärmel und warf ihr merkwürdige Blicke zu.

»Wir schenken hier keinen Alkohol aus«, bemerkte die Wirtin und wirkte noch ein wenig strenger.

»Wir nehmen zwei Malzbier«, sagte Roland und schob Margaret vorsichtig zur Treppe.

»Ein Abstinenzlerhotel! Und das, wenn man zum erstenmal seit hundert Jahren einen Tag frei hat!«

Margaret saß in ihrer Jacke und mit angezogenen Beinen mitten im Doppelbett, das ein Kopfende aus geflammtem Birkenholz hatte.

»Hast du das denn nicht gesehen?« fragte Roland und schüttelte das Salzfäßchen über seinem Teller; feiner Dampf stieg vom Spiegelei auf. Zwei jungfräuliche Tomatenviertel und ein hellgrünes Salatblatt lagen daneben.

»Natürlich habe ich das nicht gesehen! Solche wie du, Fernfahrer und andere Reisende, haben vielleicht den Blick für diese versteckten Zeichen!«

Sie starrte verdrießlich vor sich hin.

Roland erhob sich von dem winzigen Tisch und wühlte in der Innentasche seiner Lederjacke, bis er etwas fand, das er zu ihr aufs Bett warf. »Hier! Damit du aufhörst, dich zu beschweren!«

Eine halbe Flasche Bourbon. Sie blickte zu ihm hinauf. Er wirkte blaß und übermüdet, und ihr fiel ein, daß sie ihn gar nicht gefragt hatte, wo er zuletzt gewesen war. Vielleicht war er ja gerade durch halb Europa gefahren, als sie ihn angerufen und gesagt hatte, sie müsse unbedingt Karen besuchen.

Sie streckte die Hand aus. »Bist du müde?«

Er blickte auf sie herunter, die lange Nase und die beinahe zusammengewachsenen Augenbrauen gaben ihm in dem schlechten Licht einen Anstrich von sizilianischem Mafioso.

»Ich dachte, wir essen erst mal?«

Seine Stimme klang zögernd. Sie lachte laut. Schwang die Füße aus dem Bett, pellte sich aus ihrer Jacke, erhob sich, stellte sich schnell auf die Zehenspitzen und legte ihren Mund auf seinen. Er roch nach Tabak und nach Diesel, Karen hatte ganz recht.

»Hey, hör mal, die Spiegeleier werden ganz kalt«, murmelte er und steckte seine Hände unter ihren Pullover, suchte ein wenig und knöpfte den Verschluß ihres BHs auf. »Hattest du nicht eben noch Hunger?«

Er streichelte sie über den Rücken, die Bettkante traf sie in den Kniekehlen, und sie kippte nach hinten, mit Roland über sich.

»Kalte Spiegeleier, das ist schon ziemlich schlimm«, murmelte sie und löste seinen Pferdeschwanz. »Aber nicht halb so schlimm wie Malzbier und Bourbon.«

Kein Applaus für den Mörder - Norwegen-Krimi

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