Читать книгу Kein Applaus für den Mörder - Norwegen-Krimi - Kjersti Scheen - Страница 7
4
ОглавлениеI rather have a paper doll to call my own
than a fickle hearted real-life girl.
J. Blake
Gerade wird die dritte Szene des ersten Akts geprobt, Schauplatz ist der Strand in Atlantic City. Der Strand ist voller Badenymphen in gestreiften Badeanzügen und Gangster in zweireihigen Anzügen. Das heißt: So wird es bei der Aufführung sein. Noch tragen die Schauspieler ihre ausgebeulten Trainingshosen und verwaschenen T-Shirts, mit Ausnahme von Lita natürlich. Heute ist die Seidenbluse maisgelb, der Rock schwarz und eng, das Haar rabenschwarz und glänzend. Sie sieht gestreßt aus und trinkt große Mengen Wasser aus einer Flasche, die sie in den Kulissen deponiert hat. Im Saal hat Smien es sich in seinem Sitz bequem gemacht; er hat die Hände tief in die Hosentaschen geschoben und verfolgt regungslos das Geschehen auf der Bühne. Lita und die Tänzerinnen halten Sonnenschirme in den Händen – die Schirme müssen schon jetzt dabei sein, denn sie werden beim Tanzen hin- und her geschwungen, aufgespannt und wieder zusammengeklappt. Wieder und wieder wird dieselbe Stelle geprobt, dann sind Willy Andersen und Jan Vogt Johansen an der Reihe.
In den Kulissen sitzen die Tänzerinnen auf dem Boden und warten, ihre Köpfe auf die Arme gestützt, die Beine weit von sich gestreckt. Sie massieren sich die Beinmuskeln, ziehen ihre Pferdeschwänze nach, dehnen und strekken sich. »Danke«, ruft Smien und ist mit einem schnellen Satz auf der Bühne. Er demonstriert mit Handbewegungen und langen Schritten noch einmal seine Vorstellungen. »Gut. Und dann geht ihr rückwärts, bis hierher! Das ist dann schon die richtige Position für die nächsten Schritte – Achtung, schaut mal her!«
Lita hat die Hände in die Seiten gestützt und sieht zu.
Margaret streckt vorsichtig ihren Rücken, Henny steht direkt neben ihr. Sie räuspert sich und sagt leise: »Ist nicht bald mal Pause, ich gehe ein vor Hunger!«
»Ich hab noch einen Kopenhagener in der Garderobe«, sagt Henny. »Soll ich ihn dir holen?«
»Bist du verrückt?« antwortet Margaret und fügt hinzu: »Na ja, du kannst dir das wohl eher erlauben als ich.«
»Sag das nicht«, sagt Henny und blickt geistesabwesend auf die Bühne, wo Smien mit den Armen wedelt. »Ich kann ja nicht mal an einem Mann vorbeigehen, ohne Fett anzusetzen.«
Margaret blickt sie etwas überrascht an, und Henny schlägt sich auf den Mund. »O Gott«, sagt sie. »Das war mal wieder ein echter Freudscher Versprecher, wie? Ich meinte natürlich einen Bäcker ... oder vielleicht doch nicht?«
Margaret lacht.
Im unbarmherzigen, grellen Licht der Bühne wird noch immer diskutiert. Lita hustet, läuft hinaus in die Kulissen, schraubt den Verschluß der Plastikflasche ab und läuft wieder zurück. Die Tänzerinnen sind aufgestanden, denn sie werden allmählich steif vom langen Warten. Gedankenverloren machen sie ein paar Pirouetten und Tanzschritte, eine von ihnen wühlt in ihrer Tasche herum und zieht einen Schraubenzieher heraus, mit dem sie die Schrauben an ihren Stepschuhen nachzieht. Der Repetitor sitzt im Orchestergraben und klimpert ein wenig auf den Tasten, während er auf die Bühne blickt; er improvisiert über das Intro der großen Tanzszene, in der die Sonnenschirme herumgewirbelt werden und von links die Ballettänzerinnen und von rechts die Gangster auf die Bühne kommen sollen.
Auf der anderen Seite der Bühne, im Dunkeln, sitzen vier Bühnenarbeiter und sehen regungslos zu.
Margaret greift nach der Plane des kleinen Lastwagens, der außer Sichtweite in den Kulissen steht und zur Kindervorstellung gehört, die jetzt im Dezember jeden Tag gegeben wird, und streckt vorsichtig ihren Rücken. »Verdammt«, sagt sie. »Ich habe so ein unangenehmes Ziehen an meiner rechten Pobacke. Hoffentlich ist das nicht der Ischias. Ich hab noch keine Lust aufs Altwerden, Henny!«
»Also, jetzt hör mal auf!« sagt Henny. »Ich hatte schon Rückenschmerzen, als ich noch auf der Schauspielschule war. Herrgott, das hat doch mit dem Alter nichts zu tun ...« Margaret unterbricht sie: »Ich fühle mich ausgeschlossen. So sieht’s aus. Das mit dem Rücken ist wohl nur ... ach, ich weiß auch nicht. Es ist Ewigkeiten her, daß ich zuletzt in einem Theaterensemble gearbeitet habe, und das merke ich einfach. Und ihr merkt es auch, da brauchst du mir nichts vorzumachen! Sobald ich dazukomme, unterbrecht ihr eure Gespräche.«
Sie beißt sich auf die Lippe und sieht Henny prüfend an. Nimmt sie ihr das ab? Offenbar, denn sie sagt mit großen, funkelnden Augen: »Ach, Margaret! Also, das ist so ... weißt du ...«
»Nein«, sagt Margaret gnadenlos, denn sie hat schließlich nicht alle Zeit der Welt.
»Also«, sagt Henny Haraldsen leise und schaut sich schnell um, »die Stimmung ist hier zur Zeit ein bißchen komisch. Carl ... na ja, ziemlich viele von uns sind der Meinung, daß er lieber zurücktreten sollte.«
»Aha«, sagt Margaret und ertappt sich dabei, daß sie sehr distanziert klingt. »Doch, das verstehe ich. Er ist ja ziemlich merkwürdig geworden. So war er früher nie.«
»Nein«, sagt Henny und blickt sich wieder umher. »Er ...« Sie wird unterbrochen.
Vebjørn Smien hat seine Stimme erhoben: »Gut, dann halten wir mal fest: Es ist so weit schon ganz gut, aber wir müssen jetzt dafür sorgen, daß die Stimmung ein bißchen steigt. Das ist ja wie auf einer Trauerfeier hier! Wir brauchen verdammt noch mal mehr Energie, Jan! Und hör mal, Willy, deine Bewegungen müssen schneller werden!«
Willy tritt ganz dicht an Smien heran und sagt ihm mit lauter und drohender Stimme direkt ins Gesicht: »Gib du mir erst mal mehr Energie, dann werde ich schon verdammt noch mal schneller werden!«
Alle lachen, die Tänzerinnen und Tänzer, die Bühnenarbeiter.
»Mittagspause!« ruft Vebjørn Smien.
Der Lärmpegel in der kleinen Kantine ist so hoch, daß er wahrscheinlich von der Arbeitsschutzkommission verboten werden würde, und zwischen den Tischen ist es so eng, daß Margaret, die nur eben zur Theke gegangen ist, um Kaffee zu holen, sich kaum zum Tisch an der Wand durchschlängeln kann, wo Henny ihr einen Platz freigehalten hat. Sie setzt sich und holt aus ihrer Tasche eine Mohrrübe und zwei Scheiben Vollkornbrot mit Kaviar heraus. Sie ist so hungrig, daß es eigentlich ganz lecker aussieht, allerdings nur, solange sie die Augen von Hennys Kopenhagener läßt und ihren Geruchssinn abstellt, denn hinter der Theke werden gerade Frikadellen aufgewärmt.
Sie beugt sich zu Henny hinüber, es ist ein kleiner, runder Tisch mit nur zwei Stühlen, und der Lärm um sie herum wirkt wie ein Schutzschirm, deshalb ergreift sie die Gelegenheit und sagt: »Er macht seine Arbeit schlecht, oder?«
Henny sieht sie mit Puderzucker auf der Oberlippe an, dann versteht sie, was Margaret meint, leckt sich die Lippen und nickt langsam. »Das meinen sie jedenfalls«, sagt sie, und Margaret fragt: »Geht es dabei nur um die Finanzen oder ums Ganze, ums Repertoire und überhaupt?«
»Ums Ganze«, sagt Henny und schaut sich schnell um. Lita sitzt ein paar Tische weiter weg und löffelt Hüttenkäse, am selben Tisch wie Vidar Holm, der den Polizeiinspektor Tate spielt. Sie unterhalten sich, das heißt, Vidar Holm redet, und Lita hört zu. Carl ißt für gewöhnlich nicht in der Kantine, das hat Margaret herausgefunden. Sie sieht, daß sich seine Frau Siv, bleich wie immer, zu den Tänzerinnen gesellt hat. Dort sitzt sie, zerkrümelt ein Brötchen und starrt ins Leere.
Margaret ißt ihre Mohrrübe und trinkt Magermilch. Sie muß noch ein paar Kilo abnehmen, wenn sie das Finale gut überstehen will. Eine der Tänzerinnen beugt sich plötzlich über den Tisch, an dem sie sitzt, legt die Stirn auf die kalte Tischplatte und sagt so laut, daß man es im ganzen Raum hören kann: »Oh, ich wünschte, ich könnte eine ganze Tonne Nudeln essen!«
»Amen«, sagt Margaret und knüllt das Butterbrotpapier zusammen.
Jan Vogt Johansen kommt zusammen mit Smien herein, und sie setzen sich zu den Tänzerinnen. Henny folgt Margarets Blick. »Da ist ja auch Siv«, sagt sie leise.
»Siv?«
»Ja.«
Henny schweigt. Margaret sagt prüfend: »Sie und Carl sind wohl ... ich finde, sie wirkt nicht besonders glücklich, oder?«
Wer tut das schon, Moss, wer tut das schon, sagt das unermüdliche Alter ego, doch Margaret entschließt sich, es zu überhören, und blickt Henny an.
»Das ist sie wohl auch nicht«, sagt Henny, sammelt die Kuchenkrümel auf ihrem Teller zusammen und leckt die Finger ab. »Sie liebt einen anderen.«
Ihre großen Augen sind voller Mitgefühl.
»Weißt du, wer es ist?«
Henny schüttelt langsam den Kopf. »Keiner von uns weiß es, aber es ist jedenfalls so. Sie hat es selbst erzählt.«
»Aha«, sagt Margaret und fühlt sich plötzlich so alt, wie sie es vorhin Henny gegenüber gespielt hat.
Das Wochenende verbrachte sie mit Radfahren auf dem Heimtrainer und Abwaschen der Küchenwände. Letzteres ziemlich unfreiwillig. Die patente Margaret Moss hatte den Korkenzieher nicht finden können, als sie am späten Samstagabend eine Flasche Rotwein öffnen wollte. Statt dessen hatte sie probiert, einen Schraubenzieher von oben gegen den Korken zu pressen und dann mit dem größten Hammer, den sie hatte finden können, auf den Griff des Schraubenziehers einzuschlagen. So etwas sollte man nicht tun, die Küche sieht danach aus wie ein Schlachthaus. Doch am Montag begann eine neue Woche, mit ein wenig Schnee in der Luft, weiteren Proben für ›Crazy‹ und dem abendlichen Treffen des Ensembles.
Es fand statt – wenn nicht im geheimen, so doch in aller Diskretion –, und zwar zu Hause bei einem der Inspizienten, Stian Sondresen.
Er wohnte in einer vormals eleganten Wohnung hinter dem Schloß, mit einer Deckenhöhe von fünf Metern und Stuckrosetten. Inzwischen erweckte sie zwar eher den Eindruck eines Flohmarktes, doch es brannte ein prächtiges, großes Feuer im Kamin, und die Sofas waren tief und gemütlich. Stian hatte Wein gekauft und Pizza bestellt, doch zunächst sollte es Kaffee und ernsthafte Gespräche geben.
Der Gastgeber selbst eröffnete die Sitzung. Margaret dachte bei sich, daß er vielleicht auch der Initiator gewesen war. Er war jünger als sie, doch sie kannte ihn ein wenig aus ihrer Zeit am Nationaltheater. Er hatte ganz unten angefangen, ein umgänglicher und netter Kerl, der nicht nur sein Handwerk verstand, sondern auch mal eine defekte Leitung reparieren konnte, wenn es nötig war. Jetzt war er seit zwölf Jahren am »Odeon«, acht davon als Inspizient.
Er erhob sich und ging zum Kaminsims, stützte sich mit den Ellbogen auf und sah sich in der Runde um. Sie waren insgesamt zehn. Zwei der Bühnenarbeiter waren gekommen, der Beleuchter Ernst Vogeler, ein schmaler und ruhiger Österreicher, und ein Bühnenarbeiter, den sie aus unerfindlichen Gründen Hölle nannten, ein stämmiger Kerl mit rotem Vollbart.
Lita Thue war nicht da, ebensowenig Siv. Margaret fragte sich, ob man sie mit Absicht aus der Sache heraushielt oder ob sie einfach abgesagt hatten. Gekommen war hier offenbar nur der harte Kern. Und es war ihr aufgefallen, daß Vebjørn Smien gekommen war; er sah müde aus, saß und drehte seinen Kaffeebecher zwischen den Händen und schien mit seinen Gedanken ganz woanders zu sein.
»Ja«, sagte Stian Sondresen und räusperte sich. »Dann fangen wir jetzt wohl an.«
Eine Stunde später war die Luft grau vor Zigarettenrauch.
Margaret saß auf dem Sofa zwischen Henny und einer kleinen Tänzerin namens Rikke; ihr brannten die Augen, und der Rücken tat weh – die tiefen Sofas waren einfach nicht gut. Es hat eben doch seine Gründe, wenn Leute sich von ihren Möbeln trennen und sie auf dem Flohmarkt verkaufen.
Vorläufig schien es ihr nicht so, als sei sie für ihre Fahrt durch Kälte und Dunkelheit ausreichend entschädigt worden.
Stian hatte lange von der finanziellen Lage des Theaters gesprochen und war häufig von den anderen unterbrochen worden. Wie es um das Theater stand, wußten alle. Es schien auch so, als besäßen alle Anwesenden Rezepte dafür, was man verbessern könnte. Außerdem hatte es schließlich alles mit dem Repertoire zu tun, doch keiner von ihnen meinte dasselbe wie der andere, den größten Teil der Zeit fielen sie einander oder Stian ins Wort, und Margaret, die ihr Wissen über Organisationstechnik bei den strengen Linken erworben hatte, wand sich vor Ungeduld auf dem Sofa. Sie räusperte sich und sagte laut: »Können wir nicht einen Diskussionsleiter bestimmen und uns für unsere Beiträge vormerken lassen?«
Neun Paar Augen richteten sich auf sie.
»Ach, du lieber Himmel, mit so einer Liste trau ich mich jedenfalls nicht mehr, was zu sagen«, sagte Rikke Marie Slette in ihrem Bergener Akzent und verschränkte die Arme. Vebjørn Smien richtete sich auf seinem Stuhl auf, und sein Blick zeigte Margaret an, daß er gar nicht so abwesend war, wie es schien. »Ich finde, das ist eine gute Idee«, sagte er. »Hier.«
Er fischte eine Mappe aus seiner Tasche, zog ein paar Blätter Papier heraus und legte sie auf den Sofatisch. »Du kannst doch die Diskussion leiten, oder?«
Er sah Margaret an.
Sie gab den Blick zurück, und in ihrem Inneren verfluchte sie sich selbst. Sie hatte doch vorgehabt, so wenig wie möglich aufzufallen, und jetzt mußte ausgerechnet sie sich mit ihrem verdammten Bedürfnis nach Struktur und Ordnung hervortun.
»Schön«, sagte sie so geschäftsmäßig wie möglich. »Wolltest du noch etwas sagen, Stian?«
Das hatte er nicht vor. Er wollte nur abschließend unterstreichen, daß es sich beweisen lassen müßte, wenn tatsächlich etwas Wahres an den Andeutungen und losen Gerüchten war, die man gehört hatte, daß irgend jemand die Rechnungsbücher manipulierte.
»Und das läßt sich auch beweisen!«
Es war Jan Vogt Johansen, der das gesagt hatte – freilich ohne sich auf die Liste setzen zu lassen, doch Margaret ließ es diesmal durchgehen, beobachtete den vorlauten, blonden Jan mit seiner edlen Nase und den breiten Schultern, Jan, der immer gleich freundlich und immer ausgeglichen wirkte, beinahe zu ausgeglichen – man fragte sich, wo er wohl seine Aggressionen auslebte. Jetzt saß er in einem mitgenommenen Ohrensessel, vornübergebeugt und mit einem plötzlich sehr scharfen Blick.
»Und, kannst du das?«
Smien stellte seinen Kaffeebecher auf den Boden und lehnte sich ebenfalls vor.
»Nein, das nicht. Aber es läßt sich arrangieren.«
Stian Sondresen hob die Hände hoch, als ein ganzer Chor von Stimmen losbrach. »Wartet mal!« sagte er. »Einer nach dem andern. Henny, jetzt bis du an der Reihe, oder?«
Margaret hatte vergessen, daß sie Diskussionsleiterin war, notierte aber nun gehorsam Henny auf der Liste.
»Pfui Teufel«, sagte Henny. »Das ist ja richtig widerlich! Ich kann mir nicht vorstellen, daß Carl Geld unterschlägt! Er ist stur und undemokratisch, und ich bin mit euch einig, daß wir uns mal mit ihm zusammensetzen sollten und ihm sagen, daß wir ... na ja, daß wir uns für den Spielplan andere Stücke wünschen als die, die er immer durchboxt. Es ist ja nicht so, daß ich mit ›Crazy‹ nicht einverstanden wäre, aber ich hatte doch ...«
»Du hattest gedacht, daß du die Rolle der Loretta bekommen würdest, oder?« warf Rikke ein.
Henny holte tief Luft und antwortete nicht. Rikke setzte fort: »Ja, denn es ist ja wohl ein bißchen merkwürdig, daß nur Lita die guten Rollen bekommt. Immer noch, meine ich. Denn sie sind ja schließlich schon seit hundert Jahren geschieden, und besonders gute Freunde sind sie auch nicht.«
Vidar Holm blickte Margaret an und streckte einen Finger in die Luft.
»Vidar«, sagte Margaret, und Vidar begann. »Früher war er nicht so«, sagte er. »Im Grunde ist er erst seit einem halben Jahr so komisch. Lita ist tüchtig und beliebt, da ist es doch kein Wunder, daß sie die ganzen Rollen bekommt, selbst wenn ich mit euch einer Meinung bin, daß es etwas merkwürdig ist, daß sie die Loretta spielen darf.«
»Das war fast über meine Leiche«, sagte Smien düster. »Diese Inszenierung hat mich schon seit der Planungsphase fast um den Verstand gebracht. Carl mischt sich in alles ein, sogar in meine Bühnenanweisungen. Du hast das ja letzten Freitag gesehen, Jan, wie er plötzlich in den Kulissen saß und aus dem vierten Stockwerk heruntergestiegen war, nur um zu checken, ob ich mir für die Straßenszene im dritten Akt nur ja nichts gegen seine Wünsche habe einfallen lassen!«
Jan zuckte mit den Schultern. Es wurde still, jemand war draußen und setzte Kaffeewasser auf. »Ich glaube, daß Carl sich vor Lita fürchtet«, sagte Henny plötzlich. »Sie schnauzte ihn neulich wegen irgend etwas an, und er wurde ganz bleich und ist gegangen. Dabei läßt er doch sonst nie irgend etwas auf sich sitzen.«
Der Beleuchter Ernst Vogeler meldete sich zum erstenmal auf diesem Treffen zu Wort. »Er muß weg. Er taugt nicht als Intendant. Es geht schließlich auch um unsere Arbeitsplätze. Wenn er so weitermacht wie bisher, dann macht das ›Odeon‹ bald dicht. Ihr redet und redet die ganze Zeit, aber ihr tut nichts. Man sollte langsam wirklich mal was unternehmen.«
Trotz der vielen Jahre, die er in Norwegen gelebt hatte, sprach er noch mit einem deutlichen Akzent; er war ein schmaler, kleiner Mann mit scharfem Profil, sein schwarzes Haar von grauen Strähnen durchzogen. Er ärgerte sich sichtlich über das, was Henny gesagt hatte, drehte sich demonstrativ von ihr weg und fixierte Jan Vogt Johansen, der erst mit den Schultern zuckte und dann nickte. Es wurde ganz still. »Denkt bitte daran: Wir haben eine Premiere vor uns«, sagte Henny. »Vielleicht ist das nicht gerade die beste Zeit für Aktionen oder was ihr so vorhabt.«
Sie lehnte sich im Sofa zurück, mit verschränkten Armen und roten Flecken am Hals.
In diesem Augenblick klingelte es an der Tür; der Pizza-Service.
Dann wurden Weinflaschen entkorkt, das Treffen fiel auseinander, man unterhielt sich über die Aufführung, über das anstehende Weihnachtsfest, über Rückenbeschwerden und den leichten Eichenholzgeschmack von Stians Rotwein. Im Treppenhaus auf dem Weg hinunter fragte Margaret, ob alle Sitzungen bisher so abgelaufen seien. »Ja«, sagte Henny. »Wir kommen nicht weiter. Immer wird nur geredet. Ich glaube nicht, daß Carl die Rechnungsbücher manipuliert. Das kann nicht der Grund für unsere schlechte Finanzlage sein. Der eigentliche Grund ist, daß er keine Repertoirepolitik zuwege bringt, die dem Publikum gefällt. Und weil er es nicht zustande bringt, auf die Jungen zu setzen, sich für sie stark zu machen.«
Margaret warf ihr einen schnellen Blick zu. Sie waren auf die Straße hinausgetreten; die Bäume des Schloßparks erhoben sich groß und dunkel über ihnen. »Ja, ja«, sagte sie und klopfte Henny auf den Ärmel ihres Mantels. »Deine Zeit wird schon noch kommen – sagt man das nicht so?«
Henny versuchte ein Lächeln. »Ich bin Litas Stellvertreterin, weißt du«, sagte sie. »Ich könnte sie ja einfach vor ein Auto schubsen!«