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Kapitel 7

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Melanie Gierke fand als Erste die Sprache wieder. »Na, das ist ja eine schöne Bescherung«, sagte sie und betrat vorsichtig den Raum. Sabine folgte ihr. Zwei SEK-Beamte tauchten die Umgebung mit ihren Helmlampen in ein gespenstisches Licht.

Vier Stockbetten standen mit ihren Breitseiten an den Wänden, wie in einer großen Gefängniszelle. Auf den dünnen Matratzen ohne Laken lagen schmuddelige, zerknüllte Decken. Auf drei der Betten entdeckten sie Körper: Drei Frauen, eine um die 30, die anderen beiden deutlich älter, lagen auf dem Rücken und hatten die Augen nach oben gerichtet. Jede von ihnen hatte ein Einschussloch in der Stirn. Die Frauen trugen einfache, alte Schlafanzüge und hatten selbstgestrickte Wollsocken an den Füßen.

Der Kellerraum war nicht besonders hoch, kaum mehr als zwei Meter, und etwa 25 Quadratmeter groß, schätzte Sabine. Er hatte kein Fenster, sondern nur ein paar Lüftungsschlitze an einer Seite unter der Decke. Die Wände waren vor langer Zeit mal weiß gestrichen worden, doch die Farbe war von Feuchtigkeit und Schimmel durchsetzt. Es roch muffig.

Der Lichtstrahl einer Helmlampe fiel auf einen Tisch in einer Ecke mit vier Stühlen. Auf dem Tisch standen benutzte Plastikschälchen mit Löffeln. Es gab ein schmutziges Waschbecken und daneben ein Campingklo, von dem ein leichter, chemischer Geruch ausging. An einer Wand befand sich ein Regal mit Keks- und Cornflakes-Packungen, daneben sicher ein Dutzend Tetrapacks mit H-Milch. Auch in diesem Raum konnte man einige Zeit überleben, dachte Sabine.

Schweigend gingen Sabine und die Gierke von Leiche zu Leiche. Die SEK-Männer standen als reglose Lichtmasten mitten im Raum.

»Im Schlaf erschossen«, murmelte die Gierke schließlich, ohne Sabine anzusehen, »darum liegen sie so friedlich da.«

»So scheint es«, sagte Sabine und war sich nicht sicher, ob ihre Meinung überhaupt gefragt war. »Eine Frau kann der Täter vielleicht noch im Schlaf erschießen, spätestens dann werden die anderen aber wach und bleiben sicher nicht brav im Bett liegen.«

»Genau, Kollegin«, sagte Melanie Gierke und deutete auf den Tisch in der Ecke, »und darum werden wir in diesen Schüsseln dort Reste des Mittels finden, das die Damen in Tiefschlaf versetzt hat.«

Mit Hinweis auf die Spurensicherung scheuchte die Kommissarin alle aus dem Raum und schloss die Tür. Zusammen gingen sie ins Erdgeschoss, wo eine Rechtsmedizinerin mit einem Assistenten bei den Leichen hockte.

»Im Keller könnt ihr dann weitermachen«, sagte Frau Gierke im Vorbeigehen. »Da sind noch drei.« Die beiden Beamten sahen der Kommissarin erstaunt nach.

Die Polizisten mussten sich vorsichtig im Flur bewegen, der nun von einer Lichtanlage grell ausgeleuchtet war. Die Spurensicherung hatte Schilder mit Zahlen aufgestellt. Ein Projektil lag auf den Fliesen, das mit einem Kreidekringel markiert war. Sicher meins, dachte Sabine.

Sie trat mit Melanie Gierke hinaus auf den Hof. Es war immer noch stockdunkel. Die Sonne würde erst in zwei oder drei Stunden aufgehen. Eine Menge Fahrzeuge standen herum. Streifenwagen, ein Zivil-PKW, ein Rüstwagen der Feuerwehr, ein Mannschaftswagen des SEK. An einigen Fahrzeugen hingen abgerissene Zweige, die sie bestimmt in der engen Zufahrt erwischt hatten. Ein Rettungswagen verließ gerade den Hof, hier gab es nichts mehr zu retten. Gleich würden Leichenwagen kommen, um die Opfer in die Rechtsmedizin nach Hannover zu bringen. Sabine blickte auf ihren Streifenwagen. Hohmann und Koslowski saßen zusammengesunken auf der Rückbank. Sie waren eingeschlafen. Ihr Jagdausflug war anstrengender verlaufen als erwartet.

Die Gierke unterhielt sich lange mit einem Mann in Sabines Alter, der wie sie in Zivil war und vermutlich zu ihrem Ermittlerteam gehörte. Dann wandte sie sich Sabine zu. »So, Frau …«, sagte Melanie Gierke.

»Sabine Langkafel.«

»Ja, Frau Langkafel, wie Sie sich heute verhalten haben, war in hohem Maße unprofessionell. Es steht Ihnen nicht zu, alleine über einen Tatort zu trampeln. Ihre Unvorsichtigkeit kann die Ermittlungen erheblich behindern. Ich bin fast geneigt, gegen Sie …«

Sabine unterbrach die Kollegin. Sie wollte sich nicht rundmachen lassen. Sie nahm allen Mut zusammen. »Ich weiß, Frau Gierke, wie man sich an einem Tatort zu verhalten hat. Aber es schien mir in diesem Fall geboten, keine Zeit zu verlieren. Es war ja nicht ausgeschlossen, dass das Kind noch im Haus ist und irgendwo in einem Versteck hockt oder eingesperrt ist.«

»Und? Haben Sie ein Kind gefunden? Nein. Das Kind kann lange weg sein, die paar Klamotten sagen gar nichts. In dem Haus sind, das Gefängnis im Keller mitgerechnet, 15 oder 16 Betten. Sollen wir jetzt nach zehn weiteren Menschen suchen? Einige der Zimmer da oben, sagte mir der Kollege gerade, sind vermutlich seit Jahren nicht mehr betreten worden. Da liegt der Staub zentimeterdick. Also machen Sie nicht alle verrückt wegen eines Kindes, das hier schon ewig nicht mehr wohnt.«

Sabine überzeugte diese Erklärung nicht, aber sie sah auch keine Chance, nachzuhaken. Ein Beamter kam vorbei und gab beiden Frauen unaufgefordert kleine Wasserflaschen. War dieser Fall für sie nun zu Ende?

Frau Gierke ließ sich von Sabine in Kürze erzählen, wie sie überhaupt auf diesen Tatort gestoßen war. Die Kommissarin blickte grinsend zum Streifenwagen. Als Sabine geendet hatte, blickte die Gierke sie streng an.

»Frau Langkafel, ich sage Ihnen jetzt, wie das hier weitergeht: Sie nehmen Ihre Wilddiebe dort und schaffen sie vom Hof. Stellen Sie die beiden bis morgen Vormittag unter Arrest, halten Sie die Personalien fest, das komplette Programm, Sie wissen schon. Wenn Sie mit Ihrer Einschätzung richtigliegen, dass es sich bei den Männern nicht um die Täter handelt, dann können sie gehen.«

»Meinen Sie nicht auch, dass wir es mit einem erweiterten Suizid zu tun haben?«, fragte Sabine. Sie wollte nicht ganz unbeteiligt an den Ermittlungen bleiben. »Schließlich hat eines der Opfer eine Waffe in der Hand, mit der es sich offensichtlich in den Mund geschossen …«

»Ja, offensichtlich. Überlassen Sie mir das Spekulieren. Da wird sich auch noch das LKA einmischen, das reicht mir dann an geballter Kompetenz. Halten Sie sich zur Verfügung. Das ist alles, was Sie tun können. Und bitte: Kein Wort über diese Sache. Zu niemandem. Okay?«

»Okay«, sagte Sabine und ging auf ihren Streifenwagen zu.

»Moment«, rief die Gierke und lief hinter ihr her. »Sie sind doch aus der Gegend. Kennen Sie die Opfer? Wissen Sie, wer in dem Haus wohnt?«

»Nein«, sagte Sabine, »die sind mir alle unbekannt. Und das wundert mich. Man kennt sich hier eigentlich. Ich wusste gar nicht, dass so tief im Wald überhaupt ein Hof liegt.«

In diesem Moment kam ein PKW durch die Zufahrt gefahren. Es war ein rostiger brauner Mercedes mit Dannenberger Kennzeichen. Jakob Metzgers Privatwagen. Aber am Steuer saß nicht der Polizeihauptmeister selbst, sondern Anwärter Attila Yilmaz. Er parkte hinter Sabines Streifenwagen. Metzger öffnete die Tür und brauchte einige Zeit, bis er sich vom Beifahrersitz aus in die Senkrechte hochgearbeitet hatte. Er trug keine Uniform, sondern ein zu enges grünes Poloshirt, eine dreiviertellange beige Hose und Flipflops, als käme er gerade von einer Grillparty. Attila blieb hinter dem Steuer sitzen. Metzger hatte das sicher so angeordnet. Der alte Polizist bewegte sich auf die beiden Frauen zu.

»Wer ist das denn?«, raunte die Gierke Sabine zu.

»PHM Metzger, mein Vorgesetzter«, murmelte Sabine und verdrehte die Augen.

»Sabine, was machst du hier?«, dröhnte Metzger. »Da lässt man dich mal einen Moment allein und schon gibt’s zwei Leichen.«

Er reichte den Frauen die Hand. Seine Alkoholfahne blieb sicher auch der Gierke nicht verborgen.

»Fünf Leichen, Herr Metzger«, sagte Sabine und sah ihn ernst an, »wir haben im Keller noch drei gefunden.«

»Ach du Scheiße«, stöhnte Metzger und wischte sich mit einem Taschentuch den Schweiß von der Glatze.

»Wissen Sie, wer auf dem Hof wohnt?«, fragte Frau Gierke den Alten.

Metzger schüttelte langsam den Kopf. Er dachte nach.

»Nee. Ich bin ja nicht der Briefträger. Ich komme nur zu den Leuten, wenn was passiert ist. Hier ist offenbar die letzten Jahre nichts passiert. Vielleicht fällt mir was ein, wenn ich die Namen höre. Aber ich bin nie auf diesem Hof gewesen.«

»Gut, Herr Metzger«, sagte die Gierke, und es war offensichtlich, dass sie ihn loswerden wollte. »Dann danke ich für Ihren Besuch. Wir müssen weitermachen. Sie hören von uns.«

Metzger wollte protestieren, doch Sabine nahm ihren Chef beiseite und schob ihn zu seinem Auto. Er fluchte vor sich hin, stieg aber in den Wagen.

»Attila«, sagte Sabine zu dem jungen Kollegen, »wenn du den Chef sowieso nach Hause fährst, kannst du mir dann mit meinem Fang ja noch etwas zu Hand gehen, oder?« Die Festgenommenen schliefen auf dem Rücksitz wie Babys. Das war auch besser so.

»Klar, Sabine, mach ich«, sagte Yilmaz und startete den Mercedes.

Als sie mit beiden Fahrzeugen die Bundesstraße erreicht hatten, kamen ihnen drei Leichenwagen entgegen. Erst jetzt wurde Sabine die ganze Dimension des Grauens bewusst, das sich dort in diesem Haus abgespielt haben muss.

Mord im Wendland

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