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Kapitel 10

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Der Wolf hatte nicht lange in dem Gebüsch gelegen. Der Anblick von Fremden machte ihm bestimmt genauso große Angst wie Sahas. Schon bald war er davongeschlichen und Sahas gebückt hinterher. War es schon Abend? Nein. Der Himmel über den Bäumen war noch hell. Wo wollte der Wolf hin? Er lief so schnell. Bald würde Sahas ihm nicht mehr folgen können.

Jetzt blieb der Wolf stehen und drehte sich um. »Wartest du auf mich, Wolf?« Als Sahas näher kam, setzte der Wolf sich in Bewegung. Der Wald war endlos. Irgendwo hinter dem Wald musste doch die Welt beginnen. So hatten es ihm die anderen erzählt. Die Welt, die so böse und so gefährlich war und vor der ihn alle beschützten.

Der Wolf kroch in ein niedriges Gebüsch hinein. Er war nicht mehr zu sehen. Nach kurzer Zeit kam er wieder heraus und blickte Sahas an. Der Junge bemerkte, dass die Schnauze des Wolfes nass war und Wasser von seiner Nase tropfte. Er hatte getrunken. Nun robbte Sahas in das Gebüsch und stieß auf einen kleinen Tümpel. Er war nicht mal halb so groß wie Sahas Bett, aber es war Wasser. Schwarzes, leicht modrig riechendes Wasser. Sahas kniete sich hin und schöpfte mit der Hand Wasser, das er gierig schlürfte. Es schmeckte nicht so modrig, wie es roch. Wenn der Wolf dieses Wasser trinken konnte, dann war es auch gut für Sahas. Als er keinen Durst mehr hatte, kehrte er zum Wolf zurück.

Das Tier stand nun in einiger Entfernung zum Gebüsch und lauschte. Sahas hörte nichts. Plötzlich lief der Wolf geduckt ein Stück weiter und Sahas folgte ihm. Er war inzwischen geschickter, stolperte nicht mehr so viel. Lernte er von dem Wolf, wie man sich im Wald am besten bewegte? Und war es einfacher, mit vier Beinen zu gehen als mit zwei, oder schwerer?

Sie erreichten einen umgefallenen Baum. Dessen dicker Stamm, er war viel höher als Sahas, lag zwischen den anderen Bäumen wie tot. Am Ende des Baums hing ein riesiger Dreckklumpen, der von dünnen Ästen durchzogen war. Das musste die Wurzel sein. Sahas hatte Wurzeln im Garten bei viel kleineren Bäumen gesehen. Diese Wurzel war hier bestimmt so hoch wie der Schuppen, in dem Oms Auto stand. Der Wolf huschte unter die Wurzel. Er lief immer hin und her, den Blick auf Sahas gerichtet. Was wollte er?

Jetzt hörte Sahas, was der Wolf vermutlich schon lange wahrgenommen hatte: Hundegebell und Stimmen. Da näherten sich Fremde, viele Fremde, so laut, wie es war. Wollte der Wolf, dass sich Sahas hier versteckte? Er ging zu der Wurzel. Darunter hatte sich ein großes, klaffendes Loch gebildet. Ein tolles Versteck. Sahas hatte im Haus mehrere Verstecke, ein ganz besonders gutes. Es war lustig, wenn die anderen ihn suchten und nicht fanden. Aber dieses Versteck hier war nicht lustig. Es war dunkel und dreckig. Sahas kroch trotzdem hinein. Das Loch war nicht so gefährlich wie die Fremden, die sich da mit Hunden näherten.

Es war kühl und ein wenig feucht in dem Loch unter der Wurzel, aber der Sand war schön weich. Sahas dachte, der Wolf würde sich auch dort verstecken, doch er drehte sich um und trat mit den Hinterbeinen Sand in das Loch. Ganz schnell schaufelte er sehr viel hinein. Sahas musste den Kopf wegdrehen und die Augen schließen, um nicht die kleinen Körner ins Gesicht zu bekommen.

Nun war es fast dunkel in der Höhle. Nur durch ein winziges Loch drang etwas Sonnenlicht. Sahas wagte kaum, sich zu bewegen. Der Sandwall, den der Wolf aufgeschüttet hatte, würde sonst abrutschen. Sahas atmete flach und lauschte. Das Hundegebell kam näher. Er hörte viele Schritte auf dem trockenen Waldboden, Stimmen. Aber er verstand nicht, was die Fremden sagten.

Plötzlich wurde das Loch im Sandwall dunkel. Stand da jemand vor der Wurzel? Es klang, als würde ein Hund schnüffeln. Sahas’ Herz schlug schnell. Ob der Hund das auch hörte? Sahas kroch so tief unter die Wurzel, wie es nur ging. Er wusste, wie man sich versteckte, und er wusste auch, wie man leise war. Aber wie konnte man verhindern, dass man roch? Sahas schnupperte an seinen Fingern und an seinem Schlafanzugoberteil. Der Geruch war nur sehr schwach, aber Hunde hatten viel bessere Nasen, das hatte Kamini ihm erklärt. Sie wusste so viel, sie war eine weise Frau. Alles, was Sahas wusste, hatte er von ihr gelernt. Sogar Lesen brachte sie ihm bei. Er konnte es schon ganz gut. Bald würde er die Sachen lesen können, die Kamini abends in ein Heft schrieb. Und Sahas würde bald schreiben lernen, wenn Kamini noch bei ihm war. War sie noch bei ihm? Sahas hatte vergessen, was mit Kamini passiert war.

Das Loch im Sandwall ließ wieder mehr Licht durch. Er hörte, wie die Fremden und die Hunde weiterzogen.

Er würde diese kalte Höhle noch lange nicht verlassen. Das war zu gefährlich. Die Fremden konnten wiederkommen. Durch das Loch drang immer weniger Licht. Es wurde dunkel. Die Nacht brach an. Sollte er besser bis zum nächsten Morgen in dieser Höhle bleiben? Das war zu kalt, und er hatte jetzt schrecklichen Hunger. Unter seinen Händen spürte er das Kribbeln der kleinen Tiere, die unter der Wurzel wohnten.

Wo war der Wolf? Hatte er seinen Freund hier im Versteck vergessen? Oder hatten die Fremden den Wolf entdeckt? Dann hätte Sahas einen Schuss gehört. Er durfte sich keine Sorgen machen, dem Wolf ging es gut. Ganz bestimmt.

Mord im Wendland

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