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Kapitel 4

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Sahas war so schnell gelaufen, wie er konnte, nachdem er den fürchterlichen Knall gehört hatte. Das war sicher ein Schuss gewesen. Von einem Gewehr. Udgam hatte auch ein Gewehr, mit dem er manchmal Tiere im Wald schoss. Sahas durfte nicht mit, wenn er das tat. Zu Hause kochte Kala die Tiere dann. Sahas mochte dieses Essen nicht besonders gerne, aber er musste es essen, sonst wurde Udgam böse und sperrte Sahas ein.

Sahas war immer hinter dem Hund hergelaufen. Der Hund war schnell und der Junge konnte ihm in seinen Hausschuhen kaum folgen. Irgendwann hielt der Hund an und legte sich auf den Boden. Sahas tat es ihm nach. Es war nun kälter geworden und Sahas fror. Wie gerne wäre er jetzt in seinem Bett. Der Wald machte Geräusche, ganz leise, ungewohnte Geräusche. Manchmal huschte etwas über das trockene Laub. Irgendein Tier lief einen Baumstamm hoch. Es war alles fremd für Sahas, aber er hatte keine Angst. Sein Name bedeutete Mut, hatte Kamini ihm erklärt. Und darum war er besonders mutig.

Doch Sahas kannte auch Angst. Im dunklen Keller, wenn er mal wieder allein oder mit den anderen eingesperrt war. Er hatte Angst vor Udgams Wut und vor seinen Schlägen. Natürlich fürchtete er sich vor Om, der aber auch ihr aller Beschützer war. Und Sahas hatte Angst vor Fremden. Nie, nie im Leben würde er mit einem Fremden sprechen oder gar mit einem mitgehen, das hatten Kamini und Garima ihm eingeschärft. Er hatte auch Angst vor der Welt hinter dem Wald. Aber hier im Wald hatte er keine Angst.

Der Hund sah ihn an. Und plötzlich kam Sahas der Gedanke, dass dieses graue Tier dort gar kein Hund war. Es war ein Wolf. Kamini hatte ihm Geschichten mit Wölfen vorgelesen und ihm erklärt, dass Wölfe nicht wie Hunde bei Menschen leben, sondern alleine oder mit anderen Wölfen zusammen im Wald. Die Wölfe auf den Bildern zu den Geschichten waren schwarz und groß, und in den Geschichten waren sie böse. Sie fraßen Menschen. In einer Geschichte hatte ein Wolf eine ganze Frau verschluckt, ohne zu kauen. Hinterher, als der Wolf aufgeschnitten wurde, lebte die Frau noch. Sahas hielt das für Blödsinn und Kamini sagte, dass das ja nur eine Geschichte sei und da müsse nicht alles stimmen.

Aber vielleicht stimmte es ja, dass Wölfe Menschen fressen. Jetzt bekam Sahas doch schreckliche Angst. Würde dieser Wolf ihn fressen? Oder waren graue Wölfe nicht so gefährlich wie schwarze?

»Hey, Wolf«, rief er leise, »bist du mein Freund?« Der Wolf spitzte die Ohren und sah Sahas neugierig an. Er stand auf und es machte den Eindruck, als wolle er näher kommen, aber dann legte er sich wieder hin.

»Hab keine Angst, Wolf. Ich bin Sahas, ich bin dein Freund.« Doch der Wolf schien ihn nicht zu verstehen. Er legte seinen Kopf auf die Vorderpfoten und schloss die Augen. Der Wolf ist müde, dachte Sahas, genau wie ich. Der Boden war weich, bald schlief der Junge ein, wobei er noch ein paarmal zuckte. Später, im Schlaf, vielleicht nur im Traum, spürte Sahas etwas Warmes, Weiches neben sich. Und in seiner Hand warme, feuchte Luft.

Sahas erwachte von schrecklichem Lärm. Sirenen, wie er sie aus den Filmen kannte, die Om ihm manchmal mitbrachte, tönten in der Ferne. War das ein Traum? Er hob den Kopf. Nein. Die Geräusche waren echt. Und auch der Wolf, der dicht neben ihm lag, war echt. Der Wolf hatte verstanden, dass Sahas sein Freund war. Auch der Wolf hatte den Kopf angehoben. Nun hörten sie direkt über sich einen fürchterlichen Lärm. Irgendetwas dröhnte am Himmel über den Bäumen. Lichtstreifen, wie von einer riesigen Taschenlampe, leuchteten von oben durch die Bäume auf den Boden. Der Lärm entfernte sich, die Lichtstreifen mit ihm.

Der Wolf sprang auf und lief los. Sahas folgte ihm.

Mord im Wendland

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