Читать книгу Mord im Wendland - Klaas Kroon - Страница 7

Kapitel 3

Оглавление

Sabine Langkafel war hundemüde. Stunden nach Feierabend war ein Notruf eingegangen, und weil sie die Einzige war, die in der Nähe der Polizeistation Gartow wohnte, musste sie raus. Genau genommen lebte auch ihr Vorgesetzter Jakob Metzger im Ort, sogar in der kleinen Wohnung über der Wache in dem hübschen Rotklinker-Fachwerkhaus, aber Metzger war an einem Freitagabend nach 24 Uhr nicht mehr fahrtüchtig. Eigentlich an keinem Abend der Woche.

Also hatte Sabine sich entgegen den Gepflogenheiten alleine aufgemacht. Ein richtiger Notruf war es sowieso nicht. In Trebel lief offenbar eine Gartenparty aus dem Ruder, und mehrere Nachbarn hatten die 110 gewählt und die Beamten beschimpft, die darauf hingewiesen hatten, dass das für solchen Kleinkram die falsche Nummer sei.

Die zehn Kilometer über die schnurgerade B493 durch den Wald bis Trebel legte Sabine mit dem Streifenwagen um diese Nachtzeit in weniger als zehn Minuten zurück. Als sie in die Straße einbog, die als Herd der Unruhe gemeldet worden war, drang der Partylärm durch das offene Fenster zu ihr. Überall am Straßenrand waren Autos geparkt. Kennzeichen aus der Gegend, aber auch aus Hamburg und Celle.

Vor einem großen, modernen Einfamilienhaus hielt sie an. Eine Handvoll junger Leute stand und saß im Vorgarten, Flaschen und Gläser in den Händen, einige tanzten. Durch die geöffnete Eingangstür und die beleuchteten Fenster sah Sabine noch mehr Menschen. Das Haus war regelrecht vollgestopft mit Partygästen. Und sie vermutete, dass es dahinter im Garten weiterging. Technomusik dröhnte zu ihr herüber, begleitet vom Lachen und Kreischen der Feiernden.

Sabine stieg aus dem Streifenwagen, verschloss ihn, setzte die Dienstmütze auf und ging auf das Gebäude zu. Es war immer noch sehr warm, deshalb trug sie nur Uniformhemd und -hose, keine Jacke. Zwei junge Kerle, 20 vielleicht, bemerkten sie und musterten sie von oben bis unten.

»Du hast dich aber originell verkleidet, Süße«, sagte einer von ihnen. Er war offensichtlich völlig betrunken. »Bist du die Stripperin, die Emil uns versprochen hat?«

»Ganz vorsichtig«, entgegnete Sabine und sah den Burschen böse an. »Sonst können Sie gleich im Wagen Platz nehmen.«

»Ist ja schon gut«, sagte er verschreckt.

»Wo finde ich denn den Veranstalter dieses exklusiven Events?«, fragte sie die beiden.

»Der Emil? Der ist sicher im Garten. Am Pool. Oder so.«

»Emil weiter?«

»Emil Möller«, sagte nun der andere Junge, der nicht ganz so betrunken schien wie sein Freund.

Sabine ging ums Haus und gelangte in einen großen Garten, der von einem offenen Swimmingpool beherrscht wurde. Neben dem Pool standen auf Stativen riesige Boxen. Bunte Scheinwerfer tauchten das Geschehen in eine discoartige Beleuchtung. In einer Feuerschale brannten dicke Holzscheite. Sabine schätzte, dass sich ungefähr 40 Leute im Garten aufhielten. Viele im Pool. Manche in voller Bekleidung, andere in Badesachen, ein Junge und ein Mädchen ganz nackt. Auf der Wiese lagen engumschlungene Paare, auf der Terrasse wurde getanzt. Niemand hier war über 25. Auf den zahlreichen Gartenmöbeln saßen die Menschen, lachten, tranken, rauchten und schliefen. Ein leichter Hauch von Marihuana wehte zu Sabine herüber.

Die meisten der Feiernden nahmen keine Notiz von der Polizistin, die da mitten unter ihnen stand und ganz offensichtlich keine Stripperin war, sondern echt und bewaffnet.

»Suchen Sie mich?«, fragte eine Stimme hinter ihr plötzlich. Sabine drehte sich um. Ein junger Mann lächelte sie herausfordernd an. Er war blond, groß, schlank, gutaussehend. Er trug eine kurze helle Leinenhose, sonst nichts. Sein trainierter Oberkörper war braungebrannt. Falls er so betrunken war wie seine Gäste, konnte er das gut verbergen.

»Wenn Sie Emil Möller sind, dann ja.«

»Haben sich meine Dorfdeppennachbarn wieder beschwert?«, fragte er und nahm einen Schluck aus der Bierflasche, die er lässig in der Hand hielt. Eine junge Frau kam aus dem Dunkel des Gartens. Sie rückte sich ihren kurzen Rock und das knappe Top zurecht und stellte sich dicht neben Emil.

»Man darf doch einmal im Jahr laut sein, oder, Emil?«, lallte sie und hielt sich an seiner Schulter fest. Sie sah Sabine aus glasigen Augen an.

»Nein, meine Liebe«, sagte Sabine betont kräftig. Man hatte ihr in der Ausbildung gesagt, dass sie dazu neige, mit Kleinmädchenstimme zu sprechen, besonders bei Leuten, die ihr sympathisch wären. Das schränke die Autorität ein, hatte es geheißen.

»Das ist ein Gerücht. Sie dürfen Ihre Mitmenschen nicht belästigen. Nie.« Und an Emil gewandt sagte sie: »Ich nehme an, das ist das Haus Ihrer Eltern.«

Emil nickte.

»Und sind die da oder kommen die demnächst?«

»Nee«, sagte Emil und grinste wieder frech, »die sind in Thailand.«

Sabine war einigermaßen verwundert darüber, dass die Party trotz eines Streifenwagens vor der Tür und einer Polizistin im Garten mit unverminderter Heftigkeit weiterging. Hatten diese Rich Kids keinerlei Respekt vor der Polizei? Es lag ihr nicht, den harten Bullen rauszukehren, aber sie durfte sich auch nicht auf der Nase herumtanzen lassen. Wie würde es ablaufen, wenn ihr Chef Metzger hier erschiene? Er war fast doppelt so alt wie sie, dick, hatte eine brutale Visage, wenn er wollte, obwohl er eigentlich ein eher weicher Kerl war. Würden diese kleinen Angeber vor Jakob strammstehen?

Hatte Sabines Vater recht, der mal gesagt hatte, dass sie für eine Polizistin viel zu attraktiv sei, da die bösen Buben eine schöne Frau nicht ernst nahmen? Und zu jung für einen solchen Einsatz war sie vermutlich ebenfalls. Sie war ja nur wenige Jahre älter als die Feiernden.

Egal. Sie hatte das Recht auf ihrer Seite, und das musste durchgesetzt werden.

»Okay«, sagte sie und sah Emil, wie sie hoffte, entschlossen an, »wir können das nun auf zwei Arten machen. Entweder Sie schalten sofort die Musik aus und verziehen sich mit Ihren Gästen ins Haus, oder ich rufe ein paar Kollegen hinzu, wir stellen Ihnen den Strom ab und schauen mal, was wir hier sonst noch so finden. Vielleicht reicht es ja für mehr Ärger als nur wegen Ruhestörung.«

»Ups«, rutschte der jungen Frau raus und auch Emil schaute überrascht.

»Okay, okay«, sagte er und wedelte beschwichtigend mit den Händen. »Wir sind jetzt leise, versprochen.«

Er nahm sein Handy aus der Hosentasche, rief eine App auf und berührte ein Symbol. Augenblicklich wurde es still. Einige Partygäste jammerten, maulten herum. Doch Emil gelang es, sie alle ins Haus zu scheuchen.

»Übrigens«, sagte Sabine, als sie sich von Emil begleitet auf den Weg zu ihrem Streifenwagen machte, »wenn Ihre besonders gut gelaunten Gäste heute noch Auto fahren wollen, sollten sie wissen, dass wir an der nächsten Ecke auf sie warten.«

»Ja, ist klar«, sagte Emil, »ich passe auf. Und Frau …«, er fixierte das Namensschild auf Sabines Uniformhemd, »Langkafel, ich würde mich freuen, wenn Sie zu meiner nächsten Party ganz privat kämen.« Er sah sie mit einem Hundeblick an, mit dem er bei Mädchen seines Alters sicher erfolgreich war.

»Übernimm dich nicht, Kleiner«, sagte Sabine und stieg in den Wagen.

Sie war mit sich zufrieden. Emil hatte verstanden und würde es für diese Nacht gut sein lassen. Die Bürgerkinder waren eben doch nur in gewissen Grenzen rebellisch. Sicher studierte der Junge in Hamburg oder Berlin irgendetwas Bedeutsames und würde es selbst mal zu einem hübschen Häuschen bringen. Bis dahin nutzte er die sturmfreie Bude, um etwas über die Stränge zu schlagen. Das war kein Kapitalverbrechen. Und für ein paar Gramm Gras würde Sabine kein SEK aus Lüneburg anfordern. Das Zeug hatten die doch längst im Klo runtergespült.

Ein halbes Jahr war Sabine nun auf ihrem Posten im Polizeirevier der Samtgemeinde Gartow, hinter dem großen Wald, am östlichen Rand des Landkreises Lüchow-Dannenberg. Sie hatte bei der Polizeidirektion in Lüneburg um die Versetzung in das 4.000-Seelen-Dorf im Wendland gebeten. »Du wirst dich zu Tode langweilen«, hatten die Kollegen sie gewarnt, und ihr Vorgesetzter hatte nach zwei Gläsern Sekt bei ihrer Abschiedsfeier auf sie eingeredet, dass sie ein großes kriminalistisches Talent sei, das er am Arsch der Welt nicht fördern könne.

Aber ihre Entscheidung war gut abgewogen und unumstößlich gewesen. Sie wollte bei ihrem Vater sein, dem einzigen Menschen auf der Welt, den sie nach dem zu frühen Tod ihrer Mutter vor drei Jahren noch hatte. Johannes Langkafel war im letzten Jahr 80 geworden. Sabine war seit frühester Kindheit daran gewöhnt, dass fremde Leute ihn für ihren Großvater hielten. Papa war auch Polizist gewesen. Er hatte in Sabine die Leidenschaft für diesen Beruf geweckt, Sabine wollte nie etwas anderes sein. Schon in der Grundschule, wo sie von zukünftigen Prinzessinnen und Filmstars umgeben war, beharrte sie auf dieser Wahl.

In der ersten Zeit nach Mamas Tod war Sabine alle paar Tage von Lüneburg aus zu Papa gefahren. Je nach Verkehr dauerte die Fahrt eineinhalb Stunden. Aber mit der Zeit wurde Papa immer tüdeliger. Weniger im Kopf, da war er nach wie vor ziemlich fit, eher in seinen Bewegungen. Mehrmals war er gefallen, einmal hatte er danach zwei Stunden im Haus gelegen, bis ihn jemand gefunden hatte. Das wollte Sabine nicht noch mal zulassen. Ein Umzug kam für Vater, der das kleine Häuschen in Gartow zusammen mit Kollegen fast vollständig selbst gebaut hatte, nicht infrage. Mein Vater wird nicht ewig leben, hatte sie zu ihrem Chef in Lüneburg gesagt. Karriere kann ich auch mit 35 oder 40 noch machen.

Sabine steuerte den blau-weißen Polizei-Passat aus Trebel hinaus auf die Bundesstraße Richtung Gartow. Sie war gut drauf. Zu Hause noch ein Bier mit Papa, der war um diese Zeit meistens noch wach. Morgen war Samstag, da hatte sie frei.

Es war nichts los auf der Bundesstraße, allerdings musste man um diese Jahreszeit immer mit Wild rechnen. Wildschweine, Rehe, der Wald war voller Gefahren für den Straßenverkehr. Im Radio lief ein Song von Billie Eilish, Sabine drehte lauter.

Plötzlich wurde sie aus ihren Gedanken gerissen. Da vorne, am Straßenrand, da war etwas. Sabine verringerte das Tempo und stellte das Radio aus. Es konnte passieren, dass eine Rotte Wildschweine erst unentschlossen im Graben kauerte, um genau in dem Moment loszurennen, wenn das Auto kam. Warum auch immer sie das taten, aber es waren eben nur Schweine.

Die beiden dunklen Gestalten, die da im Lichtkegel über den breiten Radweg tippelten, waren jedoch keine Wildschweine. Es waren zwei Männer. Sie trugen T-Shirts und kurze Hosen, der eine außerdem eine Weste mit Taschen. Nun winkte er. Sabine hielt den Wagen an.

Zwei Männer, mitten in der Nacht, weit weg vom nächsten Dorf, bewaffnet. Das hatte in diesem friedlichen Winkel der Welt nicht unbedingt Gefahr zu bedeuten, Vorsicht war trotzdem geboten. Mit einem Griff an den Gürtel versicherte sich Sabine, dass sie ihre Dienstwaffe dabeihatte. Dann fuhr sie das Beifahrerfenster ein Stück herunter.

»’n Abend die Herren«, sagte sie freundlich, »warum so spät in der Wildnis unterwegs? Gibt’s ein Problem?«

Einer der Männer beugte sich zu ihr herunter und sah durchs Fenster. Er war Anfang 50, fast kahlköpfig und glattrasiert. Sie hatte ihn noch nie gesehen, obwohl sie in Gartow und Umgebung fast jeden kannte. Sie war hier aufgewachsen und mit 14 aufs Internat nach Schleswig-Holstein gekommen. Der Fremde lächelte und entblößte ein lückenhaftes Gebiss. »Ja, danke, dass Sie anhalten. Wir haben uns verlaufen.«

»Verlaufen? Hier?«, sie lachte. »Das ist nicht leicht. Waren Sie auf der Jagd? Schwarzwild?«

»Ja, genau«, sagte der Mann, und Sabine wusste, wenn sie ihn nach einer Jagderlaubnis fragen würde, wäre er geliefert. Oder sie, denn noch hatte er die Waffe an der Schulter baumeln.

»Und was kann ich für Sie tun?«, fragte Sabine.

»Vielleicht können Sie uns in den nächsten Ort mitnehmen, das wäre wirklich nett.« Der andere Mann stand dicht hinter seinem Kollegen und trat unruhig von einem Bein aufs andere. Er schien ungewöhnlich nervös.

»Ist die Flinte geladen?«, fragte Sabine.

»Ja, äh«, stammelte der Kerl.

»Dann entladen Sie sie bitte«, sagte Sabine und legte zu ihrer eigenen Beruhigung die Hand auf ihre Pistole. Der Mann knickte den Lauf ab und nahm zwei Schrotpatronen aus den Läufen.

»Eine haben Sie abgefeuert, wie ich sehe«, sagte Sabine. »Und? Getroffen?«

»Nee, war zu schnell, die Sau«, sagte der Typ hinter dem Glatzkopf und kicherte gekünstelt.

»Haben Sie sonst noch Waffen dabei?«, fragte Sabine, ihr Misstrauen wuchs.

»Nein«, sagte der Glatzkopf. »Nur das Gewehr.«

»Kein Messer? Sie gehen ohne Jagdmesser auf Schwarzwild? Das ist nicht besonders waidmännisch.«

Der Mann begann wieder zu stammeln, er überlegte sich offensichtlich eine Lüge.

»Gut«, unterbrach ihn Sabine, und diesmal war sie sich sicher, dass es energisch klang. »Sie nehmen nun das Gewehr von der Schulter und legen es auf den Boden. Dann gehen Sie beide langsam vor mein Auto in den Lichtschein. Ich steige aus und Sie machen besser keine hektischen Bewegungen. Verstanden?«

Der Mann, der immer noch durchs Fenster glotzte, nickte. Er wirkte ängstlich. Der Glatzkopf folgte ihren Anweisungen und stolperte ohne Waffe vor den Streifenwagen. Sein Kollege folgte ihm auf Tuchfühlung. Nun sah Sabine die zwei Gestalten in voller Schönheit. Alte, verschossene Kleidung, blasse, kranke Gesichter. Wilderer, keine Frage. Aber keine Profis. Nicht von der Sorte, die die Beute unter der Hand an Restaurants verscheuerte, sondern arme Idioten, die sich einen Braten schießen wollten. Eher ungefährlich. Trotzdem blieb Wilderei eine Straftat. Sabine musste die beiden mitnehmen. Und zwar sie alleine. Es würde mindestens eine Stunde dauern, bis Kollegen aus der Umgebung hier wären. So lange wollte sie nicht warten.

Sabine stieg langsam aus und zog die Dienstwaffe, richtete sie jedoch nicht auf die Männer. Es reichte, wenn sie sie wahrnahmen.

»Ich werde Sie mitnehmen«, sagte sie, »und das funktioniert so: Ich lege Ihnen Handschellen an, oder besser, Sie legen sich gegenseitig Handschellen an. Dann steigen Sie hinten in den Streifenwagen und ich bringe Sie zur Wache. Dort klären wir, ob Sie Wilderer sind oder Jäger oder was auch immer. Klar so weit?«

Die Gestalten nickten, und Sabine reichte dem Glatzkopf das erste Paar Handschellen. Er legte sie seinem Kumpel an, wobei er sich ziemlich dämlich anstellte. Der Kumpel schien etwas jünger als der Glatzkopf zu sein, wirkte aber nicht weniger versoffen. Wenn diese Ganovengesichter in Gartow leben würden, wären sie Sabine sicher aufgefallen.

Nun gab sie dem Typen mit den langen grauen Haaren Handschellen. Der war damit weitaus geschickter, schien Erfahrung zu haben. Blitzschnell überprüfte Sabine den Sitz beider Handschellen und tastete die Verdächtigen nach weiteren Waffen ab. Die Kerle rochen muffig, ungeduscht, der eine nach Tabak. Sabine fand nur zwei Handys, einen Kompass und eine Taschenlampe.

»Haben Sie irgendwelche Papiere dabei?«, fragte Sabine, während die Männer auf der Rückbank Platz nahmen. Sie kannte die Antwort bereits.

»Nein, vergessen«, sagte der eine, der andere sagte nichts.

Damit war klar, dass sie die beiden über Nacht in ihrer kleinen Arrestzelle behalten würde, bis sie am nächsten Morgen mit Metzger die erkennungsdienstliche Erfassung und die Vernehmung durchführen würde. Tschüss, freier Samstag. Natürlich könnten die Kerle anschließend gehen, sie hatten offenbar nicht mal etwas geschossen. Erbärmlich, wie sie da nun auf der Rückbank saßen. Jede kriminelle Energie war verpufft.

»Dann sagen Sie mir wenigstens, wie Sie heißen.«

»Olaf Hohmann«, sagte der Glatzkopf.

»Karsten Koslowski«, sagte der Langhaarige.

»Woher?«

»Dannenberg.« Sabine war sicher, dass sie die Wahrheit sagten.

Sie startete den Wagen und fuhr langsam an. Im Rückspiegel beobachtete sie die Festgenommenen. Die Männer flüsterten. Der Langhaarige schien fast zu platzen vor Aufregung. Der Glatzkopf rang offenbar mit irgendeiner Entscheidung.

»Frau Wachtmeisterin«, stammelte er schließlich, »wir müssen da eine Aussage machen. Wir haben ein schreckliches Verbrechen entdeckt.«

Sabine schüttelte den Kopf. Das durfte doch nicht wahr sein.

»Wirklich«, begann nun der Langhaarige, »da hinten, im Wald, da ist so ein entlegener Hof. Da haben wir zwei Leichen gefunden.«

Sabine fuhr rechts ran auf den Grasstreifen und stellte den Motor ab. Sie drehte sich zu den Gestalten um.

»Nur, dass wir uns richtig verstehen: Ich lass mich mitten in der Nacht nicht von zwei Schmalspurganoven wie euch verarschen. Was bezweckt ihr mit einer solchen Geschichte? Wollt ihr Zeit schinden? Wozu? Ich stecke euch in unser komfortables Doppelzimmer, und morgen könnt ihr gehen, wenn wir alles aufgeschrieben haben. Wenn ich gute Laune habe, bekommt ihr sogar noch ein Frühstück. Also?«

»Es stimmt«, sagte der Glatzkopf, er schien der Hellere der beiden zu sein, wenn ihn das auch nicht zu einem Hochbegabten machte. »Wir waren im Wald, wollten was schießen. Okay, das geben wir zu. Und dann haben wir da zufällig diesen Hof entdeckt. Da haben wir reingesehen.«

»Wieso?«, fragte Sabine, sie war gelangweilt von dem Quatsch.

»Es war irgendwie komisch«, sagte Karsten Koslowski, der Langhaarige, »die Tür stand offen, irgendwo brannte Licht.«

»Und was war daran komisch? Sie können doch nicht einfach in ein fremdes Haus gehen«, sagte Sabine.

»Ach, das ist doch jetzt egal«, sagte dieser Olaf ungeduldig, »wir sind auch gar nicht reingegangen. Wir haben nur reingeguckt, und da haben wir im Flur auf dem Boden diese zwei Leichen entdeckt – und ganz viel Blut.«

»Zwei Leichen?«, wiederholte Sabine ungläubig.

»Und ganz viel Blut«, ergänzte Koslowski.

Sabine startete den Wagen und drehte schwungvoll auf der Landstraße. Sie gab Gas. »Okay, Männer. Wir fahren da hin, und ich sehe mir das an. Wenn ihr mich verarscht, bringe ich euch wegen Wilderei und Behinderung von Vollstreckungsorganen für eine lange Zeit hinter Gitter, verlasst euch drauf.«

Natürlich war diese Drohung Bullshit, aber diese beiden verängstigten Vollpfosten glaubten im Moment sicher alles.

Koslowski und Hohmann dirigierten Sabine kurz hinter der Stelle, an der sie sie aufgegabelt hatte, links in den Wald hinein. Sie folgten eine Weile lang einem schmalen, unasphaltierten Weg, dann bogen sie noch mal ab. Vorher stritten sich die Männer noch, ob es schon dort war oder erst ein Stück weiter.

Sie waren richtig. Über eine unebene, überwucherte Zufahrt gelangten sie nach gut 500 Metern auf einen Hof. Sabine fuhr fast täglich in der Gegend herum zwischen Gartow, Prezelle, Trebel und wie die Käffer alle hießen. Dass sich in dieser Ecke ein Hof befand, hatte sie nicht auf dem Schirm gehabt. Der Hof war eher klein.

Wer lebte denn mitten im Wald? Papa würde das jetzt wissen. Aber der saß zu Hause vor dem Fernseher und trank sein Gute-Nacht-Bier alleine.

Sabine stellte den Motor ab und zog den Zündschlüssel. Sie stieg aus und sagte Richtung Rückbank: »Sie bleiben im Auto, und kommen Sie nicht auf dumme Ideen. Ich könnte sauer werden.« Der letzte Satz gefiel ihr, und er schien Eindruck zu machen. Olaf und Karsten kauerten stumm nebeneinander.

Mit gezogener Waffe in der einen Hand und der Taschenlampe in der anderen ging Sabine auf das Haus zu. Sie erwartete nicht wirklich, Leichen zu finden, und dachte darüber nach, wie sie es den beiden Vögeln in ihrem Streifenwagen heimzahlen würde. Sie wollte aber auch nicht die Dumme sein, wenn sich hinter dieser verwitterten Tür, die sie nun langsam aufschob, doch ein Verbrechen abgespielt hatte.

Was sie wenige Sekunden später sah, ließ sie erschaudern. Die Wilderer hatten nicht gelogen. Dort lagen zwei Menschen inmitten von Blut, viel Blut. Sie drehte um und rannte zum Auto.

»Na, wir haben recht gehabt, oder?«, fragte einer der Männer, doch Sabine antwortete nicht. Über Funk machte sie in der Leitstelle Meldung über ihren Fund. Dann näherte sie sich mit vorsichtigen Schritten wieder dem Haus, die Waffe im Anschlag.

Mord im Wendland

Подняться наверх