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Was vielleicht bleibt
Noch einmal zu Friedrich Rückert

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Das »Rückert-Jahr« 2016 ist vorbei. Die große, in Schweinfurt, Erlangen und Coburg gezeigte »Weltpoet«-Ausstellung war gut besucht, die Wissenschaft hat sich intensiv mit dem fränkischen Dichter, Übersetzer und Orientalisten befasst – Friedrich Rückert ist hunderteinundfünfzig Jahre nach seinem Tod bekannter, als er es vor zwei Jahren war. Ob er auch gelesen wird? Bleiben wird auf jeden Fall der opulente Ausstellungskatalog, den man bis auf Weiteres als das definitive Standardwerk über diesen Poeten bezeichnen darf. Die Festrede zur Eröffnung der Ausstellung, gehalten am 7. April 2016 in Schweinfurt, hatte der 1967 geborene Kölner Islamwissenschaftler und Übersetzer Stefan Weidner übernommen. In der Reihe Göttinger Sudelblätter liegt sie nun gedruckt vor.

Weidner, für den der Dichter – neben vielem anderen – ein »poetisierender Blogger vor der Zeit« war, geht den »untergründigen Korrespondenzen zwischen Poesie und Flucht« nach. Lektüre für Spezialisten? Gewiss! Denn der Autor interpretiert Gedichte und Nachdichtungen Rückerts und stellt dessen Art und Weise des Übersetzens vor – alles in bester Germanistenmanier. Aber nicht nur. Denn Weidner sieht Rückert und seine Zeitgenossen zwischen einem durch die Französische Revolution befreiten politischen Bewusstsein und einem wohl erst 1871 endendem unfreien politischen Sein dazu verurteilt, »mit einer tiefen Zerrissenheit zu leben – einer Zerrissenheit, die heute auf ähnliche Weise in der arabisch-islamischen Welt erlebt wird«. Interessant! Während sich viele Intellektuelle und Künstler nach 1800 der Religion zuwenden, öffnet sich Rückert für die Kultur des Orients – eines Orients allerdings, »der sich aus wenig anderem als aus alten Texten zusammensetzt, nicht aus realen politischen Verhältnissen, geschweige denn lebenden Menschen«. Rückerts Orientvision sei vor allem eine »Chiffre für Andersheit« und damit etwas, was das heute als »Westen« bezeichnete Abendland im 21. Jahrhundert für viele Menschen aus islamisch geprägten Ländern darstellt – »ein offenes Feld für Projektionen«. Spannend! Sicher, niemand glaubt heute mehr an Rückerts Vorstellung von »Weltpoesie als Weltversöhnung«. Die Dichtung aber bleibt, und sie entfaltet weiterhin ihre »subversive Kraft« – zeigt sie doch immer wieder, dass es »andere Formen des Ausdrucks und der Weltwahrnehmung« gibt als die in den Medien präsenten Halbwahrheiten: »Poesie als Fluchthelferin, Schlepperin, Schleuserin in alternative geistige Gefilde.« Wenn uns, wie der Festredner schließt, die Poesie auch heute dabei helfen kann, »die aufdringliche Präsenz einer sich als absolut gerierenden Gegenwart zu konterkarieren«, dann ist das doch schon mal was, oder?

Stefan Weidner: Fluchthelferin Poesie. Friedrich Rückert und der Orient. Göttingen 2017: Wallstein Verlag. 62 S.

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