Читать книгу Die Türken vor Wien - Klaus-Jürgen Bremm - Страница 11

3Ungarns Untergang in Etappen
Der Fall von Belgrad 1521 und die Katastrophe von Mohács 1526

Оглавление

»Wenn der Sultan wirklich kommt, dann wiederhole ich, was ich so oft gesagt habe. Euer Heiligkeit könne dies Land als verloren betrachten. Es ist hier eine grenzenlose Verwirrung. Alles, was zum Kriege notwendig ist, fehlt. Unter den Ständen herrschen Hass und Neid. Und die Untertanen würden, falls der Sultan ihnen die Freiheit verspricht, gegen den Adel einen noch grausameren Aufstand erregen als dies zur Zeit des Kreuzzuges [Kuruzzenaufstand 1514] der Fall gewesen.«

Schreiben von Antonio Giovanni da Burgio an Papst Clemens VII. vom 25. April 15261

»Schild und Schutzmauer der Christenheit« sei das Königreich der Ungarn, das sie mit großem Vergießen seines eigenen Blutes gegen die Türken beschütze. So hatten es die Stände des Landes auf dem Reichstag von Rákos im Jahre 1505 verkündet, und vielleicht hatten es viele der Magnaten damals auch tatsächlich geglaubt. Taten waren dieser selbstgefälligen Beschwörung seither allerdings kaum gefolgt. Denn als 16 Jahre später, im April 1521, Girolamo Balbi, der Beauftragte des noch unmündigen ungarischen Königs Lajos II., auf dem großen Reichstag zu Worms in Anwesenheit Karls V. die versammelten Reichsstände in dramatisierenden Wendungen um militärische Unterstützung bat, stand die einstige Großmacht des Balkans bereits am Abgrund. Ungarn halte schon seit 150 Jahren die zerstörerischen Angriffe der Türken auf und habe doch, so klagte Balbi, diesen »ewigen Kampf« allein führen müssen. Nicht einmal ermutigende Blicke oder Worte, geschweige denn Hilfe, so lautete der Vorwurf des aus Venedig stammenden Klerikers und Diplomaten, seien seinem Land bisher von den christlichen Fürsten zuteil geworden.2

Dies war freilich nur ein Teil der Wahrheit, denn Ungarn hatte sich seit den Tagen von Matthias Corvinus durch eine Kette von Waffenstillständen stets mit den Osmanen zu arrangieren gewusst, ohne jedoch die gewährte Atempause zur Stärkung der eigenen Widerstandskraft zu nutzen.

Hilfe war nun drei Jahrzehnte nach dem Tod des großen Corvinus dringend geboten. Bedrohliche Anzeichen sprachen inzwischen dafür, dass die osmanische Supermacht nach der Unterwerfung des syrisch-ägyptischen Mamelukenstaates den Fokus ihrer Politik wieder auf den Balkan und die Donaulinie richten würde. Erst im Vorjahr hatte in Konstantinopel ein Thronwechsel stattgefunden. Der 24-jährige Süleyman war am 30. September 1520 unangefochten seinem plötzlich verstorbenen Vater Selim I. gefolgt. Der neue Herrscher war der zehnte Nachfolger Osmans und von dem alten Sultan sorgfältig auf seine Aufgabe vorbereitet worden. Unter Selims argwöhnischen Blicken musste sich Süleyman als Statthalter von Kaffa und Magnesia bewähren, wo der 17-Jährige auch erste militärische Erfahrungen im Bandenkrieg hatte sammeln können. Der venezianische Diplomat Tommaso Contarini beschrieb Süleyman kurz nach dessen Herrschaftsantritt als groß gewachsen, aber schlank, mit einer etwas zu langen und gebogenen Nase. Ein kurz geschnittener Bart zierte Kinn und Oberlippe. Die Gesamtheit seines Erscheinungsbildes sei angenehm gewesen, obwohl das Gesicht eine gewisse Blässe aufwies.3 Das christliche Europa sollte dem Sultan schon bald den Beinamen »der Prächtige« verleihen, erkannte dabei jedoch nicht, dass der stets in prächtigen Gewändern auftretende Herrscher den Pomp nur zur Selbstinszenierung einsetzte. Persönlich lebte der Sultan besonders in seinen späteren Jahren mäßig und bescheiden.4 Die osmanische Historiografie dagegen verlieh Süleyman wegen der Vollendung des großen Gesetzeswerkes seines Urgroßvaters den Beinamen Kanunî (Gesetzgeber).5 Anders als sein Vater, der wegen seines Jähzorns gefürchtet war, galt Süleyman als bedachtsam, großzügig und gerecht. Das schloss freilich gezielte Gewalttätigkeit zur Einschüchterung seiner Gegner nicht aus. 6

Dass der erste Feldzug in Süleymans 46-jähriger Herrschaftszeit nach mehr als einem Vierteljahrhundert der Waffenruhe dem Königreich der Ungarn gelten sollte, war schon im Winter 1520 / 21 in ganz Europa ein offenes Geheimnis. Sogar 30 000 Lastkamele hatte der Sultan aus Asien zur Unterstützung seines Heeres über den Bosporus nach Edirne bringen lassen.7


Sultan Süleyman I. Kupferstich von Agostino Veneziano, 1535

Wenn Girolamo Balbi in Worms bittere Klage über die isolierte Lage Ungarns geführt hatte, so hatte er verständlicherweise mit keinem Wort erwähnt, dass die Ungarn an ihrer militärischen Schwäche selbst die größte Schuld trugen. In der Scheinsicherheit wiederholter Waffenstillstände mit dem Sultan hatten die ungarischen Magnaten alles unternommen, um die Autorität des Königtums zu schmälern und die Macht im Land wieder in eigene Hände zu nehmen. Schon die Wahl des Jagellonen Wladisław zum Nachfolger des ohne legitimen Erben im April 1490 verstorben Corvinus hatte den neuen Kurs offenbart. In den Augen der einheimischen Barone versprach der unsicher agierende Pole auf dem ungarischen Thron vor allem ein fügsamer Monarch zu sein, dem es nicht wie seinem Vorgänger in den Sinn kommen würde, die traditionellen Rechte des Adels mithilfe ergebener Beamter zu unterdrücken. Widerspruch gegen Wladisławs Wahl erhob sich allein vonseiten der Habsburger. Hatte doch Kaiser Friedrich III. einen Erbfolgevertrag mit Matthias Corvinus geschlossen, der seinem Sohn Maximilian nach dem Tod des ungarischen Herrschers die Thronnachfolge sichern sollte. Der um seine Rechte geprellte Habsburger hatte seine Ansprüche sogleich nach der Wahl Wladisławs durch die gewaltsame Besetzung von Stuhlweißenburg (Székesfehérvár), der nationalen Begräbnisstätte der ungarischen Könige, bekräftigt. Die Magnaten mussten ihm damals im Frieden von Pressburg mit 100 000 Golddukaten den Rückzug versüßen und überdies dem habsburgischen Erzhaus nochmals vertraglich die Thronfolge versprechen, falls König Wladisław kinderlos versterben sollte.8

Die Mittel zur Verteidigung des Landes, die Matthias Corvinus gewöhnlich am ungarischen Reichstag vorbei für sich beansprucht hatte, dienten seither den Magnaten vor allem zur Vergrößerung ihrer Privatarmeen. Grundsätzlich sollten diese Banderien auch weiterhin der Verteidigung des Landes zur Verfügung stehen, keinesfalls aber mehr der Durchsetzung monarchischer Ambitionen außerhalb der Landesgrenzen dienen. Der drastischen Rückabwicklung der königlichen Macht fiel schließlich auch Corvinus’ ständige Leibgarde, die gefürchtete »Schwarze Schar«, zum Opfer. Wegen ausbleibender Soldzahlungen hatte die hauptsächlich aus Böhmen bestehende Truppe in ihrem verschanzten Lager bei Szegedin (Szeged) gemeutert und musste schließlich gewaltsam aufgelöst werden.9

Der Pole Wladisław, der kaum ein Wort der Landessprache verstand, hatte der anarchischen Politik der Barone nur wenig Widerstand entgegenzusetzen gewusst. Dass die Herrschaft des bald als »König-Ja-Sager« (Király Dobzhe) verspotteten Monarchen nach einem Vierteljahrhundert im Chaos zu Ende ging, hatte Wladisław allerdings nicht allein zu verantworten. Die allgemeine Krise des europäischen Feudalismus betraf auch das Königreich Ungarn. Ausgelöst hatte sie eine agrarische Revolution, die in ganz Europa den Eigentümern großer Güter zwar wachsende Erträge bescherte, aber auch wachsende Ungleichheit und die fortgesetzte Beschneidung der alten bäuerlichen Freiheiten zur Folge hatte. In Ungarn hatte die Unterdrückung der Bauern durch ihre Grundherren längst das erträgliche Maß überschritten, als wieder einmal ein päpstlicher Kreuzzugsaufruf gegen die Osmanen durch das Land ging. Anlass des erneuten Griffs in die Mottenkiste päpstlicher Propaganda waren nicht etwa schockierende Nachrichten über neuerliche glänzende Erfolge der »Anhänger des Propheten«, sondern innerkirchliche Vorgänge im römischen Lateranpalast. Dort war am 11. März 1513 Tamás Bakács, der ehrgeizige Erzbischof von Gran (Esztergom), in dem Konklave dem Florentiner Giovanni de Medici unterlegen. Der Sieger der Papstwahl nannte sich fortan Leo X. und verfiel auf die unglückselige Idee, seinen Rivalen, ob als Kompensation oder Trost, zum Legaten und Schirmherrn eines neuen Kreuzzuges gegen die »Türken« zu ernennen.

Freilich fanden derartige Aufrufe der lateinischen Kirche inzwischen nur noch in den unteren Schichten den erhofften Zuspruch. Als auf dem Rákosfeld bei Pest im Frühjahr 1514 tatsächlich eine Volksarmee von rund 40 000 sozial Deklassierten zusammenströmte, um sich dem Kreuzzug anzuschließen, bestand der ungarische Adel voller Bestürzung sofort auf einer Auflösung dieser illegalen Streitmacht. Es bedurfte wirklich keiner besonderen Weitsicht, um zu erkennen, dass eine so ungeheure Menge bewaffneter Männer aus dem Bodensatz der Gesellschaft eine tödliche Gefahr für die feudale Ordnung des Landes sein musste. Als kaum weniger wichtig erwies sich jedoch die Tatsache, dass die Grundherren dringend auf die Arbeitskraft der ihnen entlaufenen Leibeigenen angewiesen waren und überdies keinerlei Interesse daran hatten, die »Türken« ohne Not zu reizen.10 Dagegen erschien den meisten Bauern, die voller Hoffnung dem Aufruf Bakács’ gefolgt waren, die Aussicht auf ansehnliche Kriegsbeute weitaus attraktiver als ein Sklavendasein auf den Gütern ihrer Barone. Obwohl sich schließlich auch Erzbischof Bakács der ablehnenden Haltung des Adels beugen musste und der König die Auflösung der Armee anordnete, widersetzten sich die enttäuschten Kreuzzügler oder Kuruzzen seinem Befehl. Unter Führung des siebenbürger Feldhauptmannes György Dózsa wandten sich ihre aufgebrachten Scharen statt gegen die Armeen des Sultans zunächst gegen die ihnen nicht minder verhassten Fronherren.11 Im ganzen Land legten Dózsas Anhänger die Herrensitze in Schutt und Asche und machten ihre adligen Bewohner gnadenlos nieder. Erst der Reiterarmee des siebenbürger Woiwoden János Szápolya sollte es nach quälenden Wochen des allgemeinen Mordens gelingen, die Heerhaufen der Aufständischen zu zerschlagen. Das Strafgericht der überlebenden Grundherren fiel erwartungsgemäß fürchterlich aus, und als 1516 der erst zehnjährige Lajos seinem verstorbenen Vater Wladisław auf den Thron folgte, schien Ungarn gegenüber den Osmanen praktisch wehrlos. Rasche Hilfe aus dem Reich war jedoch nicht zu erwarten. Auf dem Wormser Reichstag von 1521 wurde dem ungarischen Gesandten Balbi wohl Hoffnung gemacht, dass der Kaiser schon für das nächste Jahr einen größeren Feldzug gegen den Sultan plane. Bis dahin jedoch möge Ungarn versuchen, Zeit zu gewinnen und mit dem Sultan einen Waffenstillstand abzuschließen, sofern dies ohne Schaden für den Glauben und die Christenheit geschehen könne.12

Doch die Zeit der Waffenstillstände schien vorbei. Der unübersehbare Verfall seiner militärischen Macht hatte Ungarn zum bevorzugten Objekt osmanischer Begierden gemacht. Ob allerdings Süleyman und sein Berater Piri Pascha, der erfahrene Großwesir seines verstorbenen Vaters, tatsächlich beabsichtigten, die »Schutzmauer der Christenheit« in Gänze einzureißen und Ungarn zur Basis weiterer Eroberungen in Mitteleuropa zu machen, ist eher zweifelhaft. Gewiss wollte der junge Sultan mit seinem ersten großen Kriegszug vor allem jene Scharte auswetzen, die schon seit 65 Jahren einen dauernden Schatten auf das Selbstbewusstsein der osmanischen Weltmacht warf. Die peinliche Schlappe wettzumachen, die sein Urgroßvater Mehmed II. damals vor den Mauern Belgrads gegen Johannes Capestranos schlecht bewaffnete Pöbelhaufen erlitten hatte, war für einen jungen Herrscher und Kriegsherrn gewiss ein verlockender Anreiz. Für diese Deutung spricht auch, dass Süleyman schon ein Jahr nach dem Wormser Reichstag mit großem Aufwand einen Angriff auf Rhodos unternahm, dem zweiten Negativposten auf der sonst eindrucksvollen militärischen Bilanz seines Urgroßvaters. Die damals noch von dem christlichen Ritterorden der Johanniter gehaltene Insel hatte im Sommer 1480 einer mehrmonatigen Belagerung des osmanischen Hauptheeres widerstehen können.

Außer Prestigeerwägungen bewogen freilich auch strategische Gesichtspunkte den jungen Sultan, seinen ersten militärischen Schlag gegen Belgrad zu führen. Immer noch behaupteten die Ungarn die auf einem markanten Felsen oberhalb des Zusammenflusses von Donau und Save errichtete Festung. Die aus weißem Kalkstein erbaute Stadt war im 12. Jahrhundert von den Byzantinern an der Stelle des alten römischen Kastells Singidunum angelegt worden und wurde von den Deutschen seither »Griechisch Weißenburg« genannt. Belgrad bildete den Ausgangspunkt der wichtigen Militärstraße nach Saloniki. Solange die Festung in den Händen der Ungarn blieb, konnte jederzeit ein entschlossen geführter Vorstoß europäischer Mächte, wie ihn János Hunyadi erst 80 Jahre zuvor tatsächlich unternommen hatte, bis vor die Tore von Konstantinopel gelangen und damit die Herrschaft der Osmanen über die christlichen Balkanvölker südlich der Donau zum Einsturz bringen. Umgekehrt erlaubte der sichere Besitz von Belgrad den Armeen des Sultans, jederzeit nach Norden durch die pannonische Ebene auf die Hauptstadt Ofen (heute Budapest) vorzustoßen, um die Ungarn zu zwingen, Süleymans Oberherrschaft vorzugsweise durch die Zahlung von Tributen anzuerkennen.

Der starke Widerwille der Magnaten gegenüber einem autoritären Königtum bildete die ideale Grundlage, um die einstige Großmacht des Balkans auf die Rolle eines abhängigen Puffers am Rande der islamischen Welt zu reduzieren und zugleich, was dem Sultan noch wichtiger erschien, dauerhaft die Thronbesteigung eines Habsburgers in Ofen zu verhindern. Andernfalls drohte über kurz oder lang eine direkte Konfrontation mit dem neuen Weltreich des Habsburgers Karls V., dem Erben Burgunds und der spanischen Gesamtmonarchie. Erst 1519 hatte sich der Habsburger und Enkel Maximilians bei der Wahl zum Kaiser des Reiches gegen seinen französischen Rivalen Franz I. aus dem Hause Valois durchsetzen können. Der gewaltige Machtzuwachs der Habsburger, begünstigt durch die inzwischen mit jedem Jahr reichlicher fließende Beute aus der »Neuen Welt«, bereitete der »Hohen Pforte« in Konstantinopel ernsthafte Sorge.13 Erst im Jahr der Kaiserwahl hatte der Spanier Hernán Cortés den gewaltigen Goldschatz des mittelamerikanischen Aztekenherrschers Montezuma in seine Hand gebracht und dem Kaiser als Kompensation für sein eigenmächtiges Vorgehen in Mexiko zusammen mit seinem Rechtfertigungsbericht nach Spanien übersandt.14 Wirtschaftlich bedrohte die Umleitung des europäischen Fernhandels über die atlantischen Routen die strategische Schlüsselposition des Osmanischen Reiches, das bisher aus seiner Rolle als Handelsbrücke zwischen Europa und Asien beträchtliche Einnahmen zu verzeichnen hatte.

Im Mai 1521 setzte Süleyman das im thrakischen Adrianopel (Edirne) versammelte osmanische Hauptheer nach Norden in Marsch. An die tributpflichtigen Potentaten der beiden Donaufürstentümer Moldau und Walachei waren bereits die Befehle zur Heeresfolge ergangen, und die Ungarn wussten zunächst nicht, wo der Angriff der Osmanen erfolgen würde. János Szápolya, der nach seinem Sieg über die Armee der Kuruzzen zum mächtigsten aller ungarischen Magnaten aufgestiegen war, ließ die siebenbürger Kontingente in seinem Lager von Szász-Sebes, südlich von Klausenburg (Cluj-Napoca) zusammenkommen.15 Anfang Juli war jedoch zur Überraschung der Verteidiger eine starke osmanische Abteilung vor Schabatz (Šabac), das etwa 60 Kilometer saveaufwärts von Belgrad lag, erschienen und hatte die nur durch Erdwälle und Palisaden geschützte Festung (Palanke) nach kurzer Belagerung gestürmt. Die Angreifer hatten keine Mühe, die tapfere Besatzung aus einigen Hundert Ungarn und serbischen Söldnern niederzumachen. Sodann schlugen sie in zehntägiger Arbeit eine Schiffsbrücke zum Nordufer der Save, um Belgrad im Rücken zu fassen. Als nur eine Woche später die ungarische Grenzfestung Semlin (Zemun) hart nördlich von Belgrad gleichfalls in die Hand der Osmanen fiel, konnte an der Absicht des Sultans kein Zweifel mehr bestehen. Am 1. August erschien schließlich auch Süleyman persönlich mit seinem Hauptheer vor den Mauern von Belgrad und ließ sogleich durch eine mit 500 Janitscharen bemannte Flottille die Donau nach Norden sperren. In der Stadt selbst brach nur kurz nach der Ankunft der Osmanen ein Streit unter den Verteidigern aus. Aus Hass gegen die Ungarn setzten die serbischen Bewohner von Belgrad die Unterstadt in Brand, sodass sich die Besatzung in das Belgrader Schloss zurückziehen musste. Dort vermochten sich die Verteidiger in der Hoffnung auf Entsatz noch mehrere Wochen zu halten. Sie konnten freilich nicht wissen, dass König Lajos II. mit dem ungarischen Aufgebot immer noch untätig bei Tolna, auf halbem Wege zwischen Ofen und Belgrad, verharrte und auf das Eintreffen habsburgischer Unterstützung wartete. Ferdinands bescheidene Hilfstruppe war allerdings erst am 21. August von Graz aufgebrochen.16


Auch Szápolya ließ sich nicht mit seinen Reitern blicken, und so blieb das erhoffte zweite Belgrader Wunder aus. Nach knapp einmonatiger Belagerung erschien am 28. August eine Abordnung der auf 400 Kämpfer geschrumpften Besatzung im Lager des Sultans, um gegen freien Abzug die Übergabe des Schlosses anzubieten. Erst tags zuvor hatte eine osmanische Mine den Hauptturm der Anlage in Trümmer gelegt. Süleyman schien gleichwohl über die Offerte der »ungläubigen Hunde« nicht unglücklich. Es war sein erster großer Kampf, und die wiederholten verlustreichen Sturmangriffe seiner Truppen hatten seine Geduld und Nerven über Gebühr strapaziert. Die erschöpften Ungarn durften daher mit Milde rechnen. Am nächsten Tag rückten die Osmanen unter den Klängen ihrer Militärmusik in das von den Kämpfen gezeichnete Schloss ein. Für die folgenden dreieinhalb Jahrhunderte wurde Belgrad – mit zwei kurzzeitigen Unterbrechungen durch die Österreicher – zu einer osmanischen Stadt. Während die überlebenden Verteidiger des Schlosses auf Schiffen des Gegners donauaufwärts nach Slamkamen gelangten, ließ Süleyman sämtliche serbischen Bewohner der Stadt nach Konstantinopel deportieren, wo sie noch lange für den Erhalt der Wasserleitungen in der Hauptstadt und des großflächigen Baumbestandes zu sorgen hatten. Der große Park in Istanbul wird bis heute als »Belgrader Wald« bezeichnet.17

Am 30. August 1521 verrichtete Süleyman in der rasch zur Moschee umgewidmeten Kirche der Unterstadt sein Gebet und kehrte, nachdem er Belgrad mit einer Besatzung von 3000 Janitscharen und 200 Geschützen versehen hatte, zum maßlosen Erstaunen der Ungarn nach Konstantinopel zurück. In einer offiziellen Erklärung ließ er überall in seinem Herrschaftsbereich verbreiten, dass er dem Rat seiner Beys gefolgt sei, da die Zeit nicht mehr gereicht habe, er aber gewiss seine Rache am König der Ungarn bei günstiger Gelegenheit noch verwirklichen werde.18

Nach dem Zeugnis des habsburgischen Diplomaten Ogier Ghislain de Busbecq soll es einer der drei größten Wünsche Süleymans gewesen sein, den Habsburgern den »goldenen Apfel von Wien« zu entreißen.19 Seit jeher hatten die Türken den goldenen Apfel als Symbol für eine große christliche Stadt angesehen, deren Eroberung nicht nur Reichtum und Prestige versprach, sondern auch als religiöse Pflicht aller Rechtgläubigen galt. Hatte zunächst Konstantinopel über Jahrhunderte ihre Fantasie beschäftigt, so übertrugen die Osmanen das Symbol später auf Rom und schließlich auf Wien.

Wäre Busbecqs Einschätzung zutreffend gewesen, so hätte der Sultan nach dem Fall Belgrads tatsächlich ganz Ungarn zu einer osmanischen Provinz machen müssen, um sich eine sichere Basis für den Vormarsch ins Reich zu verschaffen. Völlig überraschend für die noch unter Schock stehenden Ungarn überließ Süleyman jedoch das Land vorerst sich selbst und unternahm im Folgejahr mit seiner gesamten Armee einen Feldzug gegen den Johanniterstaat auf Rhodos. Nach dem Fall der Feste Akkon und dem Ende des Kreuzfahrerstaates im Jahre 1291 hatte sich der Ritterorden auf der Ägäisinsel festgesetzt und sich dort jahrzehntelang durch seine fortgesetzten Angriffe auf osmanische Pilgerschiffe und Getreidetransporter aus Ägypten als höchst unangenehmer Nachbar erwiesen. Nach sechsmonatiger Belagerung der Hauptfeste mussten der 57-jährige Großmeister Philippe de Villiers de l’Isle-Adam und seine 180 überlebenden Ordensritter im Dezember 1522 vor der osmanischen Hauptarmee kapitulieren.20 Sämtliche Munition war verschossen und trotz der üblichen Lippenbekenntnisse der europäischen Höfe hatten die Johanniter keine nennenswerte Hilfe erhalten. Ihre längst aussichtslose Lage ignorierend, gewährte der Sultan den hartnäckigen Verteidigern großmütig freien Abzug.

Auch die durch wiederholte Aufstände erzwungene Neuordnung Ägyptens, die der Sultan 1522 seinem langjährigen Vertrauten und späteren Großwesir İbrahim Pascha übertrug, wäre für Süleyman kaum ein Hinderungsgrund gewesen, Ungarn den allseits erwarteten Todesstoß spätestens im Folgejahr zu versetzen, wenn er es tatsächlich gewollt hätte.

Seine vorläufige Zurückhaltung gegenüber den Ungarn sollte sich indes als kluge Entscheidung erweisen. Selbst auf den Verlust seiner wichtigsten Festung wusste das zerstrittene Land keine überzeugende Antwort. Zwar hatte ein noch Ende 1521 von König Lajos II. einberufener Reichstag den einmütigen und begeistert gefeierten Beschluss gefasst, schon im kommenden Frühjahr einen Feldzug zur Rückeroberung von Belgrad zu unternehmen. Selbst die Stände hatten den notwendigen Steuererhöhungen einhellig zugestimmt und dem König sogar die Hälfte ihrer Einkünfte versprochen. Doch der momentanen patriotischen Aufwallung waren keine vergleichbaren Taten gefolgt. Als schließlich nur ein Bruchteil der erwarteten Einnahmen in die königlichen Kassen gelangte, verflog unter gegenseitigen Vorwürfen der Unterschlagung die ursprüngliche Begeisterung und der Feldzugsplan wurde bald ad acta gelegt.21 Unfähig, die Ressourcen des Landes zur Türkenabwehr zu bündeln, verfielen König und Magnaten wieder einmal auf den Gedanken, ihre Gesandtschaften auf den Reichstagen der Deutschen um Hilfe betteln zu lassen. Selbst Ferdinand spottete gegenüber seinem kaiserlichen Bruder, dass die weinerlichen Reden der Ungarn sogar Steine hätten erweichen können.22 Unbegründet waren die Erwartungen der Gesandtschaft aus Ofen allerdings nicht. Immerhin war Lajos II. 1515 in einer aufwendigen Doppelzeremonie im Wiener Stephansdom mit Maria, der älteren Schwester des Kaisers, verheiratet worden. Zugleich hatte Karls jüngerer Bruder Ferdinand im Gegenzug Anna, die Schwester des ungarischen Königs, geehelicht. Schwester und Schwager konnte man unmöglich ohne Hilfe lassen. So drängte also das habsburgische Brüderpaar nach dem Fall von Belgrad, der wieder einmal Schockwellen in der Christenheit ausgelöst hatte, die Reichsstände, den Ungarn nunmehr großzügige militärische Unterstützung zu gewähren. Die Hilfe sollte auf der Basis der im Vorjahr in Worms bewilligten, aber jetzt nicht mehr benötigten Romzughilfe erfolgen. Damals hatte der Reichstag dem Kaiser zur Rückeroberung von Mailand ein Heer von 20 000 Mann Infanterie und 4000 Reisigen (Reiter) auf sechs Monate bewilligt. Von diesem Maximum sollte Lajos zumindest einen Teil erhalten, sofern er glaubhafte Garantien geben konnte, das Hilfskorps mit Artillerie, Pulver und Kavallerie zu unterstützen und überdies die zollfreie Einfuhr von Verpflegung zu erlauben. Die Verhandlungen über diese Punkte zogen sich jedoch in die Länge, da nun auch die ungarischen Stände einbezogen werden sollten, und verloren bald an Dringlichkeit, als der befürchtete zweite große Heereszug des Sultans nach Ungarn zunächst ausblieb.

Gleichwohl kehrte nach dem Abzug der Osmanen an der ungarischen Südgrenze keine völlige Ruhe ein. Süleyman erwartete von seinen Grenzbefehlshabern, dass sie mit ihren örtlichen Aufgeboten bei günstiger Gelegenheit nach Kroatien oder in die Walachei eindrangen und nach Möglichkeit auch das zum Königreich Ungarn gehörende Siebenbürgen bedrohten. Nach der Auffassung der Zeit blieben ihre wiederholten Angriffe allerdings ebenso unterhalb der Schwelle des Krieges wie die nun erstmals seit 30 Jahren wieder einsetzenden Streifzüge der Akıncı in die habsburgischen Erblande. Diese von jeher exponierten Gebiete unterstanden seit dem Wormser Teilungsbeschluss von 1521 dem Statthalter des Kaisers im Reich, Erzherzog Ferdinand.

Der in Spanien geborene Bruder Karls V. zeigte sich entschlossen, allen zukünftigen Einfällen islamischer Streifscharen energischer als bisher entgegenzutreten und nach dem alten Vorbild der Ungarn auch in Kroatien eine befestigte Grenzlinie aus Forts und Wehrbauernsiedlungen einzurichten. Nennenswerte Kräfte konnte der Habsburger dafür vorerst jedoch nicht aufbieten. Als Ferdinand im Juni 1522 seinen wohl erfahrensten Feldhauptmann, den 63-jährigen Niklas von Salm, mit 3000 aus der sogenannten Türkenhilfe finanzierten Söldnern zur Una entsandte, ahnte gewiss niemand, dass dieser bescheidene Zug der Auftakt zu der 300-jährigen Geschichte der österreichisch-kroatischen Militärgrenze sein würde.23 Der Graf von Salm stand schon seit 40 Jahren in habsburgischen Diensten und sollte sieben Jahre später als Kommandant die Stadt Wien erfolgreich gegen Süleymans gesamte Heeresmacht verteidigen. Aus seiner im Grunde unlösbaren Aufgabe versuchte der ergraute Haudegen das Beste zu machen. Zwar musste Salm mehrere kleinere Raids der Akıncı zulassen, konnte aber 1524 einen größeren Angriff der Osmanen gegen die Stadt Kruppa abwehren.24 Im selben Jahr festigte auch ein kleiner Erfolg des Banus von Kroatien, Graf Christoph von Frangipani, erfochten vor der bosnischen Festung Jajce, den erschütterten Widerstandswillen der Ungarn.25 Zahlreiche Pferde, 60 Fahnen, mit Gold und Silber eingelegte Waffen sowie den Kopf des osmanischen Anführers entsandte der stolze Sieger nach Ofen, wo König Lajos ein Freudenfest veranstalten ließ.26 Ähnlich beruhigend auf die Stimmung im Lande wirkte ein freilich überbewerteter Erfolg des Erzbischofs von Kollotschau (Kalocsa), Pál Tomori, über einige Tausend Akıncı, die der Kleriker, ein bewährter Soldat, der auf seine alten Tage die Priesterlaufbahn eingeschlagen hatte, auf ihrem Rückzug durch Syrmien zersprengen konnte.

Vieles war somit zur Jahreswende 1525 / 26 zusammengekommen, um Süleyman endlich zu dem lange befürchteten zweiten Feldzug gegen die Ungarn zu veranlassen. Die Unbotmäßigkeiten eines Gegners, den der Sultan inzwischen als seinen Vasallen betrachtete, schienen überhandzunehmen. König Lajos II. hatte sich sogar zu der Dummheit verleiten lassen, einen Tribut einfordernden Gesandten der »Hohen Pforte« einfach einsperren zu lassen.27 Nicht zuletzt aber hatte eine blutige Revolte der in Konstantinopel stationierten Janitscharen im März 1525 den Sultan davon überzeugt, dass nur ein neuerlicher großer Kriegszug gegen die »Ungläubigen« der wachsenden Unzufriedenheit in seinem Elitekorps wirksam Abhilfe schaffen könnte.

Nicht ohne Sorge hatten Süleyman und der inzwischen zum Großwesir aufgestiegene Makbul İbrahim Pascha außerdem den Verlauf des Krieges der Habsburger gegen Frankreich verfolgt. Bei Pavia hatte Anfang 1525 Franz I. eine vernichtende Niederlage gegen die Landsknechte Karls V. erlitten. Die Macht des jungen Kaisers schien nach der Gefangennahme seines französischen Rivalen in dieser Schlacht kaum noch Grenzen zu haben. Das Eingreifen spanischer und italienischer Truppen auf der Seite der Ungarn drohte seither immer wahrscheinlicher zu werden. Mit Erleichterung wird Süleyman zur Kenntnis genommen haben, dass König Franz I. sich nach seiner Freilassung entschlossen zeigte, den Krieg gegen die Habsburger, die sein Königreich inzwischen von drei Seiten umklammert hielten, fortzusetzen. Die verzweifelten Versuche des allerchristlichsten Monarchen, mit den glaubensfremden Osmanen eine formale Allianz gegen seine erzkatholischen Gegner zu schmieden, blieben zwar zunächst ohne konkretes Ergebnis. Als Antwort erhielt Franz immerhin ein von Sultan und Großwesir unterzeichnetes Schreiben, das beider Wohlgefallen über die vorgetragene Bitte zum Ausdruck brachte.28 Aus osmanischer Sicht konnte es keinesfalls schaden, nunmehr die Verhältnisse in Ungarn durch einen zweiten Feldzug günstiger zu gestalten und damit auch erhebliche Kräfte des Kaisers zu binden. Er würde Frankreich die dringend benötigte Entlastung bringen und die französische Karte im europäischen Spiel halten, zu dessen vollwertigen Akteur das Reich des Sultans spätestens jetzt geworden war.

Am 23. April 1526, dem 11. Tag des Monats Rağab im Jahre 932 der islamischen Zeitrechnung, verließ der Sultan mit Großwesir İbrahim und dem Wesir Ajas Pascha seine Hauptstadt, um »in das unselige Ungarn einzufallen«.29 Am selben Tag, es war das Fest des heiligen St. Georg, kamen die Stände Ungarns zu einem Reichstag in Ofen zusammen. Wenn es noch eines weiteren Beweises bedurft hätte, dass die Großen des Landes in einer Parallelwelt lebten, so wurde er hier erbracht. Gewiss verabschiedete die hohe Versammlung im Ofener Schloss auch einige militärische Maßnahmen. So wurde Pál Tomori, der im Vorjahr siegreiche Erzbischof von Kalocsa, zum militärischen Beistand des erst 20-jährigen Königs ernannt. Außerdem sollten sich alle Bauern und Banderien des Landes zum 1. Juli auf dem großen Feld von Tolna einfinden, während an den siebenbürger Woiwoden János Szápolya der Befehl erging, mit seinen Truppen einen Ablenkungsangriff in die Walachei zu führen.

In der Hauptsache aber beschäftigte die in Ofen versammelten Magnaten wieder einmal die Frage, ob nicht etwa die Zahl der verhassten Deutschen im Gefolge der Königin Maria, der Schwester Karls V., endlich zu vermindern sei. Die Ungarn vermuteten unter den Ausländern zahlreiche Anhänger der neuen lutherischen Bewegung. Den König wiederum traf der Vorwurf, die wenigen Reichseinkünfte, die man ihm noch überlassen hatte, für ein lasterhaftes Luxusleben zu verausgaben. Lajos pflegte in der Tat nach durchfeierten Nächten erst sehr spät aufzustehen und seine Herrscherpflichten nur nachlässig zu erfüllen. Als die hohe Versammlung endlich nach zwei Wochen auseinanderging, meldete der päpstliche Gesandte am ungarischen Hof, Antonio da Burgio, ernüchtert nach Rom, dass Ungarn nun wohl auch zu den verlorenen christlichen Ländern zu rechnen sei.30

Unter diesen Auspizien war kaum zu erwarten, dass der ungarische Adelsstaat aus der dem miserablen Wetter zu verdankenden Verlangsamung des osmanischen Vormarsches noch einen greifbaren Vorteil schlagen konnte. Der Frühsommer des Entscheidungsjahres 1526 war ungewöhnlich regenreich, und die Armee des Sultans kam mit ihren 300 Geschützen auf den hoffnungslos verschlammten Wegen nur mühsam voran. Mit den Aufgeboten aus Rumelien und Anatolien gebot Süleyman über eine Kampfstärke von 40 000 Sipahis und 15 000 Janitscharen, dazu stießen unterwegs noch eine unbekannte Anzahl an Akıncı sowie sonstige Grenztruppen, sodass die osmanische Truppenzahl den gewöhnlich genannten 100 000 Mann wohl sehr nahegekommen sein dürfte.31 Erst am 29. Mai erreichte der gewaltige Heereszug Sofia, wo Bäche zu reißenden Gewässern angeschwollen waren und Dutzende von Zelten mit sich rissen. Es gab etliche Todesopfer. Die Disziplin musste mit drakonischen Mitteln aufrechterhalten werden. Wessen Pferd, ob versehentlich oder mit Absicht, auf ein eingesätes Feld geriet, verlor den Kopf.32 Als man am 10. Juni die serbische Morava erreichte, einen linken Nebenarm der Donau, hatte der starke Regen immer noch nicht nachgelassen. Der reißende Fluss erwies sich an der vorgesehenen Übergangsstelle als unpassierbar, und im Heer wuchsen laut Süleymans Feldzugstagebuch »Mut- und Ratlosigkeit«.33

Noch deprimierender war freilich die Lage auf ungarischer Seite. Dem König fehlten Truppen und Geld. Trotz beachtlicher päpstlicher Subsidien und der besonderen Erlaubnis Roms an den ungarischen Klerus, sogar das Kirchensilber zu veräußern, hatte sich bis Ende des Monats Juni auf dem Tolnarer Feld nur ein verzweifeltes Häuflein von wenigen Tausend Streitern eingefunden. Der König selbst musste sich das Geld für eine eigene Banderie vom päpstlichen Nuntius da Burgio erbetteln. Die meisten Adligen hatten sich dagegen auf ihre befestigten Herrensitze zurückgezogen, um dort die weiteren Ereignisse abzuwarten. Der ursprüngliche Plan, das Land schon an der Save zu verteidigen, erwies sich unter diesen Umständen als Fantasiegebilde.

Mitte Juli hatten die Osmanen unter der persönlichen Führung von Großwesir İbrahim Pascha endlich die Festung Peterwardein erreicht, die sich etwa 40 Kilometer nördlich von Belgrad auf einem von der Donau eng umflossenen Felsen erhob. Erzbischof Pál Tomori, der die Savelinie mit seinen nur 10 000 Mann nicht hatte halten können, ließ ein Zehntel seiner Streitmacht als Besatzung in der Festung zurück und zog sich mit dem Rest entlang des rechten Donauufers zunächst auf Bács zurück. Dort hoffte er, sich mit der in Tolna versammelten Hauptarmee des Königs vereinigen zu können, um einen Entsatz von Peterwardein zu wagen. Doch Lajos verharrte immer noch in Ofen, wo er auf weiteren Zuzug hoffte. Da viele Magnaten sich jedoch nur dann dem Heer anschließen wollten, wenn es vom König persönlich geführt würde, begab sich Lajos endlich am 20. Juli nach Tolna, wo er allerdings vorerst nicht mehr als 4000 Bewaffnete vorfand. Für die Rettung der bedrängten Festung war es ohnehin längst zu spät. Am 28. Juli, dem zwölften Tag der Belagerung von Peterwardein, erteilte İbrahim Pascha den Befehl zum entscheidenden Sturm, dem fast alle noch verbliebenen Verteidiger in kürzester Frist zum Opfer fielen. Nur 90 Ungarn, die sich in den Hauptturm der Anlage gerettet hatten, um dort ihren Widerstand fortzusetzen, gewährte der Großwesir nach kurzer Verhandlung freien Abzug.34 Die abgetrennten Köpfe von 500 gefallenen Verteidigern flankierten, auf Stangen genagelt, zwei Tage später den triumphalen Einzug des Sultans in die in Trümmer gelegte Stadt.

Die Nachricht vom Fall von Peterwardein versetzte ganz Ungarn erneut in Angst und Schrecken, ein Umdenken unter den Magnaten bewirkte der Rückschlag freilich nicht. Die Hoffnung des Monarchen, dass sich der Adel nun ohne Säumen mit seinen Aufgeboten dem königlichen Heerzug anschließen würde, blieb unerfüllt. Einzig zwei kleinere Abteilungen von je 1500 Mann, die unter Vermittlung des rührigen Nuntius Antonio da Burgio mit päpstlichen Geldern in Böhmen und Mähren angeworben worden waren, trafen noch in den ersten Augusttagen in Tolna ein. Alle Befehle an János Szápolya, sich mit seinem bei Szegedin an der Theiß versammelten Aufgebot entgegen seiner ursprünglichen Bestimmung mit den Truppen des Königs in Tolna zu vereinigen, waren bisher auf taube Ohren gestoßen. Seine Weigerung ließ im königlichen Lager rasch den Verdacht aufkommen, der mächtige Woiwode von Siebenbürgen könnte insgeheim in Absprache mit dem Sultan agieren. Dass Szápolya selbst auf die Königswürde spekulierte, war im ganzen Land längst ein offenes Geheimnis.35

Gleichwohl zeigten Süleyman und İbrahim Pascha nach der Erstürmung von Peterwardein keine besondere Eile, nach Norden auf Ofen und Pest vorzustoßen. Solange noch das 40 000 Mann starke Kontingent des siebenbürger Woiwoden in Szegedin stand, war ihre Flanke ernsthaft bedroht. Auch die Truppen des sich ebenfalls noch abseits haltenden Banus von Kroatien, Graf Christoph von Frangipani, blieben eine Gefahr. Erst am 22. August überschritt das osmanische Heer die Drau bei Essegg. Der Sultan ließ die Brücke, deren Bau immerhin fünf Tage gedauert hatte, sogleich hinter sich abbrennen, um keinen Gegner in seinem Rücken fürchten zu müssen.36 Vier Tage später erreichten die Spitzen seiner Armee die 30 Kilometer nördlich der Drau liegende Siedlung Baranyavár, wo erneut eine Rast eingelegt werden musste. Weiterhin setzte der Regen den osmanischen Truppen erheblich zu. Zur Erleichterung des Sultans meldeten seine Kundschafter nun aber, dass der Feind nur noch einen Tagesmarsch entfernt bei Mohács stand und offenbar entschlossen schien, sich auf der Ebene südlich der Stadt zum Entscheidungskampf zu stellen.

Auch wenn die Armee des Königs durch den Zuzug weiterer Truppen und durch die Vereinigung mit Erzbischof Tomoris Kontingent inzwischen auf vielleicht 28 000 Mann angewachsen war, erreichte die Stärke der Ungarn damit kaum ein Drittel der osmanischen Heeresmacht. Rechtzeitige Hilfe aus dem Reich war nicht zu erwarten. Zwar hatte der Speyerer Reichstag noch am 27. August eine neue Türkenhilfe beschlossen und sie dieses Mal sogar an erheblich gemilderte Bedingungen geknüpft. Die erforderlichen Geldmittel sollten allerdings erst im November an den vier dazu bestimmten Depotplätzen eintreffen.37

Obwohl im königlichen Feldlager davon noch nichts bekannt sein konnte, wäre es gleichwohl ratsam gewesen, sich wieder nach Norden zurückzuziehen, die Osmanen tiefer ins Land zu locken und zugleich ihre rückwärtigen Verbindungen zu attackieren. Dies hätten die kroatischen Truppen des Grafen von Frangipani und auch Szápolyas beträchtliche Streitmacht leicht besorgen können. Im königlichen Kriegsrat, der am 25. August im Feldlager von Mohács stattfand, verwarf man jedoch diese Lösung, da der Feind bereits zu nah sei. Ein jetzt noch eingeleiteter Rückzug konnte jederzeit in Flucht ausarten, was fraglos ein Auseinanderbrechen der ganzen Armee zur Folge haben würde. Wollte man aber hier und jetzt eine Schlacht gegen den Sultan schlagen, musste sie unbedingt offensiv geführt werden, andernfalls drohte dem kleineren ungarischen Heer die Überflügelung und Einkreisung. Wenn Erzbischof Tomori, der sich von allen am meisten für die Angriffslösung eingesetzt hatte, nun allerdings verkündete, dass die Armee des Sultans in Wahrheit nur aus »feigem Gesindel« bestehe, war dies wohl mehr ein Pfeifen im dunklen Wald.38 Der alte Kriegsmann wird es kaum selbst geglaubt haben.

Der 29. August 1526 versprach nach Wochen des deprimierenden Regens endlich ein schöner Tag zu werden. Zum letzten Mal für lange Zeit ging die Sonne über einem freien Ungarn auf. Erst dreieinhalb Jahrhunderte später sollte es durch den großen Ausgleich mit dem Habsburger Kaiserhaus als gleichberechtigter Teil der Doppelmonarchie wiedererstehen.

Das Schlachtfeld von Mohács, Schauplatz der wohl größten Katastrophe in der Geschichte Ungarns (bis zum Volksaufstand von 1956), dehnte sich auf dem linken Donauufer von der gleichnamigen Siedlung in Form eines Dreiecks etwa 10 000 Schritte nach Südwesten aus. Mohács bildete die obere Spitze dieses Dreiecks, die Ortschaften Kölked im Südosten sowie Groß-Nyárád im Südwesten waren seine unteren Eckpunkte. Im Nordwesten begrenzte das zukünftige Schlachtfeld ein ausgedehntes Waldgelände, das als Jagdgelände oder Tiergarten des Bischofs von Fünfkirchen diente. Das königliche Heer hatte sich etwa in der Mitte der Ebene platziert. Sein linker Flügel stand an die Ortschaft Kölked angelehnt, zum Waldgelände im Nordwesten klaffte dagegen eine große Lücke. Der aus Dutzenden von Fahrzeugen bestehende Tross der Ungarn hatte sich einige Hundert Meter südlich von Mohács zu einer großen Wagenburg formiert. 2000 Söldner waren zu ihrer Verteidigung zurückgelassen worden, was angesichts des ungünstigen Kräfteverhältnisses als Verschwendung gewertet werden muss.

Die Armee des Sultans hatte den Südrand der Ebene nach einem halben Tagesmarsch gegen Mittag erreicht und formierte sich, sobald sie das vor ihnen aufmarschierte ungarische Aufgebot erkannt hatte, ihrerseits in zwei Treffen zu einer Schlachtordnung von etwa 10 000 Schritt Ausdehnung. Links angelehnt an Groß-Nyárád bildete die Reiterei der Sipahis den starken westlichen (oder linken) Flügel der Osmanen, der die ungarische Streitmacht weit überragte. In seinem Zentrum platzierte Süleyman seine gesamte Artillerie, direkt dahinter marschierte als zweites Treffen die Masse des Janitscharenkorps in einer Stärke von etwa 10 000 Mann auf.


Schlacht bei Mohács, 1526. Zeitgenössische Darstellung aus der osmanischen Bilderhandschrift Hünername.

Die Ungarn hatten ebenfalls zwei Treffen gebildet. Hinter der durch 80 Kanonen geschützten Infanterie in der ersten Linie befand sich in tiefer Staffelung das ebenso starke Aufgebot, das der König von Tolna herangeführt hatte. Die im königlichen Kriegsrat aufgekommene Idee, den Angriff der Osmanen in einer großen Wagenburg nach dem Vorbild der tschechischen Hussiten abzuwarten, war von dem siegesgewissen Erzbischof Tomori mit großen Worten zugunsten einer sofortigen Offensive verworfen worden. Eile war in der Tat geboten, denn schon hatten die bosnischen Reiter des Sultans den als bischöflichen Tierpark bezeichneten Wald in der rechten Flanke der Ungarn besetzt. Alle teuer bezahlten Erfahrungen, welche die Ungarn seit dem Desaster von Nikopolis mit den Osmanen hatten sammeln müssen, schienen mit einem Mal vergessen, als Erzbischof Tomori mit der Masse der ungarischen Reiterei frontal in die rumelischen Deckungstruppen des Sultans hineinsprengte. Die zunächst noch mit ihrem Gepäck beschäftigten Gegner wichen geschickt nach beiden Seiten aus und ließen die Ungarn plötzlich direkt in die Rohre der verdeckt aufgefahrenen großen Batterie aus 300 Geschützen blicken. Einzelnen Reitergruppen glückte gleichwohl noch der Durchbruch, und manche der gepanzerten Angreifer drangen sogar tollkühn bis in die Nähe des Sultans vor. Die Masse der ungarischen Reiterei aber wurde durch das Feuer der osmanischen Geschütze und der jetzt vorrückenden Janitscharen zum Stehen gebracht. Rasch machte sich die gewaltige Übermacht der Osmanen bemerkbar, deren Schlachtaufstellung die der Ungarn weit überragte und die nun zügig an beiden Flügeln vorrückten. In ihrem Rücken bedroht, wandten sich die hinteren Reihen der Ungarn sofort zur Flucht, der umzingelte Rest leistete dagegen noch eine Zeit lang Widerstand. Nach zwei Stunden Kampf war das Heer des Königs zerschlagen. Lajos selbst ertrank, als er versuchte, nach Norden zu entkommen, in dem zum reißenden Gewässer mutierten Csele-Bach, einem linken Zufluss der Donau. Sein Pferd hatte sich beim Versuch, das steile und glitschige Bachufer zu ersteigen, überschlagen und den König unter sich begraben. Obwohl sich die Besatzung der Wagenburg sofort den Siegern ergab, ließ der Sultan alle Gefangenen, für die kein Lösegeld zu erwarten war, auf der Stelle töten. Nach der freilich übertriebenen osmanischen Zählung soll das Schachtfeld mit 24 000 Gefallenen bedeckt gewesen sein, darunter 4000 gepanzerte Reiter.39 Unter den Toten befand sich auch der den Osmanen besonders verhasste Erzbischof Tomori, dessen Kopf am Abend auf einer neben dem Zelt des Sultans aufgepflanzten Stange steckte. An einem einzigen Nachmittag hatte Ungarn sein Heer und seinen König verloren. Auch der Sieger hatte empfindliche Verluste erlitten. Wohl ein Fünftel des Janitscharenkorps fehlte am Ende des Feldzuges.40 Zwölf Tage später rückten das Heer des Sultans, von den noch intakten Aufgeboten Szápolyas und Frangipanis nicht weiter gestört, in die unverteidigte Hauptstadt des Reiches ein. Die Königinwitwe hatte Zeit genug gehabt, mit ihrem Hofstaat zunächst nach Pressburg zu fliehen. Obwohl der Sultan den Bewohnern Ofens Schonung zugesagt hatte, begannen seine rasch außer Kontrolle geratenen Truppen die Stadt zu brandschatzen, und ließen in ihrem Wüten nur das Schloss unversehrt. Die darin befindliche Bibliothek mitsamt der einst von Matthias Corvinus zusammengetragenen Kunstsammlung, eine der größten außerhalb Italiens, ließ Süleyman auf Kähnen nach Konstantinopel bringen.41 Nicht besser als Ofen erging es der Nachbarstadt Pest sowie dem gesamten Umland. Bis an die Grenzen der Steiermark drangen die Streifkorps vor, ehe Süleyman am 25. September seiner Armee den Befehl zum Rückzug erteilte und das weithin verwüstete Land vorerst sich selbst überließ. Sollte der Sultan je erwogen haben, eine Besatzung in Ofen zurückzulassen, hatte seine undisziplinierte Soldateska diese Pläne durchkreuzt. In der mutwillig zerstörten Stadt hätte sie den Winter kaum überstehen können. Einzig die Festung Peterwardein ließ der Sultan als nördlichsten Punkt osmanischer Präsenz in Ungarn von Soldaten seines Janitscharenkorps besetzen. Am 13. November 1526 kehrte Süleyman »glücklich«, wie es im Feldzugstagebuch prahlerisch hieß, in seine Hauptstadt zurück. Wohl 200 000 Ungarn hatten seinen Feldzug mit ihrem Leben bezahlt.42

Die Türken vor Wien

Подняться наверх