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5»Mit Freuden getrost dreinschlagen«
Luther und die Türken

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»Und jetzt, weil eben der Turck uns nahe kommt, zwingen mich solchs auch meine Freunde zu vollenden, sonderlich weil etliche ungeschickte Prediger bey uns Deutschen sind, die dem Pöbel einreden, man solle und müsse nicht widder die Turken kriegen, etliche aber auch so toll sind, dass sie lehren, es zieme auch keinem Christen, das weltlich Schwert zu führen oder zu regieren. Dazu, wie unser deutsch Volck ein wüst, wild Volck ist, ja schier halb Teuffel halb Mensch sind, begehren etliche der Turcken Zukunft und Regiment. Und solches Irrthums und Bosheit im Volk wird dem Luther alle Schuld gegeben.«

Martin Luther, Vom Kriege widder die Türcken1

Mit Freuden sollen die christlichen Soldaten »die Faust regen und getrost dreinschlagen, morden, rauben und Schaden tun, so viel immer sie vermögen«. So verkündete es der Wittenberger Theologe Martin Luther in seiner schon wenige Wochen nach der Belagerung Wiens erschienenen Heerpredigt wider die Türcken. Denn der Tuerck ist ein Feind und Tyrann nicht allein widder Christus, sondern auch widder den Keiser und die Oeberkeit.2 Zu seinem eindeutigen Bekenntnis zu einer christlichen Wehrhaftigkeit hatte der umstrittene Reformator allerdings lange gebraucht. Die Auslöschung Ungarns und zuletzt die Belagerung Wiens durch die Armee des Sultans hatten Luther seelisch so sehr zugesetzt, dass er seiner ersten großen Predigt Vom Kriege widder die Türcken sogleich nach dem Abzug der Osmanen aus Österreich einen zweiten großen Traktat gegen den »Erzfeind der Christenheit« folgen ließ. Die Gewissen wolle er unterrichten und danach die Faust ermahnen.

Lange war Luther vom Papst und etlichen Reichsfürsten besonders für die Resolutiones zu seinen Wittenberger Thesen gegen den Ablass heftig kritisiert worden. Darin hatte der Reformator im Mai 1518 zum Entsetzen vieler Zeitgenossen die Behauptung aufgestellt, dass der Türke nichts anderes als die »Zuchtrute Gottes« sei, mit der dieser die Christenheit wegen ihres verwerflichen Lebenswandels in den Staub werfe und gegen die sich Christenmenschen folglich nicht wehren dürften. Gegen den »Türcken« Krieg zu führen hieße also, gegen Gottes Willen zu kämpfen.3

Angesichts der dramatischen Zuspitzung der Lage auf dem nördlichen Balkan hatte Luther jedoch bald einsehen müssen, dass er sich mit seiner umstrittenen Erklärung auch im eigenen Lager angreifbar gemacht hatte. Von seinen Freunden und Mitstreitern gedrängt, entschloss er sich endlich, den lauter werdenden Vorwürfen seiner Feinde entgegenzutreten. Einen ersten Schritt hatte er bereits in seiner 1523 erschienenen Schrift Von weltlicher Obrigkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei getan. Gemäß der paulinisch-augustinischen Zwei-Reiche-Lehre bestritt Luther darin der Kirche als geistlicher Macht entschieden ein militärisches Widerstandsrecht. Ihre Aufgabe sei es allein, Seelsorge zu betreiben und das Wort Gottes zu verbreiten. Dagegen sprach Luther der weltlichen Macht, dem Kaiser und seinen Kriegsvölkern, nicht nur das Recht zu, den Staat und alle Untertanen gegen die Türken zu verteidigen. Es sei sogar ihre von Gott auferlegte Pflicht.

Besonders getroffen hatte Luther der von Papst Leo X. schon früh erhobene Vorwurf, dass seine Lehren die Christenheit zu spalten drohten und somit nur der Sache des Sultans nutzten. Entkräften konnte er diese Anklagen im Grunde nicht, und seine wiederholte Mahnung an die christlichen Fürsten, endlich einig gegen den äußeren Feind zu stehen, wirkte eher hilflos. Am Ende blieben ihm in seiner »Heerpredigt« nur erbitterte Tiraden gegen die fortgesetzte Eitelkeit und Genusssucht des deutschen Adels. »Denn unsere Jungker vom Adel haben bisher genug geprasst, geschlemmt, gerennt, gestolziert, geprangt, mit allzu überflüssiger Kost und Kleidung, da durch sie alles Geld aus dem deutschen Lande geschüttelt, und sich (ohne was der Sünden wider Gott ist) an Leib und Gut verderbet: es ist Zeit, dass sie auch ihren Stand und Amt beweisen, und einmal mit Ernst sehen lassen, dass sie vom Adel sind.«4

Obwohl Luther dem Staat eine politische Eigenrechtlichkeit zugestand, konnte der damals berühmteste Prediger Deutschlands, darin auch ein Kind seiner Zeit, nicht anders, als in seiner »Heerpredigt« den profanen Streit um Ungarn zwischen Ferdinand und Süleyman in ausschließlich endzeitlichen Bildern zu deuten.5 Der Kaiser, der nach seiner Überzeugung zwar Kriege zur Verteidigung führen dürfe, jedoch keine Religionskriege, wurde von Luther jetzt sogar in einen endzeitlichen Kampf gegen den »Antichristen« gestellt. Damit hob der Reformator seine kluge Unterscheidung zwischen geistlicher Macht und weltlichem Schwert praktisch wieder auf. Zurückgreifend auf die alte Vision des Propheten Daniel, dessen vier dem Meer entstiegene Ungeheuer nach gängiger Interpretation den vier großen aufeinanderfolgenden Reichen der Antike entsprachen, von denen das mächtigste und letzte gemeinhin als das Römische Reich gedeutet wurde, sah Luther jetzt der unmittelbaren Ankunft des »Antichristen« entgegen. Nachdem diesem bereits Ägypten, Syrien und Griechenland zum Opfer gefallen waren, würde er nunmehr die von Rom verbliebenen Königreiche im Westen verschlingen. Luther verwendete im ersten Teil seiner »Heerpredigt« seine ganze Beredsamkeit darauf, nachzuweisen, dass dieser prophezeite letzte Feind der Christenheit tatsächlich im Reich der Türken verkörpert sei. Als »Handlanger Satans« blase der »Turck« inzwischen, so warnte er, mit aller Macht zum letzten Angriff auf die geschrumpfte Bastion der Christenheit. Danach folgten schon göttliches Gericht und Hölle. Luther war außerdem davon überzeugt, dass der Papst eine zweite und noch gefährlichere Verkörperung des Antichristen sei, da er bereits innerhalb der eigenen Mauern stehe und die Seelen der Christen korrumpiere. Während der eine, so Luther, geistig und mit List wüte, würde der andere, der Türke, mit dem Schwert die Christenheit leiblich bedrängen.6 Der eine schaffe Märtyrer im Himmel, der andere aber (der Papst) werfe Christen in die Hölle. In seiner Radikalität scheute sich Luther nicht, beide Gegner fortan »Turck« zu nennen, womit er aus der ursprünglich ethnischen Bezeichnung eine Chiffre für das Universalböse machte. Als »Turcken« galten nach damaligem Verständnis auch alle Christen, die zum Islam konvertiert waren oder sich auch ohne Religionswechsel in den Dienst der Sultane gestellt hatten.

Luthers Kunstgriff – heute könnte man es getrost als »Hetze« bezeichnen – trug gewiss zur Dramatisierung seiner Eschatologie bei, ließ seine Argumentationen aber nicht schlüssiger erscheinen. Dass immerhin die Päpste mit ihren Kreuzzugspredigten, mit Diplomatie und Hilfszahlungen seit Jahrzehnten wiederholt namhafte Anstrengungen unternommen hatten, die ja auch von Luther angemahnte Allianz der christlichen Fürsten gegen die Osmanen zustande zu bringen, mochte der Urvater aller deutschen Gesinnungsethiker nicht einsehen. Ohne Johannes Capestranos Kreuzzügler wäre Belgrad schon 70 Jahre früher in die Hände der Osmanen gefallen, und ohne die vielfältigen Bemühungen des päpstlichen Nuntius Antonio da Burgio etwa um Anwerbung zusätzlicher böhmischer Kriegsknechte hätte der König von Ungarn bei Mohács mit einem noch viel schwächeren Heer dem Sultan entgegentreten müssen.

Angesichts eines bald drohenden zweiten Angriffs der Osmanen auf das Reich konnte Luther die satte Gleichgültigkeit seiner Landsleute nicht fassen. Er kenne recht seine »lieben Deutschen, die vollen Säue«, schrieb er, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, in seiner »Heerpredigt«. Sogleich nach der glücklichen Errettung Wiens seien sie in aller Undankbarkeit für die ihnen zuteilgewordene Gnade Gottes wieder in ihre alten Gewohnheiten des Zechens, Fluchens und Wohllebens zurückgefallen.7

Allein jedoch durch einen grundsätzlichen Wandel der Lebensführung, durch ernste Buße gegen Gott und aufrichtige Läuterung könne das Vaterland gegen die fortdauernde Türkengefahr bestehen. Vor dem Krieg gegen den äußeren Türken müsse daher erst der innere [Türke] bekämpft werden, also der eigene liederliche Hochmut. Ohne aber Gottes Gnade wiedererlangt zu haben, könne der Krieg gegen die satanischen Heerscharen des Sultans überhaupt nicht gewonnen werden. Dies zeige schon, so Luther, die nicht abreißende Kette türkischer Siege, die er als militärischer Laie sich nur mit der Macht des Teufels und fehlender göttlicher Unterstützung erklären konnte.

Luthers Predigten gegen die Osmanen gingen somit noch weit über die traditionelle Kreuzzugsrhetorik der Päpste hinaus. In seiner Verteufelung des Gegners scheute er sich auch nicht, die durch Berichte etlicher Reisender oder geflohener Gefangener bezeugte Lebensweise der Türken, die offenbar bescheidener, frömmer und sittenstrenger lebten als seine »wüsten« Landsleute, als List des Teufels ohne jeden moralischen Wert darzustellen. Der Islam sei nämlich wegen der äußerlichen Frömmigkeit seiner Anhänger noch keineswegs dem Christentum gleichwertig. Luther befasste sich in den dramatischen Monaten vor dem zweiten Einfall der Osmanen in das Reich erstmals auch mit der von dem spanischen Dominikaner Ricoldo da Monte di Croce stammenden lateinischen Übersetzung des Korans. In den Lehren des Propheten sah er dann auch nur perfide Entstellungen der biblischen Überlieferung. Neues sei darin nicht enthalten. Vor allem das gängige Argument, das »heilige Buch« des Islam erwähne ja auch Jesus Christus und verehre ihn sogar als heiligen Mann, wollte der Reformator nicht gelten lassen. Für Luther war der Islam (wie übrigens auch das Judentum) nur eine Gesetzesreligion, der die Erlösungsmöglichkeit (Soteriologie) vollkommen fehle, die durch den Kreuzestod Christi bewirkt wurde.

Es war typisch für den streitbaren Luther, dass er sich in seinen letzten Lebensjahren um die Herausgabe einer deutschen Ausgabe des Korans bemühte, nachdem der Papst bereits im Jahre 1530 die Verbrennung einer in Venedig gedruckten lateinischen Übersetzung befohlen hatte.8 Seiner festen Überzeugung nach würden dieses Buch und seine »lästerlichen Irrtümer« noch am ehesten entlarvt, wenn es jedermann selbst lesen könnte. Nur jemand, der seiner Vernunft vollkommen beraubt sei, so Luther, könne die Lehren Mohammeds annehmen, es sei denn, er verbinde sich wissentlich und willentlich mit dem Teufel.9 Den Gedanken einer Bekehrung der »Türken«, wie sie etwa Luthers Zeitgenossen Erasmus von Rotterdam oder Ulrich von Hutten ins Spiel gebracht hatten, betrachtete Luther angesichts der ja schon unmittelbar bevorstehenden Endzeit als sinnlos: Gleichwohl wollte er nicht ausschließen, dass »das Evangelium unter den Türken käme, wie denn wohl geschehen kan(n)«. Es wäre dann aber ein »Wunderwerk Gottes«.10

Dass gerade ein vom Papst und seiner Kurie befreites und reformiertes Christentum bessere Aussichten hätte, die »türkischen Heiden« zu bekehren, kam ihm nie in den Sinn. Zu stark war Luther vom dem Bild eines unmittelbar bevorstehenden letzten und totalen Kampfes gegen die beiden Verkörperungen des Antichristen in Rom und in Konstantinopel gefangen. Selbst vor einem denkbar radikalen Rat an seine Landsleute in den fernen habsburgischen Erblanden schreckte er nicht zurück. Sie sollten doch beim Herannahen des Türken lieber ihre Kinder opfern (die sie ohnehin nicht retten könnten), ihre Häuser niederbrennen, das Vieh töten und sämtliche Vorräte zerstören, um dem Feind ein wüstes Land zu hinterlassen. Wie schwankend und inkonsistent Luthers politische Empfehlungen auf seine Landsleute wirken mussten, bewies schließlich auch seine Ermahnung an jene unglücklichen Christen, die in osmanische Gefangenschaft geraten waren, unbedingt ihren Glauben zu bewahren. Ansonsten sollten sie aber ihr Sklavendasein auch unter den neuen Herren geduldig ertragen. Selbst in einer Epoche, in der die Aussagen der Bibel als absolute Wahrheiten von kaum jemandem bezweifelt wurden, musste es vielen als reichlich bizarre Schlussfolgerung Luthers erscheinen, dass er seinen von den Türken versklavten Glaubensbrüdern die Flucht im Namen seiner Obrigkeitslehre verbieten wollte. Sah er nicht, dass er damit christlicher und heidnischer Obrigkeit tatsächlich den gleichen Rang zuwies? In seinem letzten Lebensjahrzehnt scheint Luther immerhin von seiner panischen Eschatologie abgekommen zu sein. Den Kampf gegen den »Turcken« sah er nun als eine langwierige Auseinandersetzung, glaubte aber, dass der »Türke« im Jahre 1600 schließlich doch noch ganz Deutschland verwüsten werde.11

Die Türken vor Wien

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