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V. Fesselung des in Haft befindlichen Angeklagten
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Es macht einen überaus peinlichen Eindruck,wenn man…einen Angeklagten,dessen Schuld bis zur Beendigung derHauptverhandlung immer noch zweifelhaft sein muss,schon beim Beginne derselben… wie eingefährliches wildes Thier bewacht und behandelt sieht(Vargha Die Vertheidigung in Strafsachen, 1879, § 226) |
Gemäß § 119 Abs. 5 S. 2 a.F. ist der Angeklagte in der Hauptverhandlung in der Regel ungefesselt. Dieser Grundsatz entspricht immer noch der Würde der Angeklagten,[1] gerade auch unter dem Gesichtspunkt der Unschuldsvermutung. Durch das am 1.1.2010 in Kraft getretene Gesetz zur Änderung des Untersuchungshaftrechts vom 29.7.2009[2] ist diese Regelung entfallen. Beschränkungen zur Abwehr einer Flucht-, Verdunkelungs- oder Wiederholungsgefahr richten sich jetzt nach § 119 Abs. 1. Dieser enthält keine generelle Regelung der Fesselung; sie fällt auch nicht unter die Regelbeispiele des S. 2. Die Maßnahme ist daher unter Beachtung der Tatsache, dass es sich bei der Fesselung um einen gewichtigen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht handelt[3] auf ihre konkrete Erforderlichkeit zu prüfen und im Einzelnen zu begründen.[4] Dabei erscheinen die in § 119 Abs. 5 S. 1 a.F. genannten Kriterien für die Anordnung der Fesselung brauchbar, wonach diese bei Gefahr der Gewaltanwendung oder des Widerstandes (Nr. 1), bei Fluchtgefahr oder Gefahr der Befreiung aus dem Gewahrsam (Nr. 2) sowie bei Suizidgefahr oder Gefahr der Selbstschädigung (Nr. 3) als zulässig erachtet wurde. Allerdings ist die „Fluchtgefahr“, die für eine Fesselung erforderlich ist, nicht gleichzusetzen mit der Fluchtgefahr i.S.d. § 112 Abs. 2 Nr. 2. Anderenfalls würde jeder wegen Fluchtgefahr erlassene Haftbefehl die Fesselung rechtfertigen.
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Der Fesselungsgrund muss auf konkreten Tatsachen beruhen[5] und zur Beseitigung oder Verringerung der in § 119 Abs. 5 S. 1 a.F. genannten Gefahren notwendig sein.[6] Die Anordnung für lediglich denkbare künftige Ereignisse reicht nicht aus. Aus der Anordnungskompetenz des Richters ergibt sich, dass dieser die Maßnahme in eigener Verantwortung und nach eigener Prüfung der Sachlage trifft. Es genügt nicht, dass er sich auf die Anordnungen der Haftanstalt beruft, die für den Transport des Angeklagten aus der Haft in die Hauptverhandlung verantwortlich ist. Die Kriterien, die für den Transport gelten, können nicht unbedingt für die Hauptverhandlung Geltung beanspruchen. Hier ist insbesondere zu berücksichtigen, dass der aus der Haft in die Hauptverhandlung verbrachte Angeklagte dort regelmäßig besonders bewacht wird. Zwei vor dem einzigen Ausgang des Verhandlungssaales postierte Polizeibeamte dürften die Fluchtgefahr im Normalfall auf ein Minimum reduzieren. Etwas anderes mag bei einem Verfahren im Bereich der organisierten Kriminalität gelten, wobei in diesem Fall aber auch die sonstigen Sicherungsmaßnahmen der möglichen Gefahr angepasst sein dürften, so dass es auch hier letztlich nicht auf die (Hand-)Fesselung des Angeklagten ankommen wird.
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Auch die Art der Fesselung hat sich an der Notwendigkeit der Maßnahme zu orientieren.[7] Danach ist nur die Fesselung an den Händen oder an den Füßen zulässig. Einer etwa noch bestehenden Fluchtgefahr dürfte in der Regel die Fußfesselung ausreichend entgegen wirken. Sie lässt dem Angeklagten zumindest auch die Möglichkeit, schriftliche Unterlagen zu benutzen und sich Notizen über den Prozess zu machen. Der Vorsitzende, der dies untersagt, riskiert bei entsprechendem Widerspruch des Verteidigers den Revisionsgrund des § 338 Nr. 8.
Hinweis
Hält der Verteidiger die Voraussetzungen einer Fesselung nicht für gegeben und macht das Gericht zu Beginn der Hauptverhandlung keine Anstalten, die Abnahme der Fesseln anzuordnen, so ist es angebracht, den Vorsitzenden zunächst hieran zu erinnern. Weigert sich dieser, so ist hiergegen gemäß § 238 Abs. 2 ein Gerichtsbeschluss herbeizuführen, da die Anordnung der Fesselung während der Hauptverhandlung eine Maßnahme der Verhandlungsleitung darstellt. Da die Fesselung nicht nur eine Entwürdigung des Angeklagten darstellt, sondern diesen auch in seinen Verteidigungsmöglichkeiten beschränken kann, sollte der Verteidiger diese Gesichtspunkte in die Begründung seines Widerspruchs aufnehmen und, je nach der Begründung der Gerichtsentscheidung, auch die Ablehnung wegen Befangenheit in Erwägung ziehen.