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ОглавлениеTeil 3 Beginn der Hauptverhandlung › IX. Besetzungsrügen › 4. Überprüfung der Besetzung
4. Überprüfung der Besetzung[1]
a) Berufsrichter
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Die Überprüfung der Gerichtsbesetzung besteht zunächst darin, das hierfür notwendige „Material“ zu beschaffen. Dem Verteidiger müssen der Geschäftsverteilungsplan des Gerichts für das entsprechende Geschäftsjahr und sämtliche Präsidialbeschlüsse, die sich mit den Änderungen des Geschäftsverteilungsplans befassen, vorliegen.
Hinweis
Die Geschäftsverteilungspläne der Landgerichte und Oberlandesgerichte findet der Verteidiger in der Regel im Internet auf der Homepage des jeweiligen Gerichts. Vorsichtshalber sollte er sich aber bei der Überprüfung der Gerichtsbesetzung bei der Geschäftsstelle auch noch die jüngsten Präsidialbeschlüsse zeigen lassen, die möglicherweise im Internet noch nicht eingestellt sind.
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Das Recht auf Einsicht in den Geschäftsverteilungsplan einschließlich der ändernden und ergänzenden Präsidialbeschlüsse ergibt sich aus § 21e Abs. 9 GVG. Es empfiehlt sich, die entsprechenden Unterlagen auszudrucken und sich rechtzeitig vor Beginn der Hauptverhandlung mit der Besetzungsfrage zu befassen. Dies gilt vor allem dann, wenn die Besetzungsmitteilung rechtzeitig erfolgt ist, damit der Besetzungseinwand fristgerecht erfolgen kann. Sind nicht alle Präsidialbeschlüsse bereits im Internet abzurufen, ist ein Antrag auf Einsicht zu stellen.
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Muster 6 Antrag auf Einsicht in den Geschäftsverteilungsplan
An den
Herrn Präsidenten
des Landgerichts
…
In der Strafsache
gegen …
b e a n t r a g e
ich Einsicht in den Geschäftsverteilungsplan des laufenden Geschäftsjahres einschließlich der ändernden oder ergänzenden Präsidialbeschlüsse und bitte darum, mir Kopien hiervon zu überlassen.
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Das Gesetz und der im GVG vorgesehene Geschäftsverteilungsplan müssen, so eindeutig und genau wie möglich, die zuständigen Richter bestimmen.[2] Der Anspruch des Angeklagten auf seinen gesetzlichen Richter (vgl. § 16 S. 2 GVG) hat Verfassungsrang (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG). Der Inhalt und die Handhabung des Geschäftsverteilungsplans haben sich hieran messen zu lassen. Bei der Besetzung der Spruchkörper ist generell so eindeutig wie möglich festzulegen, welche Richter zur Entscheidung des einzelnen Falles berufen sind und wer im Vertretungsfall an ihre Stelle tritt.[3] Auch die Art der Verteilung auf die verschiedenen Spruchkörper eines Gerichts muss eindeutig geregelt sein.
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Die Einrichtung von Spezialspruchkörpern ist zulässig, wenn ihre Zuständigkeit sich nach abstrakten Merkmalen bestimmt (z.B. nach der Art des Delikts).[4] Auch ein sogenanntes „rollierendes System“, bei dem die Zuständigkeit nach Eingangszahlen wechselt, die über mehrere Jahre hinweg im Voraus festgelegt sind, ist nicht rechtswidrig.[5]
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Die Überbesetzung der Kollegialgerichte ist zulässig. Ein Spruchkörper darf daher auch mehr Mitglieder haben als für eine Entscheidung in voller Besetzung benötigt wird, wenn dies für eine geordnete Rechtspflege unvermeidbar und vom Vorsitzenden Richter zu bewältigen ist.[6] Die frühere Rechtsprechung, wonach die Zahl der Richter dadurch begrenzt war, dass der Spruchkörper in Sachen, bei deren Entscheidung die größte Anzahl seiner Mitglieder mitwirken muss, nicht in zwei völlig personenverschiedenen Sitzgruppen gleichzeitig tagen durfte,[7] ist überholt. Die Große Strafkammer beim Landgericht darf also auch neben dem Vorsitzenden mit drei Beisitzern besetzt sein.[8] Zulässig ist auch die praktisch häufig geübte Zuteilung an mehrere Spruchkörper. Auch der Vorsitz in mehreren Spruchkörpern ist möglich, sofern der Vorsitzende seine Aufgaben ausreichend wahrnehmen kann.[9]
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Der Geschäftsverteilungsplan muss auch die Vertretung bei vorübergehender Verhinderung regeln. Voraussehbare Verhinderungsfälle, z.B. in der Haupturlaubszeit, sind bereits bei Aufstellung des Geschäftsverteilungsplans zu berücksichtigen.[10] Nur bei offensichtlicher Verhinderung aus tatsächlichen Gründen (z.B. bei Krankheit, Urlaub, kurzfristige Abordnung o.Ä.) ist die geschäftsplanmäßige Vertretung ohne weiteres zulässig. Bei Verhinderung durch Überlastung eines Richters bedarf diese der Feststellung durch den Gerichtspräsidenten, die vor der Hauptverhandlung, spätestens aber im Rahmen des Verfahrens nach §§ 222a, 222b ergehen muss.[11] Fehlt eine solche Entscheidung über die Verhinderung des Richters, ist das Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt.[12] Wegen weiterer Einzelheiten zu Fragen der Gerichtsbesetzung ist auf die Kommentierungen zu § 16 und §§ 21a–21j GVG zu verweisen.
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Einen Spezialfall der Gerichtsbesetzung regelt § 76 Abs. 2 GVG. Entgegen der grundsätzlichen Besetzungsregelung des § 76 Abs. 1 GVG, wonach die Strafkammer mit drei Richtern und zwei Schöffen besetzt ist, beschließt die große Strafkammer bei der Eröffnung des Hauptverfahrens, also stets durch drei Berufsrichter ohne Mitwirkung der Schöffen,[13] dass sie in der Hauptverhandlung mit zwei Richtern und zwei Schöffen besetzt ist, wenn sie nicht als Schwurgericht zuständig ist (Nr. 1), keine Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung, deren Vorbehalt oder die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zu erwarten ist (Nr. 2) oder nach dem Umfang oder der Schwierigkeit der Sache die Mitwirkung eines dritten Richters nicht notwendig erscheint (Nr. 3). Umstände, die für die Bedeutsamkeit der Sache sprechen, sind etwa die große Zahl der Angeklagten und der vorgeworfenen Straftaten, die große Zahl der Zeugen und sonstiger Beweismittel, der erhebliche Umfang der Akten und die lange Dauer des Verfahrens. Die Schwierigkeit der Sache kann sich vor allem aus der schwierigen Beweissituation und der Komplexität der aufgeworfenen Sach- und Rechtsfragen ergeben.[14] Bei der Entscheidung über die Besetzung nach § 76 Abs. 2 GVG hat die Kammer einen weiten Beurteilungsspielraum, der nur dann in unvertretbarer Weise überschritten ist, wenn das Gericht objektiv willkürlich gehandelt hat,[15] so etwa bei einer Anklage mit Hunderten von Anklagepunkten gegen einen nicht geständigen Angeklagten.[16] Nach § 76 Abs. 3 GVG ist die Mitwirkung eines dritten Richters in der Regel notwendig, wenn die Hauptverhandlung voraussichtlich länger als zehn Tage dauern wird[17] oder die große Strafkammer als Wirtschaftsstrafkammer tätig wird. Will der Verteidiger einen Verstoß gegen § 76 Abs. 2 GVG in der Revision rügen, muss auch diese Beanstandung geltend gemacht werden,[18] selbst wenn die Gerichtsbesetzung nach § 222a nicht mitgeteilt worden ist.[19]
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Besondere Aufmerksamkeit verdienen die Präsidialbeschlüsse, die den jeweils für ein Jahr zu beschließenden Geschäftsverteilungsplan vorzeitig ändern. Regelmäßig besteht der Grund für derartige Beschlüsse in der starken Auslastung oder Überlastung der Spruchkörper. Mit einer Entscheidung des 3. Strafsenats des BGH[20] wurde gegenüber der früheren recht großzügigen Rechtsprechung ein „Kurswechsel“ hin zur genaueren Rechtmäßigkeitsprüfung bei Geschäftsverteilungsplänen eingeläutet.[21] Nimmt das Präsidium während des laufenden Geschäftsjahres eine Änderung der Geschäftsverteilung vor, so muss der Änderungsgrund im Beschluss des Präsidiums oder einem Protokoll festgehalten werden, damit überprüfbar ist, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die nur ausnahmsweise zulässige Änderung der Geschäftsverteilung vorlagen. Der Präsidiumsbeschluss muss so detailliert begründet sein, dass eine Prüfung seiner Rechtmäßigkeit möglich ist; denn (auch) von Verfassung wegen sind Regelungen der Zuständigkeit, anders als deren Anwendung, nicht lediglich am Maßstab der Willkür, sondern auf jede Rechtswidrigkeit hin zu prüfen.[22] Hinzuweisen ist auf das Erfordernis genauer Begründung bei der Annahme der Überlastung einer Strafkammer und der damit verbundenen Umverteilung von Verfahren[23] oder der Einrichtung von Hilfsstrafkammern,[24] bei der Einzelzuweisung von Verfahren ohne Gesamtkonzept zur Entlastung der Strafkammer[25] oder bei einer Ad-hoc-Bestellung eines außerordentlichen Vertreters.[26] Die Forderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung, in all diesen Fällen Änderungen des Geschäftsverteilungsplans detailliert zu begründen und deren Notwendigkeit nachvollziehbar darzulegen, gibt dem Verteidiger erhöhte Chancen für eine erfolgreiche Besetzungsrüge.[27] Allerdings kann das Präsidium die fehlende Begründung der Geschäftsverteilungsplanänderung bis zur Entscheidung über die Rüge nachholen und dadurch den ursprünglichen Mangel heilen.[28]
b) Schöffen
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Zur Überprüfung, ob die Auswahl der Schöffen dem Gesetz entspricht, benötigt der Verteidiger die Vorschlagsliste der Gemeinde (§ 36 Abs. 1 GVG), die Protokolle und Unterlagen über die Aufstellung und öffentliche Auslegung der Vorschlagslisten (§ 36 Abs. 3 GVG), den Geschäftsplan des Amtsgerichts, die Unterlagen, aus denen sich die von der Landesregierung zu bestimmenden Verwaltungsbeamten und das Protokoll über die Wahl der Vertrauenspersonen (§ 40 Abs. 2 GVG) ergeben, sowie das Schöffenwahlprotokoll nebst Schöffen- und Hilfsschöffenlisten (§ 44 GVG).
Hinweis
Da die Überprüfung der Schöffenwahl sehr zeitaufwändig sein kann, empfiehlt sich noch mehr als bei der Besetzungsprüfung bezüglich der Berufsrichter, die Beschaffung der Unterlagen so früh wie möglich vor Beginn der Hauptverhandlung zu veranlassen. Der Verteidiger hat einen Rechtsanspruch auf Einsicht in die genannten Unterlagen.[29]
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Muster 7 Antrag auf Einsicht in die Schöffenwahlunterlagen
An das
Landgericht
…
In der Strafsache
gegen …
b e a n t r a g e
ich zur Überprüfung der Gerichtsbesetzung Einsicht in die Schöffenvorschlagsliste der Gemeinde X, das Protokoll der Gemeinderatssitzung über die Aufstellung der Vorschlagsliste, die Unterlagen über die Auslegung der Vorschlagsliste, den Geschäftsverteilungsplan des Amtsgerichts, die Unterlagen, aus denen sich die von der Landesregierung zu bestimmenden Verwaltungsbeamten und das Protokoll über die Wahl der Vertrauenspersonen ergeben, sowie das Schöffenwahlprotokoll nebst Schöffen- und Hilfsschöffenlisten.
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Bei der Überprüfung der Besetzung hinsichtlich der Schöffen hat der Verteidiger Folgendes zu beachten: Die Mitwirkung eines nach § 32 GVG wegen gerichtlicher Verurteilung (Nr. 1), schwebendem Ermittlungsverfahren (Nr. 2) oder behördlicher Beschränkung über das Vermögen (Nr. 3) zur Amtsausübung unfähigen Schöffen führt zur vorschriftswidrigen Besetzung des Gerichts und auf entsprechende Rüge zur Urteilsaufhebung nach § 338 Nr. 1.[30] Die §§ 33, 34 GVG stellen dagegen bloße Ordnungsvorschriften dar, deren Nichtbeachtung die Revision nicht begründen kann.[31]
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Nach § 36 Abs. 2 GVG soll die Vorschlagsliste der Gemeinden zwar alle Gruppen der Bevölkerung angemessen berücksichtigen. Allerdings machen Mängel der Vorschlagslisten nicht die Besetzung des Gerichts fehlerhaft.[32]
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Das Verfahren der nach § 42 GVG vorzunehmenden Schöffenwahl ist nicht geregelt. Es muss jedoch auf jeden Fall eine echte Wahl stattfinden, die den Ausschussmitgliedern Gelegenheit gibt, die angemessene Berücksichtigung aller Bevölkerungsgruppen zu beachten.[33] Unzulässig ist daher die pauschale Übernahme der von anderen Gremien getroffenen Auswahl,[34] ebenso die Auslosung der Schöffen anstelle einer Wahl.[35] Zulässig soll es dagegen sein, wenn der Ausschuss zunächst, als den Wahlakt vorbereitende Handlung, die Schöffen auslost und sodann förmlich wählt,[36] oder wenn der Ausschussvorsitzende jeden zweiten Schöffen aus der Vorschlagsliste zur Wahl stellt.[37] Die Schöffenwahl ist zu wiederholen, wenn sie fehlerhaft war und sich der Wahlfehler auf die Besetzung der gerichtlichen Spruchkörper auswirken kann.[38]
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Wesentliche Fehler beim Auslosungsverfahren gemäß § 45 Abs. 2, Abs. 3 GVG, etwa die fehlende Öffentlichkeit, führen zur fehlerhaften Besetzung des Gerichts.[39] Dasselbe gilt, wenn eine Auslosung überhaupt nicht stattgefunden hat.[40] Nicht gerügt werden kann dagegen die Auslosung durch einen unzuständigen Richter.[41]