Читать книгу terrane Manifestationen - Klaus Paschenda - Страница 17
Оглавление11 To-Do !?
Daphne hatte sich die Aufzeichnungen der Satelliten angesehen. La Ferme schien ein altes, kleines Landgut in der oberrheinischen Tiefebene zu sein. Ein einspuriger, mit einer alten Teerdecke befestigter Weg, führte zu einem Tor innerhalb eines Türmchens. Nach längerem Überlegen hatte sie beschlossen, dort unangekündigt vorbeizuschauen.
Leise surrend folgte ihr Elektro, vom Autopiloten gesteuert, dem Weg, den alte Platanen säumten. In La Ferme blinkten, in allen Räumen versteckt angebrachte, rote Leuchtdioden auf. Maxim, der sich gerade einen grünen Tee gemacht hatte, reagierte zuerst. Ein Blick auf den Screen neben der Tür zeigte, dass sich ein fremdes Fahrzeug dem Anwesen näherte.
Watsons Kinder hatten sofort eine Analyse des Fahrzeugs vorgenommen. Es handelte sich um eine Mittelklasselimousine, Elektroallradantrieb, mittlere Schutzklasse. Ein Zugriff auf alle Steuerungsfunktionen war möglich. Die Person im Fahrzeug war ebenfalls identifiziert. Es war die Juristin von ihrem Geschäftspartner in der Sache Nachrichtenübertragung durch verschränkte Signale. Die biometrischen Daten von Daphne liefen über die Screens, Größe, Gewicht, andere sehr persönliche Daten wie etwa Körbchengröße 75C. Eine derartige Informationstiefe war dem theoretischen Physiker Maxim peinlich. Da er sowieso gerade eine Pause machte, übermittelte er an alle: „Ich übernehme das, kommt rüber oder bleibt vor euren Screens.“ Die roten Leuchtdioden erloschen.
Pierre meldete sich: „Das ist eine gute Gelegenheit, unseren neuen Empfang zu testen.“
„Denke ich auch“, kommentierte Marie aus der Küche.
„Benimm dich anständig und sei höflich zu der Dame“, warf Geniè ihm nach. Sie wusste, wie stur und steif ihr Bruder sein konnte. Maxim wies Watsons Kinder an, die Steuerung des Fahrzeugs zu übernehmen. Das Fahrzeug sollte langsam auf das Tor zu fahren, damit es direkt davor nochmals gescannt werden konnte.
Daphnes Aufmerksamkeit richtete sich schlagartig auf die Kontrolle ihres E-Autos. Statt der Anzeige ‚Autopilot‘ stand dort ‚externe Steuerung‘. Sie hatte weder eine Anforderung dazu erhalten noch eine Freigabe erteilt. Gleichzeitig teilte ihr die freundliche Stimme der Bord-KI mit: „Ihre Fahrt wird fortgesetzt. Der Parkvorgang wird durch die KI der eingegebenen Zielkoordinaten übernommen.“ Damit hatte sie nicht gerechnet. Offensichtlich war man hier nicht nur auf dem aktuellsten Stand der Technik, sondern auch in der Lage andere Dinge zu tun. Kurz vor dem Tor verringerte sich die Geschwindigkeit auf Schritttempo. Das Tor öffnete sich. Der Wagen rollte langsam in einen dunklen Raum. Alle Wände schienen das Licht, welches durch das sich schließende Tor noch eindrang, zu absorbieren. Langsam erhellte eine diffuse Beleuchtung den Raum. Sie war von Spiegeln umgeben, kein Laut war zu hören. Ihr wurde ein wenig mulmig. Doch das Spiel mit der Realität ging weiter. Die Spiegel wechselten zu Bildern. Vor ihr schien der Weg durch eine grüne Wiese bis zum Horizont zu gehen. Sie schaute nach links, nach rechts: überall grüne Wiese, ein paar weiße Schäfchenwolken auf einem kitschig blauen Himmel. Hinter sich das gleiche Bild wie vorne, absolute Stille. Wusste man hier, warum sie kam: Die Frage nach der Realität. Bot man ihr deswegen diese Show? Sie hatte niemandem gesagt, dass sie diesen Besuch plante. ‚Ich hoffe nur, sie sind so freundlich, wie sie technisch gut sind‘, dachte sie. Sie löste den Sicherheitsgurt und wollte die Tür öffnen. Es blieb bei einem vergeblichen Versuch.
„Guten Tag, Frau Konstantineopulos.“ Das war ihre Bord-KI.
„Ebenfalls einen guten Tag. Dürfte ich bitte aussteigen?“, gab sie höflich zurück.
‚Wer oder was hat mein Auto gehackt? Gibt es auch Menschen hier? Was soll das werden? Vielleicht hätte ich mich doch anmelden sollen‘, ging es ihr durch den Kopf.
„Sie sind nicht angemeldet. Haben Sie also bitte Verständnis, dass unsere Sicherheitsverfahren direkt greifen. Mein Name ist Maxim. Bitte legen Sie Ihr Tablet und Ihre Watch in das Sicherheitsfach Ihres Autos. Anschließend können sie aussteigen.“
Sie folgte den Anweisungen. Das Fach verriegelte sofort. Das ging eigentlich nur durch Eingabe ihres persönlichen Codes. Offensichtlich auch geknackt. Die Fahrertür ließ sich öffnen. Ratlos, verunsichert stieg sie aus. Gekleidet hatte sie sich mit einem schlichten dunkelblauen Kleid, für ihren Berufsstand schon fast auffällig, aber laut Dress-Consultant waren blau, grau, weiß die passenden Farben in Frankreich. Mutige trugen einen Hauch rot dazu. Farblich ergänzte sie die Landschaft perfekt. Die Luft hatte sich in echte Landluft gewandelt, passend zu den Bildern, die sie umgaben. Aber kein Mensch weit und breit.
„Sie haben doch keine Angst vor Hunden, oder?“, ließ sich Maxims Stimme vernehmen, die aber nicht zu orten war. Was half es, da musste sie durch. Schon hörte sie ein Tappen und ein großer Berner Sennenhund tauchte aus einer Nebelwolke auf, die vor einem Teil der linken Wand entstanden war. Er schnupperte, nahm ihren Duft auf, während sie ruhig, aber angespannt stand. Dann trollte er sich wieder davon.
„Gut, für Hamlet sind Sie unauffällig!“, kommentierte Maxim und fuhr fort:
„Es mag indiskret sein, aber wir haben Sie gescannt. Sicherheit wird hier sehr groß geschrieben. Das Ergebnis ist in Ordnung. Sie tragen keine aktiven Halbleiter, aber ein Silberkettchen, wenige kleinere Drahtteile konnten wir ebenfalls detektieren.
Ich muss Sie darauf hinweisen, das alles, was Sie von uns erfahren, und ich ergänze, hier bei uns erleben, gemäß den Verträgen der absoluten Geheimhaltung unterliegt.“
Durch die noch vorhandene Nebelwolke trat ein mittelgroßer Franzose etwas steif auf sie zu. „Folgen Sie mir bitte.“ Geheuer war ihr das nicht. Für einen Security-Typen bewegte er sich zu eckig, nicht sonderlich durchtrainiert, obwohl er ansonsten gut aussah.
Offensichtlich befanden sie sich in einem Nebenraum des Torgebäudes. Ein kleines Fenster ermöglichte den Blick auf die umliegenden Felder. Moderne Technik konnte sie nirgends entdecken. Mit Holz verkleidete Wände und Lampen mit echten Glühbirnen waren im originalen Zustand von vor wahrscheinlich hundert Jahren. An einer Theke, auch schon älter, standen mehrere Hocker. Klassische Corbusier-Sessel36 in dunkelrotem Leder boten auf der anderen Seite des Raumes Sitzplätze an. Das war ein kleiner Stilbruch, harmonisierte aber mit dem gemütlichen Raum.
„Mein Name ist Maxim, ich bin Mitbesitzer dieses Anwesens. Was darf ich Ihnen anbieten?“
Augenblicklich erschien auf der Wand hinter der Bar ein Bild von mehreren Getränken. Die Holzwand war doch keine Holzwand. Realitäten waren hier nicht immer so real wie sie ausschauten. Sie wählte eine Orangina.37 Maxim öffnete umständlich eine Kühlschublade und stellte die kleine, kugelförmige Flasche auf die Theke. Daphne versuchte, die technische Ausstattung zu analysieren, fand aber keine Ansatzpunkte.
„Was ist Ihr Anliegen?“ kam es kurz und knapp von Maxim. In seinem Kopf arbeitete es: Ob das jetzt unhöflich ist, so direkt zu fragen? Vielleicht sollte man es angehen, wie er es neulich in einer dieser Seifenopern gesehen hatte: ‚Oder machen Sie nur einen netten Landausflug? Dann muss ich Sie enttäuschen. Wir sind kein Motel, wo man nett mit dem Barkeeper schäkern kann. Obwohl, ich muss zugeben, bei Ihnen würde ich auch die Rolle des Barkeepers übernehmen.‘
Da Daphne sich mit der Antwort Zeit ließ, konnte Maxim mit seinen Gedanken wieder zurückkommen.
„Erstens bin ich grundsätzlich daran interessiert, meine Vertragspartner persönlich kennenzulernen. Da Sie mich nicht eingeladen haben, schau ich von mir aus hier vorbei. Zweitens ist für mich aus dem letzten Treffen mit Ihrer Gruppe noch die Frage der realen Wahrnehmung beispielsweise eines Tisches offen. Ich nehme an, Sie kennen das Protokoll.“
„Ja, ich lese alle Protokolle“, bestätigte Maxim. ‚Was soll ich sonst sagen‘, dachte er, ‚dass ich ihren Lebenslauf, ihre Schuhgröße oder was auch immer kenne. Sie wird ebenfalls genau wissen, wer ich bin.
Geniè wäre wahrscheinlich jetzt frech: Wo ist denn, bei der ganzen Technik, das Problem mit dem Tisch? Soll ich die Orangina vielleicht auf den Fußboden stellen? Dann können wir die Theke entsorgen und sind das Tischproblem los.‘
Maxim versuchte es mit einem einfachen Satz: „Der Tisch hier, auf dem ihre Orangina steht, existiert.“
Daphne schaute ihn verdutzt an. ‚War der immer so kommunikativ?‘ Sie wusste, dass er Physiker war, aber das Thema war sachlich und unpersönlich. ‚Da konnten die doch auch wohl reden oder? Vielleicht kann ich ihn ein wenig aus der Reserve locken.‘
„Sie sollten wissen, dass der Tisch hier nur scheinbar existiert“, erwiderte sie „und auch die Orangina existiert ebenfalls nur vermutlich.“
‚Warum sollten Orangina und Tisch nur vermutlich existieren? Die Frage hatten wir doch schon beantwortet.‘
Da fiel Maxim auf, dass er weder die Flasche geöffnet noch ein Glas dazugestellt hatte.
‚Manchmal bin ich ein echter Depp‘, dachte er. Schweigend öffnete er die Flasche.
Jetzt brauche ich einen netten Satz.‘
„Sie können bitte die tatsächliche Existenz der Orangina überprüfen.“
Daphne war geübt darin, keine Reaktionen zu zeigen. Am liebsten hätte sie laut gelacht. So hatte ihr noch niemand ein Getränk angeboten. Das Gespräch lief überhaupt nicht wie von ihr angedacht. Neuer Versuch.
„Um auf die Realitätswahrnehmung zurückzukommen. Ihre Kollegin hat angedeutet, dass es da einen Ansatz gäbe.“ Am liebsten hätte sie hinzugefügt: ‚Sie sind da sicher kompetent?‘ Aber der Mann war knochentrocken, hätte einen guten Juristen abgegeben.
„Wir schauen in der Datenbank nach.“
‚Was sollte man sonst dazu sagen?‘ Maxim aktivierte die Wand neben ihnen, die sich augenblicklich in einen Screen verwandelte. Er tippte auf das Feld ‚akustische Eingabe‘ und forderte an: „Sinnliche Wahrnehmung von Realität, Literaturauflistung nach Relevanz bezüglich Erkenntnistheorie aufsteigend, schnelles Lesetempo!“
Auf dem Screen raste eine Liste von Literaturstellen durch. Worte wie Physik, Biologie, Psychologie konnte Daphne gerade noch vorbeihuschen sehen. ‚So schnell kann doch kein Mensch lesen.‘
„Das ist das, was uns bekannt ist“, kommentierte Maxim. „Ist Ihre Frage damit beantwortet?“
„Nein, das bringt mich in der Sache nicht weiter.“
‚Ich kann auch kurz‘, dachte Daphne und fragte: „Wie lautet die Antwort kurz und knapp?“
‚Vielleicht muss ich das ein wenig erläutern‘, überlegte Maxim, ‚etwa wie für die Presse.‘
Er holte tief Luft und begann: „Nach der ersten Recherche von Watsons Kindern waren es circa Dreihunderttausend Zitate. Eine Schlüssigkeitsanalyse auf hermeneutischer Basis reduzierte das auf weniger als hundert. Davon waren die meisten inhaltlich mehr oder weniger deckungsgleich. Die kürzeste und aus heutiger Sicht brauchbarste Formulierung ist die des hypothetischen Realismus:
Wir nehmen an, dass es eine reale Welt gibt, dass sie gewisse Strukturen hat und dass diese Strukturen teilweise erkennbar sind, und prüfen, wie weit wir mit diesen Hypothesen kommen.38
Das ist es.“
Maxim lehnte sich ein wenig zurück. ‚Ob sie jetzt Ruhe gab? Das war doch nun sehr ausführlich.‘
„So einfach kann das nicht sein. Aber erst, wer sind Watsons Kinder?“
„Watsons Kinder sind unsere KI“, beantwortet Maxim die Frage.
Daphne wollte das genauer wissen: „Was hat Ihre KI mit Kindern zu tun? Lautet der Satz ausführlich ‚Watsons Kinder sind unsere Kinder‘?“
Maxim überlegte, was er offen legen sollte. Da das Gespräch als geheim klassifiziert war, antwortete er: „Wir helfen der IBM gelegentlich und sind dafür Premiumkunde. Unsere KI benutzt unter anderem das Programm Watson von IBM, daher der Name.“
‚Gut‘, dachte Daphne, ‚wir wissen schon lange, dass sie ihre KI vornehmlich bei IBM kaufen.‘
Sie kam auf das eigentliche Thema zurück: „Zu Ihrem Zitat. Das Problem wird so nicht gelöst. Man nimmt nur an, man hätte eine Lösung. Wir nehmen an, dass wir den Tisch so erkennen, wie er ist, solange wir nicht eines Besseren belehrt werden. Wissen Sie, wie unbefriedigend das ist? Ein anderes Beispiel, kein Tisch: Jemand wird wegen einer Straftat angeklagt. Aus verschiedenen Perspektiven sehen der Sachverhalt, die Tatsituation unterschiedlich aus. Wir wissen nicht, ob er die Tat begangen hat, sondern können nur vermuten. Mit Ihrem Zitat ginge das dann so weiter: Wir nehmen einfach an, dass der Angeklagte die Tat begangen hat und verurteilen ihn, bis wir eines Besseren belehrt werden. Mit der Annahme kommen wir gut weiter.
Genauso könnten die Verteidiger argumentieren: Wir nehmen kurzer Hand an, dass der Angeklagte die Tat nicht begangen hat, und verurteilen ihn nicht, was übrigens das Unschuldsprinzip ist, bis wir eines Besseren belehrt werden. Das könnte beispielsweise ein weiterer Mord sein.
Zurück zum Tisch: Ein Skeptiker kann genauso gut argumentieren, wie der Verteidiger. Wir nehmen an, dass wir den Tisch nicht erkennen, wie er ist, solange wir nicht eines Besseren belehrt werden. Können Sie mir denn erklären, warum der hypothetische Realismus dem angedeuteten Skeptizismus vorzuziehen ist?“
Das gefiel Maxim, das waren Aussagen, mit denen im Kopf gespielt werden konnte: „Ihre Analogie zur Juristerei erläutert das Problem. Sie haben Recht, dass der vorgestellte Ansatz keine Lösung des Problems ist. Wir haben auch keine. Nur so müssen wir nicht täglich verzweifeln. Der naive Realismus, wie wir ihn täglich leben, geht davon aus, dass wir die Dinge wahrnehmen, wie sie sind. Wenn wir sagen, dass unsere Wahrnehmung sich am hypothetischen Realismus orientiert, soll im Kern nur gesagt werden, dass wir uns der Tatsache bewusst sind, dass das, was wir erkennen, nicht garantiert eine Eigenschaft der jeweiligen Wirklichkeit ist. Wir Realisten sind immer auf der Hut vor Sinnestäuschungen.
Als Skeptizisten, die alles und jedes bezweifeln, bekämen wir kaum was zu essen. Da kommt von hinten der pragmatische Gedanke ins Spiel.
Und: In Ihrem Beispiel würde ich den Angeklagten verurteilen, damit nicht ich morgen im Grab liege.“
Daphne war erstaunt. Ihr Gegenüber schaffte mehr als drei Sätze. Sie warf ein:
„Über Letzteres könnte trefflich gestritten werden!“
Maxim fuhr fort: „Als Naturwissenschaftler, wenn ich diesen alten Begriff benutzen darf, haben wir folgende Aussagen immer im Kopf: Wer misst, misst Mist! Und: Wer denkt, er denkt, der denkt nur, dass er denkt.
Im Kern: Mit den besten Methoden der Physik kommt der Mensch der Wirklichkeit nicht näher. Da hilft kein Messgerät, das wir ablesen können. Es bleibt der Mensch das schwächste Glied in der Kette der Erkenntnis von Wirklichkeit.
Ergänzend ist zu erwähnen, dass es in der Quantenphysik Phänomene gibt, wo erst durch das Wahrnehmen eines Objektes der Zustand des Objektes festgeschrieben wird.
In die Juristerei übertragen bedeutet das: Wenn ein Mensch auf die Anklagebank gesetzt wird, erzeugt dieses Setzen schon fast die Tatsache, dass er schuldig ist. Weil das aber nicht rechtens sein kann, wird dann das Unschuldsprinzip auf den Tisch gelegt. Nur kann gefragt werden, was psychologisch das größere Argument ist.“
‚Das war es‘, dachte Maxim. ‚Dem ist nichts mehr hinzuzufügen.‘
Daphne fasste zusammen: „Eine überzeugende Lösung für das Wahrnehmungsproblem gibt es nicht. Die Kantsche Grundfrage ‚Was kann ich wissen?‘39 bleibt im Kern unbeantwortet. Es bleibt also, mit der täglichen Wahrnehmung zurückhaltend, hinterfragend umzugehen.
In Anlehnung an Sokrates heißt das: ‚Ich erkenne, dass ich es nicht erkenne.‘40 Tiefer geht es kaum.“
Maxim nickte zustimmend. Die Sache war abgehandelt. Über Manifestationen wollte er jetzt nicht reden.
Die eigenartige Reflexivität von ‚ich weiß, dass ich nichts weiß‘ verunsicherte Daphne. Wenn wir nicht wissen, was wir wissen können oder was wir erkennen können, hat die Technik ein Problem. Sie stellte die Frage:
„Wie sicher ist denn das Wissen Ihrer KI, das Wissen von Watsons Kindern? Eigentlich wissen die doch auch nichts. Sie verlassen sich aber darauf. Oder ist das nur ein scheinbares Vertrauen auf die Maschine? Ist da nicht ein Widerspruch?“
‚Das ist doch klar‘, dachte Maxim und brachte es kurz auf den Punkt:
„Die KI hat eine Menge an Informationen, die der Mensch beschafft hat. Damit ist diese Menge so sicher oder unsicher wie jede menschliche Erkenntnis. Es ist, anders formuliert, die Niederschrift von Erkanntem, von letztlich aber immer zu Bezweifelndem. Möchten Sie jetzt über maschinelle Wahrnehmung sprechen?“
Kaum hatte er den Mund geschlossen, schoss es ihm durch den Kopf: ‚War das zu kurz, war das unhöflich? Ich soll nett sein, hat Schwesterchen gesagt.‘ Er überwand sich:
„Sie stellen interessante Fragen. Wären Sie bereit, zu einem gemeinsamen Essen mit einigen von uns? Wir würden uns freuen.“
Damit hatte Daphne gar nicht gerechnet. ‚Eine Einladung zu einem knochentrockenen Essen?‘ Sie wußte nichts von den kulinarischen Vorlieben der Bewohner von La Ferme. Das war für ihre recherchierenden Abteilungen uninteressant gewesen.
„Vielen Dank für die Einladung. Das ist sehr freundlich von Ihnen“, gab sie zurück.
„Ich werde mich melden“, versicherte sie ergänzend.
Nach einigen weiteren steifen Sätzen verließ Daphne La Ferme.
36 Der Corbusier Sessel ist ein klassischer würfelförmiger Sessel im Design von 1929, üblicherweise schwarzes Leder im Chromgestell.
37 Orangina ist eine französische Orangenlimonade.
38 Vollmer, Gerhard: Evolutionäre Erkenntnistheorie; Stuttgart, 6. Aufl. 1994, S. 35
39 Kant hat vier Grundfragen formuliert, die immer wieder zitiert werden:
- Was kann ich wissen?
- Was soll ich tun?
- Was darf ich hoffen?
- Was ist der Mensch?
Aus: Kant, Immanuel: Werke VI, Logik. Ein Handbuch zu Vorlesungen (1800), Theorie-Ausgabe; Frankfurt, 1964, S. 447
40 ‚Ich weiß, dass ich nichts weiß.‘ wird Sokrates zugeschrieben.