Читать книгу Alles Fake oder was? - Klaus Robra - Страница 7
d i e f r a g e a l l e r f r a g e n
Оглавлениеich frage dich: wer bist du eigentlich?
der „große versucher“? mephistofeles gar?
oh nein, beileibe nicht! und warum nicht?
ganz einfach: bin nicht mephisto und nicht dr. faust
ball‘ nicht einmal die faust
schon gar nicht öffentlich.
wie nennt man so etwas? krise vielleicht?
gar schaffenskrise? wer weiß?
drum sei’s (beziehungsweise umgekehrt)
und wer bin also ich?
ein ent-täuschter ent-täuscher?
doch gott sei dank wohl nicht nur das.
wider die angst, ein epigone zu sein
alles wurde schon gesagt.
nichts neues gibt es unter der sonne.
ist das wahr?
ich jedenfalls bin ein heim-poet.
ich mache, wenn ich will
und der kopf steht mir danach,
der sinn, das herz und das gemüt,
zu beinah‘ jedem thema
ein lyrisches gedicht.
‘s ist parodie, ‘s ist kitsch oder auch nicht, sei’s drum!
denn was gehört zu dem gedicht?
was ist das: ein gedicht?
es ist die form, sagt herr wapnewski
(ein kluger mann, auch sehr gelehrt).
es ist der sinn, sag ich, sinn, bild und rhythmus,
musik und kunst, in sprache aufgehoben.
ist das genug? ich weiß es nicht,
vielleicht ist es auch schon zu viel.
den freien rhythmus halt‘ ich für ein edles instrument.
ich weiß: es klingt trotzdem wie jambus,
weimar, klassik, shakespeare, racine, molière,
corneille und vergil
ist also abgelebt und ausgestanden.
ist es das wirklich?
hallt nicht das gestern im heute fort?
sind wir nicht erben?
haben wir heutigen nur kleinkram zu erzählen?
es dürfte anders sein.
wo ein gedanke ist, da ist auch sinn,
und denken heißt: gedanken haben.
„gedankenlyrik“? meinetwegen.
doch auch die topoi sind gedanken?
die stilfiguren: bloßes beiwerk?
mich reizt, gefühl, musik, vorstellung und
gedanken zu verbinden
zum weiter treibend freien spiel
zum freien jazz in wogend-ätzendem versteh’n,
das auflöst überkommenes,
das neue blüten treibt
und schöpferisch die welt verändert.
so ist mein stil. ich kenne ihn,
kennt ihr ihn auch?
und was ist neu daran?
Schon durch seine lyrischen Versuche fühlte Franz sich hoch motiviert und sozusagen prädestiniert, Germanistik und Philosophie zu studieren, womit er im Wintersemester 1962/63 begann, und zwar an der altehrwürdigen Albertus-Magnus-Universität zu Köln am Rhein. Für diese Wahl waren mehrere unterschiedliche Faktoren maß-geblich, und nicht zuletzt die Tatsache, dass Melanie bereits seit einem Semester in Köln Hauswirtschaft (Ökotrophologie) studierte. An der Stadt Köln, der Colonia Agrippinensis, faszinierte Franz die einzigartige Verbindung von Antike, Mittelalter und Moderne, wobei das Mittelalter durch den mächtigen, prachtvollen und ständig re-staurierungsbedürftigen Hohen Dom, neben den zahlreichen romani-schen Kirchen, eine Sonderstellung einnahm. Auch wenn er, der Pro-testant, den damit verbundenen religiösen Anspruch stets von sich wies. Wohingegen er die Millionenstadt Köln, die bedeutendste Metropole am Rhein, hochschätzte, zunächst jedenfalls. Köln – das war für ihn der Inbegriff nicht des „finsteren Mittelalters“, sondern von Weltoffenheit, Internationalität, Toleranz und hochkultivierter Urbanität, zumal dort schon damals Migranten aus fast 200 Nationen durchweg friedlich mit der deutschstämmigen Bevölkerung zusam-menlebten.
Auch in Albertus Magnus (ca. 1197-1280), dem Namensgeber der Universität, sah Franz einen Garanten für Weltoffenheit und Univer-
salität, wovon auch dessen Beiname ‚doctor universalis‘ Zeugnis ablegt. Aus Süddeutschland stammend, hatte Albert während seinesStudiums und seiner Dozenten-Tätigkeit lange Zeit im Ausland ver-bracht, vornehmlich in Italien, aber auch lange Jahre in Köln, dies einschließlich der letzten 20 Jahre seines Lebens. Philosophisch galt sein Hauptaugenmerk dem Werk des Aristoteles, das er als einer der ersten seinen Zeitgenossen nahe brachte. Wie sein großes altgriechi-sches Vorbild legte er größten Wert auf die direkte Beobachtung der Natur, so dass er u.a. eine zweibändige Zoologie verfassen konnte. Erkenntnis hielt er nur als Ergebnis eines fein abgestimmten Zusam-menwirkens von Wahrnehmung, Beobachtung und Denken für möglich, und zwar sogar im Zugang zu den Ganzheiten der Schöp-fung und der Schöpfung als Ganzer. Was ihn nicht daran hinderte, die Objekt-Bereiche von Theologie, Philosophie und Wissenschaft deut-lich voneinander abzugrenzen, obwohl er selbst fast ausschließlich im Dienst der Kirche bzw. des Dominikaner-Ordens tätig war.
Glauben und Wissen – das wurde auch für Franz immer wieder zum Problem. Nicht zufrieden gab er sich mit Kants Lösung, wonach der Glaube rein subjektiv, jegliches Wissen dagegen auch objektiv, d.h. auf nachprüfbaren Fakten beruhend sei. Franzens Einwand: Auch Glaubenswahrheiten können auf Fakten beruhen, auf konkreten Erfah-rungen wie dem Leben Jesu, dem Wirken christlicher Persönlichkeiten und nicht-christlicher Religionsstifter. Religionsphilosophie ist ohnehin nicht denkbar, wenn sie nicht beiden Aufgaben gerecht wird: sowohl der Unterscheidung als auch der Synthese von Glauben und Wissen.
Mit deutscher Literatur, speziell zu Köln und dem Rheinland, hatte Franz sich schon während der Bundeswehr-Zeit immer wieder be-schäftigt. Im Mittelpunkt stand dabei der in Köln verwurzelte Hein-rich Böll mit seinen sozialkritischen Milieu-Schilderungen und Zeit-Analysen. Dessen Roman Das Brot der frühen Jahre spielt vor allem im kleinbürgerlichen Milieu rheinischer Haushalte, Cafés und Waschsalons. Über den Hauptakteur, den jungen Elektriker Walter Fendrich, ist in ‚Kindlers Literaturlexikon‘ zu lesen: „Er hat seine Jugend in den Jahren chronischen Hungers nach dem Zweiten Welt-krieg verlebt, als Brot und Zigaretten die Währungseinheit darstellten; er hat Gier, Egoismus, brutale Härte in unverhüllter Form kennen-gelernt und entdeckt sie noch jetzt, in der Zeit der Wirtschaftsblüte, überall hinter der Fassade satter Rechtschaffenheit. Brot ist ihm zum Symbol geworden, zum Symbol für Selbstlosigkeit und Liebe, aber auch für Hartherzigkeit und Gleichgültigkeit; die Fähigkeit, Brot ver-schenken zu können, entscheidet über den sittlichen und meta-physischen Wert eines Menschen. Mit diesem Gewicht gewogen,
werden – mit wenigen Ausnahmen, darunter Fendrichs Eltern – alle als zu leicht befunden.“
Worauf der Elektriker mit Hass und Resignation reagiert, bis ihm eines Tages die große Liebe in Gestalt eines jungen Mädchens begegnet, eine Liebe, die ihn völlig verwandelt und vom blinden Hasser zum verständnisvollen Bejaher alles Vergangenen, Gegen-wärtigen und Zukünftigen werden lässt. Eine Verwandlung, die Franz zutiefst erschütterte, zumal sie ihn veranlasste, seine eigene Beziehung zu Melanie einer kritischen Prüfung zu unterziehen, die eher proble-matisch ausfiel. Was aber seiner Freude an der Böll-Lektüre keinen Abbruch tat.
Billard um halbzehn, aus dem Jahre 1959, erstreckt sich über fast die gesamte erste Hälfte des 20. Jahrhunderts. Böll erzählt darin die Ge-schichte von drei Generationen einer großbürgerlichen rheinischen Familie, in der nicht klar ist, wohin man ideologisch gehört: zum großspurigen Nationalismus, „germanischen“ Neuheidentum oder personalen Christentum, wobei das Humanum, das Individuell-Menschliche, mehr und mehr verloren zu gehen scheint. Die Personen der Handlung sind außerstande, ihre Konflikte vernünftig auszutragen und isolieren sich folglich immer mehr voneinander. Christlicher Nonkonformismus scheint dennoch möglich, kommt aber nicht recht zum Tragen, so dass die ganze Entwicklung unbefriedigend verläuft.
Was die germanistischen und philosophischen Abteilungen der Kölner Philosophischen Fakultät an Proseminaren und Vorlesungen zu bieten hatte, nutzte Franz gern und ausgiebig. In den Proseminaren tat er sich durch rege Teilnahme an den Diskussionen hervor. Zu Bölls Brot der frühen Jahre entspann sich eines Tages die folgende Auseinanderset-zung zwischen Franz, der Kommilitonin X und dem Kommilitonen Y: Kommilitonin X: „Böll übt hier zwar Sozialkritik, aber auf einer viel zu schmalen Basis: dem Kleinbürgertum. Dadurch fehlt ihm ständig der Überblick über das größere Ganze.“ Darauf Y: „Das Ganze ist das Unwahre, wie Adorno feststellt. Außerdem kann man das Ganze ohnehin nicht überblicken. Man muss sich fragen, was Böll denn eigentlich bezweckt und was er vielleicht erreichen kann.“ Franz: „Schwer zu sagen. Wer ist eigentlich das Mädchen Hedwig, das an-geblich die große Wende im Leben des Elektrikers herbeiführt? Wir wissen es nicht, oder besser: Wir wissen zu wenig von ihr, als dass wir von ihrer „Großtat“ überzeugt sein könnten.“ X: „Schlimmer noch: Die aus kleinbürgerlichem Milieu stammende Hedwig maßt sich an, das ganze Bürgertum zu kritisieren.“ Franz: „Das ist aber nicht des Pudels Kern. Böll will vor allem zeigen, wie Gleichgültigkeit und Überheblichkeit alles Zwischenmenschliche belasten und sogar
zerstören können.“ Y: „Ja, finde ich auch. Und wenn das so ist, kann man Böll schon gar keinen Strick daraus drehen. Er hat Beachtliches geleistet und sich in den nachfolgenden Werken sogar selbst über-troffen.“ X: „Das steht aber auf einem anderen Blatt. Das können wir heute nicht auch noch diskutieren. Lassen wir’s also erstmal gut sein!“
Auch in den philosophischen Angeboten der Kölner Fakultät fand Franz zunächst genügend Stoff für seine Interessen, obwohl dieses Angebot sich hauptsächlich auf die Antike und das Mittelalter konzentrierte. Besonders faszinierend fand Franz die Vorsokratiker mit ihrer bohrenden Neugier, hellwachen Beobachtung und dem Wunsch, allen Dingen auf den Grund zu gehen, für alles möglichst einen materiellen Ur-Grund zu finden, sei es im Wasser, in der Erde, im Feuer, in der Luft oder im Licht. Das war die ursprüngliche Neugier, der Wissensdurst, von dem die abendländische Geistes-geschichte nachhaltig geprägt wurde.
Was Franz jedoch schmerzlich vermisste, waren Lehrveranstaltungen und Forschungsprojekte zum Marxismus, und zwar umso mehr, als er von Dirk und Ruven, seinen ehemaligen Mitschülern, die schon seit mehr als drei Semestern in Tübingen bzw. Heidelberg studierten, erfuhr, welche Möglichkeiten dort in Sachen Marxismus geboten wurden. Leider geriet er deswegen sogar in Streit mit seiner Freundin Melanie, die darüber ganz anders dachte als er. Ein entscheidendes Streitgespräch zwischen ihnen verlief folgendermaßen:
Franz: „Mit Marx und dem Marxismus haben die hier in Köln ja nichts am Hut. Eigentlich unglaublich und unverzeihlich.“
Melanie: „Ach Gottchen! Geh‘ mir doch weh mit deinem Opa Marx, der hat doch sooo’n Bart!“
F.: „Sooo’n Bart? Nun denn, ‘n Vollbart hatte der ja wirklich, ‘n ziemlich langen sogar! Heißt aber nicht, dass er heute nicht mehr aktuell ist.“
M.: „Nicht? Wirklich nicht? Wie sieht sie denn aktuell aus, die Lehre von Marx? Die haben wir doch im Osten, also direkt vor unserer Haustür, mehr als deutlich vor Augen! Da sieht man, wo Marx hin gekommen ist, mit seiner sogenannten Diktatur des Proletariats!“
F.: „Eine ganz heiße Kiste, ein Fass ohne Boden, was du da auf-machst! Sehr umstritten. 50 Jahre Diktatur, dazu noch über das Pro-letariat? Nee, das wollte Marx bestimmt nicht!“
M. „Es ist aber zweifellos so gekommen! Du solltest mal der Realität ins Auge schauen.“
F.: „Realität? Aha, du meinst wohl den berühmten „real existierenden Sozialismus“, der keiner ist.“
M.: „Verdammt nochmal! Du drehst einem ja das Wort im Mund ‘rum. Ich glaube langsam, mit dir kann man gar nicht darüber reden.“
F.: „Das wäre schlimm, liebe Melanie, wenn wir nicht mehr reden könnten, sehr schlimm! Ich nehme an, du hältst es mal wieder mit Martin Luther: ‚Das Wort sie sollen lassen stah’n!‘ Ganz im Sinne seiner Buchstabengläubigkeit. Jeder weiß doch, was dabei heraus-gekommen ist.“
M.: „So, so, meinst du also. Ich will dir mal was sagen: Hätte ich zwischen Luther und Marx zu wählen, würde ich auf jeden Fall Luther vorziehen.“
F.: „Ach ja? Tatsächlich? Obwohl Luther sich so oft abfällig über Frauen geäußert hat und in seiner Buchstabengläubigkeit sogar der Paulinischen Erbsündenlehre auf den Leim gegangen ist und dann die Willensfreiheit des Menschen einfach geleugnet hat? Und was tat er im Bauernkrieg, dieser Prophet der Nächstenliebe? Schlug sich einfach auf die Seite der Adligen!“
M.: „Na und? Lieber adelig als krimineller Bauernlümmel!“
F.: „Oho, sieh an! Das ist ja ganz neu! Das Dämchen wird adelig! Na dann viel Vergnügen! Aber ohne mich!“
M.: „Du willst mich einfach nicht verstehen. Ist ja nicht das erste Mal, dass wir Streit kriegen!“
F.: „Ja, wenn das so ist, das macht mich stutzig, sehr sogar. Anschei-nend stimmt was nich zwischen uns. Au weia!“
M.: „Ja, au weia, würd‘ ich auch sagen. Und noch viel Spaß bei den Bauernlümmeln, wünsch‘ ich dir!“
Woraufhin Franz sich bald verabschiedete – mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Weinend, weil er nun fürchtete, Melanie zu verlieren; lachend, weil er sich jetzt für neue Erlebnisse offen fühlte. Wozu sich schon bald Gelegenheit bot, nämlich im Kölner Karneval, dem ‚Fastelovend‘, an dem Franz eine flüchtige, aber heftige Liebes-Affäre widerfuhr, die er wenig später in dem folgenden Gedicht fest-zuhalten hoffte: