Читать книгу Kinder mit Behinderungen in inklusiven Kindertagesstätten - Klaus Sarimski - Страница 10
1.1.1 Unterschiedliche Formen sozialer Integration
ОглавлениеGeht man von der Praxis aus, so finden sich unter dem Begriff der sozialen Integration behinderter Kinder im Kindergarten heutzutage sehr unterschiedliche Formen von gemeinsamer Erziehung behinderter und nicht behinderter Kinder.
• Es gibt behinderte Kinder, die den allgemeinen Kindergarten besuchen, ohne dass sie dort spezielle Förderung erhalten oder die Erzieherinnen1 durch sonderpädagogische oder therapeutische Fachkräfte unterstützt werden.
• Unter dem Titel »Einzelintegrationsmaßnahme« werden andere Kinder in den allgemeinen Kindergarten aufgenommen und erhalten dort zusätzliche Förderangebote durch eine Fachkraft. Eine Beratung durch eine Frühförderstelle oder Reduzierung der Gruppenstärke ist vorgesehen, sodass die Erzieherinnen ihren spezifischen Bedürfnissen gerecht werden können.
• In »integrativen Gruppen« (in Regel- oder Sonderkindergärten) findet ein zusätzliches Betreuungsangebot und Beratung statt, die Gruppenstärke ist auf maximal 12–18 Kinder reduziert, darunter höchstens fünf Kinder mit zusätzlichem Förderbedarf.
• Bei der sogenannten »umgekehrten Integration« werden Kinder ohne zusätzlichen Förderbedarf in einen bereits bestehenden Sonderkindergarten oder eine Schulvorbereitende Einrichtung (SVE) aufgenommen, die an eine Förderschule angegliedert ist.
• Bei der »kooperativen Integration« (oder »additiven Form«) schließlich bilden Kinder mit besonderem Förderbedarf eine separate Gruppe, die aber unter dem Dach eines allgemeinen Kindergartens angesiedelt ist.
Jede dieser verschiedenen Formen stellt eine Alternative dar zur Aufnahme eines behinderten Kindes in einen Sonderkindergarten oder eine Schulvorbereitende Einrichtung als selbstständige, von den allgemeinen Kindergärten separierte Einrichtung.
Hilfen für Kinder mit Behinderungen waren lange Zeit mit einer sozialen Ausgrenzung verknüpft. Regeleinrichtungen, wie Kindergärten und Grundschulen, fühlten sich den Problemen zeitlich und inhaltlich nicht gewachsen. Man war der Ansicht, Kinder mit diesen besonderen Bedürfnissen seien in Sondereinrichtungen besser aufgehoben. So entstand über Jahrzehnte hinweg ein zum Teil sehr ausdifferenziertes System von Sonderschulen und Sonderkindergärten. Dieses ausgebaute (und teure) Sonderschulwesen ist teilweise historisch zu verstehen als Versuch der »Wiedergutmachung« nach der mörderischen Euthanasiepolitik der Nationalsozialisten.
In den letzten Jahren hat sich jedoch in der Sichtweise, wie Kindern mit besonderen Bedürfnissen am besten geholfen werden kann, ein tiefgreifender Wandel vollzogen. Ausgehend vor allem von den USA und den skandinavischen Ländern verbreitete sich auch in Deutschland die Idee einer »integrativen Pädagogik« nach dem Prinzip der Normalisierung und sozialen Inklusion. Sie geht davon aus, dass Hilfen die betroffenen Kinder nicht mehr als unbedingt notwendig in ihren normalen Lebensvollzügen einschränken dürfen und alle Kinder an allen Aktivitäten und Angeboten für Kinder, die sich »normal« entwickeln, teilhaben sollen. Diese Entwicklung wurde vor allem von Eltern behinderter Kinder vorangetrieben, die nur in der Aufnahme ihrer Kinder in integrativen Einrichtungen einen Schutz vor sozialer Ausgrenzung sahen. Das vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend herausgegebene Handbuch zu Perspektiven der Weiterentwicklung des Systems der Tageseinrichtungen für Kinder in Deutschland (BMFSFJ, 2008) trägt dieser Entwicklung Rechnung.
Im Konzept einer integrativen Erziehung und Bildung wird die Unterschiedlichkeit aller Kinder als Ausgangslage anerkannt, ebenso wie innere Differenzierungen in heterogenen Gruppen durch Individualisierung der Bildungsziele und pädagogische Hilfen vorgesehen sind. Ein solches Konzept der uneingeschränkten Teilhabe wird in der Fachdiskussion als »Inklusion« – sozusagen als optimierte, erweiterte Integration – bezeichnet (Feuser, 1999; Hinz, 2002; Sander, 2004). Eine so verstandene Förderung aller Kinder fordert Träger, Organisationen und Erzieher dazu heraus, pädagogische Lösungen zu entwickeln, die geeignet sind, ausnahmslos alle Kinder einer Kindergruppe – deren spezifisches Merkmal es ist, in vielfältigster Weise verschieden zu sein – in gleichermaßen guter Qualität zu betreuen, zu erziehen und zu bilden.