Читать книгу Kinder mit Behinderungen in inklusiven Kindertagesstätten - Klaus Sarimski - Страница 18

1.2.4 Umfassende Veränderung von Strukturen und pädagogischen Konzepten in Kindestageseinrichtungen als Voraussetzung

Оглавление

Eine gemeinsame Bildung und Erziehung von Kindern mit und ohne Behinderungen bedeutet eine Veränderung des pädagogischen Konzepts der KiTa als Ganze. Integrative Pädagogik erschöpft sich nicht darin, dass die Kindergärten für behinderte Kinder geöffnet und mit einem Türschild »inklusive Einrichtung« versehen werden. Sie erfordert beharrliche Bemühungen um eine Weiterentwicklung von pädagogischen Grundhaltungen, personeller Ausstattung und pädagogischen Konzepten. Behinderung ist eben nicht – zumindest nicht primär – ein rein soziales Phänomen nach dem Motto »Behindert ist man nicht, sondern wird man«, sondern sie bedeutet bei Sinnes-, Körper-, Sprach- oder geistiger Behinderung einen objektiven Hilfebedarf für die Bewältigung sozialer Anforderungen.

Das richtungweisende Handbuch des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2008) formuliert unter dem Titel »Auf den Anfang kommt es an!« Empfehlungen für die Professionalisierung der Fachkräfte und die Berücksichtigung von Kindern mit besonderen Bedürfnissen. Die Autoren betonen, dass das Gelingen sozialer Integration eine gemeinsame Integrationsphilosphie voraussetzt, nach der behinderte Kinder ein Recht auf volle Teilhabe haben. Es erfordert eine Gruppenzusammensetzung, die von Vielfalt geprägt ist, geeignete Räumlichkeiten und Materialien sowie eine Individualisierung von Lehr-Lern-Prozessen in Alltagssituationen und im Spiel.

Diese Empfehlungen sind bei weitem noch nicht überall verwirklicht. So stellten z. B. Wiedebusch, Lohmann, Tasche, Thye und Hensen (2015) in einer Analyse der pädagogischen Konzeptionen von 112 Einrichtungen in Niedersachsen fest, dass nur in 9,8 % der Konzeptionen der Begriff »Inklusion« verwendet wurde und in weniger als der Hälfte der Konzeptionen die Bedürfnisse von Kindern mit Beeinträchtigungen angesprochen wurden.

Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass die Gruppe der Kinder, die in inklusiven Einrichtungen betreut werden, sehr heterogen ist. Amtliche Daten, die nach spezifischen Beeinträchtigungen differenzieren, liegen für Deutschland nicht vor. Im Jahr 2012 führte das Deutsche Jugendinstitut jedoch eine repräsentative Befragung bei KiTas durch, an der sich 1634 Einrichtungen beteiligten. 647 Einrichtungen gaben an, dass mindestens ein Kind mit Behinderung betreut wird. Bezogen auf die Gesamtzahl der betreuten Kinder hatten je 1,6 % der Kinder einen besonderen Unterstützungsbedarf im Bereich des Verhaltens oder des Spracherwerbs, 1,5 % im Bereich der kognitiven Entwicklung, 1,0 % im Bereich der motorischen Entwicklung, 0,3 % eine Hörbehinderung und 0,2 % eine Sehbehinderung (Gadow, Peucker, Pluto, Santen & Seckinger, 2013).

Eine weitere Orientierungshilfe liefert eine Studie von Wölffl, Wertfein und Wirts (2017), an der sich die Leitungen von 2823 Kindertagesstätten in Bayern beteiligten. In 60 % der Einrichtungen wurden Kinder mit Behinderungen im Sinne der Einzelintegration betreut, 35 % in integrativen Gruppen. Fast 90 % der Einrichtungsleiterinnen gaben auch in dieser Befragung an, dass in ihrer Einrichtung ein oder mehrere Kinder mit Verhaltensstörungen und/oder allgemeiner Entwicklungsverzögerung betreut werden. Dies stellte die häufigste Form des Unterstützungsbedarfs dar. Dabei handelte es sich vorwiegend um integrative Gruppen. Der Anteil von Kindern mit Sprachbehinderung, Körperbehinderung, geistiger Behinderung, Hör- oder Sehbehinderung war wesentlich kleiner. Er variierte zwischen 12 % und 32 % ( Abb. 1). Je nach Art der Behinderung müssen sich die Fachkräfte somit auf sehr unterschiedliche Bedürfnisse der Kinder einstellen.


Abb. 1: Diagnostizierte Behinderungen im Vorschulalter nach Angabe der Leitungen von inklusiven KiTas (N = 788; Daten aus Wölfl et al., 2017)

Das Ziel ist dabei, die Beteiligung von allen Kindern mit unterschiedlichen Entwicklungsvoraussetzungen zu gewährleisten und ihre soziale Interaktion zu fördern. Fördermaßnahmen müssen in die natürliche Umwelt des Kindes integriert werden, gezielte Interventionen zum Teil der allgemeinen pädagogischen Prozesse im Kindergarten werden. Elementarpädagogische Fachkräfte müssen sich auf den Hilfebedarf der Kinder einstellen, indem sie sich zusätzliche fachliche Kompetenzen aneignen und Kooperationsbeziehungen mit Sonderpädagoginnen/-pädagogen und Therapeutinnen/Therapeuten eingehen. Das erfordert Teamarbeit und eine Qualifizierungsbereitschaft der Fachkräfte durch individuelle Fortbildung.

Um die Bedeutung dieser umfassenden Veränderungen in Arbeitsstrukturen und pädagogischen Prozessen deutlich zu machen, wird in diesem Text am Begriff der »sozialen Integration« als aktivem pädagogischen Handeln festgehalten. Ihr Ziel ist ein inklusives System, in dem alle Beteiligten darauf vorbereitet sind, den Bedürfnissen aller Kinder gerecht zu werden. Als Grundlage für diese Arbeit werden in diesem Band folgende Fragen beantwortet:

• Ist eine solche gemeinsame Betreuung für Kinder mit allen Formen und Schweregraden der Behinderung von Vorteil (vgl. Kap. 2)?

• Welche pädagogischen Kompetenzen benötigen die Fachkräfte, um soziale Kontakte zwischen behinderten und nicht behinderten Kindern systematisch fördern und soziale Teilhabe gelingen zu lassen (vgl. Kap. 3)?

• Wie können behinderungsspezifische Hilfen in den Alltag integriert werden (vgl. Kap. 4)?

• Wie können die pädagogischen Fachkräfte mit anderen Einrichtungen (vor allem Frühförderstellen) zusammenarbeiten, um sonderpädagogische Unterstützung zu erhalten (vgl. Kap. 5)?

• Welche Qualitätsmaßstäbe müssen an Kindertageseinrichtungen gestellt werden, um günstige Voraussetzungen für das Gelingen sozialer Integration zu bieten (vgl. Kap. 6)?

Kinder mit Behinderungen in inklusiven Kindertagesstätten

Подняться наверх