Читать книгу Kinder mit Behinderungen in inklusiven Kindertagesstätten - Klaus Sarimski - Страница 23
1.3.3 Anpassungsreaktionen nicht behinderter Kinder im Kontakt mit behinderten Kindern
ОглавлениеBreites Spektrum von Verhaltensmustern im Kontakt mit behinderten Kindern. Aus der Praxis wird berichtet, dass kleine Kinder behinderte Kinder häufig ohne große Probleme annehmen. Sie nehmen sie noch nicht als »Fremde«, sondern als bisher unbekannte Variante von Vertrautem wahr (Kron, 1988). Erst im Laufe der Zeit lernen sie, was hinter dem Begriff »behindert« steckt. Sie interessieren sich eher für die funktionelle Seite einer Beeinträchtigung, als dass sie die Tragik oder vermeintliche Tragik dieser besonderen Lebensumstände bedauern (Kron, 2006). Das Verständnis fällt ihnen leichter, wenn sie die Einschränkungen des Kindes mit konkreten eigenen Erfahrungen in Verbindung bringen können.
Beispiel
Sie können z. B. das Erleben eines blinden Kindes nachvollziehen, wenn ihnen selbst die Augen verbunden werden; die Situation eines körperbehinderten Kindes wird ihnen deutlicher, wenn sie seine Hilfsmittel, z. B. den Rollstuhl oder die Gehhilfe erproben können. Das ist bei einer Körper- oder Sinnesbehinderung leichter möglich als bei einer geistigen Behinderung (z. B. Down-Syndrom), bei der die zu Grunde liegende Schädigung für die anderen Kinder nicht unmittelbar sichtbar ist (Diamond, 1993).
Im Vorschulalter nehmen Kinder eher körperliche Beeinträchtigungen wahr, die für sie konkret beobachtbar sind (z. B. durch Hilfsmittel wie ein Hörgerät oder einen Rollstuhl) oder aufgrund eigener Erfahrungen nachvollzogen werden können (z. B. in der Dunkelheit nicht sehen zu können). Geistige Behinderungen oder emotionale Störungen, die keine dieser Merkmale aufweisen, sind für sie jedoch schwerer zu erkennen (Diamond & Huang, 2005). Sie sind allerdings sensibel für ungewöhnliche Verhaltensweisen und können sie als altersangemessen oder -unangemessen einordnen.
Kinder entdecken bei anderen Kindern – auch bei Kindern mit Behinderungen – viele Seiten, die sie attraktiv machen für gemeinsames Spielen, für andere Aktivitäten oder auch als Ruhepol in der Gruppe (Kron, 2006). Sie brauchen aber dort pädagogische Unterstützung, wo die kindlichen Ressourcen nicht ausreichen, um gelingende Beziehungen herzustellen und aufrecht zu erhalten.
Beispiel
Im Alltag bedürfen die nicht behinderten Kinder der pädagogischen Unterstützung, um ungewöhnliche Reaktionen behinderter Kinder (z. B. Schreien, Sabbern, heftiges Umarmen, scheinbar grundloses Schlagen oder Stereotypien) zu verstehen und tolerieren zu lernen.
Die Verhaltensmuster im Kontakt selbst sind sehr unterschiedlich. Sie reichen von Nichtbeachtung über besondere Zuwendung und Vereinnahmung bis zu kooperativen Aktivitäten bei gemeinsamen Interessen (Klein et al., 1987; Miedaner, 1987). Die Bereitschaft eines nicht behinderten Kindes, ein Kind mit Behinderung am gemeinsamen Spiel zu beteiligen, ist assoziiert mit dem Entwicklungsstand seiner sozial-emotionalen Kompetenzen. Kinder mit einer höheren Bereitschaft zum Kontakt sind sensibler für emotionale Signale anderer Kinder und eher in der Lage, sich in andere Kinder hineinzuversetzen (Diamond & Hong, 2010).
Yu, Ostosky und Fowler (2015) führten eine Untersuchung bei 32 Kindern in zwei inklusiven Kindergärten durch. Sie nahmen eine soziometrische Befragung in der Gruppe vor, befragten die Kinder zu ihrer Haltung gegenüber hypothetischen Spielpartnern, baten sie, die Kinder mit Behinderungen in ihrer eigenen Gruppe zu identifizieren und beobachteten das Spielverhalten in Freispielsituationen über einen Zeitraum von zehn Wochen. Es zeigte sich, dass die Kinder zuverlässig in der Lage waren, Kinder mit Down-Syndrom oder einer Cerebralparese zu identifizieren und Gründe anzugeben, warum diese Kinder nicht so gut laufen oder sprechen können wie sie. Dagegen fiel es ihnen schwerer, Kinder mit leichteren Entwicklungsverzögerungen oder Verhaltensauffälligkeiten zu erkennen. Kinder mit Behinderungen in der Gruppe wurden seltener in ein gemeinsames Spiel einbezogen. Unter den verschiedenen Einflussfaktoren erwies sich die Beliebtheit eines Kindes (nach dem Ergebnis des soziometrischen Ratings) jedoch als stärkerer Prädiktor für die Einbeziehung in ein gemeinsames Spiel als die Tatsache, ob es sich um ein Kind mit einer Behinderung handelte.
Die Einstellungen, mit denen nicht behinderte Kinder den Kindern mit Behinderungen in ihrer Gruppe begegnen, orientieren sich darüber hinaus daran, welche Haltungen der Erwachsenen sie in ihrer Umgebung beobachten. Wenn sie erleben, dass Eltern oder pädagogische Fachkräfte Andere aufgrund äußerer Merkmale abwerten oder behinderten Menschen mit Vorurteilen oder großer innerer Distanz begegnen, prägt das ihre Einstellung. Es hilft ihnen, wenn sie von den Erwachsenen auf Fähigkeiten der behinderten Kinder aufmerksam gemacht werden, die Gemeinsamkeiten zwischen ihnen wahrnehmen und eine ihrem Verständnisvermögen entsprechende Aufklärung über die Art und Entstehung der jeweiligen Behinderung erhalten.