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Kaliber 6 - Miasma Grande

Im Oktober des Jahres 1493 riss ein Sturm die Karavelle LasFunebras des in kastilisch-aragonesischen Krondiensten stehenden Abenteurers und Trunkenboldes Perpendiculo Pirazz aus dem Schiffsverband des Cristobal Colon, welcher damals seine zweite Westindienfahrt unternahm. Lange Wochen als Spielball der Wogen und des Windes gen Süden gepeitscht, wurde die LasFunebras am Neujahrstag Anno Domini 1494 an die schroffen Gestade einer großen Vulkaninsel geworfen - Pelargonien eben, es muss beim heutigen Vayacondios gewesen sein. Ein bestialischer Gestank nach Vogelmist hing allüberall in der Luft des kakteengespickten Eilandes, und trotz eifriger Heilmitteleinnahme in Form von schwerem Wein und diversesten Liquoren überkamen den Pirazz fürchterliche Kopf- und Brustschmerzen. So verließen Schiff und Mannschaft nach hastiger Bunkerung von Frischwasser, Kaktusfeigen und Robbenfleisch nach wenigen Tagen die enervierende Örtlichkeit (von Don Perpendiculo treffend MiasmaGrande getauft), setzten Ost-Kurs und erreichten nach einiger Zeit die Afrikanische Küste, nahmen dann Nordkurs auf die Kapverdischen Inseln, und von dort aus sollte es über die Kanaren heim nach Spanien gehen.

Leider ging die von der langen Reise ziemlich mitgenommene Karavelle vor Lanzarote mit Männern und Mäusen im Sturm verloren. Nur das Logbuch, ein leeres Weinfass und der an beides gekrallte Schiffsjunge überlebten die Havarie; Bottich, Buch und Bürschchen wurden nach Tagen von Fischern aus dem Wasser gezogen. Der halbtote Junge faselte wirres Zeug von einem großen stinkenden Landfladen mitten im Südatlantik, das Logbuch schien ihm Recht zu geben - trotzdem gerieten MiasmaGrande, Don Pirazz und die ganze unglaubliche Reise der LasFunebras in dumpfe Vergessenheit.

Gut 20 Jahre später fand (und stahl) Don Pirazz’ Neffe, der wie sein windiger Onkel ebenfalls vom balearischen Archipel stammende Ziegenzüchter Juan Oblong deCobolz, während einer Lustreise nach Tenerife in der dortigen Hafenverwaltung zufällig das verschollene Logbuch der LasFunebras - und darin des Onkels Auslassungen zur nämlichen Insel. DeCobolz spürte den damaligen Schiffsjungen auf und stach ein Jahr später mit diesem sowie 49 Halsabschneidern, 68 Ziegen und 12 Tonnen Saubohnen von Mallorca aus auf einer alten, aber geräumigen Nao in See. Don Juan hatte seine Geldtruhen geleert und jeden freien Kubikzentimeter Schiffsraum der Cuboviejo vollgestopft mit Viehfutter, Sämereien, Ablegern und Setzlingen der heimischen Flora sowie etlichem Tierzeug - neben den Ziegen und den üblichen Ratten und Mäusen hockten Tauben, Hühner, Karnickel, Hund & Katz und anderes Kleinvieh in den Verschlägen, denn laut Logbuch war auf Miasma Grande ja außer Heidegesträuch und Palmfarn und einer unübersehbaren Menge von Kakteen fast kein anständiges Grün und schon gar kein Wild zu erwarten (jedoch sind in den Folgejahren selbstredend Bienen, Kühe, Pferde, Esel, Schweine und anderes Gebrauchsgetier nachgekommen).

Die Mannen um den Cobolz gaben sich also dem Wüten von Wind und Wellen hin und fanden am Ostersonntag 1518 des Oheims geheimnisvolle Isla wahrhaftig am verzeichneten Orte. Don Juan errichtete mit seinen getreuen Spießgesellen ebenfalls nahe der jetzigen Porta del Sud ein festes Basislager, dass er stolz PuertoCobolz (das heutige Vayacondios) taufte, Nach knapp 10 Jahren Vermessung, Erschließung und Bepflanzung wurde die Insel denn auch Ziel eines steten Siedlerzustromes (und vorgenannter erweiterter Vieh-Kollektion).

So hoch sich die Einwandererzahlen auch beliefen, genauso viele davon verließen MiasmaGrande bald wieder. In einer historischen Notiz des damaligen Hafenmeisters Paedestreo Scandaloupe ist zu lesen, dass sich der offiziell von der spanischen Krone zum Gubernator MiasmaGrandes bestellte Juan Oblong deCobolz bis zu seinem Tode im Jahre 1549 fragte, was das retourgesinnte Einwandererpack denn wohl gegen seine schöne Insel haben mochte - was Wunder: dem armen Manne fehlte der Geruchssinn! Und wie heißt es auf einer überkommenen Wandschmiererei eines erhaltenen Vayacondischen Hafenabortes dieser Zeit? So geh mit GOTT! Oder zum Teufel, du Kleinmütiger! Das habe der Cobolz selbst hingekrakelt und spöttisch all jenen einzeln zugerufen, die – so ist es in edleren Schriften an angenehmeren Orten verzeichnet – sich am Pier fast schlugen, um auf die jährliche Galeone nach Spanien zu kommen Geh mit Gott! Vaya con dios!

Diejenigen, die blieben, waren wohl ebenfalls mit harthäutigen Nasen geschlagen - oder sie fanden, dass der mistige, aber freiheitliche Inselgestank dem inquisatorischen Muff und Blutgeruch ihrer europäischen Heimaten vorzuziehen war.

Die spanische Sprache ist mit einigen verzwirbelten Eigensprossen auf Pelargonien - ex MiasmaGrande - oben geblieben. Reinblütige Nachfahren jener espagnolen Erstkolonisten sind heute kaum mehr auszumachen, denn in den folgenden Jahr100en kamen iberische Moriscos und Conversos, französische Hugenotten sowie entwichene Indiosklaven vom südamerikanischen Festland hinzu; später französische Revolutionsflüchtlinge und Bootsladungen sizilianischer Habenichtse; auch homophile burische Schafscherer, ausgebüxte China-Coolis und jede Menge halb verhungerter Iren - die Existenz der Insel hatte sich vornehmlich bei Armen und Geknechteten herumgesprochen und Träume geweckt von Freiheit und Brot. In der Zeit des Guano-Runs ab den 1870ern ist noch jede Menge mehr fremdes Volk hergeloffen; auch Mestizen, Mulatten, Zambos, Zombies, Gauner und Halunken haben den insularen Gen-Pool ordentlich durchmengt - alle mit Sehnsüchten nach freien Horizonten, schnellem Geld oder gnädigem Vergessen.

Und die Hunnen! Eine Handvoll friesischer ehemaliger Torfstecher hatte schon 1660 ins Land gefunden; eine zählenswerte Schicksalsgemeinschaft (auf Zeit) kam jedoch erst Mitte der 1930er zustande aus denjenigen, die noch eine Chance bekamen, sich mit ihrer mosaischen Religion auf Schiffe zu begeben anstatt in diverse Lager. Verglichen mit den Zahlen der Lagerbestände im fernen Europa sind das jedoch verschwindend wenig gewesen.

Im Frühjahr 1945 rollte die zweite Hunnenwelle: die der Lageristen. Die Bezeichnung Welle ist wieder übertrieben, denn es landeten gerade einmal sieben Familienverbände mit zusammen gut 100 Mitgliedern, die kurz und knackig Faust hießen, Schlock, Wonz, Pelz, Stenz, Strolch und Stuhr; wenige, jedoch Gehaltvolle, die überzeugt bis zum Endsieg gekämpft - und verloren hatten; trotzige Herren und Herrinnen, denen Marschbefehl und Marschallstab im Tornister und der Ladestock im Arsche staken, denen die rechte Hand locker saß und sich noch oft und gern in 14-Uhr-Stellung begab, Hunnen eben! An diesem Spotttitel trug noch nichtmal der GRÖFAZ, sondern zuvor ihr letzter Kaiser WilhelmZwo Schuld mit seinen denkwürdigen Auslassungen zur Durchführung kolonialer Rachefeldzüge; eine Sache, die diesen Landsleuten (wie so vieles andere) noch immer anhängt. Nur für die in 1935 Gekommenen hieß das erneut: Rette sich, wer kann!

Ansonsten ist die Isla in den Jahrhunderten und weltweiten Kriegen stets auf eigennützige Neutralität bedacht gewesen. Was die hochbetagte Präsidentin und Staatsgründerin Mahagonia Pelargo während des ersten Weltkriegs sorgsam einhielt, führte ihr im Amte nachfolgender Sohn, der momentane Landesvater (man erinnere sich: der unvergleichliche Caudillo Magno Don Episcopao Sprizz, scheu auch genannt: EL SUPREMO) im zweiten penibel fort. El Sprizz hielt sich ebenfalls fein heraus aus den Bataillen und kochte sein eigenes Süppchen, so wie es auch Generalisimo Franco im früheren Mutterland Spanien tat. Die fechtenden Parteien ließen deshalb die strategisch und kriegswirtschaftlich äußerst unergiebige Insel wieder mal (GOTTseiDank) links liegen.

Andererseits gibt es glaubhafte Hinweise, dass sich der eine oder andere Welt- und Schlachtenlenker doch ein paar Gedanken um den Sandteller im Atlantik gemacht hat. Es existieren Geheimprotokolle, die von einem verschwiegenen Besuch schon des Hunnenkaisers sprechen, der 1918 hier gern sein Exil aufgeschlagen hätte, aber von Mahagonia Pelargo gleich wieder fortkomplimentiert worden war. Da erging es einem Signore Mussolini Anfang der 40er schon besser; jener verbrachte (auf Selbsteinladung) mit EL SUPREMO einen lustigen Nimrodstag, bei dem sich der Duce angeblich schrecklich den Magen verdarb. Und auch ein Hunnen-Oberer, so ein dicker polternder Lamettaträger mit Namen Hermann G. war zugegen, welcher dem Sprizz noch des Öfteren seine lästige Aufwartung machen sollte, um ihm einen Luftwaffen-Horst mit ein paar Staffeln Reichsjägermeistern aufzuschwatzen.

Doch auch EL SUPREMO ließ alle freundlich abblitzen. Er machte zwar aus seiner grundsätzlichen Sympathie für die zackigen Rechtsausleger kein Geheimnis, tat aber den Teufel, seine Insel unkontrollierbaren Freunden zur Verfügung zu stellen. Deswegen ist Pelargonien unbesetzt geblieben und den Gefechtskommandanturen der Kriegsparteien - wenn überhaupt - nur als armseliger Ort mit schlechter Luft in Erinnerung geblieben.

Dabei beließ man es auch nach Kriegsende. Die Insel bot nichts, was die - je nach Sichtweise - freie oder unfreie Welt hätte locken können (reisige Hunnen einmal ausgenommen). Weder CIA, UNO, NATO, COMECON, Exxon, CocaCola, Mafia oder sonst eine der maßgeblichen Cliquen scherten sich einen Deut um die südatlantische Staubschüssel ohne nennenswerte Bodenschätze, Wirtschaftsgüter und Absatzmärkte. Ein bisschen Vulkangas und traurige Guano-Reste zählten dabei nicht. Auch die dicken Bohnen und der im Malpais gebrannte Kaktusschnaps verursachten corporal zwar feuriges Ungemach, international jedoch nur laue Lüftchen von Desinteresse.

ELDORADO - Räuberpistole mit Fremdenführer

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