Читать книгу ELDORADO - Räuberpistole mit Fremdenführer - Klaus Schafmeister - Страница 16

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Kaliber 11 - Mit Hand und Fuß

Sonderagent Hanns Streng steht vorm Spiegel und rüstet sich für die Abendgesellschaft: ein gut aussehender junger Mann, der sicherlich eins-80 misst und auch draußen stets in blütenweißem Hemd unterm grauen Leder daher kommt, egal, ob in der Sonne oder im Regen. Er trägt selten eine Kopfbedeckung, hat um den Kragenhals, was ebenso selten ist in dieser Umgebung, stets vorbildlich eine schwarz-weiß-rote Seidenkrawatte geschlungen und duftet immer und überall nach einem herben, ausgesprochen maskulinen Rasierwasser. Unter dem grauen Leder stecken Hanns Strengs Langbeine in engen Reithosen und glänzenden schwarzen Langschäftern; manch eine sähe sicher gern mehr von diesen wohlgeformten Schenkeln, die garantiert auch einen zweiten Blick wert wären - doch die Stiefel: der rechte ist an der Sohle seltsam derb ausgeformt, das bedingt der Fuß; es wird gleich noch zu reden sein über diesen Fuß.

Oben herum ist allerdings alles klar beim Herrn Agenten, der 26 Jahre zählt, Eins-80 misst wie bekannt und ansonsten schlank und drahtig daher kommt bis hin zur Hagerkeit. Das gilt ebenso fürs Gesicht, dessen Wangenbögen hoch angesetzt sind, ein kräftiger Mund mit aufgeworfenen Lippen darunter und mit blitzenden Zähnen. Im Antlitz vernetzt sich der Hauch einer feinen Aderzeichnung unter der Perlmutthaut, woraus im Licht ein Schimmern entsteht, was mit dem Augenblassblau und dem Weißblond von Brauen und Haupthaar (auch dieses in militärisch scharfer Facon, ein bemerkenswertes Geschnitt!) die zarten Hirnkastenwölbungen apart betont - die hiesigen Bauernschädel dagegen ein klumpiger Witz! Das Kurzhaar lässt natürlich die Ohrmuscheln sehen, durch deren zarte Knorpel das Sonnenlicht scheint wie durch Milchglas – nein: kein Gramm Fleisch zu viel in diesem asketischen Fresco, in Komposition und Ausstattung einem arabischen Vollblut wohl anstehend. Und in die Hand geschworen: nicht nur der Kopf!

Bevor man später in die Tiefen seiner Seele und Vergangenheit eintaucht, wenn sich das Rätsel löst, warum er trotz offensichtlicher Weltgewandtheit und Durchsetzungskraft ein wenig filigran wirkt, vor Aufdeckung dieser Geheimnisse sei - wie angemerkt - kurz etwas über Strengs Füße dargelegt, genauer: über den rechten Fuß, es muss gesagt werden!

Was die schmalen Züge, der gertenschlanke Körper den Senoritas versprechen, das halten die apart geformten Schenkel, der Po, die Knie, die Wadenbeine schon lange. Jedenfalls linksseitig, denn am Ende des rechten Unterschenkels trägt dieser transparente Engel den Beelzebub mit sich in einem verheerenden Klumpfüßchen. Ein verkürzter Wadenmuskel mag es sein, der ihm die Hacke nach oben zieht, den Fuß weniger brauchbar macht, so dass Streng ohne eine Assistenz kaum gerade und fest auftreten könnte. Ein Stock? Zum Teufel damit!

Hanns Strengs gewisses Bein steckt deshalb in einem Spezialstiefel mit einem erhöhten Sohlkeil, so dass sein Träger auch ohne Gehhilfe nach ein wenig Einlaufen ordentlich schreiten kann und nur unmerklich hinkt. Zudem ist die Malaise optisch lässlich, weil der Schuh kaum aufträgt. Die Kinderlähmung, sie könnte es gewesen sein, hätte Hanns Streng schwerer treffen können.

Doch jetzt den Senor Spezialagent, Schatzjäger, Kulturbeflissener und Abnormitätensammler vorerst allein gelassen; hinaus gegangen und um die Liegenschaft herum!

Das Gebäudesammelsurium der Estancia Pufago kann sich natürlich nicht mit den Gefängnisburgen und Internierungsanlagen südamerikanischer Kleindiktaturen messen, schon überhaupt nicht mit den Lagern des gewesenen Hunnenreiches, jedoch als familiär geführtes Bootcamp mag es durchgehen. Hinterm Chalet ist auch nicht etwa das Volk Juda konzentriert, hier wird eigenes ehr- und heimatvergessenes Kroppzeug zwischengelagert: Cimarrones, Schmarotzen, Ziganisten - Sammelbegriffe für Rebellen, fahrendes Volk, Bettler, Ausländer, Schwule, Intellektuelle und andere asoziale Elemente. Im Rahmen der Einbringungen des Luan diStronzo mag es auch vorkommen, dass es einen Auflauf gibt am Tor, als sei Markttag - denn nicht nur des Tenientes Wegfänge füllen die Scheunen, auch die hiesige Landbevölkerung spendet gern ihre ausrangierten Mitmenschen.

Ansonsten kommt aufs Gelände und besonders ins Herrenhaus nur derjenige, der einen Passport vorweisen kann, unterzeichnet vom Herrn Streng oder dem Estanciero oder wenigstens vom Teniente. Auch Fräcke mit Schärpen in Landesfarbe möchten als Eintrittskarte von Nutzen sein, Soutanen und Bäffchen sind ebenfalls halbwegs gelitten. Die in den vergitterten Scheunen nebenan benötigen natürlich weder Visa noch Uniformen, wissen aber dafür auch nicht, wann diese Sommerfrische ein Ende hat.

Vor 75 Jahren hatte ein verarmt immigrierter, im Guano-Rush versehentlich wieder zu Reichtum gelangter Rumäne (ein Graf Vlad Alexandru Tinitul) diese Scheunen an den Dorfrand Nombredelrios gepflanzt und das einem wunderlichen Karpatenschloss nachempfundene Haupthaus davor. Den Remisen droht es wie die Katze den Mäusen, dazwischen ein Gestrüpp, das bei Grafens eine barockartige Gartenanlage gewesen ist. Heute befindet sich die Estancia im Besitz der Familie Pufago: ehemalige Schweinetreiber, die sich vor drei Jahrzehnten Verdienste zugunsten der herrschenden Plutokratie erworben hatten und nun unter El Sprizz zum neuen Adel zählen. Neben den Charakteren der Hausherrschaften hat auch das blaublütige Mauerwerk gelitten an den Jahren, doch das Gebäu besitzt selbst heute noch in seinem zerschrammten Habitus jene traurige Anmut, die geschändeten transsylvanischen Prinzessinnen zu eigen ist. Die unfreiwilligen Gäste im Stallannex würden sofort dahin umziehen mögen.

Das Herrenhaus zeigt jedoch nur vorn heraus Reste ehrwürdiger Vergangenheit. Rückwärtig kleben am Bauwerk zwei unverschämte Auswüchse aus Palisaden und Bretterverschalungen, eine davon mit gewaltigem Doppeltor, hinter dem es metertief abfällt ins gefräßige Kaktus-Bunkermaul, der Vorratshaltung für die Ziegenherden; daneben der Verschlag des obligatorischen Gasverdichters. In die zweite Schwellung kommst du durch ein massives Eisentor und dahinter treppab ins Kellergewölbe. Vor diese Pforte nagelte man einen hölzernen Aufgang mit Fußrosten und Flechtmatten, dass die ein- und ausverkehrenden Domestiken - jetzt auch die Regulares - nicht den Scheißstaub (winters: Scheißschlamm) in den Scheißkeller trampeln mit ihren Scheißstiefeln.

Über diesen Aufgang, hinein ins Gebäude und die Stiege hinab ins Gewölbe wird der Legionär geführt in einen beleuchteten Gang, der sich hinten in Dunkelheit verliert. Rechts und links münden düstere Koben - kein Vergleich mit Hanns Strengs Arbeitszimmer darüber, wo dieser gerade letzte Hand an sich legt. Ein Verschlag steht dem Palisander offen Hier rein und warten! Ein aufmunternder Stoß, die Pforte kracht ins Schloss, genagelte Stiefel entfernen sich. Der Legionär bewegt sich Minuten lang nicht von der Stelle, bemerkt oben in der Decke ein vergittertes Luftloch, in das ein Wasserspeier herabschielt vom Dachrand, ein scheußlicher Drachenwurm, der aber zu Tode erschrickt, als er Palisanders Augenblick begegnet. Die Zelle schwach befunzelt, nachlässig gekälkt, quadratisch drei auf drei Meter, die Möblierung rudimentär: ein Bettgestell, das weder Matratze noch Laken, sondern nur einen Maschengitterrahmen bietet, dazu ein einfacher Holzstuhl, Holztisch - die Noblesse hält sich in Grenzen. Der Legionär setzt sich auf den knarrenden Stuhl, sicher hatte der schon Hübscheres ertragen. Oben verschwimmt der Drache im Dämmerlicht, unten tut es ihm Palisander gleich.

Vom gasbeleuchteten Hauptportal fällt der Putz. Das Dach weist Löcher auf mit provisorisch dichtenden Blechstreifen. Die Glasgalerien rechts und links hält man wegen der gelegentlich herumlungernden Partisanentrupps vernagelt. Doch heute Abend geben sich hier GOTT und die Welt die Ehre, und Gute und Schöne, Honorige und Gerissene haben sich im Empfangssaal versammelt.

In der kerzenerhellten Bibliothek nebenan befinden sich Punkt Fünfvoracht nur wenige Erlesene, Teniente diStronzo ist einer davon. Er scheint noch ein wenig melancholisiert von seiner tragischen Leidenschaft für funktionierende Rüden, ist aber auf gutem Wege, den Frust vom Nachmittag zu verwinden; überlegt, ob man sich einen neuen Gefährten anschaffen sollte, einen Schäferhund vielleicht, und ob man ihn Blondie nennen darf.

Für den HERRN ist stellvertretend anwesend Don Filizio Bonsacco, vor Zeiten Prediger und Wohltäter der Armen; im weiteren Kriegsverlauf und nach strengtönender Gehirnwäsche mit EL SUPREMOs Wunderhorn ist ihm dies dumme Mitleid abhanden-, dafür das Saufen und das Bohnenkraut-Rauchen eingekommen. Wobei ihm zu Gute gehalten werden soll, dass die edleren Funken seiner gewesenen Persönlichkeit ab und an nochmal aufglimmen, nur werden diese regelmäßig überwölkt von exzessiv genossenem Bohnenqualm im Kampfverband mit dem Pirazzo, welche den Priester handzahm, weil meistens komatös machen.

Der weibliche Part der örtlichen Prominenz wird ausgefüllt durch die mit allerlei Edelmetall an der üppigen Heldinnenbrust abgetanen Comandantina der hiesigen Bürgerwehr; die gesetzte Amazone darf die aus örtlichen Halsabschneidern und Wegelagerern zusammensetzte Bewachungstruppe des internierten Schmarotzentums befehligen. Dona Porfiria Pufago ist ein schroffes Mannweib und die Schwester des Estancieros, dazu ausgemachte Hunnenfreundin, und wenn sie spricht, was oft vorkommt, redet sie fast ausschließlich in Stammtischkompatiblen hunnischen Worthülsen und Sinnsprüchen, das findet sie janz witzisch! Nach ihrer alsbaldigen Demobilisierung wird sie trotz aller Vorbehalte ins wilde ELDORADO übersiedeln, um ihren Hunnen nahe zu sein; wird sich am Rande proPatrias niederlassen und nach morgendlichem Stechschritt in die anliegenden Wirtschaften ihre kleine Pension verzehren. Teilen muss sie mit niemandem, einen Gatten hat es nie gegeben, die Comandantina ist sich selbst Manns genug und lebt offen ihren Hang zum weiblichen Personal.

Selbstredend darf auch der offizielle Hausherr nicht vergessen werden: der greise Estanciero und Comandantinenbruder Don Andalucio Pufago, von Gesichtsausdruck und Minenspiel einer trockenen Bohnenschote nicht unähnlich und, nebenbei gesagt, verschuldet bis über beide Ohren.

Die vier Geladenen treten von einem Bein aufs andere, haben den Champagner, den die schwarzgewandete Bedienung gerade anreichte, kelchmäßig aufgenommen. Teniente und Comandantina dörren schon eine Weile im Stillgestanden, denn als wichtiger militärischer Funktionsträger wird man bzw. frau mit einer Reitpeitsche statt eines Rückgrates und einem Stundenglas anstatt eines Herzens geboren (die Comandantina zackig: Fünf Minuten vor der Zeit ist des Soldaten Pünktlichkeit!); außerdem vergrätzt niemand mutwillig den Gastgeber durch schnödes Zuspätgekomme, besonders nicht, wenn er mit Vornamen Herr und mit Zunamen Sonderagent Streng heißt und ein hohes Tier ist bei proPatria und somit auch bei EL SUPREMO.

Der Priester ist zwischenzeitlich halstrocken auf einen Stuhl gesunken, doch auch ihn reißt es auf, als das Schreibtischührchen (zwei Minuten zu früh) die Stunde schlägt und der Gastgeber und derzeitige Estancia-Hauptmieter, der smarte Herr Streng, durch eine Tapetentür hereinfedert und an den Tisch tritt, wo er ebenfalls zum perlenden Glase greift. Im Gegensatz zu den anderen Anwesenden bedeutet der Gastgeber mit seinem leuchtenden Teint und dem sinnlichen Mund wahrlich eine Lichtgestalt.

Das nunmehrige Quintett führt also aufs vorlaute Uhrenkommando die Gläser an die Lippen, gießt den Schampus abrupt hinunter mit militärisch entschlossenem Zug, Dona Porfiria mit weiterer hunnischer Lebensweisheit wie nich lang schnacken, Kopp in’n Nacken! Streng weiß, was sich gehört, winkt der Serviererin, lässt nachgießen. „Wohlsein!“ - „Saluto!“ – „Prosit!“ - „Echante’“ und auch „GOTT will es!“; wieder fünfmal zugleich geschossen. Weiteres ertönt nicht … es hätte ohne Zweifel gepasst, aber ein HEIL! lässt man doch stecken.

Streng geht zum Portal, sieht durch den Türspion: nebenan ist der Spiegelsaal von bunt Uniformierten kerzenhell verzaubert worden; weils muffig riecht, haben die Muschkoten die äußeren Vernagelungen entfernt, die Flügel geöffnet fürs frische Abendlüftchen - Cimarronesballons? Stoßtrupps? Pah! Gepfiffen auf die Mistböcke! Der schwarzweißrote Radkreisstander der ProPatria und die gelb-zinnober'sche LaPelargonia an der Stirnwand des Sälchens werden wach und regen sich im Hauch. Leise dringen gelegentliche Schreie herüber aus den Scheunen, was hier jedoch niemand übermäßig stört.

Nach dem Ausguss kommen die Pokale aufs Tablett, welches vorgenanntes Servierfrollein Darota, eine wohlgebaute polnischstämmige Maid (Dona Porfiria: Polenmädchen = heiße Mädchen!) still und stumm hinter den Lederchaiselongues bereit hält zum gefälligen Behältnisabwurf. Die Offizialen schreiten jetzt knarrend in Richtung vorgenannter Saaltür, als beschürzte Nachhut Darota hinter sich, welche hinten herum auch wieder in die Gedanken Dona Porfirias schleicht die stramme Hafermastgans! Ob Darota etwas hält von solchen Offerten, egal, ob von Herren oder Herrinnen, ist fraglich … warte ab, Porfiria! Vielleicht ist Polen doch noch nicht verloren!

ELDORADO - Räuberpistole mit Fremdenführer

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