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Kaliber 2 - Ein Bildfehler im Südatlantik

Pelargonien kann nur übers Meer erreicht werden. Flugplätze, die diesen Namen verdienen, gibt es nicht. Seefahrt tut not, doch mancher wird nie ein guter Fahrensmann. So kriecht man nach zwei Wochen magenumkehrender Schiffspassage von Kapstadt aus in Vayacondios, dem einzigen Hafen Pelargoniens, an Land. Wenn sich die Innereien wieder beruhigt haben, könnte die Tour über die Insel los gehen, doch wird dies dem Explorateur nicht leicht gemacht, denn Wetter und Topographie sind absurd, die politischen Zustände verworren, Fremde längst nicht mehr gern gesehen.

Aber wir haben nicht den stürmischen Seeweg gemacht, die Seele ausgekotzt übers Deck und uns beinahe den Tod geholt in gischtnasser Kledage, um ununterrichteter Dinge wieder abzulegen. Denn wenn man (be)richten will über die Insel, ihre Gegebenheiten und ihre Bewohner, muss man die Örtlichkeit kennen. Und ihre Geschichte. Um zu verstehen, halbwegs.

Man stelle sich Pelargonien vor als einen kreisrunden Fladen, eine Pizza von annähernd 200 Kilometern Durchmesser und mitten im Südatlantik gelegen. Wahrlich kein Möwenschiss - trotzdem kaum einem Schulkind dieser Erde gegenwärtig, denn nur wenige Globen und Atlanten kartographieren dieses Eiland in halbwegs gemäßigter Lage bei 36 Grad südlicher Breite und auf dem 18. Längengrad West als nahezu geographisch-mittige Verschnaufpause zwischen Afrika und Südamerika.

Die Insel war bislang so gut wie nie Tagesgespräch in Wirtschaftsclubs und Außenministerien, oder Thema transozeanischer Briefe oder Funkfernverkehrs, und keiner, der sich hier aufhielt, hat diese Schlichtheit bestätigen oder verwerfen können, weil er die Örtlichkeit bereits kurz nach seiner Abreise wieder gnädig vergaß.

Selbst heutzutage zeigen die spärlichen Luftaufnahmen der Region nur einen verwaschenen Fleck aus Wolken und Dunst; man will eher an einen Bildfehler glauben als an eine konkrete Landmasse.

Ur-Pelargonien wurde aus submarinem Höllenfeuer geboren am Stoßrand der afrikanischen zur südamerikanischen Kontinentalscholle. Später lagerten sich auf dem unterseeischen Vulkansockel Sand und Muscheldreck ab wie in einem Suppenteller. Die Erdzeitalter und nachdrängendes Magma hoben das Tiefseeporzellan hoch und höher, bis dass die Isla Pelargonia schaumgeboren zu Tage trat. Ihr harter Rand aus längst erloschenen Kleinvulkanen, die Picos genannt werden, quoll in den Äonen bis auf annähernd 1.500 Höhenmeter über Normalnull. Ringförmig verläuft dieser ex-eruptive Stachelwulst rund um die Isla, ungefähr 20 Kilometer breit von der abrupten Meereskante zur Inselmitte hin.

Vulcanus ists gewesen, der vor Urzeiten diesen Fladen buk. Nur an einer kleinen Randstelle hat er die Hefe vergessen - oder aber Mars, boshafter Kumpan, hat auf Süd-Südost bis fast herunter auf den Meeresspiegel eine ordentliche Delle in den Ring geschlagen, genannt: Porta del Sud; 300 Meter in der Breite misst der olympische Hieb, mittig hineingesenst noch eine grundtiefe Scharte, in die sich die Brückenkonstruktion der Wüstenbahnlinie spreizt und unter deren verrosteten Eisenträgern sich der Rio Zinnober ins Meer ergießt. Wo auch der Insulaner ohne beschwerliches Klettern hinunterkäme an den einzigen Sandstrand der Insel, wollte er das. Doch weil der gemeine Pelargonio wasserscheu ist wie eine maghrebinische Wanderhure, sonnen sich daselbst nur Walgerippe; Seeelefanten knirschen darüber hinweg, während versprengte Pinguine auf dem schwarzen Lavagries umher watscheln, Luftsegeleien gelegentlicher Albatrosse bestaunend.

Wer hier unten steht, erblickt linksab das Städtchen Vayacondios: Pelargoniens einziger Seeport. Mitten hindurch und zum Hafen hin führen die Gleise der vorgenannten inselhalbierenden Wüstenbahnstrecke, über welche Mitte/Ende des 19. Jahrhunderts die Massen- und Menschentransporte gelaufen sind während des Guano-Runs. Heutzutage legt nur noch gelegentlich ein Frachtschiff an, und man meint zu spüren, dass es möglichst schnell wieder fort will. Hier dümpelt die Zeit vertäut am Pier, auf dem noch ein klappriges Einwanderungsbüdchen steht, durch das sich jedoch lange nichts mehr bewegt hat außer Spinnen und Staubflusen.

Das Wetter in und um Pelargonien entfacht ebenfalls keine Begeisterungsstürme. Jene erloschenen Picos, aus deren seewärtig schroffen Abseiten der Meeresrand des insularen Fladens besteht, paradieren als Schildwache; die Seewolken kalben deshalb ihre nassen Lasten schon vor und über dieser Steilküste ab, so dass von Zeit zu Zeit wenigstens in den seeseitigen Bergtälern ein anerkennenswertes Grünen und Blühen aufkommt.

Um so trockener und staubiger ist es im Malpais, dem Schlechten Land, das auf einen wartet, wenn man über die Spitzen und Grate hinab stößt ins Inselinnere. Mittig in dieser rund 150 Kilometer durchmessenden, mit unzähligen Kakteen besetzten Sandschüssel spitzt ein einzelner Vulkankegel auf: der ebenfalls lang entschlafene, 500 Meter hohe ComeddoZentral. Wetter und Zeiten haben das Meeressediment rings um den Comeddo zu schichtigem Gebröckel verpulvert und zu rotgrauem Staub, der im Verbund mit dem allgegenwärtigen Vogeldreck aller Augen und Lungen martert. Der böse Dunst wird fleißig umgeschaufelt durch LaRotonda: ein seltsam und stetig um den Comeddo zirkulierender Wirbelwind. Und wenn es denn doch mal regnet im Malpais, verklumpt der Staub zu zähem Schlick.

Mitten hindurch führt der einzige nennenswerte Wasserlauf der Insel, der sich von ringsum aus dem Randgebirge landeinwärts sickernden Gräben und Rinnsalen nährt. Und ab dem am Fuß der westlichen Picos gelegenen Ort Nombredelrio darf sich der bis dahin gemütliche Bach dann auch von Beruf Rio und mit Namen, analog der Farbe der inneren Wüste, Zinnober nennen. Ab hier mäandriert er durch die Desertas - dicht mit Opuntien überwucherte Sandsteinformationen aus abschilfernden Schichtstufen - bevor er in Höhe Comeddo Zentral, gedunsen durch unterwegs einverleibte ober- und unterirdische Feuchtgeschwister, in Richtung Südosten abbiegt, um bei Vayacondios unterhalb der Eisenbahnbrücke die Porta del Sud zu passieren und sich danach rotschlammig und fast 30 Meter breit ins Meer zu ergießen. Und aus dem Morgenrot der östlichen Kimm grüßt eine halbe Seemeile entfernt ein verwitterter kleiner Leuchtturm auf der winzigen Klippe ElTrozo als letzter Vorposten bis Afrika hin, von den Insulanern verächtlich genannt:

El Culo del Mundo - der Arsch der Welt.

ELDORADO - Räuberpistole mit Fremdenführer

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