Читать книгу ELDORADO - Räuberpistole mit Fremdenführer - Klaus Schafmeister - Страница 17
ОглавлениеKaliber 12 - Sonne über LaCita
Drei Jahre nach Baubeginn im Sommer 1871 war die Isla durch die Bahntrasse von Nombredelrio über La-Cita hin zum Seehafen Vayacondios quasi halbiert und die Guano-Transporte nicht mehr nur wie in den ersten Jahren des beginnenden Guano-Booms auf langsame Eselskarawanen angewiesen oder auf schwankende Frachtboote auf dem mit Sandbänken durchsetzten Rio Zinnober. Endlich konnte der Guano großvolumig und kontinuierlich mit gasbefeuerten Zügen nach Vayacondios gebracht und von dort mit schnellen Guano-Clippern in die Welt geschippert werden.
Das große Geld haben jedoch nur wenige verdient. Von den 1.000 Abenteurern aus aller Welt, die LaPelargo mit süßen Gewinnversprechungen ins Land gelockt hatte, verreckten 100e beim gesundheitsvernichtenden Misternten. Noch viel mehr bezahlten ihre Träume von Ruhm und Reichtum mit schwersten Schäden an Lunge, Haut und Augen - und auch der Leber durch das stete Eintauchen in die Pirazzo-Fluten.
Da hatte am zweiten Weihnachtstag des Jahres 1880 der Himmel ein Einsehen mit den geknechteten Guanitos und der verrohten Bruchbudenanhäufung LaCita: Miss Dora Darling stieg aus dem Zug - und Augenzeugen schworen, dass genau in der Sekunde, in der Doras Stiefelletten den ungehobelten Bahnhofsperron berührten, ein mächtiger Sonnenstrahl auf die Stadt gefallen sei.
Diese Dora installierte bald darauf in einer heruntergekommenen Trinkhalle namens Dollar&Dime ein kleines feines Puff und nannte es HOTEL DORA DOLLAR. Geschmackvolle Boudoirs und Salons wurden eingebaut, die Fassade renoviert und zehn hübsche und freundliche Mädchen angeworben. So bescheiden die Lokalität in den ersten Wochen auch wirkte - die Baulichkeiten wuchsen rasant, die angebotenen Dienstbarkeiten waren exquisit: ein nie dagewesenes Spektrum von einfachen sauberen Klausen über den gepflegten Logierbereich bis hin zur luxuriösen Suite, bald verbunden mit einem quirligen Casinobetrieb. Eine Oper folgte nach, eine Bar mit hängenden Gärten und ein Edelrestaurant, in dem man silberbesteckt von Meißener Porzellan internationale Köstlichkeiten tafelte, alles mit oder ohne warmhändige Damenbetreuung, ganz nach Wunsch und Geldbeutel.
Dieses Traumschloss blieb natürlich auch der Obrigkeit nicht verborgen. LaCitas damaliger Alcalde hatte zuerst gelächelt; eine schwachsinnige Idee hatte diese kleine Norteamericana-Hure da gehabt: ein öffentliches Etablissement, in dem sowohl begüterte wie auch ärmere Schichten preiswert geschmackvolle Speisen, Wohnung, Ruhe - und bezahlbare Liebe finden konnten Idiota! Von vorn herein zum Scheitern verurteilt!
Doch das Scheitern blieb aus, denn auf so etwas hatte die Guanito-Halbwelt wohl schon lange gewartet. Bereits ein dreiviertel Jahr nach Eröffnung zeigte sich die Herberge im Zentrum LaCitas baulich verdoppelt und kurz darauf verdreifacht, das zuhälterfreie Lustobjekt für Könige und Komsomolzen schlug sämtliche Belegungsrekorde. Schnell breitete sich der Betrieb aus über die Baunachbarschaft, bis er an die Wände des Vulkans stieß. Und auch hier hinein bohrte man noch Funktions- und Lagerräume, und nach zwei Jahren war das HOTEL DORA DOLLAR (das - wie böse Ludenzungen es nannten - plebejische Puffparadies) weitaus schönstes und mächtigstes Bauwerk der ganzen Stadt, ja: der ganzen Insel. Und allen Unken zum Trotz blühte Doras Unternehmen weiter - und sogar Präsidentin Mahgonia bezog bald eine edle Zimmerflucht als neue feste Repräsentanz.
Dorothea Amethyste Darling entstammte einer mobilen, weil des Öfteren verjagten Bußpredigerfamilie aus Boston. 14-jährig brannte sie mit einem Matrosen durch, der sie aber schon nach sechs Monaten ebenda im Elend sitzen ließ. Die GOTTgefälligen Eltern hatten sie längst verstoßen und vergessen; was blieb ihr also anderes übrig, als ihren Lebensunterhalt in einem der Bostoner Hafenbordelle zu verdienen? Als sie 1874 nach Pelargonien kam, war sie gerade 19 Jahre alt, doch bereits fünf Jahre erfolgreich im Gunstgewerbe tätig und somit entsprechend virtuos.
Dora hatte zuerst in Vayacondios im Mariposa angeschafft, eins der wenigen von der Obrigkeit still geduldeten Matrosen- und Kaktusschneiderbordelle der Insel. In diesem Hause stieg sie binnen kürzester Zeit zur ungekrönten Königin der dort anschaffenden Huren auf; dort hörte sie auch vom quirligen LaCita im Zentrum des Landes. Weil das Mariposa langsam verkam, verließ Miss Darling Haus und Küste und nahm – Duplizität der Ereignisse – Anfang 1878 den Antrag ihres langmonatigen Stammfreiers Geronimo Otterblow aus PuntaSingularia an, wo Otterblow am Rande des Ortes ein kleines Fuhrunternehmen betrieb und Dora sogleich nach ihrer Übersiedlung ehelichte. Doch auch hier: kurz nach der Hochzeit stürzte der Kreislauf des Gatten infolge einer Herzinsuffizient (und sicherlich auch auf Grund von Doras Liebesbezeugungen) in ein schwarzes Loch, aus dem er nie wieder zurückkam. Leider blieb die kurze Ehe kinderlos - nicht, dass sich (wie angedeutet) Geronimo nicht bemüht hätte, doch das Schicksal bzw. der Bostoner Matrose hatten Dora mit einer üblen Syphillis infiziert. Sie überstand das Leiden, jedoch der Arzt hatte nur Doras Leben, nicht ihre Fruchtbarkeit retten können.
Spätestens hier endet die Ähnlichkeit der Schicksale der beiden berühmten Pelargonias. Wo die honorige Dona und stolze Mama Mahagonia Tiberia Pelargo deSprizz erfolgreich auf großbürgerliche Reputation gesetzt hatte, stand Senora Dora Darling deOtterblow zwar mit einigen Barmitteln, jedoch ohne besondere gesellschaftliche Perspektive da. So tat sie wieder das Einzige, was sie gelernt hatte: sich geschickt und gekonnt zu prostituieren.
Wer Dora zum ersten Mal vor die Augen bekam, wunderte sich - das also sollte die phänomenale Hetäre sein? Die brünette Amerikanerin war beileibe kein kleines zartes Frauchen, sondern maß ihre wohlgerundeten 80 Kilogramm auf 179 Zentimeter Körpergröße. Andererseits besaß sie ein zartes hocherfreulichem Wesen und hübsche Gesichtszüge und war umhüllt mit einer weichen honigfarbenen Haut, die ihr altvordere Indianerahnen mitgegeben hatten - alles in allem nett anzuschauen, doch nichts augenblicklich Umwerfendes; da hatte man schon feurigere Rösser gesehen. Nur wie sie sich bewegte, wie sie die Gäste ansprach, ihr Duft, ihr Charme: ein umschmeichelndes Seidentuch, ein duftiger Schleier, der sich zart über den Besucher legte, ihm aufs Köstlichste die Luft nahm und seine Sinne in ungeahnte Räusche trieb - nach spätestens fünf Minuten war ihr jeder rettungslos verfallen, Mann wie Frau. Besonders jene, die das Privileg genossen, Dora ganz privatim um sich haben, wurden von ihrer sinnlichen Präsenz voll und ganz überrannt.
Baulichkeit und Ruf des HOTELs DORA DOLLAR und seiner Betreiberin wuchsen in solch respektable Ausmaße, dass sogar LaPelargo den Hut zog vor soviel unternehmerischem Furor. Die regierende Dona hegte am Anfang, es war 1883 und das Jahr der präsidialen Wohnungsnahme in LaCita, durchaus freundliche Gefühle für Dora - besonders wegen der üppig fließenden Vergnügungssteuern, die eventuelle Probleme in Sachen öffentlichen Anstandes und guter Sitten in milderes Licht setzten.
Mahagonias Zuneigung verwandelte sich jedoch in Missgunst, als Dora im Volk beliebter wurde als die mittlerweile beleibte mürrische Landesmutter. Als Letztere mal wieder öffentlich ausgebuht, Dora hingegen auf den Händen begeisterter Guanitos umhergetragen wurde, sann LaPelargo, wie sie eine Schlinge um diesen hübschen Yankee-Hals winden könnte, aber Dora war längst unantastbar in LaCita, und die Präsidentin mochte keinen Aufstand riskieren. So knirschte sie zwar mit den Zähnen, beließ es jedoch bei kleineren Piesackereien.
Zum Eklat kam es ein Jahr später, als Mahagoni durch ihre Spitzel erfahren musste, dass ihr einziger Sohn und Erbe des Öfteren bei heimlichen Aufsuchungen der großen Hure Babylon beobachtet worden war und aus dunklen Winkeln schon mal das zärtliche Kronprinz-Versprechen Heirat in die Ohren der Spione rann. Sohn Episcopao zählte immerhin schon 26 Lenze – doch die eifersüchtige Mama hätte sich lieber sonstwohin gebissen, als diese Bordsteinschwalbe in die Familie zu lassen. Und dazu noch das zu erwartende höhnische Geraune: Einziger Sohn & Erbe der Staatsgründerin und -präsidentin Dana Mahagonia Pelargo macht Hure zur nächsten Ersten Dame der Republica Pelargonia! - nicht auszudenken sowas!
Doch der besorgten Mutter ist das Schicksal zu Hilfe geeilt. Zwei Tage, nachdem ihre Schergen wieder mal Filius Episcopao den weichen Fangarmen der Molluskin entwunden hatten, verstarb DORA DOLLAR plötzlich und unerwartet! am Morgen des ersten Maisonntags des Jahres 1886 im Alter von nur 31 Jahren - woran, ist nie herausgekommen. Offiziell hieß es Blutsturz, inoffiziell Gift, scheute sich aber, letzterer Version ernsthaft und besonders öffentlich Glauben zu schenken.
Nach der heftig beweinten Grablege der guten Seele ists mit der Attraktivität des Hotels schnell vorbei gewesen, es war schließlich nicht mehr Doras Haus. Nach einigen Monaten beschlagnahmte die Präsidentin Doras Wohnetage und kurz darauf das gesamte Anwesen - als sie jedoch, der murrenden Bevölkerung LaCitas zum Trotz, die gigantischen, mit unzähligen Gaslämpchen erleuchteten Schriftzüge HOTEL DORA DOLLAR an dessen oberster Dachattika wegsprengen lassen wollte, bekamen es ihre Feuerwerker ums Verrecken nicht hin, den Schriftzug zu zerstören - außer beim HOT vorne und dem LLAR hinten weigerten sich die Riesenlettern standhaft, zu fallen, so sehr sich die Sprengmeister auch mühten. EL DORA DO blieb übrig, von der Prospektorenmeute (und selbst von den Klerikalen) als Fingerzeig GOTTes angesehen, so dass sogar Präsidentin Pelargo entnervt vor Doras posthumer Bosheit kapitulierte. Deshalb prangte auch Anfang der 1950er noch der gewaltige Namenszug ELDORADO über der Stadt – Hollywood sollte sich also nicht ganz so viel einbilden auf sein hölzernes Buchstabengelumpe!
Trotz ihres frühen Todes blieben Dora Darling und ihr Andenken präsent und sacrosanct in Pelargonien. Ein paar Nachdenkliche lecken sich auch in unseren Tagen noch die Lippen, grübelnd, welchen Kurs das Schicksal der Insel wohl genommen hätte, wäre Mahagonia zuerst verblichen.
Kaum, dass Miss Darlings Asche unter der Erde war – ihre Begräbnisstätte ziert ein menschengroßer, griechisch anmutender Frauentorso aus kunstvoll geschmiegtem Kupferblech, den damals Doras Vertrauter und Leibwächter, der Große Ashanti, hünenhafter Kämpfer und Künstler aus dem finsteren Herzen Afrikas, angeblich über Nacht gedengelt hatte - setzte ein emsiges Rechnen, Spitzen und Wühlen ein nach ihren finanziellen Hinterlassenschaften. Es musste eine gewaltige Summe sein, welche die kinderlose Dora trotz ihres großen soziales Engagements und ihrer baulichen Prachtveranstaltungen in den Jahren erwirtschaftet und beiseite gebracht hatte, doch fand sich kein einziger Peso.
So kam bald das Gerücht auf vom Schatz der DORA DOLLAR: ein Hort, unermesslich groß und versteckt in LaCita, in Pelargonien oder im restlichen Universum; bereit, den glücklichen Finder und seine Nachkommen für alle Zeiten zu reichen Menschenkindern zu machen. Aber so viel und oft die Insel und besonders LaCita ELDORADO in den folgenden Jahren auch durchschnüffelt und umgegraben wurde: keine Spur fand sich von Doras Schätzen - was der allgemeinen Gier keinen Abbruch tat, im Gegenteil: in den Legenden wuchs die Hinterlassenschaft zu astronomischer Größe. Selbst Präsidentin Pelargo beschäftigte eine professionelle Suchtruppe aus Kartenlegern, Rutengängern, Priestern und anderen finsteren Elementen, aber auch die pendelnden Astrologen und kreuzschlagenden Schwarzröcke versagten kläglich - der Schatz blieb nebulös, doch zementiert in Herzen und Hirnen.
Nicht erst nach 40 Jahren, sondern schon um die Jahrhundertwende war der Krater des Comeddo Zentral nahezu ausgeräumt - pünktlich zum Zeitpunkt, an dem die Herren Haber und Bosch im fernen Europa die Kunstdünger-Herstellung fabrikationsreif hatten und die Guano-Preise in den Keller (besser: Abtritt) stürzten. Der Run war so schnell vorbei wie er begonnen hatte; diejenigen Digger, die ihn überstanden, verzogen sich nach Klondike und Nome im amerikanischen Norden und strichen Pelargonien fluchend aus ihren Erinnerungen.
La Pelargo, mittlerweile 67 Jahre alt, saß lustlos im heruntergekommenen ELDORADO, das nie ihre Stadt hatte sein mögen. Als einzige Kitzel blieben ihr die abstruse Schatzsuche nebst Sichtung ihrer Bankkonten, deren Inhalt Sohn Episcopao jedoch schon mit vollen Händen wieder hinaus warf.
Undankbarkeit und Dummheit des Nachwuchses war auch das Thema, dass Mahagonia in gelegentlicher Korrespondenz mit ihrer prominenten Brieffreundin, der britischen Queen Victoria - die sich ebenfalls als geschlagen mit einem Stall schwachsinniger Brut! bezeichnete - bis zum Ableben der Englischen im Jahr 1901 bitterlich mit Tinte beweinte. Die beiden hatten sich zufällig kennengelernt, als Mahagonia im Frühjahr 1887 als hochherrschaftliche Touristin ihre alte Heimat Mallorca besuchte, wo sie im königlichen Almudaina-Palast auf Her Royal Highness traf, die heimlich in Palma weilte, um eingedenk ihres kommenden goldenen Thronjubiläums eine lipide Schrumpfkur zu absolvieren. Die Staatenlenkerinnen waren sich gleich sympathisch und in ihrer Abneigung gegen dumme Blagen - und Prostituierte - hochwohlgeboren einig.
Dann kam der Tag, an dem Mahagonia Tiberia Pelargo aller sonstiger Korrespondenz, Schatzsuche und hauptstädtischer Repräsentationsgebaren überdrüssig wurde. Sie besann sich nicht zuletzt auch wegen der zwischenzeitlich in und um ELDORADO herum unerträglich gewordenen Wüstenluft ihres komfortablen Zugabteils und dampfte im Herbst 1904 davon in Richtung Vayacondios. Hier hatte sie eine kleine Villa am Hafen erworben, die sie bis zu ihrem Tod im Jahre 1919 nur noch selten verließ.
Professor Nimrod, Guano-Finder und Kraftwerkserbauer, ist übrigens auch nicht ganz leer ausgegangen: von den Kompanien mittellosen Prospektoren, deren Knochen einträchtig mit denen der alten Kaktusfresser in der Wüste bleichen, kennt niemand die Namen; der Wissenschaftler ist zwar ebenfalls nicht reich geworden und schon Ende der 80er an der Lungenpest verstorben, aber dafür in die Unsterblichkeit eingegangen, denn Präsidentin Pelargo geruhten gnädig, das prähistorische Federvieh mit dem phänomenalen Verdauungstrakt Praeaptenochytes Nimrodus Mega benennen zu lassen. Und das ist doch auch schon was!
Nach einigen Jahren der Totenstarre regte sich der Bienenkorb LaCita, jetzt nur noch ELDORADO genannt, von Neuem. Er begann erst unmerklich, dann immer hastiger auseinander zu quellen. In jeder Nacht wandelte er sich in einen neuen Aggregatszustand – woran finstere Mächte wohl genauso schuld waren wie die Sage von DORA DOLLAR und ihrem gigantischen Nachlass. Stockwerke, die morgens von Maurern und Mineuren auf Gralssuche in Schutt und Asche gelegt wurden, waren schon mittags neu ausgebläht; unter der allabendlich sterbenden Sonne vaporisierten sich Zimmerfluchten und Lagerhallen und verrieselten in dunkle Schächte, um am nächsten Morgen an anderer Stelle unter den Pranken roher Baumeister wieder aus der Kubatur zu brechen. Der gesamte Stadtkörper vibrierte und wand sich in metamorphen Wehen, und schon fünf Jahre nach dem Auszug der Präsidentin krallte sich eine gewaltige schillernde Geschwulst an die Südseite des Vulkans: ein Hornissennest aus Gestacheltem und Geflirrtem, das man besser nicht reizte. Über Dora, Mahagonia, den Guano-Run und alles, was sonst noch so vorgegangen war am Comeddo Zentral, senkten Zeit und LaRotonda vorsorgliche Schleier aus Vergessen, Verklärung und Vogeldreck.