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Der 15. Geburtstag
ОглавлениеHans wachte mit einem Ruck auf und wusste, dass es sein Geburtstag war. Aber er freute sich nicht darüber wie früher. Er spürte vielmehr ein würgendes Gefühl im Magen, als ob er sich übergeben müsste. Warum?, fragte er erschrocken.
Man erwartete ihn auf der Parade. Das war für ihn immer das Wichtigste und Schönste gewesen. Die Parade war doch für ihn da! Weil sein Geburtstag auf den Führergeburtstag fiel, feierte die ganze Stadt, das ganze Land seinen Geburtstag mit! Die Fahnen wurden auch für ihn gehisst, die Trommeln auch für ihn geschlagen, die Trompeten auch für ihn geblasen. Was gefiel ihm daran nicht?
Doch es gefiel ihm schon. Aber es wurde ihm jetzt deutlicher bewusst, dass es auch eine Verpflichtung war. Sein Geburtstag machte ihn zum Führerkind. Das bedeutete, treu zum Führer zu stehen, komme, was da wolle. Josel hatte geschrieben, er musste durch äußere und innere Haltung beweisen, dass er es wert war, ein Führerkind zu sein.
Schaffte er das? Man erwartete so viel von ihm. Als Führerkind musste er zu den Besten gehören. Er musste seinem Vater und Josel folgen, die zu den Besten gehörten. Das war nicht leicht, aber er musste es versuchen. Er durfte nicht aufgeben.
Er sprang aus dem Bett. Innere und äußere Haltung! Die äußere Haltung bewies er durch seine Uniform, in die er schlüpfte wie in eine zweite Haut. Er betrachtete sich wohlgefällig im Spiegel: Vom Schiffchen auf dem Kopf bis zu den blank gewienerten Schuhen gab er das Bild eines strammen Hitlerjungen ab. Die innere Haltung bewies er durch Einsatz, Treue und Gehorsam. Er würde es ihnen zeigen, allen in der Welt würde er es zeigen!
Er stürmte aus dem Haus und schloss sich der Parade auf der rot und schwarz geflaggten Krakauer Straße an und sang aus voller Brust zwischen Trompetenstößen und Trommelschlägen ihr Lied: Vorwärts! Vorwärts / schmettern die hellen Fanfaren / Vorwärts! Vorwärts / Jugend kennt keine Gefahren / Deutschland, du wirst leuchtend stehn / Mögen wir auch untergehn.
Sie marschierten unter den wogenden Hakenkreuzfahnen, zwischen den applaudierenden Zuschauern in endlosen Kolonnen, in denen allein die Hitlerjugend mit fünf Fähnlein von je 150 Mann dabei war. Wie hüpfte ihm das Herz vor Freude, weil er eins war mit dem mächtigen deutschen Volk. Jetzt wusste er, wofür er lebte, wofür er gebraucht wurde in dieser schicksalsträchtigen Zeit, wo es auf jeden ankam, auch auf ihn.
Schön war auch, dass die Mädel mitmarschierten, unter denen er Gudrun entdeckte, blond und hell und stramm und schlank. Er durfte sie natürlich nicht anstarren, und er konnte sie ja auch nur von fern gesehen, aber er wünschte, sie würde ihre Augen auf ihn richten, und manchmal hatte er das Gefühl, sie tat es.
Er sah sie noch einmal, als der Kreisleiter zu ihnen redete und von ihrer Pflicht sprach, wie der Führer standzuhalten und nicht zurückzuweichen. Und dann winkte er Gudrun zu sich und sie stieg nach oben und verlas den Gruß an den Führer mit klingender Stimme: „Möge er noch lange zum Segen und Wohl des deutschen Volkes regieren!“
Er klatschte sich die Hände wund und ein gewaltiger Applaus rauschte durch die ganze Stadt und selbst die Fahnen standen starr und die Bäume hoben ihre Äste.
Nach der Parade lief er nach Hause und musste den Geburts- tagskuchen anschneiden und die 15 Kerzen ausblasen. Er schaffte es kaum, weil alle ihn so fest umarmten, als wollten sie ihn erdrücken, und es gefiel ihm nicht, ihre wogenden Busen zu fühlen, wo er doch schon ein Mann war. Bei Marie gefiel es ihm, weil sie hübsch war und nach Veilchen roch. Es machte ihn auch verlegen, sie war Josels Verlobte. Sie aber drückte drauf los, weil sie ihn nicht voll nahm. Er war ihr Hoppek, mit dem sie machen konnte, was sie wollte.
Marie hatte ihren jüngeren Bruder durch einen Unfall verloren, im Schwimmbad, wo der Bademeister auf ihn hätte aufpassen müssen und doch nicht gesehen hatte, dass er auf dem Grund lag. Jeder fragte sich, wie es dazu gekommen war, wo er doch schwimmen konnte. Seitdem glaubte Marie, dass so was auch ihm passieren könnte, und behandelte ihn wie einen kleinen, dummen Hoppek. Wenn er dagegen protestierte, sagte sie: „ Josel hat mich gebeten, ein Auge auf dich zu werfen. Ich weiß, dass du auf Josel hörst und so wird es dir nicht schwerfallen, auf mich zu hören. Oder?“
Er nickte sofort, wie er immer nickte, wenn sie ihn um etwas bat. Nachher ärgerte er sich darüber und wollte das nächste Mal widersprechen, aber wenn sie vor ihm stand, konnte er es nicht, weil sie so hübsch war, so schlank, so geschmeidig. Er dachte, dass sie so hübsch sein musste, weil für Josel nur das hübscheste Mädchen gut genug war, denn sein großer Bruder war ein Held.
Er gehörte mit über 75 Abschüssen zu den berühmtesten und hoffnungsvollsten Jagdfliegern des Reiches. Er hatte in Groß Strehlitz so viele Verehrer, dass Hans immer wieder auf ihn angesprochen wurde, weil man sein Bild, seine Unterschrift, einen Gruß, eine Verabredung haben wollte. Leider war er selten zu Haus, und wenn, dann nur kurz, so dass Hans ihn vermisste, gerade jetzt an seinem Geburtstag, wo er ihn erwartet hatte. Er war im nahen Stubendorf stationiert, aber irgendetwas musste dazwischen gekommen sein, kein Wunder, denn in diesen unruhigen Zeiten, wo das Reich in größter Gefahr war, musste er dauernd in die Maschine steigen.
Marie schenkte ihm eine Mundharmonika und spielte das Geburtstagslied: Viel Glück und viel Segen. Er spielte es nach und merkte, dass es ihm nicht schwer fiel. Marie freute sich und umarmte ihn, musste aber sagen, dass am Anfang ein Instrument leicht war. Dann aber musste man üben, üben und nochmals üben, um es beherrschen zu können.
Seine Mutter hatte es nicht so mit Mahnungen und Ratschlägen. Sie ließ ihn eher laufen, weil sie ihn im Schatten Josels sah, von dem sie die ganze Zeit sprach. Deshalb hatte Hans mehr Freiheiten, was ihm gefiel. Die Taschenlampe gefiel ihm auch, die sie ihm schenkte, denn die war spitzenmäßig verarbeitet, mit Batterien, die gut und gerne 20 Stunden hielten, und einer Leuchtkraft von über hundert Metern. Marie, die natürlich etwas dazu sagen musste, hoffte, die Lampe würde ihm den rechten Weg leuchten, wenn es dunkel um ihn wurde.
Von seiner Großmutter bekam er ein Liederbuch und darin gab es Lieder, die er auf seiner Mundharmonika nachspielte. Aber es gab auch Kirchenlieder, denn sie konnte es nicht lassen, ihm etwas von der Kirche unterzuschieben. Sie schenkte ihm ein zweites Buch von irgendeinem Pater, das den Titel hatte: „Die Starken und die Schwachen“. Für ihn war gleich klar, dass er es nicht lesen würde, denn er hatte keine Lust über die Starken und Schwachen im Glauben zu hören. Doch das konnte er seiner Großmutter nicht sagen, die beleidigt wäre und zurück nach Gleiwitz zu Tante Martha fahren würde. Seine Mutter wollten sie bei sich haben, weil sie das Haus und den Garten machte.
Von seinem Vater bekamen sie keinen Brief, so dass sie nicht wussten, was er mit seinen Panzern an der Ostfront machte. Man meldete Frontbegradigungen und Truppenzusammenziehungen im Radio.
Am Abend traf sich die Jugend der Stadt im Castellschen Park, um dem Führer bei Fackelschein Treue bis ins Grab zu geloben. Als Hans sich in der Nähe des Schwanenteichs aufstellte, roch es schon nach lauem Frühling, so dass er sein Hemd hochkrempelte und sein Halstuch lockerte.
Zuerst sah er Gudrun und erinnerte sich, wie er einmal auf dem Hindenburgplatz vor ihr gestolpert war. Sie half ihm auf und ihre Augen hatten sich zum schönsten Augenblick versenkt, den er sich vorstellen konnte. Dann sah er Marie, die für eine Mädelschaft ihre Fahne weihte. Er dachte, als sie den Arm hob, um dem Führer ewige Treue zu geloben, dass sie die Hübscheste war, und war sehr stolz auf sie.
Er marschierte leicht und frei mit seinen Kameraden und sang aus voller Kehle: Die grauen Nebel hat das Licht durchdrungen und die düstren Tage sind dahin.