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Glaube und Gehorsam

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Von Josel kam immer noch keine Nachricht und seine Großmutter war häufig in der Kirche, um für ihn zu beten.

„Buxlik!“ So nannte sie ihn. „Tu mir den Gefallen und geh wieder sonntags in die Messe! Das wird Josel helfen.“

„Mm!“, machte Hans, um nicht Nein zu sagen. Er glaubte nicht, dass es Josel half. Es hatte auch nicht seinem Vater geholfen, als sie als sie auf dem Annaberg bei der heiligen Anna waren. Zugegeben, er hatte nicht für seinen Vater gebetet, dafür seine Großmutter und Mutter um so stärker, mehr Stärke im Glauben konnte man gar nicht verlangen. Und doch waren sie für die Heilige nicht so wichtig gewesen.

Außerdem hatte er Angst von seinen Kameraden ausgelacht zu werden, wenn sie ihn zur Kirche rennen sahen. Aber als Marie ihn bat, sie in die Frühmesse zu begleiten, konnte er wieder nicht Nein sagen. Wenn sie sagte: „Tu es Josel zuliebe, es wird ihm helfen!“, glaubte er ihr. Bei seiner Großmutter glaubte er es nicht.

Er war so verschlafen, dass er kaum mitbekam, was vorn am Altar vor sich ging, auch nicht mitbekommen wollte, weil er sich jetzt ärgerte, doch mitgekommen zu sein. Er schloss lieber die Augen, um zum Schlaf zu treiben, als er einen Stoß von ihr erhielt. Er riss die Augen auf und sah, wie hübsch sie sich zurecht gemacht hatte. Die Messe am Sonntag war ihr wichtig, sie zog die besten Kleider an, die Leute sollten sehen, wie ernst es ihr war. Warum war sie so katholisch, wo doch Josel den Glauben gar nicht ernst nahm, sich sogar lustig über ihn machte!

Er konnte es sich nur so erklären, dass Marie Angst um Josel hatte und in ihrer Angst in die Kirche rannte. Er glaubte nicht, dass es half, aber er fragte sich, was dann half. Man konnte nicht einfach da sitzen und Däumchen drehen. Man musste Josel helfen. Aber wie?

Als die Orgel zum Abschied brauste, fühlte er Maries Hand an seiner ziehen und konnte ihr nicht widerstehen und wurde in die Sakristei geführt. Pfarrer Lange bat sie, Platz zu nehmen, und reichte ihnen ein Stück Brot mit Käse, wozu sie Wasser und er Wein tranken.

„Habt ihr die Lesung aus dem Alten Testament gehört und verstanden?“, fragte er.

Hans war unbehaglich zumute, weil er geschlafen hatte. Der Pfarrer lächelte, als ob er Hans durchschaute. „Nicht immer gibt’s der Herr den Seinen im Schlaf!“

Hans sah ihn nicht an.

Dafür sah der Pfarrer Marie an und sie hatte gut zugehört. „Gott wollte Abrahams Gehorsam prüfen und befahl ihm, seinen einzigen Sohn Isaak zu töten.“

Hans horchte auf, weil er an Josel dachte.

„Als Gott sah, dass Abraham ihm gehorsam war, verschonte er seinen Sohn und nahm dafür einen Widder.“

„Gut“, nickte der Pfarrer und fragte: „Müssen wir Gott immer gehorchen?“

„Ja“, sagte Marie.

„Müssen wir der Obrigkeit immer gehorchen?“

„Ja“, sagte Hans.

„Wir müssen der Obrigkeit gehorchen, wenn sie von Gott ist“, sagte der Pfarrer.

„Wie sollen wir wissen, ob die Obrigkeit von Gott ist“, fragte Marie.

„Nur Gott darf den bedingungslosen Gehorsam fordern, weil er die Zukunft voraussieht.“

Das ging Hans zu schnell, obwohl er sich bemühte, alles zu verstehen. Er rief und dachte an Josel: „Warum glauben wir nicht wie Abraham bedingungslos an unseren Führer? So ein Glaube wird uns helfen, den Krieg zu gewinnen!“

„Ist der Führer Gott?“, fragte der Pfarrer.

Nein, dachte Hans. Aber Gott hatte seinem Vater nicht geholfen. „Ich sehe nicht, wie Gott dem deutschen Volk hilft. Aber der Führer will dem deutschen Volk helfen!“

„Gott sieht die Zukunft voraus. Kann das der Führer?“

Immer wenn die Kirche nicht weiter weiß, wird sie unverständlich, dachte Hans. Aber er wusste keine Antwort. Denn dass der Führer die Zukunft voraussah, das traute er sich nicht zu sagen.

Marie schaltete sich ein. „Ist das die Vorsehung, wenn Gott voraussieht?“

„Man kann es so verstehen. Abraham nannte die Stätte, wo er seinen Sohn opfern sollte, Gott sieht.“

„Also ist die Vorsehung das, wogegen man nichts machen kann“, sagte Marie.

Der Pfarrer lächelte. „Als Christ bleibt dir das Gottvertrauen. Gott wird es in seiner Weise zum Besten richten.“

„Ich könnte es nicht ertragen, wenn mein Verlobter im Krieg fällt!“, rief Marie.

Der Pfarrer seufzte. „Bete, um Gott zu verstehen!“

Hans sagte trotzig, weil der Pfarrer ihn aufregte: „Wenn ich zu Gott bete, hilft er mir sowieso nicht. Wie kann ich ihn da verstehen?“

„Die Menschen können Gott nicht verstehen. Er ist jenseits des menschlichen Verstandes.“

„Warum soll ich dann zu ihm beten?“

„Weil Gott uns seinen Sohn geschickt hat. Wenn du an ihn glaubst, wird Gott verständlich.“

So redet die Kirche immer, dachte Hans, aber es bringt nichts ein. Er wollte jetzt die entscheidende Frage stellen. „Kann Gott uns helfen, den Krieg zu gewinnen?“

„Wir müssen sehen, was Jesus sagt“, antwortete der Pfarrer. „Was immer ihr einem Schwachen antut, ihr tut es Gott an!

Er beugte sich vor und flüsterte: „Deutsche und Polen haben lange friedlich zusammengelebt, aber dann glaubten die Deutschen, stark zu sein und auf ihre schwachen Nachbarn keine Rücksicht mehr zu nehmen. Sie vergaßen, dass sich das Blatt wenden konnte und sie schwach wurden und ihre Nachbarn stark, die auch keine Rücksicht nehmen würden.“

Es wurde so still, dass die Wanduhr Hans ins Ohr tickte, dass er etwas Verräterisches, in der Schule und der HJ streng Verbotenes gehört hatte. Der Pfarrer glaubte also, dass die Polen stärker wurden als die Deutschen und darum alles machen konnten, was sie wollten. Das war unmöglich! Die Deutschen würden immer Herr in ihrer Heimat bleiben und sich nie von den Polen vertreiben lassen!

Er holte seine Mundharmonika hervor und spielte: Der Heimat treu bis in den Tod / wir Oberschlesier bleiben!

Weiter kam er nicht. Marie zischte: „Nicht hier!“ und legte ihre Hand auf seine Mundharmonika. Der Pfarrer sagte: „Musik kann uns betören, zu Toren machen!“

Er stand auf, schlug das Kreuz über sie und ging. Hans zitterte vor Wut. „Denkst du überhaupt an Josel?“

Sie runzelte die Stirn.

„Der Pfarrer ist gegen alles, woran Josel glaubt. Oder glaubst du, dass die Polen stärker werden können als wir?“

Sie sah ihn traurig an. „Darum geht s nicht!“

„Doch! Die Polen wollen ganz Oberschlesien haben!“

„Die Deutschen wollten ganz Polen haben!“

Warum ließ er sich von Marie alles sagen? Doch nur Josel zuliebe. Und wenn er gar nicht wusste, was sie dachte? Armer Josel.

Jorgusch

Die Sonne schien, die Vögel zwitscherten, Polly schnüffelte im Gebüsch herum und Hans saß neben seinem Fahrrad und spielte das Lied vom Rosmarienbaum, weil es so schön traurig war.

Da kam Jorgusch vorbei und warf einen Blick auf sein Rad. „Du hast einen Platten“, sagte er.

Hans nickte. Deshalb saß er ja am Straßenrand. Aber er hatte keine Lust, sich um sein Rad zu kümmern. Er spielte lieber auf seiner Mundharmonika.

„Komm, das lässt sich schnell beheben!“, sagte Jorgusch.

Hans sah ihn dankbar an. Er wusste, dass Jorgusch ihm den Reifen mühelos flicken würde. Alles, was Jorgusch in die Hand nahm, tat er mühelos. Er war immer schon der Beste in der Klasse gewesen, obwohl er nie ein großes Gemähre daraus machte. Das Beste aber war, dass er sich in der Schule nie über ihn lustig machte, sondern ihm half, wo er konnte. So wie jetzt, als er ihm das Fahrrad abnahm und es in den nahen Bach stellte. Er prüfte das Ventil und sah, dass es dicht war, weil keine Blasen hochstiegen.

Er suchte den Reifen nach spitzen Gegenständen ab und nahm erst dann, weil er nichts fand, den Reifen ab.

„Warum ziehst du nicht gleich den Reifen ab?“, fragte Hans.

Jorgusch runzelte die Stirn. „Wenn du zu schnell vorgehst, kannst du nicht gründlich sein.“

Ernst Scheißkerl hatte ihm das vorgeworfen und gesagt, so machten es die Pollacken. Bei Jorgusch hätte er das nicht gewagt. Obwohl jeder wusste, dass es viele Polen in seiner Familie gab, die in der Volksabstimmung für Polen optiert hatten. Wenn man von den Polen in Groß Strehlitz sprach, meinte man auch sie, aber man ließ es bei Jorgusch durchgehen, weil er so gut in der Schule war und überhaupt zu den zuverlässigsten Kameraden zählte.

Jorgusch lockerte das Ventil, hob den Reifen aus der Felge, zog den Schlauch heraus, bis er ganz frei war, und pumpte ihn langsam auf. „Wenn man planmäßig vorgeht, macht man keine Fehler“, sagte er und legte den Schlauch in den Bach, um das Loch zu finden. „Heutzutage geht man nicht mehr planmäßig vor, weil man keine Zeit hat.“

„Wieso?“, fragte Hans.

Jorgusch schien ihn nicht zu hören. Er holte Flickzeug aus seiner Satteltasche, fand das Loch, markierte es mit einem Bleistift, säuberte die Stelle mit einem Benzinlappen, schmierte eine Gummilösung darum, bevor er den Flicken draufsetzte. Erst dann sagte er, dass man in der größten Not die meisten Fehler machte.

Hans hoffte, dass er ihn nicht meinte, weil er nie planmäßig vorging, ob in Not oder nicht.

Jorgusch trat an ihn heran und flüsterte: „Es brennt doch alles ab, wenn die Feuerwehr keine Zeit hat, planmäßig das Feuer zu bekämpfen.“

Jetzt glaubte Hans ihn zu verstehen, weil er sich erinnerte, wie Josel gesagt hatte, die Russen drohten sie zu überrollen, weil sie keine Zeit hätten, planmäßig gegen sie vorzugehen. „Meinst du den Krieg im Osten?“, flüsterte er zurück.

Jorgusch prüfte die Klebeschicht und sagte dann, dass die Deutschen immer großen Wert auf Ordnung gelegt hatten, während die Polen lieber auf das große Wunder warteten. Jetzt hatten die Deutschen für Ordnung keine Zeit mehr.

Das verstand Hans nicht.

Jorgusch zog das Schutzpapier vom Flicken ab, klebte den fest auf den Schlauch, drückte den Schlauch wieder unter den Reifen und sagte: „In der größten Not hofft man immer auf ein Wunder. Jetzt hoffen die Deutschen auf ein Wunder, damit die Russen gestoppt werden. Für die Polen sind die Russen das Wunder.“

Hans erschrak. Er begriff, dass die Polen auf die Russen gesetzt hatten, die immer näher kamen. „Wir müssen die Russen aufhalten! Wenn man sie nicht aufhält, werden die Polen uns Oberschlesien nehmen.“

Jorgusch ließ sich wieder Zeit für seine Antwort. Er presste den Reifen in die Felge, kontrollierte das Ventil und pumpte prall auf, bevor er sagte: „Wenn die Polen auf ihr Wunder setzten, können das auch die Deutschen!“

„Ach, du meinst unsere neuen Wunderwaffen“, sagte Hans.

Er war froh, ihn endlich verstanden zu haben. Er erzählte von der Me 262, einem strahlgetriebenen Jagdbomber, der schneller war als jedes andere Flugzeug und dem Feind das Fürchten lehrte, wie er von Josel wusste.

Jorgusch drehte das Fahrrad um, das auf Sattel und Lenker gestanden hatte, und sagte, dass sich bei der nächsten Panne das Flicken nicht mehr lohnte, er müsste rundum erneuern.

In dem Augenblick kam Polly aus dem Gebüsch gelaufen und Jorgusch warf einen interessierten Blick auf sie. „Woher hast du die Töle?“

„Vom alten Polenhof.“

„Hm!“ Man merkte, dass Jorgusch überlegte.

„Warum fragst du?“

„Pjerunje bei Gleiwitz! Ich wette, die alten Bauern haben so manches an Schätzen zurückgelassen. Die mussten so schnell flüchten, die konnten gar nicht alles mitnehmen.“

„Hm!“, machte diesmal Hans.

„Dämlack! Verstehst du nicht? Wir machen eine Stippvisite im Polenhof und holen uns die kleinen Schmuckstücke. Deine Töle muss dabei sein. Die kennt das Gelände und kann uns bei Gefahr warnen.“

„Gehen wir jetzt?“

„Mitternacht! Nur dann findest du einen Schatz!“

Hans nickte. Schatzsuche! Das versprach Spannung.

„Vergiss nicht die Taschenlampe und den Sack für Fundsachen!“

So nahm Hans kurz vor Mitternacht mit Polly im Arm seinen Fluchtweg über den Birnbaum, der vor dem Fenster seines Zimmers stand. Er traf auf Jorgusch, der schon vor dem Einstieg in die finstere Hausruine wartete.

Es war eine sternklare Nacht, der Mond nur als dünne Sichel zu erkennen, und diese Dunkelheit kam ihm vertraut vor, während sich zu ihren Füßen ein schwarzes Loch auftat, das sie verschlucken würde, um sie nie wieder herauszugeben. Aber Jorgusch machte eine ungeduldige Kopfbewegung und Hans ließ Polly vor der Kellertreppe los und flüsterte „Such!“ Sie zögerte, richtete ihre Ohren auf, bewegte ihren Schwanz unruhig, bis sie hinunterlief und im Schein seiner Taschenlampe kaum zu sehen war. Er folgte ihr mit klopfendem Herzen und fühlte sich als Einbrecher, der in etwas Verbotenes eindrang, in ein feucht-heißes Grab, in dem das Licht der Taschenlampe wie ein Blitz hin und her zuckte, um gleich ein Gewitter auszulösen.

Da flatterte es um seine Ohren und wischte durch seine Beine und er schrie auf, aber Jorgusch sagte ruhig, dass es Fledermäuse und Ratten waren, die man zu erwarten hatte. Hans hatte sie nicht erwartet und sie erschienen ihm wie Unglücksboten. Er ließ sich von Jorgusch überholen, der mit seiner Lampe den Boden absuchte, der aus Stein bestand, aber Löcher zeigte, in denen Wasser blinkte, so dass es moderig roch.

Jorgusch warf den Lichtkegel an die Wand und auf einen Pfeiler, an dem ein Kasten aus schwarzem Metall lag, der dumpf schepperte, als er mit dem Fuß gegen ihn stieß. Aber er konnte ihn nicht öffnen, so sehr er sich bemühte, selbst mit dem Spaten nicht, den er im Nebenraum fand.

Da schlug er mit aller Kraft den Spaten auf den Kasten und ein entsetzliches Geräusch kam heraus, ein quietschender Schrei, der von allen Seiten widerhallte, so dass Hans vor Angst stöhnte. Jorgusch lachte: „Hast du Schiss? Hier hört uns keiner und wer uns hört, hat Angst vor Poltergeistern!“

Hans war nicht wohl dabei. Er hätte Jorgusch gern überredet, nach oben zu laufen, doch der begann mit dem Spaten die Steine des Fußbodens zu lockern, um den Kasten hoch zu heben. Es knirschte und das ganze Haus zitterte, und obwohl Hans schrie, endlich aufzuhören, setzte Jorgusch den Spaten unter den Kasten und wollte ihn nach oben wuchten. Der Pfeiler wehrte sich, er wollte den Kasten nicht freigeben, er ächzte und schüttelte sich und es war wie ein Klagen, das durch das Haus ging. Plötzlich krachte es und ein Riss zeigte sich an der Wand.

Jetzt hielt Hans nichts mehr zurück. Er rannte hoch, Polly neben ihm, die spitz winselte, und Jorgusch hinter ihm, der schwer keuchte. Der Boden schwankte, sie wurden ein-, zweimal gegen die Wand gestoßen, bis sie endlich ins Freie sprangen. Hinter ihnen grollte und polterte es und der ganze Keller schien zusammenzustürzen, aber sie wollten sich nicht umgucken, sondern liefen weiter, froh, mit dem Leben davongekommen zu sein.

Hans blieb stehen, rang nach Atem, stieß aus, dass Jorgusch mit seinem verdammten Leichtsinn sie fast getötet hätte.

„Es war verdammter Leichtsinn, die Polen zu vertreiben!“, keuchte Jorgusch. „Wir müssen aufpassen, dass unser Haus Oberschlesien nicht zusammenbricht!“

Hans war sprachlos. Das klang nach Pfarrer Lange. Das klang so, als ob er auch glaubte, dass sie ihre Heimat verlieren konnten. Kam jetzt doch das polnische Blut durch?

Er spielte trotzig auf seiner Mundharmonika: Oberschlesien ist mein liebes Heimatland / wo vom Annaberg man schaut ins weite Land / wo die Menschen bleiben treu in schwerster Zeit / für dies Land zu kämpfen bin ich stets bereit.

Der Hitlerjunge Hans

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