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Josel

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Sein Bruder kam am nächsten Wochenende, worauf alle gehofft hatten, weil er von Stubendorf auf einen Sprung vorbeischauen konnte. Er sah gut aus, dachte Hans, ach, bei ihm war alles gut, er war ja ein Held und schwebte dennoch nicht über den Wolken. Beim Fliegen schon, natürlich, aber nicht, wenn sie zusammen waren, wo er von Mann zu Mann zu ihm sprach, leider nur sehr selten, er hatte ja wenig Zeit, er musste immer etwas erledigen.

Am Abend war er mit Marie weg, um sich Heinz Rühmanns neuesten Film „Die Feuerzangenbowle“ im Lichtspielhaus anzusehen. Dann machte er es sich im Café Niedlich gemütlich, wo zum Tanz aufgespielt wurde, aber darüber sagte er nichts, obwohl Hans gern davon gehört hätte.

Beim Frühstück kamen sie endlich zusammen und da fragte Josel, weil es ihn interessierte, wie er in Sport war. Hans sagte, dass er im Turnen gut war, im Fußball leider nicht und auch nicht im Laufen und Springen, wo er jedenfalls nicht zu den Besten zählte, was er unbedingt wollte. Aber am schlimmsten war das Boxen, wo er ein, zwei empfindliche Niederlagen hinnehmen musste, was ihn ärgerte. Leider waren die anderen größer, hatten mehr Reichweite, obwohl er jeden Morgen seine Arme durch gymnastische Übungen zu strecken versuchte.

Josel war nicht viel größer als er, ähnelte vom Gesicht auch eher ihrer Mutter, bei der alles fein und zierlich war. Aber er hatte den untersetzten und muskulösen Körper von ihrem Vater, auch seine kurzen, festen Schritte und seine blauen Augen. Er lachte, weil Hans die Großen und Starken beneidete, schlug ihm auf die Schulter: „Ach, Hans, wenn du Flieger werden willst, brauchst du nicht Größe und Stärke, vielmehr musst du wendig sein und flink, ein Händchen für die Maschine haben, ein Gespür für Wind und Wetter.“

Hans wollte alles über sein Fliegen hören, über seine Luftkämpfe und Abschüsse, aber darüber redete Josel nicht viel. Er sagte nur, man sollte nie übermütig werden und sich zurückziehen, wenn der Gegner zu stark war.

Josel brauchte nicht zu prahlen, er konnte es sich leisten, bescheiden zu sein, denn jeder wusste doch, dass er ein Held war. Er war auch der Held für die Freunde seines Vaters, die am Nachmittag zu ihnen kamen: Dr. Scholtys, ihr Hausarzt, und Kretschmar, der holzbeinige Lehrer, der auch Hans unterrichtete. Sie wollten hören, wie Josel die Lage beurteilte. Hans wurde zum Glück nicht hinausgeschickt und sah seinen Bruder an, der sagte, es kam auf die Übersicht an.

Sie riefen sofort, dass sie die Übersicht nicht hatten, und Josel antwortete: „Man muss nur hoch genug fliegen, um die Übersicht zu haben.“

Dr. Scholtys wiegte den Kopf, wie es seine Art war, und meinte: „Ikarus ist zu hoch geflogen und abgestürzt!“ Da lachte Kretschmar: „Ikarus ist nicht seinem Führer gefolgt und deshalb abgestürzt!“ Dr. Scholtys wiegte wieder den Kopf: „Es ist nicht so einfach, einem Führer zu folgen, der ein Labyrinth gebaut hat, aus dem keiner herauskommt.“ Kretschmar lachte: „Man muss nur den richtigen Führer haben, dann kommt man aus dem Labyrinth heraus.“

Josel nickte Kretschmar zu und sagte, dass sie den richtigen Führer hatten, und erzählte von seinem Besuch bei ihm in der Wolfsschanze. Er hatte ihm gegenübergestanden und in seine Augen gesehen und wusste, dass er dem Führer vertrauen konnte, weil er noch ein paar Überraschungen hatte, um den Krieg siegreich zu beenden. Da riefen Dr. Scholtys und Kretschmar, sie glaubten auch, dass der Führer noch ein paar Überraschungen hatte.

Sie gingen dann, was Hans sehr recht war, denn sie hatten so eine Art zu reden, die ihm nicht gefiel. Wenn Kretschmar lachte, schien es ihm, als wollte er sich lustig machen. Er bewunderte Josel, dass er sich darüber nicht aufregte. Er fragte ihn, wieso er so ruhig war, und Josel sagte: „Sie haben dem Führer nicht in die Augen geschaut wie ich!“

Davon wollte Hans mehr hören, denn wenn man ein Führerkind war, musste man alles über den Führer wissen.

Das Wichtigste war, an den Führer zu glauben. „Hat dir Pfarrer Lange nicht gesagt, dass der Glaube Berge versetzt?“

Hans nickte.

„So fest musst du auch an den Führer glauben. So ein Glaube hilft. Dann bist du zu großen Opfern bereit.“

Er sah ihn mit seinen leuchtend blauen Augen an. „Zum Beispiel Abraham. Er war bereit, seinen einzigen Sohn zu opfern, weil er Gott glaubte. Dieser Glaube rettete Isaak das Leben.“

Es war Hans, als ob Josel ihm ein tiefes Geheimnis anvertraute. Er nahm seine Hand und versprach ihm, an den Führer zu glauben.

Seine Großmutter und Marie traten ein, den Kaffeetisch zu decken, und er nahm sofort Platz. Wenn er aufgeregt war, hatte er Hunger. Was er von Josel gehört hatte, war sehr aufregend. Er stopfte ein Stück Streuselkuchen in sich hinein und Josel rief, es war schön, dass man heutzutage nach Herzenslust Kuchen essen konnte. „Das gab es nicht, als ich klein war!“

Alle schauten ihn verwundert an: Kuchen nach Herzenslust gab es nur, weil er gekommen war. Seine Mutter sagte, sie konnte sich nicht daran erinnern, dass er als Kind kein Kuchen bekommen hätte, und seine Großmutter meinte, das müsste aber gewesen sein, als er noch ganz klein war.

Die Zeit meinte er, rief Josel. „In Deutschland herrschten Hunger und dumpfe Armut. Opa Karl zum Beispiel arbeitete in lebenslänglicher Abhängigkeit auf dem Rittergut vom Grafen von Renard und ich kann mich erinnern, wie ich als kleines Kind unter der Kuh lag, damit ich ein paar Spritzer Milch abbekam, wenn sie gemolken wurde. Wisst ihr das nicht mehr?“

Keiner antwortete, alle sahen ihn mit großen Augen an und Josel erinnerte an Opa Alfred, der aus Borowno kam, diesem polnischen Kaff ohne Bildung und ohne Aufstieg. „Wir Deutsche waren von jedem gesellschaftlichen Aufstieg ausgeschlossen, bis sich das alles änderte, radikal änderte, und durch wen?“

Josel machte eine Pause und rief triumphierend: „Durch den Führer! Durch ihn ging es uns besser! Durch ihn waren wir wieder wer in der Welt!“

Hans klatschte in die Hände und schaute, als Marie und Josel sich küssten, aus dem Fenster. Er konnte aber sehen, dass seine Mutter zu ihnen eilte und sie beide umarmte.

Sie wünschte, sie würden bald heiraten, denn in diesen unruhigen Zeiten sollte man damit nicht zu lange warten.

Seine Großmutter trank ihre Tasse Kaffee aus und sagte: „Ach, Kinder, wenn ihr heiratet, gibt’s was zu hoffen!“

„Ich hoffe auf Enkel“, lachte seine Mutter.

„Ich hoffe, dass die Barans und die Klischowskis, wieder zusammenkommen!“, sagte seine Großmutter.

Man guckte verlegen auf die Großmutter. Josel sagte auch sofort, er wollte Marie doch nicht heiraten, weil sie eine Klischowski war. Sie war hübsch, das war der Grund! Alle lachten und Marie lachte sehr hell.

Josel setzte sich an das Klavier und sang: In einem Polenstädtchen, da wohnte einst ein Mädchen, das war so schön!

Man lachte, aber Marie lachte nicht. Sie sagte, ihr wäre lieber, sie heirateten bald, denn sie hätte Angst um ihn und jeder Abschied würde ihr das Herz brechen. Jetzt guckte man sie verlegen an und sie sagte, ihr träumte, dass sie Josel hoch oben sah, wo er sich nicht halten konnte und abstürzte. Josel rief, das war ihre Höhenangst, wo ihr schwindlig wurde, und sie gab es zu und alle nickten.

„Als Flieger kann ich mir Höhenangst nicht leisten“, sagte Josel. „Ich lasse andere abstürzen, mich nicht!“

Marie strich über Josels Arm. „Gut, dass du nicht so ängstlich bist!“ Sie gab ihm einen Kuss.

Hans rief: „Josel ist doch ein Held! Er hat keine Angst!“

Sie lachten, aber er hatte das Gefühl, sie lachten ihn aus.

Richtig schön war das Abendessen, weil es Rindsrouladen mit polnischen Klößen und Preiselbeerkompott gab, Josels Leibgericht. Danach wurde Sliwowitz ausgeschenkt und er durfte ein Gläschen trinken. Er schaute auf Josel und Marie und dachte, was für ein vollkommenes Paar sie waren. Er spürte einen Schmerz in seiner Brust. Er würde nie ein so hübsches Mädchen im Arm halten.

Am nächsten Morgen musste Josel früh weg und Hans war stolz auf ihn, wie er in der schmucken Fliegeruniform stramm und schneidig in der Tür stand. Er war auch traurig, weil er nicht wusste, wann er ihn das nächste Mal wiedersah. Als sein Bruder ihn umarmte, wurde ihm das Herz schwer, aber seine Augen flossen über, als er die Tränen von Marie sah, die sich an Josel schmiegte und nicht von ihm lassen wollte.

Bald darauf guckte sich auch Hans „Die Feuerzangenbowle“ an, um herauszufinden, was Josel und Marie wohl gefühlt hatten, als sie den Film sahen. Zuerst kam die Wochenschau und die war ein Knaller! Jagdflugzuge rauschten durch den Himmel, geschleuderten Pfeilen gleich, wo jeder Flieger seinen Abstand hielt und darauf brannte, den Feind zu finden. Man sah einen Piloten in Großaufnahme von hinten, in der einen Hand den Steuerknüppel, in der anderen das Maschinengewehr. Das musste Josel sein, der von hinten genau so aussah.

Er wartete nur darauf zu schießen, und da kam schon der Feind, ein dunkler Punkt noch, rasend auf ihn zu, aber Josel nagelte ihn über Kimme und Korn fest und zog durch. Feuer! Treffer! Das getroffene Flugzeug trudelte in die Tiefe und zog eine schwarze Rauchwolke hinter sich her. Schon schraubte sich Josel wieder hoch, die Sonne im Rücken, so dass er wie ein blendender Blitz in die feindliche Rotte fuhr. Feuer! und Treffer! und Rauch! Was für ein Held!

Jetzt konnte er „Die Feuerzangenbowle“ genießen und lachte über die Lehrer und lachte mit Hans Pfeiffer und freute sich, dass er seine Eva bekam. Als er das Lichtspielhaus verließ, fühlte er sich viel besser und beschloss, auch ein Held zu werden, und wollte sich auf jeden Fall nicht mehr alles gefallen lassen.

Der Hitlerjunge Hans

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