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Wehrübung

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Hans fuhr am Wochenende mit der Kameradschaft auf den Annaberg, nicht zur Klosterkirche, die seine Großmutter aufsuchte, sondern zur Thingstätte, wo alles weit und groß war. Da gab es nichts Dunkles und Enges wie in einer Kirche, sondern man schaute in die Landschaft und fühlte sich wie ein Flieger, der das Land unter ihm mit Leib und Seele verteidigte. Vor den in Stein gehauenen tapferen Kämpfern des ewig deutschen Schlesien standen sie und hörten, wie Ernst Beier mit erhobenem Arm ihren Schwur wollte: „Wir geben keinen Zentimeter unserer heiligen Heimat preis. Wir schlagen diesmal den Strom mongolischer Horden zurück!“

Ernst senkte aber nicht den Arm, sondern starrte in den Himmel und schrie: „Fliegeralarm! Volle Deckung!“

Sie mussten, obwohl sie keinen Flieger sahen, in die Pfütze vor ihren Füßen fallen. Als Hans nur eine Sekunde zögerte, spürte er im Nacken die Faust von Ernst, der ihn in den Dreck drückte. Dann brüllte er, dass sie wie Scheißkerle aussahen, die sofort die Klamotten zu wechseln hatten.

Sie zogen sich bis auf die Unterwäsche aus, nahmen ihre Ersatzklamotten, fuhren in frische Hemden und Hosen, säuberten das dreckige Zeug so gut sie konnten und packten es in die Tornister zurück. Nichts durfte schmutzig werden, alles musste ordentlich aussehen. Packen war aber etwas, was Hans hasste, und Ernst wusste es und beobachtete grinsend seine Mühen und schrie, als Hans fertig sein wollte: „Du packst wie ein Pollacke, aber nicht wie ein Deutscher!“

Er gab ihm einen Stoß, dass Hans taumelte, und höhnte, dass er von ihm, dem Bruder des berühmten Josef Baran, mehr erwartet hatte und riss ihm den Tornister aus den Händen und schüttete den Inhalt über der Pfütze aus. Die meisten lachten, aber Hans knirschte mit den Zähnen, denn er sah sein Zeug wie Josels Namen im Schmutz liegen. Er fragte Ernst, warum er ihn und seinen Bruder beleidigte, wo beide doch das Beste für den Führer gaben, sein Bruder als Kampfflieger, er als Führerkind.

Ernst brach in schallendes Gelächter aus, winkte die Kameraden zu sich und rief mit dem Finger auf Hans zeigend, dass dieser Kerl sich erdreistete, ungehorsam zu sein, weil er ein Geburtstagskind des Führers sein wollte.

„Wenn der Führer das wüsste, schickte er dich wegen Wehrkraftzersetzung ins KZ und da nützt dir dein Geburtsdatum ein Scheißdreck!“

Er zwang Hans, den Tornister so lange zu packen, bis jeder Handgriff saß, und befahl ihm, mit dem vollen Tornister um die Thingstätte zu laufen. Jetzt wusste Hans, warum sie den Tornister Affen nannten, denn er drückte immer schwerer auf seine Schultern.

Er wusste aber auch, dass er allein gegen Ernst nichts ausrichten konnte, dass es besser war, nicht unangenehm aufzufallen, um von den erzieherische Maßnahmen, auf die Ernst so stolz war, verschont zu bleiben. Also ertrug er geduldig das Programm, das schonungslos durchgezogen wurde. Zuerst kam das Marschieren mit schwerem Gepäck, das sie für die Übernachtung mitschleppen mussten. Das waren das große Zelt, die Zeltstangen, der Proviant und das Kochgeschirr, sogar das Feuerholz, weil der Wald noch feucht war. Dann kam das Schwimmen in einem kalten Teich, was ihm nicht leicht fiel, da er schnell fror, zuletzt aber, und das war das Schlimmsten, kam das Boxen. Darin war er sowieso schon schlecht, nun aber bekam er durch das Los Erwin zum Gegner, der noch nie einen Kampf verloren hatte und für seine harten Schläge bekannt war.

Es hieß zwar, dass gelost wurde, aber Hans war sicher, dass Ernst seine Hand im Spiel hatte, der ihn von Anfang an nicht mochte. Er hielt ihn für einen Poussierstängel, der den Kopf nach den Mädeln drehte, und nannte ihn einen Scheißkerl, weil er glaubte, wegen seines Geburtsdatums und seines Bruders Sonderrechte zu beanspruchen. Deshalb musste er gegen Erwin antreten.

Der war groß und schob seinen mächtigen Oberkörper nach vorn und ließ die Arme hängen, damit er wie ein Gorilla aussah, der schon durch seinen Anblick Angst einjagte.

Hans wollte keine Angst zeigen und stellte sich mit breiter Brust vor ihm auf. Der Gorilla nannte ihn grinsend den kleinen Gernegroß, machte einen raschen Ausfallschritt, tänzelte erstaunlich beweglich herum und holte zum ersten Schlag aus. Den konnte Hans parieren, nicht aber den zweiten, der viel stärker war und ihn erwischte, so dass er auf dem Boden lag und nach Luft schnappte.

Das war für alle normal und keiner sagte was zu seiner Niederlage, weil Erwin eben der beste Boxer war, und jeder sich freute, dass es ihn nicht erwischt hatte. Aber Ernst Beier musste seinen Senf dazugeben und mit einem Blick voller Verachtung auf Hans verkünden: „Es genügt nicht, auf gewisse Sonderrechte zu pochen. Man muss sich schon aus eigener Kraft behaupten!“

Er liebte es, große Sprüche zu klopfen, und hörte damit auch nicht auf, als es inzwischen dunkel geworden war und sie das Zelt aufschlugen und Feuer machten und die Erbsensuppe herumrührten. Ernst war nicht müde, er hatte kein Stück getragen, kein Stück mitgearbeitet, er konnte nur hin und her rennen und wie ein scharfer Hund knurren, während bei ihnen der Magen vor Hunger knurrte.

Er sprach von dem ewigen Gesetz, nach dem nur der Starke überlebte. „Deshalb dulde ich keine Schlappschwänze, keine Nörgler, denn der Nörgler stellt sich außerhalb der Gemeinschaft! Der ewige Nörgler ist der Jude, der bar jedes gesunden Instinkts an allem etwas auszusetzen hat!“

Er stand am Lagerfeuer und aus seinen Augen blitzte es und er schlug die Klampfe und sie sangen mit: Wir tragen stolz des Führers Namen/ Wir wollen seine Besten sein/und keiner fragt, woher wir kamen / bei uns gilt nur der Kerl allein!

Dann durften sie essen, aber Hans mochte die fade Erbsensuppe nicht, in der es kaum Erbsen und noch weniger Speck gab. Den anderen erging es ähnlich und sie legten bald die Löffel beiseite und hofften auf das Ende des Essens, weil sie nach dem Abwasch in ihr Zelt konnten, wo sie unter sich waren. Ernst hatte sein eigenes Zelt, weil ein Führer auch nachts seine hervorgehobene Position deutlich machen musste, wie er sagte. Sehr hervorgehoben fand Rudi Malcherek und zeigte zwischen die Beine und sie kicherten und lachten erst richtig los, als Ernst in seinem Zelt verschwunden war und sie unter sich waren und mit dem Lästern anfangen konnten.

„Ernst Scheiß!“, sagte Rudi, „Ernst Scheißkerl!“, sagte Hans und Karl Mader fragte, ob sie wussten, dass Ernst Scheißkerl bei der Rassenprüfung durchgefallen war, und erzählte, was er von seinem Bruder gehört hatte, der in der Napola war. „Da musst du mit nacktem Oberkörper und Turnhose vor den Ärzten stehen und die vermessen dir den Schädel und sagen dir, was du rassisch für ein Typ bist. Mein Bruder war überwiegend nordisch mit kleinen Anteilen von fälisch und westisch, was gut ist. Ernst Scheißkerl aber war ostisch, so dass er nicht in die Napola durfte. Er konnte von Glück sagen, dass sie ihn nicht als rassisch unrein einstuften. Ein Arzt sagte, fast ein Ostjude!“

Sie gackerten los, man hätte gleich wissen müssen, dass er ein Scheißjude war. Rudi schrie, er wäre gern dabei gewesen, um dem Scheißkerl die Hose herunterzuziehen und herauszufinden, ob es ostisch zwischen den Beinen hing!

Jetzt brach lautes Prusten aus und es begann das Austauschen schweinischer Witze, die Hans nicht hören wollte, weil er nicht vergessen konnte, wie Rudi ihm die Turnhose heruntergezogen hatte. Aber er konnte auch nicht seine Rassenprüfung für die Napola in Loben vergessen.

Das war überhaupt etwas, was ihm zu schaffen machte, weil viele Kameraden an ihm herumzupften und herumdrücken und beim Ringen und Rangeln ihm zwischen die Beine fuhren. Aber er konnte mit keinem darüber reden.

Am nächsten Morgen weckte sie Ernst Scheißkerl viel zu früh auf, als ob er gehört hätte, was über ihn gesagt wurde. Er stand gestiefelt und gespornt vor ihnen und laberte über die kerngesunden Frühaufsteher und die verweichlichten Langschläfer. Sie hörten gar nicht hin, machten sich über das Frühstück her, das ihnen besser schmeckte als das Abendessen, weil Erwins Mutter selbst gemachte Erdbeermarmelade mitgegeben hatte.

Es war aber eklig anzusehen, wie er mit der Zunge die Marmelade sich aus den Mundwinkeln holte. Hans musste darauf gucken und Ernst Scheißkerls Aussprüche über die germanischen Eroberer und slawischen Untermenschen hören. Aber weil er wusste, dass er die Rassenprüfung nicht bestanden hatte, nahm er ihn nicht ernst.

Doch konnte er nichts machen, weil er sein Führer war. Er packte schnell, schulterte, stand stramm und schmetterte das Lied, das Ernst Scheißkerl am meisten gefiel: Die Welt gehört den Führenden / sie gehen der Sonne Lauf / Und wir sind die Marschierenden / und keiner hält uns auf / Das Alte wankt, das Morsche fällt/ wir sind der junge Sturm / Wir sind der Sieg / Sprung auf marsch, marsch / Die Fahne auf den Turm!

Der Hitlerjunge Hans

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