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Sein Vater

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An einem Morgen, kaum war Hans aufgestanden, kam seine Mutter ihm entgegen und sah ihn mit flackernden Augen an. Sie sagte, dass sie seinen Vater gesehen hatte, der mitten in der Nacht vor ihrem Bett stand.

Seine Großmutter rief „Jesusmaria!“ und bekreuzigte sich und ihm wurde ganz mau, weil es nach Geist und Gespenst klang. Sie musste geträumt haben, sagte er, denn sein Vater kämpfte mit seinen Panzern an der Ostfront, weit weg von ihnen in den Steppen der russischen Horden. Aber sie bestand darauf, dass er leibhaftig bei ihr gewesen war, ganz ruhig und friedlich, fast fröhlich und er sagte, sie sollte sich keine Sorgen machen, er hätte seine Pflicht getan.

„Kommst du nach Hause?“, hatte sie ihn gefragt und er hatte lächelnd mit Ja geantwortet. „Wann?“, wollte sie wissen. „Bald“, antwortete er und beugte sich über ihr Bett und sie wollte ihn an sich ziehen, aber da war er verschwunden. Seine Mutter hatte ein gutes Gefühl, weil sie sicher war, dass er bald zurückkam, aber seine Großmutter schüttelte den Kopf und begann zu beten. Sie sagte, sie sollten in den nächsten Tagen zum Annaberg hoch pilgern, denn hier konnte nur die heilige Anna helfen.

Zuerst wollte seine Mutter nicht, weil sie keine große Kirchgängerin war. Sie wusste, dass auch sein Vater und Josel einen weiten Bogen um die Kirche machten und sie nur zu Familienfeiern betraten, also zur Taufe, Hochzeit und Beerdigung. Aber als seine Großmutter von Frau Ribnik redete, die zur Heiligen gefahren war und danach Post von ihrem Sohn bekommen hatte, gab seine Mutter nach.

Sie seufzte, dass man ja nie wusste, was sie oft sagte. Dann wollte auch noch Marie mit und bat Hans, mitzukommen, und er konnte nicht Nein sagen, denn wenn Marie ihn um etwas bat, gab er nach. Obwohl er sich oft darüber ärgerte.

Er ging also mit, wenn auch zögernd und unschlüssig, denn die heilige Anna verkörperte für ihn das Polnisch-Katholische, das von der Seite seiner Großmutter kam, auch von Maries Seite, die beide polnisch konnten. Aber er wollte nicht das Polnische verstehen, denn wenn sie es sprachen, zischten sie fortwährend und hatten feuchte Augen.

Die heilige Anna hatte früher ein Kloster auf dem Annaberg gehabt, das aufgegeben worden war für ein Soldatenheim und ein Kriegsgefangenenlager, vor dem SS-Soldaten standen. Die guckten nicht gerade freundlich, als sie vorbeikamen, so dass sie sich beeilten und in ein Gartenlokal gingen, von dem man eine schöne Aussicht hatte. Von dort sah man den Turm der alten Wallfahrtskirche, auf dem ein schwarzer Klotz lag, von dem Hans immer glaubte, er könnte jeden Moment herunterfallen. Im Lokal arbeitete eine Kellnerin, der die Großmutter etwas Geld gab, weil sie den Schlüssel zur Kapelle der heiligen Anna hatte. Sie schloss ihnen den dunklen Raum auf und zündete eine Kerze an.

Jetzt leuchtete die Holzfigur der heiligen Anna auf, die als Gottes Großmutter die heilige Jungfrau und das Jesuskind in ihren Armen hielt, alt und ehrwürdig, aber doch nicht so fremd. Hans hatte manchmal das Gefühl, dass es die Großmutter war, die seine Mutter und ihn in der Hand hielt. Ihn schauderte bei dem Gedanken, dass er dann das Jesuskind wäre, und wünschte sich zugleich, auch so beschützt und verehrt zu werden.

Die Großmutter und seine Mutter hatten sich inzwischen niedergekniet und Marie legte ihm die Hand auf die Schulter und drückte ihn nach unten, damit er der Heiligen seinen Respekt erwies. Er wäre gefallen, hätte sie ihn nicht gehalten, und weil er immer noch schwankte, ließ sie ihn nicht los, was er mochte, denn er roch ihr Parfüm, das Josel aus Paris mitgebracht hatte. Er merkte, dass sie zu weinen begann, leise zwar, dass es keiner mitbekommen sollte, doch er hörte es. Dabei betete sie sehr schnell und nannte Josels Namen und er wusste, dass sie nicht wegen seines Vaters mitgekommen war, sondern wegen Josel.

Weil ihr Gesicht so nah an seinem war, tropften ihre Tränen auf ihn und er musste auch weinen und zitterte wie Espenlaub. Da drückte sie ihn an sich. Jetzt betete er auch für Josel, nicht für seinen Vater, wie er es vorgehabt hatte. Er dachte sogar: Was geht mich mein Vater an? Wenn ich einen Wunsch frei habe, soll der für Josel sein. Die heilige Anna kann sich nicht um alle Soldaten kümmern, die in Lebensgefahr sind. Dann soll sie ihr Augenmerk auf Josel richten, das genügt mir.

Sofort hatte er ein schlechtes Gewissen. Er zeigte der heiligen Anna, dass ihm sein Vater nicht wichtig war. Sie würde ihn nicht auf ihrer Wunschliste haben, die sie Gott vortrug.

Es war ihm ein böses Vorzeichen, dass er, kaum war er aus der Kapelle getreten, den alten Kirchturm schwanken sah. Der schleuderte den schwarzen Klotz direkt auf ihn. Er konnte einen Schrei nicht unterdrücken, worauf sie ihn verwundert anguckten und er sofort abwinkte. Es war natürlich eine Sinnestäuschung, denn der Kirchturm stand ja immer noch, aber er wusste, dass sie vergeblich auf Vaters Rückkehr hofften.

Seine Großmutter und Mutter und Marie sangen: Sankt Anna voll der Gnaden/ du Bild der Herrlichkeit/ gepriesen sei dein Name/ jetzt und in Ewigkeit!

Bald kam ein Paket mit dem persönlichen Besitz des Oberleutnants Paul Baran, das ihnen schrecklich in die Glieder fuhr, so dass keiner es öffnen wollte. Die Augen seiner Mutter hatten sich mit Tränen gefüllt, Seine Großmutter bekreuzigte sich, Hans riss vorsichtig das Papier auf und las den beiliegenden Brief.

Im Felde, den 8.5.1944. Sehr geehrte Frau Baran! Ihr Gemahl, Herr Oberleutnant Paul Baran, ist von einem Einsatz auf feindlichem Gelände westlich von Odessa am 20.4. nicht zurückgekehrt. Wir sind gezwungen, anzunehmen, dass Ihr Gemahl im Kampf um die Freiheit Deutschlands in soldatischer Pflichterfüllung, getreu seinem Fahneneid für Führer, Volk und Vaterland, gefallen ist. Die Gewissheit, dass Ihr Gemahl für die Größe und Zukunft unseres ewigen Deutschen Volkes sein Leben hingab, möge Ihnen in dem schweren Leid, das Sie betroffen hat, Kraft geben und Ihnen ein Trost sein. In aufrichtigem Mitgefühl grüße ich Sie mit Heil Hitler.

An seinem Geburtstag, am Führergeburtstag war sein Vater gefallen, im russischen Schlamm versunken. An dem Tag hatte er gefeiert, an der Parade teilgenommen, aber nicht an ihn gedacht. An Josel dachte er jeden Tag, betete für seine sichere Rückkehr, auch auf dem Annaberg, aber für seinen Vater hatte er nicht beten wollen.

Es war nicht richtig. Die heilige Anna hatte es ihm übel genommen und ein Zeichen gegeben. Der Kirchturm hatte seinen Klotz auf ihn geschleudert.

Er erinnerte sich, wie ihm am Morgen seines Geburtstages unwohl gewesen war. Wenn gerade in dem Augenblick sein Vater gestorben war und an ihn gedacht hatte?

Er hatte es seinem Vater nie recht machen können. Er hatte ihn immer wieder enttäuscht. Er war nicht so hart und zäh wie Josel, sondern in seinen Augen weich und wehleidig und durch die Frauen verwöhnt, so er ihn Bübchen nannte. Er hatte große Hoffnungen auf ihn gesetzt, als er am Führergeburtstag geboren wurde, weil es auch für ihn ein Wink des Schicksals war, dass man von ihm viel erwarten durfte.

Er hatte ihn, kaum konnte er laufen, auf ein Pferd gesetzt, denn das Reiten lag ihnen im Blut, wie sein Vater sagte. Er saß zeit seines Lebens am liebsten im Sattel wie auch Josel schon als kleines Kind vom Pferd nicht mehr herunter wollte. Hans aber wollte sofort herunter und fiel und verletzte sich am Arm und schrie wie am Spieß. Sein Vater rammte ihm in seiner Wut die Spritze in den Arm, so dass die Nadel abbrach. Jetzt schrie seine Großmutter und zog mit sicherer Hand die Nadel. Sein Vater war gegangen.

Er zwang ihn weiterhin zum Reiten, für ihn eine Frage des Willens, der schon früh einzuüben war. Aber weil er als Offizier selten zu Hause war, konnte er sich kaum um ihn kümmern. Es wurde sowieso immer schwieriger, einen Reitlehrer zu finden, und seine Mutter und Großmutter hatten nicht die Zeit, sich damit abzugeben.

Seine größte Enttäuschung aber war, dass Hans nicht auf der Napola blieb, für die er ihn angemeldet hatte, weil er gut in der Schule war, besser sogar als Josel. Er war hoch erfreut, als Hans die Rassenprüfung mit Bravour bestand und der Arzt ihm sagte, er wäre ein guter deutscher Junge von echtem Schrot und Korn. Was er aber nicht wusste, war, dass der Arzt dem Bübchen die Turnhose heruntergezogen hatte und mit der Hand ihm zwischen die Beine fuhr. Er sagte, das gehörte zur Prüfung, aber Hans durfte nicht darüber sprechen, sonst würde er von der Schule fliegen.

Hans versuchte sein Bestes in der neuen Schule, bekam aber bald einen Husten, der immer schlimmer wurde, obwohl er ihn unterdrücken wollte. Harald Kaluza, sein zwei Jahre älterer Zugführer, hielt ihn für einen Schlappschwanz und ein Muttersöhnchen, und als herauskam, dass er nachts vor Heimweh weinte und sogar das Bett nass machte, glaubte Harald, ihn erziehen zu müssen. Er schickte ihm den heiligen Geist, was bedeutete, dass sie nachts über ihn herfielen und ihm den Hintern mit Schuhcreme einschmierten. Weil sie aber nicht nur sein Bett, sondern auch Zimmer und Bad verschmutzten, kam es zu einer Untersuchung. Das Ergebnis war, dass Harald Kaluza die Schule verlassen musste und Hans aus gesundheitlichen Gründen nach Hause geschickt wurde.

Sein Vater erfuhr davon erst später, weil er zu der Zeit schon in Russland war, aber als er es in seinem Heimaturlaub hörte, musste Hans ihm vor die Augen treten. Er sah ihn mit einem Achselzucken an, als ob er es immer schon gewusst hatte, und wandte sich von ihm ab, ohne ein Wort zu sagen. Das war das letzte Bild, das Hans von ihm hatte.

Der Hitlerjunge Hans

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