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Kapitel 3 Lokführer, mein Traumberuf

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Die Schul- und Lehrzeit habe ich nach meinem mehr oder minder guten Schulabschluss gut überstanden und die Qualifizierung zum Lokführer bestanden. Das war damals der Wunsch eines jeden Jungen. Nun begann im eigentlichen Sinn der Ernst des Lebens. Meine Zeit als Lockführer begann.

Mit 19 Jahren habe ich geheiratet. Wir kannten das Leben noch nicht, hatten keinerlei Erfahrungen und wenn ich mich heute frage ob es aus Liebe war, so weiß ich es doch nicht. Ich wusste aber um ihre Schwangerschaft.

Unser erstes gemeinsames Kind, eine Tochter, wurde 1963 geboren. Zwei Jahre später, 1965, folgte ihr unser erster Sohn und im darauffolgendem Jahr unser Zweiter.

Viele Freunde und Bekannte, Kollegen, Schwiegereltern, Schwester und Schwager und auch der Opa fragten, weshalb wir in so kurzer Zeit drei Kinder in die Welt gesetzt haben. Nun ja, die Pille gab es noch nicht und mit den anderen Verhütungsmitteln standen wir beide auf dem Kriegsfuß.

Es war für uns in jedem Fall eine schwere Zeit, doch deswegen nicht minder schön. Ich war selbst noch in der Ausbildung zum Lokführer. Kindergarten- und Kinderkrippenplätze waren damals kein Problem. Sie arbeitete halbtags in ihrem Beruf als Eisenbahnerin.

Das Geld im Haushalt war mehr als knapp, sodass wir uns beide gut überlegen mussten, wie von einem Monat zum Nächsten mit den drei Kindern über die Runden zu kommen war. Die Großeltern standen uns bei, kochten für uns Obst und Gemüse ein damit wir auch an Tagen, an denen das Essen knapp war, etwas Genießbares im Haus hatten. Es kam nämlich auch vor, dass kurz vorm Zahltag das Geld für die nötigsten Lebensmittel fehlte, und wir gezwungen waren uns an die Familie zu wenden: „Oma, borgst du uns 20 Mark“, waren solche Sätze die man zur eigenen Qual stellen musste. Sie borgte und wenn wir es dann Tage später zurückgeben wollten sagte sie sehr oft: „Ach Junge, gib mir nur 10 Mark zurück“.

Und das, obwohl sie nur eine kleine Rente hatten. Der Opa erhielt in den 60iger Jahren um die 290 Mark Rente, wie ich mich erinnere.

Oma bekam gar keine Rente, da sie nicht freiwillig geklebt hatte.

Wie bestritten die Großeltern nun selbst ihr Auskommen? Dazu sei zunächst gesagt sie wohnten auf einem Bauernhof, das war ihr Glück. Oma half bei der Ernte, kochte für alle in jedem Jahr Rübensirup, Pflaumen- und Apfelmus, konservierte alles und stand zuletzt auch stets der Bäuerin zur Seite, wenn diese Hilfe benötigte. Sie wohnten dort mietfrei, bekamen täglich die Tageszeitung und mussten nicht einmal Strom oder Wasser bezahlen.

Nur aufgrund dieser Umstände war es möglich, dass sie uns auch finanziell beistehen konnten, wenn wir es am dringendsten brauchten. Eine Tatsache ist aber auch, dass wir diese Gutmütigkeit nie zu unserem Vorteil ausnutzten! Wir bestritten doch weitgehend selbst unseren Lebensunterhalt und hatten eine sehr schöne Zeit. Meine Kinder bestätigen es mir noch heute.

Im Jahre 1968 konnte ich die Prüfung zum Dampflokführer mit Erfolg ablegen. Schon nach sehr kurzer Zeit, ich war für etwa drei Monate tätig auf einer Rangierlok, bekam ich überraschend schnell eine Planstelle im Güterzugdienst.

Mein Wunsch mich zu beweisen war in Erfüllung gegangen, schneller als ich es mir jemals hätte träumen lassen. Ein neuer Hoffnungsschimmer am Horizont. Nun begann für mich eine Zeit neuer Herausforderungen.

Jeden Tag galt es sich zu beweisen und zu engagieren, pünktlich zu sein, gewissenhaft, unfall- und zuglaufstörungsfrei zu arbeiten und tausende Tonnen Güter zu ihren Empfangsbahnhöfen zu befördern.

Meine Frau arbeitete noch immer stundenweise als Abfertigungsbeschäftigte im Reise-und Güterverkehr bei der Deutschen Reichsbahn auf einem kleinen Bahnhof in der Nähe von Torgau. Ihr Chef machte es trotz unseres Schichtendienstes möglich, dass immer einer von uns beiden zu Hause bei den Kindern war.

Die damals schlechte Arbeitskräftelage, sowie das hohe Transportaufkommen machten es notwendig, dass das Lokpersonal an Ruhetagen durch Ableistung von Überstunden die anfallenden Transportleistungen erfüllte.

Kranken- und Urlaubsvertretungen und die Beförderung zusätzlich anfallender Sonderleistungen waren an der Tagesordnung.

Mein Dienstplan, nach dem ich viele Jahre tätig war sah vor, dass zwei Tage von 6.00 Uhr bis 18.00 Uhr zu arbeiten war. Zwei Tage Dienstfrei verblieben, zwei Tage von 18.00 Uhr bis morgens 6.00 Uhr zur Arbeit riefen und dann wiederum zwei Tage dienstfrei waren.

So war es mir möglich an mehreren Ruhetagen im Monat Sonderdienste oder Vertretungen zu übernehmen, die als Überstunden vergütet wurden.

Jeden Monat leistete ich, je nach Notwendigkeit, etwa 80 bis 110 Überstunden. Dadurch bekam ich einen Lohn, der gegenüber dem der anderen Arbeitnehmer in der Industrie und Verwaltung überdurchschnittlich hoch war. Wir konnten uns relativ viel leisten. Wir kauften z.B. ein Motorrad mit Beiwagen. Damit hatten wir viele gemeinsame Touren mit unseren Kindern unternommen. Neben all der vielen Arbeiten und Pflichten schafften wir uns somit die Möglichkeit, viele Stunden unserer gemeinsamen Freizeit zu verbringen. Noch heute denke ich sehr oft und gern an diese Zeit zurück.

Da die Kinder noch nicht im schulpflichtigen Alter waren und ich in den Sommermonaten keinen Jahresurlaub nahm, hatten wir die Möglichkeit gemeinsam über Weihnachten und den Jahreswechseln in den Urlaub zu fahren. Sehr oft wurden wir von anderen Urlaubern angesprochen und bewundert, angesichts der Tatsache, dass wir als eine fünfköpfige Familie in der Lage waren gemeinsame Urlaubsreisen zu unternehmen. Auch als die Tochter schulpflichtig geworden war, so wie später unsere beiden Söhne, unternahmen wir viele gemeinsame Urlaubsreisen.

Etwa in den Jahren 1972/73 kauften wir unser erstes Auto.

Der Neid unserer Kollegen blieb uns nicht verborgen, denn nur wenige hatten selbst das aufbauen können, was uns so schnell geglückt war. Aber das störte unser glückliches Beisammensein nicht weiter.

Die Welt war für uns in Ordnung- wir waren zufrieden!

Ich selbst hatte in dieser Zeit auch Sonderdienste für fehlende Lokheizer übernommen, scheute keine Arbeit!

Einmal wurde mir ein Lokführer als Heizer zugeteilt, bei dem ich etwa zwei Jahre, planmäßig, als Lokheizer gefahren war. Eigentlich ein netter Kollege, von dem ich, während meiner Ausbildung viel gelernt habe. Seine Art Züge abzubremsen, habe ich mir aber nicht angeeignet. Er hatte nicht das Gefühl zu spüren, wie bei einem eingeleiteten Bremsvorgang der jeweilige Zug reagierte. Züge mit niedrigen Bremsprozenten bremsten oftmals besser, als Züge mit hohen Bremsprozenten. Das war vom jeweiligen Klima und der Feuchtigkeit auf den Schienen abhängig. Es kam sehr oft vor, wenn wir an einem „Halt“ anzeigenden Signal anhalten mussten, dass er den

Zug „abwürgte“, und weit vor dem Signal zum Stillstand brachte. Auf der freien Strecke war das kein Problem. Passierte das aber in einem Bahnhof, kam mitunter der Zug-Lauf durcheinander, da der letzte Teil des Zuges die Ausfahrt- bzw. Einfahrtweichen blockierte. Die Bremsen mussten erst gelöst werden, was mehrere Minuten dauerten konnte.

Dann wurde der Zug wieder in Bewegung gesetzt, um die betroffenen Weichen „frei“ zu fahren. Es kam auch vor, dass er Züge beim Abbremsen trennte, was dann zu erheblichen Zuglaufstörungen führte.

Schon während meiner Probefahrten als Lokführeranwärter erkannte ich, dass ich nur sitzend, an eine Rückenlehne angelehnt, das Gefühl bekam, wie der jeweilige Zug auf meine eingeleiteten Bremsvorgänge reagierte. Während meiner gesamten Lokführertätigkeit brachte ich die Züge an den Stellen zum „halten“, wo es notwendig und von mir für richtig empfunden wurde. Im Po und am Rücken spürte ich, in welcher der Bremsstufen ein Zug abzubremsen ist.

Bei Dienstbeginn, das war so üblich, fragte ich ihn: „was meinst du, „schippst“ du die Hinfahrt und ich die Rückfahrt, oder umgekehrt“. Seine kurze und patzige Antwort hatte ich so nicht erwartet.

„Ich bin als Heizer bei dir eingeteilt, also fahre ich als Heizer“. „Du Wolkenkratzerhoher Idiot“, dachte ich. Das Arbeitsklima konnte ich in diesem Moment nur als „Eisig“ bezeichnen und ich überlegte, wie ich ihm einen Denkzettel vom „Feinsten“, verpassen könnte. Seine „Bremskünste“ kamen mir in den Sinn. Den Zug hatten wir von Riesa nach Wittenberg zu befördern. Schon vor dem Bahnhof Röderau musste ich eine Bremsung einleiten, da wir verzögert „Durchfahrt“ bekamen. Ich hatte also schon wahrnehmen können, wie der Zug bei einer Abbremsung reagiert. Dann hatten wir „Freie Fahrt“ bis zum Bahnhof Falkenberg/Elster. Das Vorsignal zum Einfahrsignal stand auf „Halt zu erwarten“. Wie vorgeschrieben riefen wir uns diese Signalstellung zu. Ich schloss den „Regler“ der Zug rollte dann nur und die Geschwindigkeit verringerte sich von selbst. Unmittelbar am Vorsignal hätte ich einen Bremsvorgang einleiten müssen. Ich tat es aber bewusst nicht, denn ich hatte diesen „fiesen“ Plan. Er, ganz plötzlich wie „angestochen“ schrie zu mir herüber:

„Halt, Halt, Halt, schläfst du“? Ich reagierte darauf nicht, genau so als hätte ich es nicht gehört. Dann leitete ich aber die Bremsung ein, zwar sehr verzögert und ich hoffte, mein Schutzengel ist bei mir! Das Signal kam immer näher, der Zug bremste ab und etwa zwei bis drei Meter vor dem noch immer „Halt“ zeigenden Signal kamen wir, „Schutzengel hab Dank“, zum Stehen.

Er sprang wie ein „Angestochenes Rumpelstilzchen“ auf dem Führerstand hin und her. Er schrie mich an, sinngemäß: „Ich will doch nicht wegen dir Vollidioten meine Lizenz als Lokführer verlieren“.

Klar, auch er als Lokführer wäre zur Verantwortung gezogen worden, hätten wir dieses, auf „Halt“ stehende Signal „Überfahren“.

Ich sah ihm fest in die Augen und sagte: „Na bleib doch mal bitte auf dem Teppich, ich bremse immer so!“

Er fühlte sich immer wie ein King, Arrogant und Überheblich!

Hatte ich ihm eine Lehre verpasst?

Ihm hatte es wahrscheinlich die Sprache verschlagen, denn im weiteren Verlauf der Schicht wechselten wir nur noch die nötigsten Worte. Gefahren sind wir nie wieder gemeinsam und auch im Betrieb gingen wir uns aus dem Weg.


An eine weitere Begebenheit erinnere ich mich noch heute, habe sie im Traum vor Jahren noch einmal durchlebt und denke sehr oft daran zurück. Noch immer bekomme ich dabei eine Gänsehaut, wenn sie mir in der Erinnerung erscheint. Dann sehe ich erschreckende Bilder vor mir.

Einmal wöchentlich hatte unsere Dienststelle einen Sonderzug von Falkenberg/Elster nach Cottbus zu befördern. Diese Züge waren zusammen gestellt mit französischen Talbootwagen. Wenn man diesen Zug bis zur gewünschten Geschwindigkeit hatte, lief er leicht wie Reisezüge.

Er fuhr in der Kategorie „Schwerlastzug“. Diese Züge wurden besonders behandelt und fuhren in der Regel nach Sonderfahrplänen. Das hatte den Sinn

diese Züge vom Abgangs- bis zum Zielbahnhof nonstop durchfahren zu lassen. Er war mit Schotter beladen, der von Colmen-Böhlitz nach Berlin-Westhafen befördert wurde. Ich war für diesen Zug eingeteilt.

Noch während der Bremsprobe, am Abgangsbahnhof Falkenberg/Elster, nahm ich wahr, dass die Doppelkammerluftpumpe der Lok zu quietschen begann. Ein sicheres Zeichen dafür, dass eine Öl-Sperre an der Luftpumpe defekt war, was zum Ausfall der Luftpumpe, und somit schwerwiegende Folgen nach sich gezogen hätte. Ich stellte die Luftpumpe ab, begab mich auf den Umlauf der Lok und wechselte diese defekte Öl-Sperre. Ich war noch nicht ganz mit der Arbeit fertig, da wurden mir von den Wagenmeistern die Bremsen des Zuges als „In Ordnung“ gemeldet. Unmittelbar darauf bekamen wir das Signal: „Ausfahrt mit K-Scheibe.“ Es bedeutete, „Die kürzest mögliche Fahrzeit ist anzustreben“, da nach uns, laut Fahrplan, ein Reisezug fahren sollte.

Unser Zug hatte eine Eigenlast von ca. 1800 Tonnen. Ich setzte ihn schnell, mit weitausgelegter Steuerung und der Ausnutzung aller Kräfte dieser Lok, in Bewegung. Wir erreichten schnell die zulässige Höchstgeschwindigkeit von etwa 80Km/h.

Alle Signale standen auf „Durchfahrt“, bis wir uns dem „Calauer Berg“ näherten. Bahnhof Collmnitz „Durchfahrt,“ Blockstelle Cabel „Durchfahrt.“

Ab dem Bahnhof Collmnitz beginnt ein Gefälle von etwa 6/7% bis zum Bahnhof Calau. Das Vorsignal zum Einfahrsignal in Calau zeigte „Halt“. Ich griff zum Führerbremsventil und wollte die Geschwindigkeit verringern. Es bewegte sich ohne Gegendruck, ganz leicht. Das war für mich ein sicheres Zeichen, dass für diesen Zug keine Bremswirkung zu erzielen war. Die Katastrophe schien nahezu unabwendbar, sollten wir keine „Durchfahrt“, durch den sich nähernden Bahnhof Calau, bekommen.

Die Angst vor einer möglichen Katastrophe ließen mich fast erstarren. Ich schaute zu den Armaturen der Bremsanlage, erkannte dass in der Bremsleitung des Zuges keine Luft war und das Manometer des Hauptluftbehälters auch „Null “anzeigte.

Ich hatte nach dem Wechsel der defekten Öl-Sperre in Falkenberg/Elster versäumt die Luftpumpe wieder anzustellen.

Auf Grund der Dichtheit der Bremsleitungen und der Bremsapparate dieses Neubautrains entwich die Luft so langsam, dass ein Druckausgleich immer gegeben war und die Bremsen daher nicht von selbst anlegten. Der Zug wurde immer schneller und er zog eine große Staubfahne von diesem Schotter hinter sich her. Ich stellte die Luftpumpe wieder an. Mir war aber bewusst, dass es etwa 8 bis 10Minuten dauert, bis der Hauptluftbehälter der Lok und die Bremsleitung des Zuges gefüllt sind. Erst dann wäre eine Abbremsung des Zuges wieder möglich.

Nach der Durchfahrt einer Brücke in einer Rechtskurve, wurde das Vorsignal zum Einfahrsignal vom Bahnhof Calau sichtbar. Der Vorsignalabstand, auf Grund des Gefälles der Strecke, 1000 Meter vor dem Einfahrsignal, nützte mir in dieser Situation nichts, denn ich hatte ja keine Möglichkeit überhaupt eine Bremswirkung zu bekommen. Immer noch „Halt“, das Unheil bahnte sich immer mehr an, ich, mit beiden Händen auf die Signalpfeife der Lok, das Einfahrsignal kam immer näher.

Plötzlich zeigte das Vorsignal zum Ausfahrsignal „Frei“ und wenn ich mich heute richtig erinnere- unmittelbar vor der Vorbeifahrt am Einfahrsignal, ging dieses Signal auf die Stellung “Einfahrt“! Mein Heizer und ich sahen uns an. Wir waren nicht in der Lage auch nur ein einziges Wort zu sprechen.

Der Zug hatte inzwischen, auf Grund des Gefälles der Strecke, eine Geschwindigkeit von etwa 100 bis 110Km/h erreicht.

Die Loks der Baureihe 52-Reko hatten eine zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80Km/h. Immer und immer schneller drehten sich die kleinen Räder. Eine unbeschreibliche Angst kam in mir auf, dass uns die Treib-und Kuppelstangen jeden Moment um die Ohren fliegen. Kurz vor der Einfahrt in den Bahnhof Calau nahm ich ein plötzliches Schlagen und Rasseln wahr. Die Tachowelle und unmittelbar danach die beiden Antriebsstangen der Ölpresse auf dem Führerstand hatten diese Belastung nicht ausgehalten und verabschiedeten sich lautstark. Unser Zug hinterließ eine Staubfahne, wir passieren den Bahnhof Calau.

Ich sehe noch heute die Gesichter des Fahrdienstleiters und einiger anderer Personen, mit Schockgeweiteten Augen und offenstehenden Mündern vor mir, wie sie an den Fenstern des Befehlsstellwerkes ungläubig standen.

Dankbar sein muss ich ihnen dafür, dass sie keine Meldekarte über diesen Vorgang geschrieben haben. Ich wäre dann verpflichtet gewesen über die Umstände dieser Fahrt auszusagen. Disziplinarische Maßnahmen wären gegen mich eingeleitet worden.

Hätte in diesen Minuten eine „Querfahrt“ durch den Bahnhof Calau stattgefunden- eine für mich, heute, unvorstellbare Katastrophe. Dieses Schuldgefühl verfolgt mich noch heute in meinen Träumen.

Hatte ich einen Schutzengel? Es muss wohl so sein! Bis in die heutige Zeit erlebte ich Situationen im Straßenverkehr mit dem Auto, sowie auch mit meinem Motorrad, die hätten den sicheren Tot bringen können. Mein Schutzengel stand mir zur Seite.

Meiner Meinung nach ist alles im Leben vorbestimmt. Ich war noch nicht dran, also ist meine Aufgabe hier „unten“ scheinbar noch nicht erfüllt.


An zwei Begebenheiten erinnere ich mich ganz besonderes gern.

Meine Großeltern wohnten etwa 3Kilometer entfernt vom Bahnhof Doberschütz. Einmal fragte mich mein Opa, ob wir denn auch dort zu tun hätten. Laut Fahrplan hatten wir einen Zwischenaufenthalt von etwa 30Minuten auf diesem Bahnhof an zwei Tagen in der Woche.

Wir einigten uns auf einen Tag, an dem er mit seinem Behindertenfahrzeug nach Doberschütz kommen würde. Er wollte mich mit meiner Lok sehen.

Gesagt getan! Planmäßig fuhren wir abzweigend ein, ich sicherte den Zug und ging die etwa 60 bis 80 Meter in Richtung des Bahnhofgebäudes. Zu meiner Freude war der Opa da. Er wartete hinter einem Zaun auf uf mich.

Der Bahnhofsvorsteher, der an diesem Tag Dienst als Aufsichtsperson hatte, fragte mich: „Wer denn dieser Mann ist und ob ich ihn kenne, da wir uns wie Freunde begrüßt hatten.“

Er stand schon fast zwei Stunde da und beobachtet den Zugverkehr. Ich klärte ihn auf. Er öffnete den Zugang zum Bahnsteig und mein Opa wechselte seinen „Beobachtungsposten“. Kurz vor der geplanten Abfahrtszeit verabschiedeten wir uns und ich ging zu meinem Zug. Abzweigend Ausfahrt! Mit weit geöffnetem Regler setzte ich den Zug in Bewegung. In Schrittgeschwindigkeit näherten wir uns dem Bahnsteig. Ich sah ihn von weiten mit beiden Armen winken. Als wir an ihm vorbei fuhren, mein Heizer stand auf meiner Seite in der geöffneten Tür, sahen wir einen Mann, freudestrahlend, mit weit geöffneten Mund, uns etwas zurufend. Wir konnten es nicht verstehen, denn der ohrenbetäubende Lärm, den eine Dampflok beim Anfahren eines schweren Zuges verursacht, schluckte seine Worte. Er war glücklich wie ein kleines Kind. Uns traten beiden schlagartig Tränen in die Augen. Mein Heizer wusste über unser Verhältnis. Wir schämten uns nicht unserer Tränen, denn wir hatten einen Menschen sehr glücklich gemacht! Einen Menschen, der mir sehr viel gegeben hatte!

Ein weiteres bewegendes Erlebnis mit ihm hatte ich einige Jahre später.

Die Oma war mit 78Jahren verstorben. Der Opa bekam einen Platz in einem Altenheim in Eilenburg. Er hatte sich strikt geweigert zu seinem Sohn oder seiner Enkelin, meiner Schwester, zu ziehen. Er wollte, wie er es ausdrückte, keinem zur Last zu fallen. Ich besuchte ihn ein-zweimal im Monat in Eilenburg. Eines Tages sagte er zu mir: „ na mein Junge, du kommst immer in Zivil, obwohl du doch eine schöne Uniform hast. Warum ziehst du sie denn nicht an?“

Ich sagte ihm: “Ach Opa, die ziehe ich doch nur an wenn es vorgeschrieben ist. Zu Betriebsveranstaltungen, Dienstunterrichten, Schulungen und zu Feierstunden!“ „Aha, war seine Reaktion.“

Ich spürte aber, dass ich ihm eine Freude bereiten würde, wenn ich beim nächsten Besuch die Uniform anziehe. Inzwischen war ich zum Reichsbahnhauptsekretär befördert worden, mit nun vier Sternen auf den Schulterstücken. Na gut, dass äußere Bild seines Enkels stellte schon etwas dar.

Ich fuhr also zum nächsten Besuch in vollständiger Dienstkleidung, behangen mit allen Orden und Ehrenzeichen und ahnte nicht im Geringsten welche Freude ich damit meinem „Alten Herren“ bereiten würde. In seinem Zimmer angekommen sah ich meinen Opa an, wie stolz er doch war mich so zu sehen. Er schaffte es sogar ohne seine Gehilfen aufzustehen, um mich zu umarmen.

Wir bestellten uns Kaffee und Kuchen, gingen danach auf den kleinen Balkon und rauchten eine Zigarette gemeinsam. Wir beide waren glücklich und zufrieden. Er rauchte übrigens bis kurz vor seinem Tod, mit knapp 89 Jahren.

Plötzlich sagt er: „komm mein Junge, ich zeige dir mal unser Heim.“ Was wollte er mir zeigen? Lange Gänge, an deren Wänden die Schränke der Heimbewohner standen. Türen, die zu den Zimmern der Heiminsassen führten, verschlossene Türen, durch die man die Räume der Hausverwaltung oder die Wirtschaftsräume betrat? Für mich doch völlig uninteressant! Ich hatte nicht erwartet was nun auf uns zukam. Inzwischen hatte es sich rumgesprochen, „der Paul hat Besuch von einem jungen Mann, in einer schicken Uniform.“

Wir betraten beide den Gang. Er nur, zu meiner Verwunderung, eine Gehilfe am rechten Arm. Was uns da erwartete, ich kann es schlecht beschreiben. Bedeutend mehr Heimbewohner bewegten sich auf dem Flur, als es üblich war, bei meinen vorherigen Besuchen. Leute standen zu einem Schwätzchen in kleinen Gruppen oder gingen „spazieren“. Mein Opa bestimmte die Richtung und uns beiden wurde „Die Parade“ abgenommen.“ Es fehlten nur noch die „Klänge“ eines Militärmarsches. Den Flur hoch, den Flur runter. Er schaffte es sogar zu meinem Erstaunen, mit nur einer Gehilfe über eine breite Treppe in die untere Etage zu gelangen. Die Show ging weiter und Opa war der glücklichste Mensch an diesem Tag, in diesem Altenheim! Ich hatte ihm ungeplant, für mich völlig unbewusst, eine Freude bereitet. Gab ihm einen geringen Teil zurück von dem, was er mir in seinem Leben gegeben hatte. Während wir uns dann später verabschiedeten erkannte ich das durch seine Worte: „Mein Junge, danke, du hast mir einen Traum erfüllt.“ Er hatte bei diesen Worten Tränen in den Augen, wie ich damals auf der Lok, als wir an ihm vorbei fuhren. Es waren Freudentränen und ich glaube, auch er schämte sich nicht dieser Tränen.

Unser Leben änderte sich, als der Traktionswandel bei der Reichsbahn begann.

Wir Dampflokführer wurden umgeschult zum Dieseltriebfahrzeugführer.

Ich legte dazu meine Prüfung im Sommer 1974 ab und fuhr dann allein auf Dieselloks der Russischen Baureihe „V 200“, im Volksmund „Taiga-Trommel“ genannt. Beimänner waren nicht notwendig, da die Dieselloks mit einer Sicherheitsfahrschaltung ausgerüstet waren.

Was war bloß aus meinem Berufswunsch geworden?

Gut, ich war ja trotzdem noch Dampflokführer. Die Arbeit machte mir auch unwahrscheinlich Spaß. Ich war bei den Kollegen angesehen und mit den Lokheizern bestand ein sehr offenes und kollegiales Verhältnis.

Es war bekannt, dass es früher Lokführer gab, die sich als „Meister“ anreden ließen. Die sich scheinbar auch als solche fühlten und den Lokheizern gegenüber als „Übermenschen“ auftraten. Einem Brigadelokführer unseres Betriebes wurde nachgesagt, dass er bis in die 60iger Jahre einen Kreidestrich in der Mitte des Führerhauses zog, den die Heizer nur nach seiner Aufforderung überschreiten durften. In meiner Zeit war eine solch abwertende „Zusammenarbeit“ undenkbar.

Wir versuchten uns gegenseitig zu unterstützen, wo es nur möglich war.

Es war auch selbstverständlich, dass wir uns untereinander bei den anfallenden Arbeiten helfen. Ohne weiteres griffen wir mit zur Ölkanne um den Heizern beim ab Ölen der Lok zu helfen. Wir nahmen auch mal die Schippe in die Hand oder reinigten die Rohrkammer und die Feuerbüchse von Flugasche und Schlacke. Man muss bedenken, dass ein Heizer im Güterzugdienst etwa sechs bis acht Tonnen Kohle schippen musste. Kohle, die sehr oft in einem sehr schlechten Qualitätszustand war, indem sie einen hohen Anteil an Schiefer hatte. Man kann sich kaum vorstellen, was für eine Knochenarbeit das war.

In meinem ganzen Berufsleben hatte ich keine Zuglaufstörung wegen Dampfmangel, oder heiß gelaufenen Lagern an den Loks zu verantworten. Selbst als mal ein Wasserstands-Glas während der Fahrt zwischen den Bahnhöfen Mockrehna und Doberschütz in einer Nachtschicht zerplatzte, die Kugelverschlüsse funktionierten nicht und Dampf, sowie Wasserteile aus dem Kessel, der einen Druck von etwa 16Atmosphären hatte, entwichen. Wir schafften es pünktlich den Zielbahnhof Eilenburg zu erreichen. Dazu muss ich sagen, dass auch auf dieser Strecke ein geringes Gefälle vorhanden war.

Aber glücklicherweise hatte der Fahrdienstleiter vom Bahnhof Doberschütz, während unserer Durchfahrt wahrgenommen, dass wir uns auf dem Umlauf der Lok befanden und hinter uns eine große Dampfwolke herzogen.

Er meldete es den Zugdispatchern, der Blockstelle Eilenburg-Ost und dem Fahrdienstleiter des Bahnhofs Eilenburg.

Alle Signale, die wir passieren mussten, standen auf „Grün“. Um den Zug abzubremsen, wir hatten noch immer bei der Einfahrt in Eilenburg etwa 50Km/h Geschwindigkeit, musste ich zurück ins Führerhaus.

Es gelang mir den Zug etwa 20/30 Meter vor dem Ausfahrsignal zum halten zu bringen. Kurze Zeit später befand ich mich im Kreiskrankenhaus Eilenburg. Ich triefte vor Nässe und hatte starke Verbrühungen am Oberkörper und im Gesicht. War es damals richtig eine Zuglaufstörung und eine längere Sperrung der Strecke, unter diesen Umständen und Gefahren, verhindert zu haben?

Hatte ich wieder einen Schutzengel? Musste ich meine Gesundheit, vielleicht sogar mein Leben riskieren, um andern ihr mögliches Unheil ersparen zu können, war das meine Aufgabe? Auch auf diese Frage habe ich bis heute keine Antwort finden können. So vieles, was ich kaum begreifen kann ist geschehen.

Doch eine Sache ist ganz klar vor mir, jetzt, im Nachhinein, bin ich noch immer stolz auf dass, was ich als Lokführer geleistet habe.

Damals konnte ich es mir nicht vorstellen, wollte es vielleicht auch nicht wahr haben, dass sich mit dem Traktionswandel von Dampf auf Diesel alles, was mich im Berufsleben zufrieden machte, schlagartig verändert hatte.

Dieselkraftstoff tanken, Ölstände messen, sichtbare undichte

Leitungsverbindungen an den Aggregaten erkennen und was weiß ich noch alles für Tätigkeiten, bestimmten nun den Dienstablauf.

Selbstgespräche führen oder singen während der Fahrt, damit man nicht müde wurde, standen ebenfalls an der Tagesordnung. Leider verlor ich nach und nach das Interesse an diesem Beruf. Ich fühlte mich nicht mehr gefordert, nachdem alles Neue nun zum Alltäglichen geworden war. Immer das Gleiche, Fahrtenregler bedienen, die zeit- und wegabhängigen Schalter der Sicherheitsfahrschaltung in bestimmten Zeitabständen drücken, bestimmten nun meinen Dienstablauf während der Fahrt.

Immer mehr kam ich zu der Erkenntnis, dass ich diese Tätigkeit nicht bis zu dem gewünschten Renteneintrittsalter ausführen möchte. 34 Jahre Berufstätigkeit hatte ich noch vor mir. Diese Aussicht, mit meiner damaligen Arbeit, lag wie ein grauer Dunst vor mir, den ich nicht betreten wollte. Nach vielen Gesprächen mit meiner Frau, unter Abwägung allen Für und Wider, entschlossen wir uns beide, unsere erlernten Berufe aufzugeben und wagten den Einstieg in eine gemeinsame Tätigkeit, in der Gastronomie.

Auf diese Idee brachte uns ein befreundetes Ehepaar. Beide waren Gastwirte aus Gera in Thüringen. Im Herbst 1975 sollte der gastronomische Bereich des Kabaretts „Fettnäppchen“ in Gera neu besetzt werden. Das sahen wir als Chance, nachdem auch unsere Freunde aus Gera uns gut zusprachen. Sie empfahlen uns dem Direktor als neues Gaststättenleiterehepaar dieser Einrichtung. Wir stellten uns dem Direktor des Kabaretts vor. Nach einigen Gesprächen und Überlegungen entschlossen wir uns endgültig zu diesen Wohnort-und Arbeitsstellenwechsel. In diesem Jahr sollte ich am 7.Oktober, dem „Tag der Republik“, zum Oberlokführer befördert werden. Unmittelbar vor diesem Termin gab ich meine Kündigung ab.



Warum

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