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Kapitel 6 Eine erlebnisreiche Urlaubsreise

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In der Zwischenzeit arbeiteten bulgarische Arbeitskräfte während der Wintermonate in unserem Restaurant. Von ihnen wurden wir im Sommer nach Bulgarien als Urlaubsgäste eingeladen. Albena, am Schwarzen Meer, wurde nun unser Urlaubsdomizil für die folgenden vier Jahre.

Eines Tages in dieser Zeit, das genaue Jahr ist mir entfallen, die bulgarischen Arbeitskräfte gingen wieder zurück in ihre Heimat, fragte mich einer dieser Bulgaren, der bei uns sechs Monate als Kellner tätig war, ob ich ihm etwa 7000.-Mark leihen könnte. Er hatte das Haus seiner Tante in der Nähe des Urlauberortes Albena, wo er als Kellner tätig war, geerbt. Zu diesem Zeitpunkt wohnte er mit seiner Frau und zwei Kindern im Vorschulalter in einer Arbeiterwohnunterkunft seines Betriebes. Sie hatten eine Einraumwohnung mit Kochecke und Dusche. Ohne lange zu überlegen, wir hatten ja geplant in diesem Jahr in Albena unseren Urlaub zu verbringen, gab ich ihm dieses Geld ohne Quittung, dafür aber mit einem kräftigen Handschlag besiegelt.

Die beiden Visums beantragten wir Ende Juni. Anfang August machten wir uns auf den Weg, hatten etwa 1700 Km vor uns.

Wir fuhren spätabends los, durch die damalige CSSR und waren morgens in Budapest. Bis zum Nachmittarg machten wir einen ausgedehnten Stadtbummel. Kleidungsstücke und viele schöne Dinge, die es in der DDR nicht zu kaufen gab, oder eben nur unter dem Ladentisch, wurden eingekauft. Unsere Fahrt ging am späten Nachmittag in Richtung Ungarisch-Rumänische Grenze weiter. Am Ortseingang der ungarischen Stadt Szeged befand sich ein Autocampingplatz, auf dessen Arial auch viele Bungalows standen. Wir mieteten für eine Nacht eine dieser sehr gepflegten und modern eingerichteten Unterkunft. Dann fuhren ins Stadtzentrum und ließen uns in einem Restaurant mit original Ungarischen Speisen und Klängen einer Zigeunerkapelle, verwöhnen. Wir hatten den Vorsatz jeder ein Glas Wein zum Essen zu trinken. Allerdings wurden aber aus diesem einen Glas, im Laufe des Abends, zwei Flaschen. Seit etwa dreiunddreißig Stunden hatte ich nicht geschlafen.

Die lange Autofahrt, der ausgedehnte Stadtbummel zuvor in Budapest, die sich anbahnende Müdigkeit und der zu mir genommene Wein machten sich bemerkbar.

Wir bezahlten unsere Rechnung und bedanken uns höflich beim Personal dieses Restaurants und der Zigeunerkapelle, die sogar ein Lied, nur für uns beide, gefiedelt hatte. Dann stiegen wir in unser Auto. Wir fuhren in Richtung der Straße, auf der wir in unsere gemietete Nachtunterkunft gelangen wollen, und das war`s!

Ich konnte gerade noch bremsen. Ein Auto mit Blaulicht fuhr auf diesem Parkplatz vor mein anfahrendes Auto. Später sagt mir ein Ungarischer Polizist in fast perfektem Deutsch, ich hätte sehr gut reagiert.

Aus diesem Auto stiegen zwei Polizisten, der deutschen Sprache unkundig, wie wir der Ungarischen. Warum sollten wir diese Sprache erlernen? Denn immer dann, wenn wir in Ungarn unseren Urlaub verbrachten und nun durch Ungarn in den Urlaub nach Bulgarien fahren wollten, ist die Anstrengung und der Zeitaufwand, diese schwere Sprache zu erlernen, nicht unbedingt notwendig. Wir waren zu der Feststellung gelangt, dass in den Urlaubergebieten am Balaton, wie auch in Budapest, sehr viele Einheimische der Deutschen Sprache kundig sind.

Funkgespräche wurden von einem der beiden Polizisten geführt. In diesem Augenblick bedauerte ich sehr der Ungarische Sprache nicht kundig zu sein.

Nach kurzer Zeit kam ein weiteres Polizeiauto auf diesen Parkplatz gefahren. Das dazu gehörige Blaulicht sahen wir schon von weitem. Als ich wahrnahm, dass dieses Auto, in Form eines VW-Busses, vergitterte Scheiben hatte, sah ich unsere Urlaubsreise an das Schwarze Meer, mit einem Zwischenstopp in einer Gefängniszelle enden. Diesem Polizeibus entstiegen drei Polizisten. Einer dieser Polizisten kam auf uns zu, gab meiner Frau und mir die Hand, begrüßte uns auf Deutsch und fragte uns: „ob und wie sie uns weiter helfen könnten.“

Ich verstand diese Welt nicht mehr. Ich war aber der Überzeugung, in dieser Situation das Richtige getan zu haben.

Ich erzählte ihm: „dass wir beide auf dem Weg zum Balaton sind und in der Autocampinganlage am Stadtrand einen Bungalow gemietet haben. Seit etwa 33Stunden sind wir auf den Beinen. In diesem gastfreundlichen und gemütlichen Restaurant haben wir uns gestärkt und als Nachttrunk zwei Flaschen Wein geleistet.

Nun fühle ich mich aber noch so fit, auf diesen leeren Straßen, zu unserer Unterkunft mit unserem Auto zu fahren.“

Mit schmunzelndem Gesicht übersetzte er das von mir Gesagte seinen Kollegen, die das wahrscheinlich sehr lustig aufnahmen. Sie reichten uns die Hände. Ich glaube noch heute ich war am überlegen, ob ich träume, oder noch mehr als zwei Flaschen Wein mit meiner Frau getrunken hatte. Der deutschkundige Polizist fragte uns dann: „ob wir etwas einzuwenden haben, wenn er unseren Lada zum Autocampingplatz fährt, nachdem wir beide Platz genommen haben.“

Die Gefühle die damals in mir aufkamen kann ich heute, trotz meines guten Langzeitgedächtnisses, nicht mehr äußern. Vielleicht aber war auch der Alkohol, den ich damals in meinem Blut hatte, daran schuld.

Mit zwei Polizeiautos vor uns, natürlich mit eingeschaltetem Blaulicht, wurden wir zu unserem Nachtlager gefahren. Wir hatten uns am Eingang des Campingplatzes in sehr herzlicher Form bei diesen Polizisten bedankt. Aber als ich den Polizisten zwei Schachteln Zigaretten-Club geben wollte, ich hatte bei solchen Touren immer zwei, drei Stangen im Reisegepäck, musste ich ganz plötzlichen deren Sinneswandel erkennen. Man klärte uns darüber auf:

„dass ein Ungarischer Polizist ein Freund und Helfer sei und zudem unbestechlich. Wir hatten ja keinem Menschen einen Schaden zu gefügt.“

Für mich war dieses Erlebnis eine Erkenntnis und eine Lehre für mein weiteres Leben.

Nach einer erholsamen Nacht setzten wir unsere Fahrt in Richtung Rumänien fort. Wenn ich mich heute nicht täusche, benutzten wir den Grenzübergang „Nagülak“.

Etwa vier bis fünf Kilometer vor dem Grenzübergang sahen vor uns eine Autoschlange. Ich wollte an diesem Stau vorbei fahren, in Richtung Grenzübergang, wurde aber ganz schnell eines Besseren belehrt. Es war der Rückstau von Fahrzeugen, die wie wir auch, in die damalige Volksrepublik Rumänien einreisen wollten. Wir machten uns Gedanken und sorgten uns, ob wir es schaffen, die etwa 450Km bis zum Grenzübergang Vidin, an der Rumänisch-Bulgarischen Grenze, noch vor Einbruch der Dunkelheit zu bewältigen.

An diesem Grenzübergang, die Donau bildete die Grenze, musste man mit einer Fähre nach Bulgarien übersetzen. Uns war bekannt, dass es sehr gefährlich war die Nacht an diesem Grenzübergang im Auto zu verbringen.

Man wurde von Einheimischen belästigt, Autos wurden beschädigt und wenn man sich wehrte, den vermeintlichen Tätern nachrannte um sie zur Rechenschaft zu ziehen, wurde man in einer „stillen Ecken“ von mehreren Leuten überfallen und ausgeraubt. Die „Täter“ wurden nie gefasst, die Kriminalität und Korruption war in Rumänien im damaligen Ostblock beispielhaft.

Nach etwa drei Stunden erreichten wir den Grenzübergang. Wir sahen schon von weitem, dass einige Reisende vor uns bei der Grenz- und Zollkontrolle ihre Autos ausräumten. Jeder bewegliche Inhalt wie Gepäck, Fußmatten, Decken, Bordwerkzeug, Ersatzräder, sowie im Herkunftsland gekaufte Gegenstände, mussten auf einem, unmittelbar neben ihrem Auto stehenden Tisch, ausbreiteten werden.

Wir waren uns beide darüber einig, sollte man das auch von uns in dieser Art verlangen, werden wir uns weigern. Wir hätten diese Reise in Richtung Bulgarien abgebrochen und unseren Heimweg angetreten. Dazu kam es nicht, denn als wir dran waren verlangte ein Grenzer unsere Visums, eine Schachtel Zigaretten, er hatte wahrgenommen dass ich Raucher bin, bat uns höflich weiter zur Zollkontrolle zu fahren und zu unserem Erstaunen endete die „Zollkontrolle“ nach nicht einmal 2 Minuten und das kam so.

Der Grenzer und der Zöllner hatten sich wahrscheinlich durch Zeichen verständigt, dass bei uns etwas zu „holen“ sei. Wir bemerkten das nicht.

Der Zöllner öffnete die Beifahrertür, bat meine Frau auszusteigen und öffnete das Handschuhfach. Er nahm die angefangene Zigarettenstange „Club“ heraus und hielt sie vor den Blicken der anderen herumstehenden Reisenden und Grenzbeamten im Fußraum unseres Autos verborgen, in seinen Händen. Dann öffnete er seine Uniformjacke, nickte mir zu, ich saß noch immer auf dem Fahrersitz und auf mein Nicken verschwanden diese Zigaretten unter seiner Jacke. Der Schlagbaum wurde geöffnet. Inzwischen war es nach 10 Uhr und wir konnten unsere Fahrt in Richtung Grenzübergang Rumänien-Bulgarien fortsetzen. Ich dachte immer daran, „Ihr müsst diese Strecke bis etwa 21 Uhr schaffen, ansonsten verbringt ihr beide die Nacht, unter den schon erwähnten Gefahren, im Auto.“

Die Eindrücke und Erlebnisse während Fahrt, der nun auf uns zukommenden etwa 450 Kilometer, werde ich mein Leben lang nicht vergessen.

Neuland für uns, eine Fahrt durch ein Land, ein sogenanntes „Bruderland“.

„Licht und Schatten“ dicht nebeneinander. Sagenhaft wunderschöne, noch nie zuvor gesehene Landschaften, begleiteten uns auf dieser Fahrt.

Wir erreichten den ersten Ort nach dem Grenzübergang.

Schon von weitem nahm ich etwa 10 bis 15 Kinder, die sich am Straßenrand aufhielten, wahr. Als wir uns nähernten stürmten sie plötzlich, für mich völlig unerwartet, auf die Fahrbahn.

Ich konnte noch rechtzeitig abbremsen, versuchte diesen Kindern auszuweichen, was mir auch gelang, aber sie bewegten sich links und rechts verteilt neben unserem langsam fahrenden Auto. Die Scheiben beider vorderen Türen hatten wir auf Grund Hitze geöffnet. Klimaanlagen in den Autos der damaligen Zeit waren uns in der DDR unbekannt. Dass es so etwas geben sollte hatte ich einmal von Gästen aus der Bundesrepublik in unserem Restaurant gehört.

Die Hände dieser Kinder schlugen im Vorbeifahren auf die Motorhaube, an die Windschutzscheibe und dann durch die geöffneten Fenster in den Innenraum unseres Autos. Im Rückspiegel nahm ich wahr, dass uns diese Kinder hinterher rannten. Ich hatte Gott sei Dank keins der Kinder verletzt. Für uns beide unverständlich und bis zu diesem Zeitpunkt unvorstellbar.

Mehrere Kilometer später, wir fuhren auf einen kleinen Parkplatz, nur ein LKW und nur wir hatten darauf Platz, wurden wir aufgeklärt.

Ein 40Tonner-LKW mit einem Bulgarischen Kennzeichen, der Fahrer etwa unser Alter, fragte uns mit einem fast Akzentfreien Deutsch, ob wir mit ihm einen Kaffee trinken möchten. Uns war es peinlich, denn wir hatten unsere Thermosflasche mit Kaffee schon gelehrt. „oh nein“ sagte er sinngemäß,

„ich hab euch ja eingeladen“. Er öffnete eine am Fahrerhaus angeschraubte größere Blechkiste, ein Lebensmittelvorrat kam zum Vorschein, wir waren beide erstaunt. Schnell wurde ein Gaskocher in Gang gesetzt, Wasser in einem Pfeifkessel erhitzt und wir waren noch mehr erstaunt, als er einen Tiegel mit ÖL auf die andere Flamme stellte und etwa acht bis zehn Hühnereier in diesen Tiegel schlug. Wir ahnten was er vorhatte. Es kam, wie wir beide vermuteten, denn wir wurden zu einem Rührei-Essen eingeladen, welches er uns uns auf bulgarischem Steingutgeschirr servierte. Als Beigabe wollten wir Obst, welches wir in Ungarn als Wegzehrung eingekauft hatten, dazu geben. Er nahm das nicht an, denn er hatte auch Obstvorräte in einem Kühlschrank, der im Fahrerhaus installiert war. Wir plauderten und erzählten ihm auch was wir auf unserer Reise bis dahin erlebt hatten.

Über den Zwischenfall mit der Ungarischen Polizei begann er herzhaft zu lachen. Dann klärte er uns auf.

„In solchen Situationen, wenn keine Menschen verletzt wurden, keine Sachwerte beschädigt, steht die Polizei den betreffenden Personen hilfreich zur Seite. Mit ihren Landsleuten allerdings, gehen sie in vergleichbaren Situationen anders um. Das hat allein den Sinn und die Hoffnung, dass die betreffenden Touristen zu Hause in ihrem Verwandten- und Freundeskreis, von diesem Erlebnis erzählen.“ Für mich nachvollziehbar, denn eine bessere Werbung für ein Urlausland wird es bis zum heutigen Tag nicht geben. Wir sprachen mit diesem LKW- Fahrer auch über das Erlebnis mit den Kindern.

Rumänien, durch das Ceausescu-Regime, durch die jahrelange Herrschaft dieses Verbrecherehepaares bis an den Abgrund eines menschenwürdigen Lebens getrieben, litt über Hunger und Not, wie kein anderes Land im damaligen Ostblock. Es fehlte an allem. Die Kinder und Rentner waren die, die am meisten darunter leiden mussten. Hunger, vor allem in den größeren Städten, von Süßigkeiten für die Kinder ganz zu schweigen, war an der Tagesordnung. Die Kinder, die an den Transitstraßen zum Schwarzen Meer wohnten erkannten schon von weitem, wenn sich ihnen Autos aus anderen Ländern näherten. Uns war an den Autonummern der Autos, die uns entgegen kamen oder die wir überholten aufgefallen, dass es nur drei Autotypen in Rumänien gab. Es waren Autos der Marke Oltena und Dacia, Eigenproduktionen dieses Landes. Mitunter sahen wir PKW der Russischen Marke Wolga, die aller Wahrscheinlichkeit nach nur Parteifunktionären zur Verfügung standen. An den Tankstellen sahen wir unüberschaubare Autoschlangen.

Gefüllte Reservekanister mitzuführen war in Rumänien verboten. Wir hatten damit kein Problem, denn der Tankinhalt unseres Lada betrug etwa fünfzig Liter. Auf einhundert Kilometer verbrauchte er 7,5 bis maximal 8 Liter.

Wenn wir damals gewusst hätten in welcher Not dieses Volk lebte, sich nach Süßigkeiten bettelnde Kinder wegen einem Bonbon in Lebensgefahr brachten, hätten wir Süßigkeiten für diese Kinder mitgenommen.

Der Fahrer, unser Gastgeber erzählte uns, dass er seit etwa sechs Jahren die Strecke Teheran-Hamburg fährt und Frachten, die im Hamburger Hafen für den Iran bestimmt sind, nach Teheran befördert. Eine Strecke bewältigte er in sechs Tagen. Die längste Pause auf dieser 5000 Kilometer langen Route legte er in Sofia ein. Er verbrachte diese Pause bei seiner Familie, am Stadtrand der bulgarischen Hauptstadt Sofia.

Er hatte, etwa ein Jahr zuvor ein kleines Einfamilienhaus für seine Familie erworben.

Seinen Stolz darüber konnten wir ihm angesehen.

Jahresurlaub, oder einzelne Urlaubstage nahm er nie, für uns unvorstellbar.

Er verdiente damals etwa 180 Lew, ein sehr guter Verdienst im damaligen Bulgarien, sowie 750 US-Dollar monatlich, die vom Iranischen Auftraggeber gezahlt wurden.

Das Haus war bezahlt. Er hatte sich vorgenommen noch etwa vier Jahre dieser Arbeit nach zu gehen um dann so viel Geld verdient zu haben, das er sich zur Ruhe setzen konnte, oder ganz unabhängig und ohne Notwendigkeit mal hier mal dort mit Hand anlegt, um sich ein paar Lew als Taschengeld dazu zu verdienen. Wir fragten ihn, ob denn der kurze Zwischenaufenthalt zu Hause ausreicht um genügend Kräfte für diese anstrengenden Touren zu sammeln.

Er meinte ganz verschmitzt: „natürlich, was denkt ihr denn! Zuerst wird, nach der Ankunft zu Hause geduscht, dann gut gegessen, dann werden die Kinder gezüchtigt und ins Bett gesteckt. Wenn sie eingeschlafen sind wird die Frau beglückt und nach acht Stunden Schlaf geht`s dann wieder auf Tour.“

Uns fehlten die Worte, aber gemeinsam begannen wir zu lachen. Wir verabschiedeten uns und sahen nach diesem Erlebnis einen guten Freund in ihm.

Noch heute bin ich davon überzeugt, wir setzten unseren Weg vor ihm in die gleiche Richtung fort, wenn wir aus irgendwelchen Gründen in Gefahr geraten wären, er hätte uns beigestanden und geholfen! Ganz bestimmt ohne zu seinen Gunsten, oder finanzielle Hintergedanken.

Wir erreichten, zu unserem Erstaunen auf gut ausgebauten Straßen, das „Eiserne Tor.“

Schon von weitem erkannten wir eine traumhaft schöne und außergewöhnliche Landschaft, die wir beide in unserem Leben so noch nie gesehen hatten. Vor uns lag das wohl schönste Stück der Donau, die Gebirgsdurchbrüche und als Krönung, das „Eiserne Tor.“

Es gilt als einer der imposantesten Taldurchbrüche Europas. Auf der rumänischen Seite wurde der "Naturpark Eisernes Tor" eingerichtet. Auf der gegenüberliegenden Seite der Donau befindet sich Serbien.

Wir sahen Wachtürme der Rumänischen Grenzbehörden. Uns war bekannt, dass es in der Vergangenheit einigen DDR-Bürgern gelungen war die Donau zu durchschwimmen, oder sie mit einem Schlauchboot nach Serbien zu überqueren, die DDR so für immer zu verlassen.

Die Behörden des Blockfreien Jugoslawischen Staates, dazu gehörte auch Serbien, lieferten keine Bürger des Ostblocks aus, denen die Flucht gelungen war. Heute, wenn man sich mit Freunden, Bekannten, zum Teil auch mit Familienangehörigen über dieses leidige Thema unterhält, stoße ich sehr oft auf Unverständnis, wenn ich sinngemäß unsere damalige Meinung äußere.

Wir hatten nichts auszustehen, hatten Arbeit und fühlten uns in sozialer Sicherheit. Warum hätten wir eine Flucht ins Ungewisse riskieren sollen? Für gute Schwimmer oder mit einem Schlauchboot soll es nicht so gefährlich gewesen sein über diese Grenze in den Westen zu gelangen, als den Weg über die Grenzsicherungsanlagen der DDR, der damaligen CSSR, sowie denen der Volksrepublik Ungarn zu überwinden.

Wir waren uns immer darüber einig die DDR nicht zu verlassen. Wir führten ein intaktes Familienleben, liebten unsere Kinder und waren stolz auf dass, was wir uns aufgebaut hatten und dem, was wir uns leisten konnten.

Mit voller Überzeugung sehe ich mich heute als Mitläufer in diesem verbrecherischen DDR-Regime. Ich machte mir damals keine Gedanken über die politischen und wirtschaftlichen Missstände in diesem Land, sondern sorgte für das Wohl meiner Familie. Noch heute bin ich der Meinung, dass ich mich nicht dafür schämen muss!

Auf einem kleinen Parkplatz, unmittelbar am Fluss, legten wir eine kurze Rast ein, um diese Naturschönheit in aller Ruhe zu bewundern.

Die in das Tal gebettete Donau, die steilen Berge links und rechts der Ufer, wir waren überwältigt, kaum fähig ein Wort zu sprechen.

In dieser Ruhe nahm ich wahr, dass sich ein Auto, wahrscheinlich mit einer defekten Auspuffanlage näherte. Ich behielt Recht, denn nur wenige Minuten später fuhr ein PKW-Dacia auf diesen Parkplatz. Ein Dacia, ich war verwundert, tief bis fast auf den Boden hängend, wahrscheinlich mit defekten Stoßdämpfern und Federn sowie klapperndem Motor. Er war, nach meinem Erstaunen noch in der Lage, sich mit eigener Kraft fortzubewegen. Ihm entstieg ein Ehepaar, etwa um die vierzig.

Der Mann öffnete die Motorhaube dieses Vehikels, nahm dann einen Kanister aus dem Kofferraum (die Klappe war mit einem Vorhängeschloss und einer Kette gesichert) und füllte, aller Wahrscheinlichkeit, Motorenöl in den Motor. Ich beobachtete im Blickwinkel dass er uns musterte, sich wahrscheinlich Gedanken machte wo wir denn herkommen und wohin unsere Reise geht. Beide waren gut angezogen, dieses Auto passte ganz einfach nicht zu ihnen.

Wir wollten unseren Weg fortsetzen. Es blieb aber beim wollen. Als wir in unser Auto stiegen kam er zu uns. Er sprach kein Wort Deutsch, gab uns aber mit Gesten zu verstehen, dass wir doch diese paar Meter zu ihrem Auto kommen möchten. Ich dachte er benötigte unsere Hilfe, aber ich hatte mich damit geirrt. Dem Kofferraum hatte seine Frau inzwischen einen kleinen Gas-Grill entnommen, einen Fisch, ich glaube es war ein Wels und ein angerostetes Messer. Wir verstanden die Einladung und waren ganz einfach nicht in der Lage diese abzulehnen. Ganz wohl fühlte ich mich dabei nicht, denn wir hatten noch etwa 150 Kilometer bis zum Grenzübergang Vidin vor uns.

Es war gegen 14/15Uhr und bis zur Dunkelheit mussten wir diese Strecke schaffen. Wir wussten ja nicht im Voraus was uns noch alles erwartet.

Die Paprikafrüchte, Tomaten und Pfirsiche, die wir in Ungarn eingekauft hatten und die uns der LKW-Fahrer zuvor beim Spiegeleieressen wieder zurück in unseren Kofferraum hat bringen lassen, wollten wir diesem Picknick beisteuern. Aber dieses Ehepaar lachte und er schlug mir auf meine Schultern. Dann holte er aus seinem Kofferraum Obst und natürlich, natürlich auch Paprikaschoten, und bat mich, meine „Zugaben“ doch bitte wieder in unserem Auto zu verstauen.

Meine Frau hatte eine Reisetasche mit Geschenken für unsere Bulgarischen Freunde unter allem möglichen Gepäck in unserem Kofferraum verstaut. Ich suchte diese Tasche, öffnete sie und entnahm ihr ein Paar Schuhe, die für die Frau unseres Freundes Emu bestimmt waren. Drei oder vier Paar Schuhe hatten wir für sie eingekauft. Mit einem dieser Paar Schuhe machten wir nun dieser Frau eine unbeschreibliche Freude, denn nach kurzem „verneinen“ nahm sie dieses Geschenk an, sie passten ihr. Sie drücke meine Frau und mich, sodass uns fast die Luft weg blieb. Wir hatten zwei, für uns Fremden, netten Menschen eine Freude bereitet. Dass war eine innere Genugtuung und ein Glücksgefühl für uns beide. Der gegrillte Fisch schmeckte hervorragend und wir schmeckten nicht, dass er mit einem rostigen Messer zerteilt worden war.

Brot hatte keiner von uns in den Autos, das war aber auch nicht notwendig, denn dann hätten wir ja nicht so viel von diesem schmackhaften Fisch essen können. Nach einer sehr intensiven und freundlichen Verabschiedung setzten wir unsere Fahrt fort. Auf Grund dieser Zeiteinbuße ertappte ich mich mehrmals dabei, dass ich die zugelassene Höchstgeschwindigkeit hin und wieder überschritt. Dazu kam noch, wie zuvor erwähnt, dass an jedem Ortseingang, den wir passierten, Kinder auf die Fahrbahn sprangen um nach Süßigkeiten zu betteln.

Wir kamen trotz alledem sehr gut voran. Auf einer sehr langen Geraden, etwa zwanzig bis dreißig Kilometer vor unserem Ziel der Grenzstadt Vidin, kam ganz plötzlich ein Uniformierter aus dem Straßengraben gesprungen. Er gab uns ein Haltezeichen, durch kreisende Armbewegungen, mit einer Polizeimütze in der Hand. Mit einem schnellen Blick auf den Tacho erkannte ich, dass wir in dieser Sekunde etwa 100Km/h gefahren waren. Nach der Rumänischen Straßenverkehrsordnung war aber eine Höchstgeschwindigkeit auf Landstraßen von 80Km/h erlaubt.

Ich musste aus dem Auto aussteigen. Er sprach und verstand kein Wort Deutsch und mit einem Bleistift schrieb er auf einen Zettel welche Strafe ich zu zahlen hätte. Ich sei 125Km/h gefahren, bei erlaubten 80Km/h. Ich versuchte ihm klarzumachen, dass ich einen sichtbaren Beweis möchte. Dieser Beweis bestand in folgender Erklärung: „sein Kollege habe einen Kilometer zuvor meine Geschwindigkeit gemessen, er aber sei nicht im Besitz dieses vermeintlichen Beweises.“ Diese Straße führte durch eine Ebene, rechts und links von sehr flachen Straßengräben begrenzt und mit Sträuchern und Büschen bewachsenen Arealen, soweit das Auge reicht.

Ein Polizist in diesem Straßengraben, der sich ja hätte aufrichten müssen um unsere Geschwindigkeit zu messen, wäre uns ganz bestimmt aufgefallen.

Ich machte ihm klar, dass ich keine Lei, nicht einmal einen Ban hatte und diese Strafe sowieso nicht bezahlen würde, da er keinen Beweis für mein „Vergehen“ hat. Wir sollten stehen bleiben. Was kam nun auf uns zu? Auf Grund der Strapazen dieser Fahrt müssen wir beide schon nach kurzer Zeit eingeschlafen sein. Die Türen unseres Autos hatten wir von innen verriegelt.

Plötzlich wurden wir unsanft geweckt. Etwa zehn bis zwölf Zigeuner standen um unser Auto, von denen einige versuchten die Türen und auch den Kofferraum zu öffnen. Im Rückspiegel sah ich einen Planwagen, bespannt mit Pferden und an der rechten Wagenseite eine angebundene Kuh und mehrere Ziegen. Von dem Polizisten aber, war weit und breit keine Spur.

Ich nahm wahr, dass wir etwa eine Stunde schlafend verbracht hatten. Meine Frau war derart verängstigt, dass sie sich kaum bewegte und ich überlegte, wie wir aus dieser heiklen Situation schadlos herauskommen.

Keines der vielen Autos, unter anderem auch Touristen wie wir aus der DDR, die uns entgegen kamen, auf dem Heimweg waren, oder in Richtung Bulgarien fuhren hielt an, um uns zu helfen. Ich nahm es ihnen nicht übel, denn ich hätte mich wahrscheinlich auch nicht einer Gefahr ausgesetzt und mich mit diesen Zigeunern eingelassen. Dazu waren viele negative Zwischenfälle bekannt.

Die Sicherheitsgurte hatten wir nicht angelegt. Ich gab meiner Frau zu verstehen, sie möchte sich bitte mit beiden Händen an ihrem Sitz festhalten und legte ganz langsam den ersten Gang ein.

Dann wartete ich bis aus der Ferne kein Gegenverkehr zu sehen war, beobachtete die Straße hinter uns im Rückspiegel und als ich, etwa 200/300Meter hinter uns mehrere Fahrzeuge wahr nahm, startete ich den Motor. Ich gab Vollgas und lies ruckartig das Kupplungspedal los. Wir standen neben der asphaltierten Fahrbahn auf einem trockenen Schotterweg, der für die Pferdewagen und Landmaschinen gedacht war. Die Geräusche, die aus den Radkästen, übertragen durch die Karosserie beim Anfahren hörbar wurden, habe ich noch heute in meinen Ohren. Kurze Zeit sahen wir diese Gruppe Zigeuner, sowie die uns folgenden Fahrzeuge und auch die hinter uns liegende Fahrbahn nicht mehr, begründet durch diesen aufwirbelnden Dreck und Staub während unseres Blitzstarts.

Wir hatten es wiedermal geschafft und zitterten beide am ganzen Leib.

Wir näherten uns der Grenzstadt Vidin, lagen gut in der Zeit und hofften, dass die Fähren planmäßig fahren. Wir hofften auch, dass keine langen Autoschlangen zu erwarten sind und wir noch vor Anbruch der Dunkelheit eine Fähre befahren, um über die Donau nach Bulgarien übersetzten können.

Etwa fünf Kilometer vor dem Ortseingang Vidin, ca. 100Km/h auf dem Tacho, ein plötzliches holpern und durchlagen des Autos mit allen vier Rädern bis auf die Gummipuffer, am Ende der Stoßdämpferwege.

Ich nahm gerade noch wahr, dass wir über einen Graben, gesägt in den Asphalt quer über die ganze Fahrbahn, etwa in Breite eines gebräuchlichen Kabelgrabens, gefahren waren.

Hinweisschilder oder gar Verkehrszeichen, die eine Geschwindigkeits-Begrenzung wegen dieser Baustelle anzeigt, waren nicht aufgestellt.

Wir erreichten die Fähre und kamen zu der Erkenntnis, dass wir in kürzerer Zeit unser Ziel Bulgarien erreichen. Mir fiel aber auf, dass die Fahrer, die vor uns den Grenzübergang erreicht hatten, gestikulierend um ihre Autos liefen und unter die Autos schauten. Ich erkannte ganz schnell, dass uns die hohe Geschwindigkeit, mit der wir über diesen Graben “gesprungen“ waren, vor Schäden an unserem Auto bewahrt hatte. Schäden, die nun an einigen der vor uns stehenden PKWs zu erkennen waren. Ein Ehepaar aus einem kleinen Ort in der Nähe von Wernigerode im Harz, mit einer 5jährigen Tochter und einem 9jährigen Sohn auf dem Weg nach Varna am Schwarzen Meer, hatte es schlimm getroffen.

Zur damaligen Zeit war es eine seltene Ausnahme, dass PKW, die in der früheren DDR gebräuchlich waren, schlauchlose Bereifung hatten.

Beide Hinterräder zeigten Ausbeulungen, ein sicheres Zeichen, dass die Karkassen dieser Reifen derart beschädigt waren, dass eine sichere Weiterfahrt in Richtung Varna nicht möglich war. Etwa fünfhundert Kilometer hatten wir noch vor uns.

Wir überquerten die Donau und nach der Grenzkontrolle auf der

bulgarischen Seite trafen wir uns, wie vorher abgesprochen, auf dem Parkplatz des Einreisebereiches. Wir waren uns einig, meine Frau und ich, diesen Leuten zu helfen. Zuerst betankten wir unsere Autos, begaben uns gemeinsam in ein Restaurant und stärkten uns kräftig.

Das Personal dieses Restaurants und auch die Beschäftigten der Tankstelle machten uns deutlich, dass Autobereifung in Bulgarien absolute Mangelware sei und sie uns beim besten Willen nicht weiter helfen können.

Wir machten beiden den Vorschlag ihnen unser Reserverad zu überlassen.

Sie hatten auch einen Lada 2105. Nachdem wir uns gestärkt und bekannt gemacht hatten wechselten wir die beiden defekten Hinterräder an ihrem Auto und setzten unsere Fahrt gemeinsam fort.

Tobias, der Sohn dieser Familie, war von seinen Eltern nicht davon abzubringen, dass er bei uns im Auto mitfährt, denn dann hatte zum Schlafen eine Rückbank für sich allein. Im Auto seiner Eltern hätte er diese beengte „Schlafstätte“ wieder mit seiner Schwester teilen müssen.

Wir vereinbarten, dass wir so lange gemeinsam weiter fahren bis der eine oder andere wegen aufkommender Müdigkeit eine Pause benötigt.

Nach etwa fünf Stunden, gegen vier Uhr morgens, wir waren etwa einhundert Kilometer vom Schwarzen Meer entfernt, legten eine Pause ein und schliefen bis etwa acht Uhr.

Mir ist noch heute Rätselhaft wie ich diese, etwa siebenhundertfünfzig Kilometer, die wir bis zu diesem Zeitpunkt gefahren waren seit dem

Vortag 7.30 Uhr, keine Minute geschlafen, durchstehen konnte.

Nach einem ausgiebigen Frühstück welches unsere neuen Freunde spendierten, setzten wir unsere Fahrt in Richtung Varna fort.

Gegen 10.30Uhr erreichten wir am „Goldstand“ das Hotel „Luna“, in dem unsere Freunde drei Wochen ihres Urlaubes verbringen wollten.

Ich versuchte unseren Freund Emu, im etwa dreißig Kilometer entfernten Albena an seinem Arbeitsplatz, dem Restaurant „Orchidee“, telefonisch zu erreichen.

Nach einigen Versuchen gelang es mir. Emu war nach seiner Rückkehr aus Gera zum Restaurantleiter in seinem Betrieb aufgestiegen.

In jeder freien Minute, oder wenn wir zusammen bei Kaffee und Kuchen, vor Öffnung unserer Gaststätte saßen, sowie auch nach Feierabend, versuchte er mit meiner Frau die Deutsche Sprache zu erlernen.

Er machte so gute Fortschritte, sodass er an der Volkshochschule in Gera, nach einer abgelegten Prüfung, ein Sprachzertifikat bekam. Durch die damit nachgewiesenen Deutschkenntnisse wurde er von seinem in Restaurants und Hotels eingesetzt, in denen überwiegend Gäste aus der Bundesrepublik verkehrten, oder untergebracht waren.

Ich erreichte Emu am Telefon. Seine Freude über unsere Ankunft in Varna erkannte ich an seinem: „hallo, wie froh bin ich, ihr seid angefahren.“ Er meinte ganz bestimmt „angekommen.

An diesem Tag hatte er Dienst bis 18Uhr. Seine Frau, wir kannten sie noch nicht persönlich, arbeitete auch im „Orchidee.“ Sie war in diesem Restaurant, mit einem freien Tag wöchentlich, täglich von acht bis zweiundzwanzig Uhr als Kellnerin tätig. Sie teilte sich mit zwei Kolleginnen ein kleines Zimmer in einem benachbarten Hotel und schlief die wenigen Stunden bis zum nächsten Dienstbeginn in Albena. Wir einigten uns, dass wir Emu gegen 17.30Uhr von seinem Arbeitsplatz abholen um dann gemeinsam zu seiner Wohnung, in der Arbeiterwohnunterkunft, „Obscheschitje“ genannt, zu fahren.

Den Nachmittag verbrachten wir noch gemeinsam mit unseren neuen Freunden am Hotelstrand des Hotels „Luna“ in Varna. Von der Fahrt noch immer müde, nach zwei oder drei eisgekühltem Bier an der Strandbar, muss ich nach kurzer Zeit eingeschlafen sein.

In diesem Jahr hatten wir noch keine Möglichkeit ein Freibad zu besuchen, waren also weiß wie unsere „Westen“. Die pralle Sonne und mein nicht vorgebräunter Körper wurden mir sehr bald zum Verhängnis. Zwei Tage später machte ich Bekanntschaft mit dem Gesundheitswesen der damaligen Volksrepublik Bulgarien in Form eines Aufenthaltes in einem Krankenhaus der nahe gelegenen Kreisstadt Balcik.

Neben dem Sonnenschirm auf dem Bauch liegend, nahm das Unheil seinen Lauf. Meine Frau wollte mich nicht munter machen. Ich hatte seit dem Vortag morgens nur etwa drei bis vier Stunden geschlafen. Sie meinte es gut mit mir.

Gegen 16.30Uhr fuhren wir dann in Richtung Albena, unseren Aufenthaltsort für die kommenden vier Wochen. Mit unseren Freunden hatten wir vereinbart, das ich Emu bitte, uns bei der Beschaffung zwei neuer Reifen für ihren Lada behilflich zu sein.

Nach wenigen hundert Metern, der etwa dreißig Kilometer langen Strecke bis zu unserm Ziel, verspürte ich Schmerzen an meinem Rücken, sobald ich mit der Rückenlehne in Berührung kam. Meiner Frau sagte ich vorerst nichts davon, denn dann hätte ich mir eine Tirade von Vorwürfen anhören müssen, wollte aber ganz einfach meine Ruhe.

Angekommen am Restaurant „Orchidee“, Emu hatte uns wahrgenommen noch bevor wir aus unserem Auto gestiegen waren, kam er auf unser Auto zugestürmt, umarmte uns beide mit großem Hallo, mir wurde dabei schwarz vor Augen. Was war mit mir los? Ich ließ es mir nicht anmerken.

Emu stellte uns seinen Kollegen als seine „Superchefs aus der DDR“ vor, mit zwinkernden Augen, ich nahm es im Blickwinkel wahr. Er wies sie an immer dann, wenn wir dieses Restaurant betreten, Getränke und Speisen bestellen, diese nicht zu bongen, denn sie gehen ausnahmslos auf Kosten des Hauses.

Meine Frau sehr Sprachbegabt, die mit Emu ein halbes Jahr lang „Deutschunterricht“ durchgeführt hatte, war zu dem gleichen Wissensstand in der Bulgarischen Sprache gelang wie Emu in der Deutschen. Sie hatte fast alles verstanden. Kurz nach der Begrüßung stellte er uns seine Frau vor. Klein, etwa 42/44 Kilo schwer, eine Schönheit sondergleichen. Man konnte sich mit ihr sehr gut verständigen. Durch den Umgang mit vielen deutschen Urlaubern während ihrer Tätigkeit als Kellnerin, verfestigten sich ihre Sprachkenntnisse von Jahr zu Jahr. Unsere Blicke trafen sich für einen kurzen Augenblick.

Konnte sie in dieser Sekunde meine Gedanken und Gefühle erraten? Sie konnte es, sie hat es mir später bestätigt.

Ich sagte nichts über mein Unwohlsein und das immer stärker werdende brennen auf meinem Rücken. Ich sehnte mich nach einer Dusche.

Wir nahmen noch ein deftiges Abendessen ein, natürlich mit einem Schopska-Salat und fuhren dann mit Emu in unser Urlaubsquartier. Ein Bekannter von Emus Familie, der auch eine Einraumwohnung in diesem Arbeiterwohnheim bewohnte, war zu dieser Zeit in den Schweizer Alpen zu einer Auslandstätigkeit. Als wir Emus Wohnung betraten fiel uns als erstes ein Bündel Lew, die offen auf dem Tisch lagen auf. Er bat uns dieses Geld nachzuzählen.

Es war das geborgte Geld, nun in Lew umgerechnet, der Kurs war damals

3.20 Mark für einen Lew. Wir vertrauten ihm, verneinten das, aber er bestand darauf es nachzuzählen.

7500.- Mark, die wir ihm geborgt hatten, ergaben bei einem Umtauschkurs 3.20 zu 1.00, genau 2343,75Lew. Meine Frau zählte dieses Geld, sah mich an, schüttelte den Kopf und begann von neuem zu zählen. Emu, der in der Zwischenzeit Kaffee gekocht hatte, bemerkte das.

Er sagte: „Chefin, du brauchst es nicht noch einmal nachzählen, es stimmt so.“ Es waren 2450.- Lev. Zum ersten Mal seit wir uns kannten bekamen wir Streit. Plötzlich hatte ich eine Idee.

Ich erzählte ihm von unseren Bekannten, die in Varna im Hotel „Luna“ ihren Urlaub verbringen. Erzählte ihm, dass auf dem Hotelparkplatz deren Lada steht, dem zwei neue Reifen gut tun würden. Emu verstand mich sofort, lachte, klatschte in Hände und mir unverhofft auf den Rücken, ich dachte: „das war`s nun.“ Er sagte sinngemäß: „na gut, meine Arbeit beginnt morgen 14Uhr. Wir fahren gleich Früh nach Varna und holen diese beiden Räder. Dann bringen wir sie nach Balcik zu meinem Schwager, der in einer Autowerkstatt mit einem Reifendienst als Meister arbeitet.“ Von einem Telefon im Haus nahm er Rücksprache mit seinem Schwager und wir hinterließen eine Mitteilung für unsere Freunde in Varna, an der Rezeption des Hotels „Luna.“

Emu hatte wahrgenommen, dass mit mir etwas nicht stimmt und fragte mich: “was ist denn los mit dir, hast du Rückenschmerzen?“ Meine Frau hatte es noch nicht bemerkt oder vielleicht nur geahnt, was mir am Hotelstrand in Varna zugestoßen war. Ich versuchte unter Schmerzen mein T-Shirt auszuziehen, was mir dann aber nur mit Hilfe der beiden gelang.

„Eisiges Schweigen“ und dann die Frage von Emu: „ sag mal, bist du denn noch normal?“ Ich bemerkte auch seit längerem das mir die Oberschenkel, die Waden und vor allen Dingen auch die Fußgelenke schmerzten.

Ich zog meine Jeans aus, betrachtete meinen Rücken in einem größeren Spiegel in der Dusche und erschrak über dass, was ich da zu sehen bekam.

Heute kann ich es gar nicht mehr so richtig beschreiben, aber ich glaube die Farbe der Russischen Fahnen war verblasst gegen dass, was ich in diesem Augenblick zu sehen bekam. Meine Frau und Emu holten dann unser Gepäck aus dem Auto und wir bezogen unsere kleine Ferienunterkunft, wie bereits erwähnt, die Einraumwohnung eines seiner Kollegen. Ein sehr schön eingerichtetes Zimmer in diesem Arbeiterwohnheim, wurde nun für vier Wochen unser zu Hause.

Als erstes begab ich mich in die Dusche und versuchte mit Wasser, so kalt wie nur möglich, meinen Rücken zu kühlen. Für meinen “gegrillten“ Körper eine wahre Wohltat. Emu kam nochmal zu uns mit einem kleinen Fläschchen Kokosöl, welches er im Haus besorgt hatte. Meine Frau rieb mir ganz vorsichtig und unter sehr starken Schmerzen den Rücken und die Beine mit diesem Öl ein. Die Schmerzen wurden dadurch etwas gelindert, aber ich hatte buchstäblich Angst auf dass, was in der kommenden Nacht auf mich zukommen wird. Es war mir vor Schmerzen unmöglich mich auf den Rücken zu legen.

Zudecken konnte ich mich nicht, selbst ein Betttuch auf meiner Haut verursachte Schmerzen. Ich versuchte zur Ruhe zu kommen und einzuschlafen, aber die Nacht erschien mir endlos. Albträume, frieren, schwitzen, Schüttelfrost, alles verursachte eine Wut gegen mich selbst und meine Dummheit, nach der Ankunft in Varna so viel Bier getrunken zu haben.

Ich stand mehrmals auf, schlich leise, um meine Frau nicht zu wecken, auf den Flur um eine Zigarette zu rauchen. Einmal sah ich etwas über den Gang huschen, ich dachte ich träume. Nach wenigen Minuten dass gleiche, unmittelbar in meiner Nähe ein großer schwarzer Käfer. Ich überlegte ob ich träume, aber ich kam zu der Erkenntnis, die „Kakerlaken des Südens“ hatten mich eingeholt. Kakerlaken in diesem warmen Klima, so groß wie Hirschkäfer in unseren westeuropäischen Gefilden.

Die Nacht verging und die Schmerzen wurden immer unangenehmer. Gegen 8Uhr wurde meine Frau munter, sie hatte von meinen „Nachtwanderungen“ nichts bemerkt. Wir machten uns frisch, Emu hatte, kurz nachdem wir fertig waren, an unsere Tür geklopft. Er hatte ein gemeinsames Frühstück vorbereitet. Vor Schmerzen war es mir nicht möglich ein T-Shirt anzuziehen. Nach Emus und auch der Meinung meiner Frau hatten wir uns geeinigt, dass mich beide mit unserem Auto nach Albena an den Strand bringen.

Sie wollten dann nach Varna fahren die beschädigten Autoräder unserer Freunde abholen, um sie nach Balcik zur Reparatur zu bringen.

Gesagt getan. Gegen 12Uhr waren sie wieder zurück in Albena.

Ich hatte mich während dieser Zeit unter einem großen Sonnenschirm aufgehalten. Trotz der hohen Außentemperaturen kam mir die frische Luft vom Meer sehr zugute. Ich beobachtete die Wellen auf dem Wasser, kam auf die blödsinnige Idee ins Wasser zu gehen und meinen lädierten Rücken durch diese Wellen zu kühlen. Ein herrliches Gefühl. Die Schmerzen verschwanden in Sekundenschnelle.

Mit dem Rücken zu den Wellen, ich weiß heute nicht mehr wie lange, fühlte ich mich wohl wie seit Tagen nicht mehr.

Auch die Schmerzen an den geschwollenen Fußknöcheln waren verschwunden. Zurück unter meinem Sonnenschirm beobachtete ich viele Badegäste die zu den, an der Strandpromenade installierten Duschen gingen, um sich eine Abkühlung zu genehmigen.

Den wahren Grund dieser „Abkühlung“ erfuhr ich, als Emu und meine Frau zurückkamen, während unseres gemeinsamen Mittagessens in seinem Restaurant. Emu`s Belehrung kam zu spät. Die Wellen, die ich mir gegen meinen Rücken „klatschen“ ließ, die mich kurzzeitig von den Schmerzen befreiten, hatten die sich inzwischen gebildeten Blasen geöffnet. Das Salzwasser des Schwarzen Meeres war nun zum Gift für meinen Rücken geworden.

Während unseres gemeinsamen Essens hatte ich mir ein Nicki übergezogen, denn es gehörte sich nicht ein solches Restaurant mit freiem Oberkörper zu betreten. Anfangs hatte ich keine Schmerzen und ich war zufrieden, dachte ich habe es überstanden.

Die Nähe von Emus Frau, unsere Blicke, die sich anscheinend immer wieder „zufällig“ trafen, ließen mich ohnehin meine „Leiden“ vergessen. Ich liebte meine Frau, was ging in mir vor? Wie konnte so etwas möglich sein?

Ich fragte mich im Innersten: „Junge, was ist nur mit dir los?“ Meine Gefühle antworteten mir nicht.

Ich dachte in diesen Augenblicken an die Worte meines Opas, „Junge, nimm es wie es ist und mach das Beste draus!“

Was sollte ich denn nun in dieser Situation machen? Warum schaute sie immer dann zu mir wenn es keinem auffiel? Sollten wir beide unsere, wie ich glaube, harmonischen Beziehungen aufs Spiel setzen? Ich konnte meine Gedanken nicht mehr ordnen.

Das kann es wohl nicht sein, was mein Opa mit seiner Weisheit gemeint hatte.

Nach einigen Überlegungen kam ich jedoch zu der Erkenntnis, der Opa hatte Recht! Für mich das Beste in dieser Situation, wie man so sagt, „klaren Kopf behalten“, den Gefühlen nicht nachgeben, und wenn es eskalieren sollte offen miteinander reden. Würde es uns beiden gelingen? Die kommenden Tage werden eine Antwort geben.

Emu begann gegen 14Uhr seinen Dienst. Wir machten einen „Bummel“ auf der Strandpromenade, bestaunten die vielen Hotelanlagen, machten an einem Restaurant eine Pause, es war inzwischen gegen 15Uhr.

Der Name dieses Restaurants ist mir leider entfallen.

Jahre zuvor wurde ein Film, unter anderen in Albena, gedreht. Meines Wissens war es ein Film, der aus den Zeiten der Seeräuberei handelte. Dazu wurden Kulissen aufgebaut, die das „Rückzugsgebiet“ der Piraten nach vollendeten Überfällen auf See darstellen sollten.

Diese Kulissen waren so gut gelungen, dass der Hotelbetrieb-Albena Baufirmen den Auftrag erteilte, nach Abriss der Kulissen durch die Filmfirma, all das wieder massiv und im Original, als Gastronomische Attraktion, aufzubauen.

Es war ein voller Erfolg, denn der Zuspruch der Urlauber war so enorm, dass es höchst selten gelang einen Sitzplatz, wenn man diesen nicht vorher bestellt hatte, zu bekommen. Die Atmosphäre, das Getränke-und Speisenagebot, die Bedienung, alles in allem hatte uns so sehr gefallen, dass wir uns einig waren öfter dorthin zu gehen. Emu hatte später mit dem Oberkellner dieses Restaurants gesprochen und wir bekamen immer einen Sitzplatz, wenn wir zu diesem Restaurant kamen. So wurde es zu unserm Stammlokal.

Auf dem Rückweg zu Emu, am späten Nachmittag, wurden die Schmerzen meiner Verbrennungen wieder stärker. Wir wollten bei Emu zu Abend essen und dann, wenn er seinen Dienst beendete, gemeinsam zu unserer Unterkunft fahren. Daraus wurde nichts mehr, denn eine Kollegin Emus, der wir meinen „Sonnenbrand“ zeigten, gab uns den Rat, umgehend nach Balcik ins Krankenhaus zu fahren. Heute weiß ich, dass war das Beste was wir tun konnten. Gemeinsam mit Emu, er verließ dazu mit Erlaubnis seines Chefs vorzeitig seinen Arbeitsplatz, fuhren wir nach Balcik. Im Krankenhaus angekommen wurden wir zuerst an der Anmeldung gefragt, ob ich BRD-Bürger wäre, oder aus der aus der DDR komme. Warum wir zur Notaufnahme dieses Krankenhauses kamen, war vorerst völlig uninteressant. Was kam nun noch alles auf mich zu?

Nach etwa einer Stunde Wartezeit wurde ich in ein Behandlungszimmer gerufen, Emu begleitete mich um zu übersetzen. Der behandelnde Arzt, mit einer „Alkoholfahne“, flippte aus, schrie mich an: „ob ich denn wohl noch bei Sinnen wäre.“ Emu übersetzte es. Eine Antwort konnte ich nicht geben, mir verschlag es die Sprache. Ohne viele Worte und Erklärungen wurde mir ein Zimmer zugewiesen in dem noch drei Betten standen, die aber nicht belegt waren. Emu und meine Frau fuhren zurück zu Emus Arbeitsstelle. Ich musste mich vollständig entkleiden und mich in ein Bett, lang ausgestreckt, auf den Bauch legen.

Zwei Schwestern und der Arzt kamen in das Zimmer. Sie hatten mehrere kleine Behältnisse bei sich, in denen ich eine lilafarbene zähe Masse wahrnahm.

Damit bestrichen sie meinen gesamten Körper, vom Hals bis zu den Füssen, bedeckten mich mit einer Plasteplane und gaben mir zu verstehen, dass ich unbedingt bis zum kommenden Morgen so liegen bleiben muss.

Ich weiß nicht wie, aber es gelang mir. Von Träumen geplagt, halbschlafend, dann wieder putzmunter, ging diese Nacht zu Ende.

Seit dem Auftragen dieser Paste hatte ich keine Schmerzen mehr, fühlte mich so wohl wie an den vergangenen drei Tagen nicht mehr. Während der Visite, wahrscheinlich durch einen Ober-oder Chefarzt, wurde ich aufgeklärt. Ein Krankenpfleger, der Deutschen Sprache kundig, übersetzte unser Gespräch. Die Verbrennungen am Rücken und den Beinen bis zu den Waden, wären nicht problematisch. Aber die Verbrennungen der Füße könnten schwerwiegende Folgen für mich haben.

Die Geschwulst um die Fußgelenke sei durch Wasser in den Beinen verursacht. Die Durchblutung sei nun eingeschränkt und da Gelenke ohnehin eine sehr geringe Durchblutung haben besteht die Gefahr, dass Gewebe abstirbt und eine Amputation der betroffenen Körperteile zur Folge haben könnte.

Ich bete nicht zu Gott, bin nicht gläubig. Aber zu meinem Schutzengel betete ich: „er möge mich erhören, mir beistehen, mich nicht verlassen und nicht zulassen, dass ich als Krüppel die Heimreise nach Deutschland antrete.“

Er hatte mich, wie schon sehr oft erhört, denn die Geschwulst meiner Gelenke nahm von Tag zu Tag ab. Emu und meine Frau besuchten mich jeden Vormittag und zu meinem Erstaunen und meiner Freude, war auch einmal Emus Frau dabei. Sehr überrascht und erfreut war ich, als ich etwa am vierten Tag unverhofft und ohne Anmeldung Besuch von unseren neuen Freunden aus Varna bekam. Emu hatte in der Zwischenzeit die beiden Räder, neu bereift, in Balcic abgeholt und sie nach Varna gebracht. Nach sechs Tagen durfte ich das Krankenhaus verlassen. Die Schwellungen waren zurückgegangen. Die Wunden auf meinem Rücken begannen zu verheilen .Dünne, neue Haut hatte sie überzogen. An den nun folgenden Tagen mussten die Wunden aber noch, etwa eine Woche lang, ambulant behandelt werden. Dazu fuhr ich aller zwei Tage nach Balcik. Ich bedankte mich bei allen Beteiligten, das alles so gut für mich geendet hatte. Meinem Schutzengel aber, an den ich noch heute glaube, dankte ich in einem Gebet ganz besonders. Wusste er auch von den Weisheiten meines Opas? „Nimm es wie es ist und mach das Beste draus“

Die kommenden drei Wochen unseres geplanten Aufenthalts in Albena vergingen schnell wie im Fluge. Was wir erlebt hatten war Vergangenheit, wir sahen nach vorn, denn von der Vergangenheit konnte ich nur lernen und ich tat es. Anfangs, noch mit einem Nicki oder T-Shirt bekleidet, badeten wir im Schwarzen Meer, machten Spaziergänge am Strand und durch die Hotelanlagen.

Noch knapp drei erlebnisreiche Wochen lagen vor uns.

Eines Abends waren wir wieder in unserem neuen Stammlokal. Wir hatten gut gegessen und ich trank dazu zwei halbe Liter Bier. An solch schönen Abenden kam es auch vor, dass wir zwischendurch ein Stück spazieren gingen. Sternenklarer Himmel, von weitem schöne Musik und das rauschende Meer. Ein sehr schöner Abend für uns beide, an den ich mich noch sehr gern erinnere, ging zu Ende. Wir fuhren mit dem Auto gegen Mitternacht zu Emu, wollten ihn abholen und gemeinsam mit Ihm nach „Hause“ fahren. Er servierte mir noch einen großen Schopskasalat. Einige hundert Meter waren wir gefahren, als wir von zwei Polizisten angehalten wurden. Nach einer Kontrolle unserer Papiere wurde ich aufgefordert mich einem Alkoholtest zu unterziehen. Damit hatte ich kein Problem, denn den letzten Schluck Bier hatte ich etwa gegen 20Uhr, während des Abendessens, zu mir genommen. Ich blies in eine Leitung, die in ein elektrisches Gerät führte, und verstand die „Welt“ nicht mehr, als an diesem Apparat ein rotes Lämpchen blinkte und ein Pfeifton hörbar wurde. Die Polizisten steckten meinen Führerschein ein. Das Gerät zeigte einen Alkoholgehalt meiner Atemluft von etwa 0,5 Promille an.

Meines Wissens bestand ein uneingeschränktes Alkoholverbot für alle motorisierten Verkehrsteilnehmer im gesamten „Ostblock.“ Was nun?

Waren sie auch Freund und Helfer, wie die ungarischen Polizisten?

Ich erklärte diesen Polizisten was wir an diesen Abend unternommen hatten, Emu übersetzte es, verschwieg auch den Genuss dieser beiden halben Liter Bier, die in der Zeit von 18.30 bis 20Uhr getrunken hatte, nicht. Sie gaben uns zwei Möglichkeiten. Ich könnte umgehend mit ihnen nach Balcik zu einer Blutprobe ins Krankenhaus fahren, oder einer der beiden fährt mein Auto in unsere Unterkunft. Nach drei Tagen könnte ich dann zum Polizeipräsidium nach Tolbuchin kommen und nachdem ich eine Strafe von 150 Lew bezahlt hätte, würde ich meinen Führerschein zurückbekommen. Nach einigen Überlegungen entschieden wir uns für die zweite Möglichkeit.

Die kommenden beiden Tage fuhren wir mit dem Linienbus nach Albena und am Abend wieder nach Hause. Am dritten Tag fuhr ich mit dem Bus nach Tolbuchin.

Ich wollte meinen Führerschein wieder abzuholen. Ich kein Wort Bulgarisch, der Beamte mir gegenüber kein Wort Deutsch. Nun wurde ich gebeten ein schon vorher ausgefülltes Protokoll zu unterschreiben. Da ich nicht wusste was in diesem Protokoll geschrieben war weigerte ich mich. Ich hatte schon die 150.-Lew Strafgebühr in der Hand und er nahm das wahr. Plötzlich zerriss er dieses Protokoll und nahm mir, ohne es zu zählen, meine 150.-Lew aus der Hand. Eine Quittung bekam ich nicht. Lächelnd verabschiedete er mich und wünschte mir alles Gute. Das verstand ich gerade noch.

Er hatte in wenigen Minuten 150Lew sein eigen nennen können, einen durchschnittlich hohen Monatslohn im damaligen Bulgarien. Schutzengel, hattest Du diesmal dem Beamten beigestanden um mir eine Lehre zu verpassen? Mit dem Bus fuhr ich zurück in unsere Unterkunft. Ich wollte nach Albena fahren zu meiner Frau. Nun musste ich aber erst in unsere Wohnung, da dort die Autoschlüssel waren. Freudestrahlend begrüßte mich Emus Frau die, wie rein zufällig, mit einer Nachbarin auf dem Gang stand und mit ihr plauderte.

Emus Frau beendete den „Schwatz“, begab sich in ihre Wohnung und lud mich zu einem Kaffee ein. Sie bat mich sie dann mit dem Auto nach Albena zur Arbeit mitzunehmen. Natürlich hatte ich nichts dagegen einzuwenden.

Ich holte die Autoschlüssel, und klopfte an ihrer Wohnungstür. Sie fragte: „wer ist da?“ Ich war erstaunt über diese Frage und antwortete: „na ich, wir wollten doch noch Kaffee trinken und dann beide nach Albena fahren.“

Sie öffnete die Tür und ich konnte mich, bei diesem Anblick, den ich in dieser Sekunde wahrnahm, kaum noch bewegen. Sie war mit nur einem kleinen weißen Slip bekleidet. Ihre kleinen, gut geformten, Brüste und ihre schöne Figur, ihr Lächeln, alles was ich sah, brachte mich, scheinbar kurzzeitig, um meinen Verstand. Sie bemerkte meine „Starre“, fasste mich an meine Arme und zog mich langsam in die Wohnung. Wir küssten uns, wie ich es mit meiner Frau, glaube ich noch heute, noch nie erlebt hatte. Unserer beiden Hände gingen auf „Wanderschaft“, ich hatte nun meinen Verstand vollständig verloren.

Langsam bewegten wir uns in Richtung Wohnzimmertisch, sie legte sich darauf, wahrscheinlich in Erwartung eines schönen Erlebnisses. Wo war mein Schutzengel? Was war aus meinen guten Vorsätzen, damals im Restaurant „Orchidee“, als sie uns bediente, geworden?

Sie hob ganz leicht ihren Po, ich begann ihr den Slip abzustreifen und plötzlich war mein „Schutzengel“ bei mir. Ganz langsam begann ich den Slip wieder nach oben zu streifen.

Sie hob ihren Kopf, verstand wahrscheinlich nicht was geschah, sah zu meiner „Erregung“ und fragte mit zittriger Stimme, „ was ist denn los mit dir, hab ich etwas falsch gemacht?“

Ich zog meinen Slip wieder an und setzte mich neben sie auf den Tisch. Sie stand auf und zog ein T-Shirt und einen Rock an. Wir hatten noch etwa eine Stunde Zeit, bevor wir nach Albena fahren wollten. Ich bin noch heute unwahrscheinlich stolz auf mich und bin sehr froh über dass, was da geschehen war. Wir unterhielten uns über diese, für uns beide peinliche Situation. Sie fand die richtigen Worte, warum es geschehen sollte, warum sie diesen Wunsch hatte.

Sie sagte mir: „als wir uns zum ersten Mal begegnet sind, damals bei eurer Ankunft im „Orchidee“, trafen sich unsere Blicke. Plötzlich hatte ich den Wunsch mit dir zu schlafen, nur ein einziges Mal. Ich liebe meinen Mann und unsere beiden Kinder über alles. Ich wollte Sex mit Dir und damit Dankeschön sagen für dass, was du für uns getan hast. Du hast meinem Mann 7500.-Mark geborgt. Damit kaufte er Einrichtungsgestände für ihr neues Heim und hat sie hierher geschickt. Nach der Saison wollen wir beginnen unser geerbtes Haus zu renovieren und dann mit diesen Möbel einrichten. Nur mit deiner Hilfe wurde das möglich.“

Ich spürte, auch ihr viel ein Stein vom Herzen. Wir beide konnten ein ruhiges Gewissen unseren Partnern und den Kindern gegenüber haben, dass sich diese Situation so geklärt hatte. Wir wurden gute Freunde. Meiner Frau viel aber immer wieder auf, dass wir uns beide auf den Mund küssten, wenn wir uns begrüßten oder verabschiedeten. Emus Gefühle und Gedanken dazu blieben mir verborgen. Er tat immer so als wenn er sich freute, es ihm nichts ausmachte. Hatte sie es ihm gebeichtet? Ich habe sie nie danach gefragt, daher werde ich es nie erfahren. Meiner Frau sagte ich, als sie mich dazu mehrmals zur Rede stellte: „aber Schatz, das ist doch in Bulgarien unter Freunden ganz normal. Dir wird doch aufgefallen sein, dass sich Emu immer freut, wenn wir uns mit Küsschen begrüßen oder verabschieden.“ Sie hatte sich daran gewöhnt, denn während unseren Urlaubsaufenthalten in den folgenden Jahren waren wir immer wieder happy, wenn wir uns unter den Augen unserer Partner ein liebes Küsschen auf den Mund geben konnten und sie das dann auch noch als Normalität ansahen. Meine Frau hatte sich daran gewöhnt und dass machte mich immer wieder von Neuem glücklich und zufrieden.

Etwas mehr die Hälfte unseres Urlaubs war inzwischen vergangen. Ich fühlte mich wieder fit, bis auf Narben, die jahrelang noch zu sehen waren.

Sie erinnerten mich immer wieder an meine Nachlässigkeit. Etwas „Gutes“ hatte auch dieses leidige Erlebnis, ich habe daraus gelernt!

Wir gingen täglich an den Strand, fanden Urlaubsbekanntschaften, machten Wanderungen in die nähere Umgebung, wir waren Happy. Eines Tages lernten wir eine ältere Dame aus Westdeutschland kennen, die ihren Urlaub mit ihrer Enkeltochter in Albena verbrachte.

Dieses Mädel war etwa 10Jahre alt und Vollwaise. Die Eltern waren, als sie 1Jahr alt war tödlich verunglückt. Die Großeltern hatten das Kind zu sich genommen, waren wie Eltern für sie. Einige Jahre später starb der Opa an Krebs. Wir spürten, die Oma hatte sich nach diesen schweren Schicksalsschlägen nicht aufgegeben. Diese beiden waren wie Mutter und Tochter. Während eines Gesprächs erfuhren wir, dass sie mit Bus nach Varna fahren wollten, um eine Vorstellung im Delphinarium zu besuchen. Wir boten ihr an, dass wir gemeinsam mit unserem Auto nach Varna fahren könnten. Sie war einverstanden und bedankte sich über diese Einladung. Wir setzten uns dann mit unseren Freunden in Varna in Verbindung. Sie waren begeistert und freuten sich, dass sich mein Gesundheitszustand gebessert hatte und ich wieder fit bin. Für uns alle gemeinsam war es ein sehr schöner Tag, vor allem der Besuch im Delphinarium. Unbewusst, wie ich heute glaube, hatte ich zwei Menschen, die schwere Schicksalsschläge erleiden mussten, eine Freude gemacht.

Bekomme ich das Gute, was ich diesen beiden Menschen gegeben hatte mehrfach zurück? Die Zeit sollte mir diese Frage beantworten.

Eines Abends, wir waren, wie schon sehr oft, in unserm Stammlokal und verbrachten einen schönen Abend. Während des Abendessens trank ich ein Bier. Danach nur alkoholfreie Getränke. Ich hatte aus dem Vorfall mit der Polizeikontrolle meine Lehren gezogen. Wir holten gegen 1Uhr, wie immer, Emu von der Arbeit ab. Auf dem Heimweg, am Ortsausgang von Albena, plötzlich Blaulicht und zwei Polizisten, die uns Haltezeichen gaben. Was war passiert? Es war nichts passiert, aber eine Alkoholkontrolle stand an. Ich blies in diesen Schlauch, der zu dem Messgerät führte, ich kannte mich ja inzwischen mit dieser Technik aus und siehe da, rote Lämpchen blinkten, ich hatte Alkohol im Blut. Ich versuchte den Polizisten aufgeregt mit Händen und Füssen klar zu machen, dass das nicht möglich sei. Emu und meine Frau beruhigten mich.

Emu erzählte ihnen dann, was uns Tage zuvor passiert war. Diesmal hatte ich nur ein Bier, gegen 20Uhr zum Abendessen getrunken.

Es konnte doch nicht möglich sein, inzwischen war es gegen 2Uhr, dass der Alkohol in meinem Körper in dieser Zeit nicht abgebaut war. Beide Polizisten wollten sich auf keine Diskussion einlassen. Im weiteren Gespräch erzählte Emu ganz nebenbei, dass ich, bevor wir losgefahren waren, einen großen Schopskasalat gegessen hatte.

Die Stimmung änderte sich schlagartig, denn die beiden Polizisten begannen zu lachen. Mir dagegen war zum Weinen zumute. Sie sagten uns: „die Strafe von 150Lew hättest du dir sparen können wenn ihr damals unseren Kollegen von dem Schopskasalat erzählt hättet. Uns ist seit kurzem bekannt, dass diese Geräte, nach dem Verzehr von Schopskasalat, geringe Mengen Alkohol im Blut anzeigen. Die Ursache dafür ist durch den Genuss von Schafskäse begründet.“

Hatte mir mein Schutzengel einen Wink gegeben?

Wollte er mir damit sagen: „trinke keinen Alkohol, wenn du mit dem Auto unterwegs bist! Setze dich nie ans Lenkrad, wenn du dir nicht sicher bist keinen Alkohol im Blut zu haben!“

Mir war es jedenfalls eine Lehre für mein weiteres Leben, eine positive, wovon ich noch heute überzeugt bin. Unser vierwöchiger Urlaub ging dem Ende entgegen. Die schönen Erlebnisse und auch die Erfahrungen die wir gesammelt hatten, blieben uns beiden sehr lange in Erinnerung. Mir noch bis zum heutigen Tag.

Die Heimreise verlief nicht so spektakulär wie die Hinfahrt nach Albena.

Nach drei Tagen, mit einem Zwischenaufenthalt im Autocamping Szeged, hatte uns der Alltag wieder.

Warum

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