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Kapitel 4 Wir werden Gastwirt, ein guter Entschluss?
ОглавлениеAnfang Oktober 1975 bekamen wir die Möglichkeit uns als Gastwirte, im Kabarett „Fettnäppchen“, neu zu orientieren. Meine neuen Vorgesetzten machten mir die Zusage, sich beim zuständigen Wohnungsamt der Stadt zu bemühen, dass uns so schnell wie möglich eine Vierraumwohnung zur Verfügung gestellt wird. Vorerst bekam ich ein Zimmer im betriebseigenen Hotel „Zum Schwarzen Bären.“ Wir hatten wöchentlich zwei Ruhetage. Es waren die Sonntage und Montage. An diesen Tagen fuhr ich nach Torgau zu meiner Familie. Von ihr getrennt zu sein viel mir sehr schwer. Wie sagt man so schön: „Aller Anfang ist schwer“, ein Sprichwort das für mich nun in jeder Hinsicht zutraf.
In meiner Zeit als Lokführer gab es keinen Moment, indem ich die Anwesenheit von Menschen und deren Augen, die auf mir ruhten, scheute. Doch hier nun, das erste Mal vor meinen Gästen stehend, Getränke einschenkend und servieren, ich zitterte am ganzen Körper. Zur Unterstützung meiner neuen Tätigkeit wurde mir ein Kellner des Betriebes vorübergehend zur Seite gestellt. Ich hatte in sehr kurzer Zeit viel von ihm lernen können. Meine neue Arbeit begann mir Freude und Spaß zu machen. Ich fühlte mich wieder glücklich und erfüllt, die Zeit der langen Weile war nun endgültig vorbei!
Überraschender Weise wurde mir etwa Anfang November eine Dreiraum-Neubauwohnung zugewiesen. Beziehungen ermöglichten es. Damals galt noch als Gesetz, „Beziehungen schaden nur dem der keine hat.“
Unsere Kinder waren inzwischen zwölf, zehn und neun Jahre alt. Mir gelang es die neue Wohnung mit einem älteren Ehepaar zu tauschen. Somit bekamen wir eine Vierraum-Altbauwohnung, mit einer Wohnfläche von 112qm. Das war zur damaligen Zeit mit einem Lottogewinn zu vergleichen. Das Glück schien auf unserer Seite zu sein. Am 22.Dezember 1975 zogen wir nach Gera. Die Familie war vereint. Ich durfte nun endlich wieder die Anwesenheit meiner Frau und unseren Kindern genießen.
Meine Frau gewöhnte sich schnell an die neue Tätigkeit. Unsere Kinder hatten keine Schwierigkeiten neue Freunde zu finden.
Ein neuer Lebensabschnitt begann für uns alle.
Dringend notwendige Modernisierungsarbeiten in der Wohnung wurden geplant. Kaum dass wir unser Einzugschaos beseitigt hatten, begann das Chaos von neuem, etwa im März 1976.
Eine sogenannte „Feierabendbrigade“ ging von nun an bei uns ein und aus. Vier Handwerker, angestellt bei der SDAG-Wismut Ronneburg, erneuerten komplett die elektrischen Anlage. Drei Türen zwischen dem Elternschlafzimmer, Zimmer der Tochter, dem Zimmer der Söhne und die Zwischentür zum Wohnzimmer, wurden nach meinen Wünschen, auf Kosten der Wohnungsverwaltung, zugemauert. Die Wohnungsverwaltung gab die Aufträge nach unseren Vorstellungen und unsern Wünschen.
Im Nachhinein möchte ich bemerken, all das war in der damaligen Zeit eine enorm große Ausnahme. Das erste Mal, so schien es, konnten wir uns ganz nach eigenen Vorstellungen, verwirklichen
Da die Eintrittskarten im Kabarett „Fettnäppchen“ im Vorverkauf für Gruppen ab sechs Personen auf etwa 2 Jahre ausverkauft waren, öffneten sich alle Türen für uns. Wenn man Anliegen hatte und sich am Telefon mit seinem Namen und dem Zusatz, „Kabarett Fettnäppchen“ meldete, fand man sofort Gehör. Termine für die Durchsicht oder Reparatur des Autos, neue Winterreifen, ein neues Toilettenbecken oder einen Gasherd benötigte, war immer ein „Weg“ drinnen. Wie schon erwähnt, gute Beziehungen waren damals Gold wert und die hatte ich nun.
All unsere Anliegen wurden fast ausnahmslos beraten und erfüllt. Wenn man sich dann einig war, kam aber fast immer so nebenbei, sinngemäß die Bemerkung, „Ach Kabarett „Fettnäppchen“, wissen Sie, wir sind im Kollektiv sechs, acht, zwölf Kolleginnen und Kollegen, haben schon viel von Ihren Vorstellungen gehört, aber man hat ja kaum eine Möglichkeit Eintrittskarten zu bekommen.“ Diese oder ähnliche Andeutungen kamen recht häufig und immer musste ich mir ein Schmunzeln verkneifen, wie schnell man doch wichtig wurde für die Gesellschaft.
Ich wusste natürlich, eine Hand wäscht ja bekannter Weise die andere. Vielleicht braucht man sich irgendwann mal wieder, man sitzt ja an der sogenannten „Quelle“ und der Kreis der Quellen wuchs und wuchs.
In dieser Zeit schaffte ich es sogar das Lehrerkollektiv der Schule unserer Kinder, gemeinsam mit ihren Ehepartnern, zu einer geschlossenen Vorstellung ins „Fettnäppchen“ zu „locken“. Sagen muss ich aber, die Lehrerschaft heute möge es mir verzeihen, Lehrer waren oder sind es noch immer, dass schlechteste Publikum überhaupt!
Sie lachten und klatschten sich auf die Schenkel an Stellen des Programms, wo man eigentlich nachdenken sollte und Lehrer redeten dazu noch „Schulmeisterlich“ dazwischen.
Eine Tradition war es, dass sich die Besucher nach der Vorstellung im Bar Raum Fettbrote schmieren konnten. Bei den Lehrern langte das Brot und das Fett nicht einmal für die Hälfte der 72 Besucher.
Vielleicht dachten die ersten, die diesen „Fettnapf“ nach der Vorstellung erreichten, an die Frühstücksbrote für den nächsten Tag.
Ähnliches bestätigte mir mal mein Hausarzt. Er hatte in vielen Jahren seiner Tätigkeit die Erkenntnis gewonnen: „Lehrer kommen zur Sprechstunde, erklären die Krankheit die sie plagt und sagen mir welche Medikamente ich ihnen zu verordnen habe.“ Was soll`s, ein gutes Verhältnis zu Lehrern hatte ich trotz alle dem schon immer, denn meine sechs Jahre ältere Schwester ist Lehrerin von Beruf!
Ob unsere Kinder damals vorzüglicher von ihren Lehrern behandelt wurden weiß ich nicht mehr, den Schulabschluss haben sie aber alle drei mit guten Noten und Beurteilungen geschafft.
Was nun in unserem Leben folgte war wunderbar. Ich möchte sogar behaupten, es war bis zu diesem Zeitpunkt die schönste Zeit unseres gemeinsamen Lebens!
Mit den Akteuren des Kabaretts entwickelten sich nach und nach freundschaftliche Beziehungen, die zum Teil noch bis zum heutigen Tag Bestand haben. Ich ließ mir ab und zu, ohne Wissen der Kabarettisten, Aktionen einfallen, mit denen ich immer wieder den Spielbetrieb durcheinander brachte. Ich betrat während einzelner Szenen den Zuschauerraum. Die Kabarettbesucher dachten es gehört zum Programm, aber die Kabarettisten wussten, „nun hat er wieder etwas drauf, bringt uns aus dem Konzept und wir müssen versuchen uns gut aus der Affäre zu ziehen.“
Oft gelang es ihnen. Es kam aber auch vor, dass sie ihre Texte vergaßen, der eine oder andere zu lachen begann, konnte nicht weiter sprechen und man versuchte dann diese Szene mit spaßigen Bemerkungen zu beenden.
Es war schön zu sehen, wie der Funke auf die Zuschauer übersprang. Es wurde gelacht und geklatscht und die Situation war gerettet.
Die Kabarettisten nahmen mir es nie übel, denn schließlich hatten auch sie viel Vergnügen sowie Abwechslung und ihr Können war gefragt.
Nach dem Programm hatten wir dann viel Spaß, sprachen darüber und sie waren immer wieder verwundert, wie ich denn auf solche „blöden“ Ideen gekommen war. An drei Szenen erinnere ich mich ganz besonders gern.
Eine handelte von einer Fernsehsendung des DDR-Fernsehens. Ich glaube diese Sendung wurde jeden Sonntag übertragen. Die Fernsehmoderatorin Annemarie Brodhagen, interviewte den damaligen Direktor des Berliner Tierparks, Professor Heinrich Dathe. In dieser Sendung wurden Tiere des Parks vorgestellt. Ihre Herkunft und Lebensweise, Ernährung, Vermehrung und viel Interessantes über die Lebensweise wurde erläutert.
Wie ich heute noch meine, eine sehr interessante und lehrreiche Fernsehsendung nicht nur die für Kinder, ebenso Erwachsene kamen auf ihr Kosten.
In der Szene im Kabarett ging es um die Küchenschabe, im Volksmund auch Kakerlake genannt. Auf dem Tisch ein Mikrophon und die Bühne einem Fernsehstudio ähnlich dekoriert. Scheinwerfer, und als wichtiges Requisit eine Streichholzschachtel, in der sich anscheinend dieses Tier befand, welches nun vorgestellt werden sollte.
Während des „Interviews“ öffnete der „Professor“ die eben beschriebene Streichholzschachtel und deutet an, dass er diese „Kakerlake“ über den Tisch laufen lässt. Beide sahen dieser vermeintlichen Kakerlake nach und bewundern ihre Schnelligkeit. Ich besorgte mir einmal vor einer Vorstellung drei lebende Kakerlaken aus einer Speisegaststätte in der Nachbarschaft und verstaute sie in dieser bewussten Streichholzschachtel. Nur dem Bühnentechniker und den anderen Kabarettisten erzählte ich davon. Tatsache ist, dass in der damaligen Zeit diese Tiere in fast jeder Speisegaststätte zu finden waren, trotz aller Bemühungen um Sauberkeit im Küchen- und Gästebereich. Schädlingsbekämpfungsbetriebe versuchten durch versprühen von Insektenvertilgungsmitteln und auslegen von Tabletten, die Gase entwickeln, dieses Ungeziefer zu vergiften. Somit sollte dieser unangenehmen Plage ein Ende gesetzt werden, was aber höchst selten gelang.
Mit Warenlieferungen, Obst-und Fleischkisten, Kartonagen, in denen aus südlichen Ländern und Afrika Konserven angeliefert wurden, kam es immer wieder vor, dass diese Insekten in die betroffenen Einrichtungen eingeschleust wurden. Sie gewöhnten sich schnell an ihren neuen Lebensraum und schienen sich wohl zu fühlen.
Beide Akteure betraten das „Studio“. Die „Fernsehzuschauer“ wurden von der „Moderatorin“ herzlich begrüßt und das „Unheil“ nahm seinen Lauf.
Ganz locker und mit spaßigen Bemerkungen begann der „Professor“ mit seinem Vortrag. Er berichtete über die Herkunft, die Verbreitung, den Lebensraum und die Lebensgewohnheiten der Kakerlaken.
Meine Frau und ich hatten uns hinter einem Vorhang am Eingang zum Zuschauerraum versteckt. Aufgrund der Scheinwerfer, die das „Studio“ erhellten, konnten uns diese beiden Kabarettisten nicht sehen.
Der „Professor“ sagte während seiner Erläuterungen zur „Moderatorin“ sinngemäß: „ich habe keine Mühe gescheut und ein solches Tier mitgebracht. Sie müssen sich nicht beängstigen, da nach unseren Erkenntnissen und Erfahrungen diese Tiere sehr scheu sind. Sollte doch etwas Unvorhergesehenes passieren, stehe ich Ihnen bei. Ich werde alles für mich Menschen mögliche unternehmen, um Sie zu beschützen!“
Der Moment kam, als der „Professor“ diese Streichholzschachtel nahm, sie sich vor den Mund hielt und sagte: „ich zeige Ihnen jetzt dieses Tier, ich hauche ihnen Leben ein.“ Er öffnete die Schachtel, sah hinein und für Sekunden erstarrte sein Blick. Wir, meine Frau und Ich, sowie auch die anderen Kabarettisten, die sich am Durchgang der Garderobe zur Bühne in „Stellung“ gebracht hatten, mussten uns das Lachen verkneifen. Der „Professor“ hatte diese unerwartete Situation schnell überschaut und reagierte spontan, indem er die Streichholzschachtel weiter öffnete und die Kakerlaken auf den „Studiotisch“ aus ihrem Gefängnis entließ.
Zu unserem Bedauern fielen zwei dieser Tiere halb Tod auf den Tisch. Ich befürchte, ich hatte sie verletzt, als ich sie in Gefangenschaft genommen hatte. Es war nicht meine Absicht diese armen kleinen Tierchen zu verletzen!
Die „Moderatorin“ allerdings, schauderte. Gewissensbisse schlichen sich schnell ein und ich hatte große Sorge um die Gesundheit der armen Frau. War ich zu weit gegangen? Ihr Gesicht wechselte in kurzen Abständen fast einmal die gesamte Farbpalette durch. Ich hatte so etwas zuvor noch nie bei einem menschlichen Wesen gesehen.
Ihrem völlig verkrampften und erstarrten Gesicht entwich ein Schrei, der mir bis ins Knochenmark ging.
Kaum hatte sich ihre Verkrampfung auch nur ansatzweise gelöst, stürzte sie von der Bühne und wurde von den anderen anwesenden Kabarettisten und dem Bühnentechniker johlend in Empfang genommen. Der Applaus der Zuschauer wollte kein Ende nehmen. Das war auch gut so, denn kurzerhand hatten die Kabarettisten die Folge des weiteren Programms umgestellt. Die „Moderatorin“ war nach diesem Erlebnis nicht in der Lage sofort wieder auf die Bühne zu gehen, um in der folgenden Szene mitspielen zu können.
Als das Programm beendet war, kamen alle Kabarettisten wie gewöhnlich in den Bar Raum. Ich bediente die Gäste an der Bar, meine Frau bediente im Zuschauerraum. Das „Hallo“ nach dieser Vorstellung war riesengroß. Das begeisterte Publikum unterhielt sich an diesem Abend noch lange über die Darbietungen und es wurde gelacht und gejohlt.
Die „Moderatorin“ hatte sich von ihrem Schreck erholt und nahm mir meinen kleinen Scherz auch nicht übel. Dieser Abend endete, wie es nur ganz selten der Fall war, feuchtfröhlich bis in die frühen Morgenstunden.
In weiten Abständen, damit der Überraschungseffekt nicht verloren ging, lies ich mir immer wieder solche „Aktionen“ einfallen. Das klappte immer dann, wenn keiner der Kolleginnen und Kollegen damit rechnete.
Unsere Tochter, die in dieser Zeit bei der Handelsschifffahrt, Reederei Mittelmeer-Afrika, als Stewardess tätig war, musste mitunter für mehrere Monate mit dem Schiff auf große Fahrt gehen. Wir besuchten sie wenn es zeitlich möglich war, während der kurzen Hafenliegezeiten im Heimathafen Wismar. Für uns war das immer ein wunderbares Erlebnis. Wir mussten dafür bei der Hafenbehörde einen Besucherantrag stellen. Daraufhin bekamen wir einen Hafenpass und die Genehmigung das Schiff zu betreten. Mit diesem Pass durften wir auch in einer der Besucherkabinen übernachten.
Nur wenige DDR-Bürger hatten diese Möglichkeit. Es war damals sehr schwierig eine solche Tätigkeit, wie sie unsere Tochter hatte, zu bekommen. Jedem einzelnen der Angestellten der Handelsmarine war es ohne weiteres möglich, die DDR illegal zu verlassen. Aus einer Laune heraus bewarb sie sich bei der Seereederei für diese Tätigkeit und etwa nach einer halbjährigen Wartezeit bekam sie die Aufforderung, sich einem Verkehrsarzt in Erfurt vorzustellen.
Für uns ein sicheres Zeichen, dass sie für diese Tätigkeit angenommen war. Daraufhin ging alles sehr schnell. Nach wenigen Tagen absolvierte sie einen einwöchigen Einweisungs- und Arbeitsschutzlehrgang an der Seefahrtschule in Wismar.
Wir waren der Annahme, dass wir unsere Tochter nach Beendigung dieses Lehrganges wieder mit nach Gera nehmen können.
Als sie jedoch das Zertifikat an der Seefahrtschule in Empfang nahm wurde ihr mitgeteilt: „sie solle sich umgehend in den Wismarer Überseehafen zum Seefahrtsamt begeben, um ihr Seefahrtsbuch in Empfang nehmen.“
Wir fuhren mit ihr zum Seefahrtsamt. Nach kurzer Zeit kam sie zurück und sagte uns: „wir müssen zurück in die Stadt nach Wismar fahren. ich muss mir Kleidungsstücke kaufen, denn in etwa sechs Stunden soll ich mich an Deck melden und in acht Stunden beginnt meine erste Reise nach Beirut.“
Sie hatte nur Kleidungsstücke für diesen einwöchigen Lehrgang bei sich, wir waren geschockt. Beirut galt zu dieser Zeit als Kriegsgebiet. Hatten wir einen schwerwiegenden Fehler gemacht, in dem wir sie nicht von der Bewerbung für diese Tätigkeit abhielten?
Wir hatten uns umsonst Sorgen gemacht. Sie ging vollkommen auf in ihrem neuen Beruf. Sie kam in Länder, in Häfen, in Städte, von denen die meisten DDR-Bürger nur die Namen aus den Massenmedien kannten. Außer in Albanien und dem Libanon hatte sie Landgang. Allerdings mussten die Seeleute immer zu dritt oder viert an Land gehen, da die Kriminalität in vielen dieser Länder sehr hoch war und ein blondes mitteleuropäisches Mädel sehr schnell von den Einheimischen als „Freiwild“ angesehen wurde.
Vor einem geplanten längeren Urlaubsaufenthalt unserer Tochter zu Hause kam mir wieder einmal eine Idee, die allen damals Beteiligten ganz bestimmt unvergessen blieb.
In den meisten Tageszeitungen der DDR wurden wöchentlich die Routen und Hafenliegezeiten der Schiffe der Handelsflotte veröffentlicht. Jeder einzelne unserer Kollegen im Kabarett war auf diese Weise informiert, wo sich unsere Tochter aufhielt und wann ihr Schiff wieder den Heimathafen Wismar erreichen wird.
Als nun das Schiff, es war die „MS Inselsee“, auf Heimatkurs war, erzählten wir den Kabarettisten, “unsere Tochter bekommt keinen Urlaub. Nach einer kurzen Hafenliegezeit geht es wieder für mehrere Wochen ins Mittelmeer“, was aber so nicht stimmte.
Das zu dieser Zeit laufende Programm hieß, „Nonsens plus Ultra“.
Nach der Pause kam ein Kabarettist zu uns in den Bar Raum, das Programm lief mit den anderen Akteuren weiter. Zur nächsten Szene begab sich dieser Kabarettist in den Zuschauerraum, um das Lied „Der Blunschlie“ zu singen.
Ein Lied ohne Sinn und Zusammenhang, dem Programm, „Nonsens plus Ultra“, entsprechend. Wir hatten die Aufgabe ein Glas mit einem Getränk, je nach Wunsch dieses Kabarettisten, zu füllen. Wenn sich dann der Kabarettist wieder in den Zuschauerraum begab den „Blunschlie“ zu singen, folgte ihm meine Frau mit diesem Getränk und reichte es ihm zu Beginn der zweiten Strophe. Er trank dieses Glas aus und begann den „Blunschlie“ zu singen, begleitet am Klavier von unserm Pianisten. Irgendwann kam ich auf die Idee, ein Getränk zusammen zu mixen, welches auf keinen Fall für menschliche Geschmacksnerven bestimmt war.
Dieses „Gesöff“, wir vertauschten die Gläser bevor beide in den Zuschauerraum gingen, überreichte ihm dann meine Frau vor Beginn der zweiten Strophe des „Blunschlie“.
Er trank es wie immer, ohne das Glas abzusetzen, aus und der Pianist verstand nicht, was plötzlich geschehen war. Ein leises Stöhnen und Röcheln ging durch die Stille des Zuschauerraumes. Der Gesang der zweiten Strophe blieb aus und unter nicht definierbaren menschlichen Geräuschen, mein schlechtes Gewissen hatte sich schon längst gemeldet, bewegte sich der „Blunschliesänger“ in Richtung Garderobe.
Zu unserem Glück war der Pianist ein wahrer Meister seines Faches, der schon an vielen Theatern der Republik engagiert war und somit erfahrungsbedingt wusste was zu tun war, um die „missliche Lage“ zu retteten. Er „haute“ in die Tasten und „trällerte“, unter tosendem Beifall der Zuschauer die nun anstehende zweite Strophe. Die weiteren beiden Strophen ersparte er sich und dem Publikum. Als Pianist war er unschlagbar, aber als Sänger, ungenießbar!
Trotz alledem waren die Zuschauer begeistert wie schon lange nicht mehr.
Nach dem Programm gab es wieder einmal viel positive Resonanz von den Beteiligten und den Zuschauern. Wiederholt haben wir es aber nie, denn solche Aktionen gelingen meiner Meinung nach nur einmal gut.
Unsere Tochter kam auf Urlaub und keiner der Kollegen wusste es. Wieder einmal hatte ich die Möglichkeit „den Laden aufzumischen.“ So bezeichneten die Kabarettisten inzwischen meine Aktionen.
Nach Beginn der Vorstellung kam unsere Tochter ins Kabarett, keiner der Akteure wusste davon. Sie versteckte sich im Wirtschaftsraum, an dem meine Frau und der Kabarettist vorbeigingen, bevor es zu der bewussten Szene des “Blunschlieliedes“ kam.
Beide setzten sich in Bewegung. Die Tür des Wirtschaftsraumes war nur angelehnt und meine Frau verschwand unbemerkt hinter dem Kabarettisten im Wirtschaftsraum und vollzog einen fliegenden Wechsel mit unserer Tochter. Sie schloss sich nun dem Kabarettisten an. Nachdem er die erste Strophe gesungen hatte drehte er sich um, griff aber nicht wie gewohnt zum Glas. Der Pianist roch schon den Braten. Er konnte zwar den Sänger sehen, doch nahm er unsere Tochter, durch das Scheinwerferlicht nicht wahr. Da ihm der Sinnesausfall seines Partners auffiel und obwohl er den Grund nicht erkannte, rettete er diese Situation.
Er begann die zweite Strophe zu singen, während der Kabarettist kopfschüttelnd in der Garderobe verschwand. Er hatte sich gewundert wieso meine „Frau“, nun aber unsere Tochter, plötzlich blonde Haare hatte. Daher war ihm der Text entfallen. Durch den Erfolg, den diese Szene eingebracht hat, waren wir alle fröhlich und genossen den Abend in vollen Zügen.
Es mussten natürlich auch Szenen dargeboten werden, die mit der „Sozialistischen Gegenwart“, im Sinne der Verbundenheit zu diesem Staat, zu tun hatten. Um dem gerecht zu werden, studierten die Kabarettisten eine ganz besondere Szene ein. Alle fünf Mitglieder des Ensembles saßen auf der Bühne und hatten eine Brigadeversammlung darzustellen, in der das Wettbewerbsprogramm für den „Sozialistischen Wettbewerb“ verabschiedet werden sollte.
Da die Tische im Zuschauerraum sehr klein waren fanden kaum andere Dinge auf ihnen Platz, so eben auch die Getränkekarte nicht. Damit sich unsere Gäste jedoch einen Überblick über unser Angebot verschaffen konnten, befand sich am Eingang ein kleines Wandbord, auf dem wir leere Flaschen unseres Getränkeangebotes, mit einem jeweiligen Preisschild deponierten. In der ersten Flasche befand sich eine kleine Papierrolle, eben dieses bewusste „Wettbewerbsprogramm.“ Ich kam auf die Idee, diese Flasche vor dem Programm mit einem Korken zu verschließen.
Die „Brigadeversammlung“ begann. Niemand ahnte was noch folgen würde. Zu Beginn wurde über die bisher erbrachten Leistungen im „Sozialistischen Wettbewerb“ diskutiert. Danach sollte die Besprechung über das neue Programm, mit der Schlussendlichen Verabschiedung des neuen Wettbewerbsprogrammes folgen. Doch das dazu benötigte Programm war nicht aufzufinden. Alle fünf Akteure suchten nun dieses „Programm“. Unter anderem auf der Bühne, unter und auf den Tischen der Gäste, und plötzlich sagte einer von ihnen:
„ach Klasse, ich hab`s endlich gefunden, da ist es!“ Er nahm meine präparierte Flasche, drehte sie um, doch da war es, zum Erstaunen der Kabarettisten, nicht. Der Techniker, dem meine Frau und ich Bescheid gesagt hatten, und wir zwei, mussten uns in unseren „Verstecken“ auf die Zunge beißen. Den Kabarettisten war sofort klar, wer da wieder mal seine Hand im Spiel hatte. Sie sahen sich an, lachten, zuckten mit den Schultern und einer rettete die Situation, oder er wollte sie retten, indem er sinngemäß sagte: „Was soll`s, wenn wir kein Programm haben, dann müssen wir ja an diesem „Sozialistischen Wettbewerb“ nicht teilnehmen!“
Sie beendeten die Szene und alle waren der Annahme, die Lage sei gerettet. Aber es kam ganz anders!
Tage später wurde unser Direktor zur „Konzert-und Gastspieldirektion“, denen das Kabarett unterstellt war, zum Rapport beordert. Wir konnten nie in Erfahrung bringen wer eine Beschwerde über diese Szene, die nicht im „Sozialistischen Sinn“ war, bei der Abteilung „Kunst und Kultur“ beim „Rat des Bezirkes Gera“ abgegeben hatte. Ich weiß, der Direktor der „Konzert und Gastspieldirektion“ und unser Direktor haben sich über diese Szene genau so lustig gemacht, wie alle Beteiligten und der überwiegende Teil der Zuschauer an diesem Abend. Was sagte uns das- weiter machen, aber vorsichtiger!
Es kam mitunter mehrmals monatlich vor, dass an den spielfreien Tagen andere Kabaretts der DDR Gastvorstellungen in unserer Spielstätte gaben.
Ich erinnere mich an die Auftritte der „Pfeffermühle“ und „Academixer“ aus Leipzig, “Distel“ aus Berlin, sowie auch an viele Künstler der DDR, mit ihren Soloprogrammen.
Sehr gern gesehen waren unter anderem: „Treff mit OF“, mit OF.Weidling, Diskussionen mit dem Schriftsteller Hans-Georg Stengel, dem Schriftsteller Mathias Biskupek und vieler anderer Künstler.
Unsere Arbeitszeit an diesen Tagen wurden auf einem Arbeitszeitkonto gut geschrieben. Wir hatten nun die Möglichkeit uns am Ende der Spielzeit, Anfang Juli, diese Stunden als Überstunden vergüten zu lassen. Wir konnten aber diese Zeit auch als bezahlte Freizeit abgelten. Spielpausen waren in den Monaten Juli und August.
Es war uns jedes Mal möglich, die Monate Juli und August mit der Familie gemeinsam zu verbringen und ausgedehnte Urlaubsreisen zu unternehmen.
So zum Beispiel vierwöchige Reisen mit dem Auto nach Ungarn an den Balaton. Ich erinnere mich gern an folgendes Erlebnis in Ungarn, in der Stadt Almadi. Traditionsgemäß waren wir mit einem befreundeten Pärchen privat im Urlaub. Unsere Wirtsleute wohnten während der Urlaubssaison in einen Schuppen und in der Garage auf ihrem Grundstück. Netterweise hatten wir dort einen Holzkohlegrill zur Verfügung. In jedem Jahr, in dem wir dort Urlaub machten, es war siebenmal, nahmen wir Thüringer Rostbratwürste und Schweinesteaks, tiefgefroren in Kühltaschen mit. Manchmal kam es während der langen Fahrt vor, dass unser Grillgut auftaute. An einem unserer Grillabende bemerkten wir, dass die Würste einen säuerlichen Beigeschmack hatten. Ich würde nicht sagen dass die verdorben waren, allerdings schmeckten sie unangenhm.
Aus diesem Grund kamen ein Paar köstliche Steaks zum Einsatz, die Würste hatte unser Freund an der äußersten Stelle des Grills deponiert.
Am nächsten Tag wollten wir sie an Hunde oder Katzen verfüttern, doch es kam anders. Während wir noch bei mehreren Flaschen Wein zusammen saßen, kam der Vater unserer Urlaubswirtin zu seinen Kindern zu Besuch. Verschmitzt schaute er im Vorbeigehen auf unsere aussortierten Würste. Deutsch sprach und verstand er nicht. Mit Gesten gab unser Freund dem „Opa“ zu verstehen: „er sei eingeladen und könne sich mit den übrig gebliebenen Würsten vom Grill stärken.“ Dieser „Opa“, ein Naturmensch, reinigte in glühender Hitze die Straßengräben unseres Urlaubsortes. Er hatte eine Haut wie gegerbtes Leder und war furchtbar dürr. Blitzschnell kam er unserer Einladung nach. Die Frauen wollten es verhindern, hatten damit jedoch keinen Erflog. Ich glaube drei oder vier dieser Würste hatte er wohlwollend „verputz.“ Dann kam plötzlich seine Tochter und schimpfte mit ihm, wir verstanden aber ihre Worte nicht. Sie zog ihn an den Armen in Richtung Garten, in den Lebensbereich unserer Wirtsleute. Ich glaube mich noch heute richtig zu erinnern, auf dem Grill befanden sich noch etwa vier oder fünf dieser sauren Würste, als wir irgendwann, „Alkoholgeschwängert“ unsere Nachtquartiere aufsuchten.
Am kommenden Morgen jedoch stellten wir mit Erstaunen fest, die restlichen Würste waren verschwunden. Unsere einzig logische Erklärung dafür waren Katzen. Wir erinnerten uns, dass der Opa jeden Abend zu seinen Kindern kam, mit ihnen das Abendbrot einnahm und auch mitunter auch bei ihnen schlief. Nach zwei, drei Tagen, wir hatten den Opa seit dem bewussten „Würstchentag“ nicht mehr gesehen, machten wir uns sehr große Vorwürfe. War das Fleisch doch verdorben? Hatte der Opa eventuell diese restlichen Würste noch verzehrt als wir schliefen? Oder hatten diese Würste, ich hoffte es, in der Nacht die Katzen geholt? Es ließ uns keine Ruhe und nach etwa fünf, sechs Tagen, der Opa war für uns immer noch verschollen, fragten wir den Sohn unserer Wirtsleute, wie es denn seiner Frau der Gabi, den beiden Töchtern und dem Opa geht.“
Freudestrahlend erzählte er uns: „das Nachwuchs komme, ein Stammhalter hat sich angesagt, dass komme eben „davon“, und nun ja, die Kinder seien bei der anderen Oma in Mosonmagyarovar zu Besuch. Es sind ja gerade Schulferien.“ Nun wussten wir alles was ihm in dieser Minute wichtig war. Auf den Opa ging er nicht ein. Was ist denn nun mit deinen Opa, dachte ich im Stillen. Wir bohrten weiter und dann sagte er, so ganz beiläufig: „ach der Opa, der ist in Zarmadi, auf der gegenüberliegenden Seite des Balaton. Wir haben dort noch einen großen Garten.
Er pflegt ihn, erntet die Früchte und meine Mutter holt diese aller zwei/drei Tage mit dem Auto nach Hause. Sie kocht alles ein, oder konserviert es anderweitig für den Winter.“
Wie uns nach dieser erfreulichen Nachricht zumute war, kann sich bestimmt jeder vorstellen.
Aufgrund Guter Beziehungen, wie schon erwähnt, kam ich immer vor jeder dieser Urlaubsreisen, illegal, in den Besitz von „Zoll und Devisenerklärungen“ der DDR, mit denen man im Ausland jeweils 100.- Mark in die dortige Landeswährung umtauschen konnte. Somit fehlte es uns an nichts.
Die Welt, wie man so sagt, war für uns in Ordnung.
Doch nun war es wieder soweit. Der Beruf, nunmehr sieben Jahre derselbe im Kabarett, war etwas all tägliches geworden und wir fühlten uns arg unterfordert. Alles wurde zur Routine, lief wie am Schnürchen.
Im Juni 1982 bat uns die Direktorin unseres Betriebes um ein Gespräch.
Die Frau des Gaststättenehepaars der benachbarten Speisegaststätte war im Mai des Jahres ganz plötzlich verstorben.
Ihr Mann, von Alkohol zerfressen, hatte auf diesen schweren Schicksalsschlag hin völlig den Halt über sich und den Überblick in seinem Restaurant verloren.
Wir wurden gebeten für einen Monat dieses Restaurant zu führen, damit er einen dringend benötigten Urlaub antreten konnte. Für uns war er immer ein sehr guter und hilfsbereiter Kollege. Noch heute möchte ich sagen, ein ehrlicher und lieber Freund. Es war selbstverständlich für uns beide, dass wir diese Urlaubsvertretung übernahmen.
Bei der Übergabeinventur stellte sich jedoch eine Minusdifferenz des Warensollbestands in Höhe einer zweistelligen Summe im Tausenderbereich heraus.
Was nun?