Читать книгу Möglichst dicht an der Wahrheit - Klaus Wickel - Страница 8

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“Zum Kondolieren ist es fast zu spät, trotzdem. Es ist so entsetzlich.”

Frank hatte schon gefürchtet, nicht mehr auf den Namen von Carolas Mitarbeiterin beim Spiegel zu kommen. Irgend etwas mit Nord. Erst beim Wählen der Redaktion war er ihm wieder eingefallen.

Nach einigen Höflichkeiten fragte er: “Frau Nordan, gab es denn einen besonderen Grund für Ruth, den Maler Emil Beckmann aufzusuchen? Ist er bekannt? Ich habe seinen Namen nie gehört.”

“Zumindest in Berlin ja. Er scheint dort gehandelt zu werden. Ruth hat ihn eher beiläufig erwähnt und erwogen, etwas über ihn zu schreiben und seine Bilder zu fotografieren. Ich habe deshalb im Archiv nachgeschaut, was wir über ihn haben. Einige Ausstellungen in Berlin, auch einmal in Frankreich. Nicht viel. Auch einen kleinen Lebenslauf, den jemand anlässlich einer Ausstellung geschrieben hat. Und einen Zeitungsartikel über eine Vernissage in Berlin mit einem Photo.”

“Und?”

“Ja, das war komisch. Auf dem Photo war der Maler in seinem Atelier mit mehreren Besuchern zu sehen. Als Ruth es kurz anschaute, jappte sie kurz nach Luft und wurde bleich. Und was noch komischer war: Sie hauchte leise Ihren Namen.”

“Meinen Namen?”, wiederholte Frank verblüfft.

“Ja, Frank Nickel.”

Frank schwieg.

“Sind Sie noch da?”, fragt Nordan besorgt.

“Ja, natürlich. Es ist beklemmend. Kann ich vorbeikommen und den Artikel sehen?”

“Leider nicht. Ruth hat ihn mitgenommen. Die Polizei hat auch gefragt, warum Ruth Beckmann aufsuchen wollte. Ich sagte, weil das ihr Job ist. Den Zeitungsartikel habe ich nicht erwähnt. Wenn ich ehrlich bin, sogar vergessen. Ich konnte denen nur von Ruths Anruf nach ihrem Besuch bei Beckmann berichten. Sie wollte zu Minister Edelmann in Hannover. Hätte noch keinen Termin, würde sich wieder melden.”

“Was!”, rief Frank in den Hörer, “sie wollte nach Hannover zu einem Minister Edelmann? Da ist sie ermordet worden.”

Unterdrücktes Schluchzen war zu hören. “Ja, ich weiß. Deswegen habe ich es gesagt. Das musste ich doch?”

Nordans eingefleischte Befangenheit mit Berufsgeheimnissen war anrührend.

“Ja, natürlich. Das mussten Sie, Ruths wegen.”

Zum Abschied versprach Frank, ihr Bescheid zu geben, wenn sich etwas Neues ergäbe.

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Frank erkannte fast nichts auf der kurzen Taxifahrt vom Flughafen. Nur das Charlottenburger Schloss im Vorbeifahren, den Kudamm mit Bäumen, jedoch kein einziges Gebäude; dann Bahnhof Zoo. Ein halbes Jahrhundert und ein Dauerbombardement hatten alles ausradiert, was in seinem Gedächtnis Nachwehen erzeugt hätte. “Zum ersten Mal hier?”, fragte der Fahrer, “Sie drehen sich noch den Kopf ab.”

“Nein, es ist meine Heimat“, hörte sich Frank sagen. Den Fahrer schien die Antwort zu missfallen, sein Blick verschwand aus dem Rückspiegel. Merkwürdige Heimat, sinnierte Frank über seine eigene Antwort. Obwohl schon sieben Jahre wieder im Land hatte er immer eine Begründung gefunden, gerade jetzt seine Geburtsstadt nicht zu besuchen. Dieses Mal hatte er nicht gezögert: Er musste Emil Beckmann sprechen.

Nach dem Einchecken im Hotel verbrachte er den Nachmittag bei einem ausgedehnten Streifzug durch seine alte Wohn- und Schulgegend und mit der Suche nach kaum noch auffindbarer Plätze erster Verabredungen mit Carola. Die meisten lagen allerdings nun im unerreichbaren Osten.

Ernüchtert von der Unwiederbringlichkeit vergangener Empfindungen machte er sich nach kurzer Pause im Hotel auf den Weg zu Beckmanns Atelier in der Lützowstraße, nahe der Potsdamerstrasse. Die Gegend wirkte trist und heruntergekommen in der Dämmerung, geschmückt nur durch einige kurzrockige, hochhackige Schönheiten, die ihm verlockend zulächelten oder auffällig langsamen Autos nachschauten.

Fast wollte Frank nach etlichen Irrungen die Suche aufgeben, als vor einem scheinbar brachliegenden Fabrikgelände sein Blick auf ein Metallschild an einem Zaunpfosten fiel. `Emil Beckmann, Maler und Bildhauer´. Ein Pfeil deutete auf eine verlassenen Fabrikhalle. `Wie hat Carola das nur gefunden´, dachte er bewundernd.

Zwei Hallen und ein verlassenes Backsteingebäude bildeten einen kleinen Innenhof. Im Parterre der einen Halle brannte Licht. Er hatte sich nicht anmelden können, denn im Telefonbuch war Beckmann nicht verzeichnet.

Frank hatte sich bereits darauf eingestellt, beim ersten Versuch erfolglos zu bleiben. Nachdem er mehrere Male an die eiserne Tür geklopft hatte und resigniert aufgeben wollte, hörte er Schritte. Es öffnete ein weißhaariger Riese. Beckmann war sicherlich einsneunzig groß, breitschultrig, mit einem von langen weißen Haaren umrahmten Gesicht. Eine kleine rahmenlose Brille auf der riesigen Nase verlieh seinem breiten, durchfurchten Gesicht einen komödiantischen Ausdruck.

Frank hatte sich inzwischen bei Galeristen über Beckmann informiert . Er galt als ein Berliner Geheimtipp, dessen riesigen, grellen Kompositionen, vollgepflastert mit fragmentarisch angedeuteten und entfremdeten politischen und sportlichen Szenen aus Tageszeitung und Magazinen, den Geschmack einer begeisterten kleinen, meist jungen Gemeinde trafen. Sein Marktwert war seit einem Jahr rasant gestiegen.

“Polizei, Presse, Galerist oder sogar Käufer?”, war Beckmanns wohl standardisierter Eröffnungssatz.

“Weder noch. Betroffener.”

Beckmann stutzte und schaute ihn an. “Betroffener? Von meiner Kunst oder vom scheiß Leben?.”

“Vom Scheißleben,“ antworte Frank schlicht.

“Dann kommen Sie rein“, sagte er mit warmer, tiefer Stimme und schien zu schrumpfen.

Wortlos führte er Frank ins Atelier. Die ehemalige Fabrikhalle war gewaltig. Eisenträger hoben sich schwarz ab gegen die im Mondlicht mattleuchtende Schmutzschicht des Glasdachs. Der halbe Saal lag im Dämmerlicht. Die andere Hälfte war beleuchtet durch Wandstrahler und spärlich möbliert mit Regalen und einem Biergartentisch gepfercht mit Malutensilien. Dominierend jedoch waren die riesigen grellfarbigen Gemälde in verschiedenen Stadien der Fertigstellung an den Wänden.

“Ich habe nie von Ihnen gehört“, gestand Frank und ließ den Blick bewundernd über die Bilder streifen. “Ich frage mich nur, warum nicht. Sie sind eindrucksvoll.”

“Es geht Ihnen wie den Menschen. Alle sagen das Gleiche.” Er lachte und hustete. “Heute würde man sagen, ich habe ein scheiß Marketing. Aber bitte, noch bin ich preiswert. Legen Sie ein paar Hunderttausend hin, und Sie können auswählen.”

“Hätte ich sie, täte ich es“, antwortete Frank.

Beckmann lachte laut und hustete. “Schon wieder jemand, der mich mit Geld überhäufen möchte“, scherzte er. “Leider scheint im Augenblick gerade keiner flüssig zu sein.”

Er wechselt den Tonfall: “Aber Sie fallen aus dem Raster. Betroffener.”

“Ja, leider. Mein Name ist Horst Rothmann. Ich bin Ruths Mann.”

“Oh, das tut mir leid. Du bist wirklich Betroffener. Setz dich“, bat er mit einer höflichen Handbewegung in Richtung einiger alter Sessel in einer Ecke. “Ich war bei Tee. Ist Rotwein OK?”

Frank nickte und setzte sich während Beckmann kurz in einen Nebenraum verschwand.

“Also gut, wie kann ich dir helfen? Du willst sicherlich wissen, worüber Ruth und ich geredet haben. Genau wie die Polizei.” sagte er nachdem er Rotwein eingeschenkt und sich Frank gegenüber in einen alten Ohrensessel neidergelassen hatte. “Viel kann ich dir nicht sagen. Es war ein sehr angenehmes Geplauder, - Quatsch -“, unterbrach er sich verärgert, “ein sehr lebhaftes, interessantes Gespräch. Sie war eine wunderbare Frau.” Nach einer nachdenklichen Pause fuhr er fort: “Die Polizei war zwei Mal hier, um meine Eignung als Mörder zu prüfen. Fehlanzeige. Die scheiß Presse war drei Mal da in der Hoffnung, ich könnte doch dahinter stecken. Um ehrlich zu sein, hat der Rummel zumindest meinen lokalen Marktwert gesteigert. Glaubst du, ich hätte sie ermordet? Oder was willst du von mir?”

“Ich habe mich erkundigt. Dein Stern ist seit einiger Zeit in Berlin gestiegen. Aber trotzdem habe ich mich gewundert: Warum wollte Ruth gerade jetzt einen Artikel über dich schreiben? Oder anders gefragt: Warum hat sie dich aufgesucht?”

Irritiert antwortete Beckmann: “Warum? Warum? Warum ist die Banane krumm. Vielleicht hatte sie einen guten Riecher für den Kunstmarkt. Warum fragst du so hinterhältig?”

“Weil ich weiß, dass sie in Wirklichkeit wegen eines Zeitungsartikels gekommen ist, auf dem du in diesem Atelier stehst neben mehreren Gästen.”

Beckmanns bewegte Mimik zerlief. Alles schien an seinem Gesicht plötzlich zu hängen. Hatte er soeben wie ein dynamischer Sechziger gewirkt, zeigte sich jetzt ein müder Achtziger.

.“Du kennst das Foto?”

“Ja, natürlich. Wir haben darüber geredet“, log Frank.

“Hmm,” machte Beckmann. “Ich verstehe. Und nun willst du genau wie sie wissen, wieso Edelmann auf dem Photo zu sehen ist. Und warum sie ihn anschließend besuchen wollte.”

“Stimmt in etwa,” erwiderte Frank. Es war also Edelmann, den Carola auf dem Foto gesehen hatte. Wie er vermutet hatte. Die Person, die sie als nächstes interviewen wollte. Der Mann, der Frank Nickel war.

“Also, warum er auf dem Foto ist, ist leicht zu erklären“, sprach Beckmann weiter. “Ganz schlicht, weil er Kunstkenner und ein Käufer ist. Edelmann hat mir mehrere Bilder abgekauft. Ich hoffe, dass das nicht verboten ist. Allerdings warum sich Ruth so sehr für ihn interessierte, weiß ich nicht. Sie war ganz versessen darauf, alles über ihn zu erfahren.”

Das war auch Frank gewesen, nachdem er den Namen Edelmann von der Polizei und Frau Nordan erfahren hatte. Mühelos ließ sich feststellen, das es sich um den Innenminister in Hannover handelte. Und ebenso mühelos fand er in diversen Zeitungen Fotos. Was Carola spontan erkannt hatte, gelang Frank nur durch ihren Hinweis. Doch es gab keinen Zweifel. Der auf allen Fotos selbstsicher erscheinende dickliche Mann mit dem glatt nach hinten gekämmtem dünnen Haar und der modischen Goldbrille auf der langen, scharfgeschnittenen Nase war eindeutig Frank Nickel. Das war, was Carola bei ihrem erregten letzten Anruf mitteilen wollte. Edelmanns Karriere war steil, ohne nennenswerte Rückschläge: Parteineintritt Anfang der Sechziger, schneller Aufstieg auch wegen seiner damals nicht selbstverständlichen Englischkenntnisse, verschiedene Parteiämter, dann Staatssekretär und seit drei Jahren Innenminister.

Der Informationsfundus über Emil Beckmann dagegen war bescheiden. Nur dürftige Fakten ließen sich herausdestillieren aus dem blumigen Feuilletonbrei der Kritiker.

“Ruth war sehr klug, wie du sicherlich bemerkt hast. Vor einem Interview hat sie sich immer gründlich informiert über ihre Gesprächspartner. Und siehe da, was für ein Zufall:. Sie stellt fest, dass du und dein renommierter Kunde Edelmann zur gleichen Zeit nach dem Krieg in England wart. Er angeblich als mitteloser Flüchtling, wie er die Presse glauben lässt. Du, wie du in deiner Kurzbiographie behauptest, als durchaus erfolgreicher Maler. Und jetzt kauft Edelmann dir Bilder ab. Zufall? Ich möchte mit dir eine Wette eingehen.”

Beckmann schwieg misstrauisch.

“Ich wette, du hast der Polizei nicht aufgedrängt, dass du Edelmann kennst, obwohl Ruth kurz vor ihrer Verabredung mit ihm ermordet wurde.”

Beckmann schwieg.

“Wieso nicht?. Wieso hast du nicht gesagt, dass er ein treuer Kunde ist?. Hast du gehofft, deine Verbindung zu Edelmann würde der dummen Polizei nicht auffallen?”

Beckstein schwieg weiterhin und starrte Frank versteinert an.

Frank holte aus zum finalen Stoß: “Und um den Preis unserer Wette höher zu treiben wette ich, dass du der Polizei auch verschwiegen hast, dass Edelmann ein gewisser Frank Nickel ist.”

Franks Vermutung, Ruth habe ihn mit dem Namen konfrontiert, bestätigte sich. Beckmanns Gesicht lief rot an, die Adern traten an den Schläfen hervor. Frank konnte seine Furcht vor dem wütenden Riesen kaum verbergen. Doch dessen Kraft entlud sich in Lautstärke.

“Wer zum Teufel ist dieser Frank Nickel? Was hat er getan? Warum dreht sich plötzlich alles um diesen verdammten Namen? Woher soll ich wissen, ob Edelmann Frank Nickel ist? Was geht dich das an?”

Fast hätte Frank geantwortet: `Weil ich Frank Nickel bin.´ Doch er verkniff sich die Offenbarung. Statt dessen sagte er schlicht: “Weil sie deswegen ermordet wurde.”

Beckmanns Reaktion war erschreckend. Die Luft entwich dem gewaltigen Körper des Malers. Wie ein perforierter Luftballon sank er gegen die Rückenlehne des nun viel zu voluminösen Sessels. Den riesigen Kopf stützte er in die Hände, seine Schulter bebten vor gewaltigen Seufzern. Erschöpft blickte er Frank aus der Tiefe des Sessels an.

“Ich bin voll auf deine Ruth reingefallen Sie wollte einen Artikel über mich schreiben. Sie war begeistert von meinen Bildern. Ich merkte gleich, sie verstand etwas davon. Ich mochte sie.” Er seufzte erneut. “Dort, wo du jetzt sitzt, saß sie. Eine attraktive Frau. Wir haben geplaudert. Als ich erwähnte, als Emigrant in England gelebt zu haben, sagte sie, sie wäre auch deutsche Emigrantin gewesen. In Amerika. Und so plapperten wir und sie stellte alle möglichen Fragen für ihren Artikel. Unter anderem darüber, wie ich in England während des Krieges gelebt habe. Es war komisch. Ich bin ein alter Mann - über siebzig - und stolz darauf, eigensinnig und eigenbrötlerisch zu sein. Doch bei ihr habe ich geplaudert wie ein junger Gockel. Je älter ich werde desto interessanter in der Kunstszene. Alle warten auf meinen Tod. Deshalb bin ich an das Gefasel der Kritiker gewöhnt und auch an die blöden Fragen von Interviewern. Die wollen immer den Abgrund meiner Seele und die Triebfeder meines Schaffens ergründen.” Er lachte. “Blödes Volk. Der einzige Spaß, den man dabei hat, ist sie zu verarschen. Den Quatsch kann ich dann kurz danach im Feuilleton oder in diesen Hochglanz-Kunstzeitschriften lesen. Lächerlich, aber gut fürs Portemonnaie.....” Er zögerte. “Warum, weiß ich nicht; Bei ihr war es anders. Wir saßen lange hier und haben geredet und gesoffen. Eine schöne, reife Frau die ich missbraucht habe.”

“Missbraucht?”, fragte Frank

“Ja, als Beichtmutter.”

Ohne Überlegung erwiderte Frank. “Kann es sein, dass sie dich missbraucht hat?. Ich bin ziemlich sicher du hast ihr mehr erzählt, als du wolltest. Und vielleicht macht dir das jetzt Angst.”

Seine Vermutung traf offensichtlich, denn Beckmann erstarrte und schaute ihn abwägend an. “Was weißt du eigentlich? Du fragst wie ein Polizist. Die war schon zweimal hier. Der habe ich alles erzählt.”

“Auch, dass ihr zur gleichen Zeit in England wart? Dass ihr euch daher kennt?, pokerte Frank.

Beckmann schaute ihn argwöhnisch an. “Nein, das nicht. Sie hat ja nicht danach gefragt.”

“Das glaube ich“, höhnte Frank. “Aber Ruth hat dich danach gefragt, nicht wahr?”

“Nein, dazu war sie zu schlau. Sie ließ mich wie einen alten Gockel plappern.”

Beckmann verschanzte die Hände hinter dem Kopf und starrte zur Zimmerdecke.

“Sie wollte wissen, wie ich in England durchgekommen bin. Also erzählte ich ihr die Geschichte, wie ich vom englischen Geheimdienst eingespannt wurde:

Ich hatte am Rande von London ein kleines Atelier gemietet. Nicht so groß wie dieses“, ergänzte er nicht ohne Stolz mit einer ausladenden Handbewegung. “Eines Tages kurz vor Ende des Kriegse fuhr ein Auto mit zwei Männern vor. Sehr englische Typen die ich gut als Modelle hätte benutzen können. Der eine untersetzt mit rotem runden Gesicht, der andere schlank und groß mit einem langen Pferdegesicht. Nebeneinander wie Komiker auf der Bühne. Beide konservativ gekleidet mit glänzend polierten Schuhen. Mir war gleich unwohl. Zu Recht.

Sie sagten, sie würden gerne meine Bilder ansehen. Ich hatte einige an den Wänden hängen, die sie aber nicht interessierten. Andere lehnten mit Tüchern verhängt an den Wänden. Als ich sah, dass der eine darauf zuging wollte ich ihn stoppen: ´Die sind noch nicht fertig. Unfertige zeige ich nie.

`Aber uns´, war die knappe Antwort. Es waren Fälschungen von Impressionisten: Zwei Degas, zwei Manet, ein angefangener Monet. Keine blöden Kopien, sondern nachempfundene Originale. Verdammt gut, fand ich.

`Nanu, ich dachte, die wären schon längst alle tot. Arbeiten die bei dir?´, verarschten sie mich. `Bist wieder bei deinen alten Tricks´, grinsten beide.

Sie hatten es gewusst und zwangen mich sofort, ohne dass ich etwas anderes anziehen konnte, mitzukommen. Wohin wir fuhren, weiß ich nicht. Ich saß hinten mit dem Dicken und die Fenster waren verdunkelt. Als wir ausstiegen zog mir der eine eine Wollmütze über die Augen. Es war wohl so ein typisch englisches Haus mit ein paar Treppen vorm Eingang. In einem fast leeren Raum mit verhängten Vorhängen musste ich ewig warten. Dann trat ein Dritter ein, der Boss.

`Nun, Mr. Beckmann´, fing er sofort an, `Sie scheinen sehr talentiert zu sein. Meine Leute waren beeindruckt von Ihren neuen Meisterwerken. Allerdings verstehen sie nichts davon und hätten lieber Aktbilder gefunden´, lachte er und grinste die beiden an. Dann wechselte er schlagartig den Ton und brüllte: `Beckmann, Sie sind ein verdammter billiger, kleiner Verbrecher. Ein Kunstfälscher und ein Dokumentenfälscher. Deshalb mussten Sie schon aus Deutschland abhauen und jetzt versuchen Sie ihr Glück hier. Auch noch unter falschem Namen. Wahrscheinlich sind Sie noch dazu ein Nazi. Wir haben Krieg und Sie gehören erschossen. Ein Nazi, der versucht, Geld das wir für unsere Soldaten brauchen in die eigene Tasche und nach Deutschland zu leiten.´

Mir wurde fast schlecht vor Angst. Ich protestierte aufs Heftigste.

Dann kam das Angebot. Ich könnte weiter malen, nur keine Fälschungen. Dafür müsste ich deutsche Dokumente herstellen. Wann und für wen würde ich erfahren. Sollte ich aber jemals mit jemandem darüber reden oder glauben, schlau zu sein und die gefälschten Namen verraten, würde ich sofort vor ein Kriegsgericht gestellt. Falls sie sich den Umstand machen würden. Der Ausgang wäre so oder so klar.

Ich stimmte natürlich sofort zu. So wurde ich Fälscher der britischen Krone. Zunächst musste ich Leerexemplare deutscher Dokument anfertigen. Das war nicht schwer denn die Engländer hatten diverse Vorlagen. Damit war man offensichtlich zufrieden. Dann erhielt ich, immer unangemeldet, Besuche von Beamten mit versiegelten Kuverts. Die enthielten Passphotos und einige Schriftproben. Und natürlich den gewünschten Namen mit entsprechenden Lebensdaten der Person. Einmal war es sogar eine Frau, ganz bieder und unscheinbar. Wahrscheinlich eine erfolgreiche Spionin. Während ich arbeitete blieb der Beamte immer in meiner Nähe. Am Ende musste ich alle Unterlagen in ein Kuvert stecken und der Beamte es vor meinen Augen versiegeln. Man traute offensichtlich auch den eigenen Leuten nicht.”

Frank lachte. “Du warst also gar kein Flüchtling vor den bösen Nazis, sondern schlicht ein Bildfälscher, dem es zu heiß in Deutschland wurde.”

Beckmann nickte selbstzufrieden.

“Aber was war mit Frank Nickel?

Beckmann lächelte verschämt. “Ich dachte, Ruth hätte ihn zufällig erwähnt, doch inzwischen erkenne ich, dass sie mich dorthin geführt hat. Ganz schlau. Wir redeten noch eine Weile und ich fragte sie, wieso sie nach Deutschland zurückgekommen sei nach ihrer Flucht und Amerika.

Sie sagte, weil ihr erster Mann Frank Nickel hier zu tun hatte.

Bis dahin waren mir tausend Gründe durch den Kopf gejagt, warum diese Frau sich für Edelmann interessierte. Wollte sie daraus eine Geschichte über einen Kunstmäzen schreiben? Doch nun war ich total verwirrt. Suchte sie einen Namensvetter ihres ersten Mannes.? Warum? Es war mir augenblicklich klar, dass sie den Namen ihres Mannes als Köder genannt hatte. Trotzdem fragte ich wie ein Doofer: `Frank Nickel, wirklich Frank Nickel heißt dein Mann, dein erster?´

Sie lachte. `Also, so weit ich mich erinnere, war ich mit dem viele Jahre verheiratet.´ Plötzlich wurde sie aber tierisch ernst und starrte mich eiskalt an? `Wieso und woher kennst du Frank Nickel alias Thomas Edelmann?´

“Die gleiche Frage stelle ich dir jetzt. Wieso und wann hast du Edelmann in England kennen gelernt?”

Beckmann seufzte: “Es ist doch so lange her und heute vollkommen bedeutungslos. Edelmann habe ich erst vor einigen Jahren hier wieder gesehen. Über früher haben wir nie ein Wort gewechselt. Er hat eine Vernissage von mir besucht. Seitdem kommt er regelmäßig wenn ich ausstelle. Kein Mensch hat mich je nach ihm gefragt. Bis deine Frau hier auftauchte. Und jetzt du. Was wollte Ruth? Und warum glaubst du, er hätte etwas mit ihrem Tod zu tun? Das ist doch verrückt.”

“Vielleicht. Aber bevor ich dass entscheide muss ich wissen, woher du ihn kennst.”

Beckmann zögerte. “Warum willst du das alles wissen? Das ist der Job der Polizei. Deiner Ruth kannst du nicht mehr helfen. Mich aber in Schwierigkeiten bringen. Lass es doch ruhen.”

“Nicht bevor ich weiß, warum sie starb. Erst dann gebe ich ruhe.”

Beckmann seufzte und erzählte: “Etwa ein Jahr nach Kriegsende kam er zu mir. Ich erinnere mich auch deshalb so gut, weil ich geschockt war, dass jemand von meiner Tätigkeit wusste. Ich hatte schon lange nichts für die gemacht. Er kam gleich zur Sache. Sprach Englisch mit starkem Akzent und wechselte dann ins Deutsche. Er brauche deutsche Papiere. Er würde gut bezahlen und hätte alle Unterlagen dabei. Ich brauchte wie immer dringend Geld, war aber sehr misstrauisch. Also verlangte ich, dass er sich ausweise. Das ärgerte ihn zwar und er weigerte sich zunächst, doch ich blieb dabei. Daher weiß ich, dass er Frank Nickel hieß. Es waren echte Papiere, die 1945 in England ausgestellt worden waren.”

“Und woher kam er“?´, unterbrach Frank..

“Das gleiche hat Ruth befragt. Ich weiß es nicht, hat mich auch nicht interessiert. Fragen stellen gehörte nicht zum Geschäft. Er hat im Voraus bezahlt und am nächsten Tag die Papier abgeholt.”

“Und auf welchen Namen lauteten sie?”, fragte Frank obwohl er es schon längst wusste.

“Thomas Edelmann. Ich erinnere mich, damals über den scheinheiligen Namen Edelmann` gespottet zu haben als ich die Papiere aushändigte. Er fand das gar nicht lustig, sondern drohte, man würde mich kalt machen, wenn ich jemandem davon erzählte.

“Wer ist `man?”.

“Ich weiß es bis heute nicht, aber Angst hat er mir gemacht. Ich saß ja zwischen allen Stühlen als Deutscher, Fälscher, Geheimdienstmitarbeiter und Flüchtling vor der deutschen Polizei. Und vor allem: mit untergetauchten alten Nazis war nicht zu scherzen.”

“Du glaubst, er war Nazi?”, fragte Frank

“Keine Ahnung. Das hat Ruth auch gefragt. Er wirkte bedrohlich.”

“Und dann? So groß war deine Angst offensichtlich nicht mehr als er bei dir auftauchte. Hat er dich oder hast du ihn aufgetrieben?´

“Mein Gott, das habe ich doch schon alles Ruth erzählt.” Er stockte: “Entschuldige. Das kannst du ja nicht wissen. Also, ich gestand ihr, vor einigen Jahren seinen Namen in der Zeitung gelesen und ihm einen Katalog meiner Bilder zugeschickt zu haben. Das war vielleicht der größte Fehler meines Lebens.”

“Und die haben ihn so beeindruckt, dass er sofort Verbindung aufnahm?”, höhnte Frank.

“Wahrscheinlich waren es nicht nur die Bilder. Sicherlich hat er sich an mich erinnert. Solche Menschen haben ein gutes Gedächtnis.”

“Und als er plötzlich bei dir vor der Tür stand seid ihr euch in die Arme gefallen? Oder nennt man so etwas Erpressung?”

“Quatsch. Er kam einfach vorbei und hat sich die Bilder angeschaut. Zusammen mit seiner Frau. Ganz selbstverständlich. Über früher oder darüber, dass wir uns kannten, ist nie ein Wort gefallen. Ich war zwar ein Fälscher, ein guter übrigens, doch ein Erpresser niemals. So etwas ist viel zu gefährlich.”

“Er hat tatsächlich nichts gesagt?”, fragte Frank ungläubig.

“Fast nichts. Nur ganz leise, als ich ihm ein Glas Wein brachte, zischte er: `Vorsicht. Mach keinen Fehler.´”

“Zwei Ganoven unter sich“, höhnte Frank.. “Und als Ruth sagte, sie wolle Edelmann aufsuchen, hast du sie viele Grüße übermitteln lassen.”

“Hör auf mit dem Unsinn. Natürlich habe ich sie gebeten, es nicht zu tun. Ich weiß nicht, wer oder was dieser Frank Nickel war, bevor er zu mir kam, aber bestimmt hatte er einen triftigen Grund, den Namen zu ändern. Genau wie ich als ich nach England kam. Es sind aber inzwischen längst verjährte, langweilige Geschichten, für die sich kein Mensch interessiert. Wem ist damit gedient, in der abgestandenen trüben Brühe herumzurühren. Leider habe ich sie nicht überzeugen können.”

“Leider?”

“Natürlich leider. Die Polizei sagte, sie sei zum verabredeten Interview nie erschienen. Tragischer Zufall, nicht wahr?”, fügte er mehrdeutig hinzu.

“Woher wusste Edelmann, dass Ruth ihn besuchen wollte? Hast du ihn vorgewarnt?”

“Warum sollte ich? Hätte ich sagen sollen, es kommt eine, die weiß, dass Sie Frank Nickel waren? Ich bin doch nicht sein Schutzengel. Die Polizei hat erwähnt, dass sie sich bei seiner Sekretärin ganz offiziell angemeldet hat. So einfach ist manches.”

Beckmann brachte Frank zu Tür. “Horst, ich bin sicher, dass Ruths Tod nichts mit dieser alten Geschichte zu tun hat. Ein Verrückter, ein Zufall, ein Frauenhasser. Lass die Polizei ihre Arbeit machen. Edelmann ist jetzt Edelmann und ich bin jetzt Beckmann. Keiner will über Schweinereien von damals etwas wissen. Viele wollten damals ihre Vergangenheit abschütteln.. Der Albtraum war vorbei, für die Guten wie für die Bösen. Alle wollten nur einem Neuanfang, ein neues Leben nach der Katastrophe. Ein neuer Name ist wie eine neue Haut. Und ein Mensch in einer neuen Haut ist ein neuer Mensch. Es ist bestimmt tausendfach vorgekommen und hat mit heute nichts mehr zu tun.

Ich weiß nicht, was du damals gemacht hast, während des Krieges. Aber ich habe den Eindruck, dass Ruth dir von ihrem Leben mit ihrem ersten Mann Frank Nickel nicht viel erzählt hat. Irgend etwas muss da gewesen sein. Irgend ein Geheimnis. Aber sie ist tot und ich glaube, du wirst es nicht mehr lüpfen können. Vergiss es. Die Polizei wird Ruths Mörder bestimmt bald finden. Die alten Geschichten würden dich nur schmerzen. Lass sie ruhen.”

Frank verließ das Fabrikgelände ohne das Gemälde, welches Beckmann ihm ermäßigt angeboten hatte.

Möglichst dicht an der Wahrheit

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