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VI

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Am Sonntag Morgen rief Jan an und schlug bei dem schönen Wetter ein Treffen im Biergarten am Bootshaus vor. Es war Gabis Idee, denn sie wollte bei dem Sonnenschein mit dem kleinen David ein Ruderboot mieten. “Während dessen sollen wir beiden Männer spazieren gehen. Ihr habt bestimmt genug zu bereden,“ zitierte er sie.” Mürrisch stimmte Frank zu. Gabi mochte er, aber zum kleinen David fand er keinen Zugang.

Von seiner Wohnung in der Amalienstraße bis zum Kleinhesseloher See war es nicht weit. Seit seiner Scheidung hatte er sich einen täglichen schnellen Konditionsgang um den See verordnet den er mit einer gewissen Regelmäßigkeit absolvierte. Als er Marc während eines New York Aufenthalts von seiner auferlegten Kasteiung erzählte, brach der in höhnisches Gelächter aus. “Frank, wenn du glaubst, du musst mit 64 gegen das Alter ankämpfen, dann bist du es. Oder du bist schon zu lange in Deutschland. Da gab es diesen Turnvater Jahn, nicht wahr? Ich fürchte, sein Geist hat dich kontaminiert. Du brauchst dringend einen Teufelsaustreiber“. Frank verkniff sich bei solchen Verarschungen spitze Sticheleien; Mark war zu dick und wusste es.

Obwohl leicht kurzsichtig, erkannte Frank Gabi schon von weitem. Was nicht schwer war, denn sie stach wie immer aus einer Gruppe hervor. Es war nicht nur ihr manchmal hochgestecktes, manchmal bis zur Schulter fließendes schwarzes Haar, ihre schlanke, aufrechte Figur, ihre schmales Gesicht mit den unsymmetrisch schrägen grünen Augen, es war vielmehr die selbstsichere Distanz, die sie umhüllte wie ein Kokon die sie von der Menge abhob. Immer wieder erstaunte ihn, dass es seinem Sohn gelungen war, diese Schutzhülle zu durchbrechen. Bewundernd und nicht ohne Neid musste er feststellen, dass Jan stark war. Schlau und flink in den Strassen von Manhattan als Junge, ehrgeizig und intelligent in den Schulen, geschickt und fähig als Berater erst im Pentagon und nun hier in Deutschland. Und schließlich Ehemann dieser selbstbewussten Frau. Seit Carolas Tod fragte sich Frank , ob dieser geradlinige Sohn überhaupt im Stande wäre, die Naivität und Lügen seines Vaters zu verstehen.

Mit dem quengelnden kleinen David an der Hand suchten sie im Biergarten einen Tisch, der nicht allzu nahe am Wasser stand. “Ich kann David sonst kaum bändigen“, entschuldigte sich Gabi. Lange hält er es hier sowieso nicht aus.”

Es war heiß und der Biergarten fast bis auf den letzten Platz voll. Gabi erkannte, dass sie mit David die Stellung nicht lange halten könnte und verzichtete auf eine Bestellung.

Mit der Bemerkung, “du warst kürzlich in Paris“, leitete Gabi das Gespräch weg vom Geplauder über die Hitze und die verfressenen Schwäne, die von gelangweilten Kindern mit Brotresten verfettet wurden: “Ich nehme an, sie lachen sich ins Fäustchen über die ruhmlose Flucht der Amis aus Vietnam. Ich kann nur hoffen, dass der Sieg das ewige Ho, Ho, Ho Chi Minh und Mao, Mao Geschrei nicht noch anheizt. Ich kann es nicht mehr hören. Zwei Diktatoren werden wie Heilige in den Himmel gelobt nur weil sie gegen die Amis sind. Warum geht denn keiner dieser Schreihälse auf die Straße und brüllt: Ho, Ho, Honecker? Ganz klar, weil der keinen Sex Appeal hat. Sind die Franzosen auch so blöd?”

Frank mochte Gabis Vorliebe für Provokationen. “ Das kann ich dir leider nicht beantworten. Die Generation, mit der ich dort verhandle, betrachtet sicherlich General Giap und Ho Chi Minh etwas nüchterner, nachdem die Fremdenlegion aus dem Land geworfen wurde. Allerdings sind sie sicherlich nicht frei von Schadenfreude, dass sich nun auch die Amis eine blutige Nase geholt haben. Jetzt ist die Grande Nation wieder auf gleicher Augenhöhe mit den mächtigen, aber so dummen Amis.”

Gabi lachte leise. “Das kann ich mir gut vorstellen. Die bedrücken Mienen der arrivierten Herren über den verlorenen Krieg und die amerikanischen Verluste und die Aufrechung im Hinterkopf gegen die Eigenen. Oder sollte ich lieber sagen, der eigenen Fremden, denn es waren primär Fremdenlegionäre. Die Amerikaner haben dafür ihre Schwarzen.”

Jans Bemühungen, unbeteiligt zu lächeln, misslang vollkommen. Alle Drei kannten das familiäre `Vietnam-`Mensch ärgere dich nicht´ Spiel´, das sie so oft durchstritten hatten. Gabi und Frank verachteten die Verherrlichung der “Volksbefreier” und waren zugleich äußerst argwöhnisch gegenüber den edlen Absichten der Amerikaner. Jan dagegen bejahte fast alles, das sich der Ausbreitung der kommunistischen Diktatur entgegenstemmte und unterstützte alle amerikanischen Aktionen, die das vorgaben.

Jans Argumente verliefen gewöhnlich so: “Ihr liberalen Schöngeister seid zwar immer zutriefst betroffen, doch zugleich so abgehoben und abgeklärt, dass ihr alles bis zur Trivialität relativiert. Die Sadisten sind zwar böse, doch sie können nach ihrer Kindheit nichts dafür, die Kommunisten sind zwar aggressiv und diktatorisch, doch letztlich aus guten Motiven. Wirklich Böse gibt’s wenige: nur eine Handvoll Diktatoren in Südamerika, die sich von US Konzernen und der CIA aushalten lassen. Die sogenannten Guten sind nicht besser: Ausrottung der Indianer, Sklavenhandel, Kolonialherrschaft, Rassismus und Kriege führen. Wer gegen Amerika ist, ist also der Gute. Dumm nur, das wir froh sind, ihre Panzer bei uns zu haben als Schutz vor Amerikas ärgsten Gegnern. Nur wenn Länder weit weg von Kommunisten überrannt werden finden wir das toll und schimpfen auf die Amis, die es verhindern wollen. Heuchlerische Gutmenschen sind das Schlimmste. Gott sei Dank gibt es in Amerika jedoch noch Menschen, die nicht nur das Gute wollen, sondern sogar bereit sind, große Opfer dafür zu bringen.”

Frank stand mit seinen Ansichten irgendwo zwischen Gabi und Jan.

Das Spiel, einmal entfacht, endete gewöhnlich mir lautem Geschrei, knallenden Türen und beleidigten Verabschiedungen. Dieses Mal verschonte sie David davor. Unbemerkt hatte er sich bis an den Rand des Sees vorgeschlichen, um nach den Schwänen zu greifen. Seinen Sturz ins Wasser hatte nur der rettende Griff eines Gastes in bayrischer Tracht verhindert. Davids Aufschrei, Gabis greller Ruf, die derben Verwünschungen der unaufmerksamen Mutter gemischt mit Gabis englisch gefärbten Dankesbekundungen bildeten ein erheiterndes Spektakel.

Als sie mit dem brüllenden Kind eilig aus dem Biergarten geflüchtet war, brachte der Kellner die zwei Maß. Jan und Frank grinsten beide im Bewusstsein, durch höhere Gewalt einem Gewitter entwischt zu sein.

Langsam schlenderten sie schweigend am Ufer des Sees entlang. Jan starrte etwas missmutig vor sich hin während Frank sich der Ruhe und Wärme der Stunde wie ein Salamander hingab. Fast glaubte er die ihm so vertraute New Yorker skyline im Westen des Central Parks zu sehen Der Park, der ihm bei unzähligen Spaziergängen mit Carola und dem kleinen Jan so sehr ans Herz gewachsen war.

“Komm, setzen wir uns dort auf die Bank am Wasser“, schlug Frank vor. “Im Gehen zu reden ist mir zu anstrengend.”

Eine leichter Fön von den Alpen ließ die Reflexionen der Bäume im Wasser zittern. Zarte Bugwellen eines Ruderboots leckten am Rand.

“Schau, da ist sie mit David“, rief Jan erfreut.

David, mit beiden Händen auf einem Ruder, das Gabi sanft bewegte, saß zwischen ihren Beinen. Das Gesicht mit Sonnenbrille hielt sie der Sonne entgegen.

Beide schauten einen Augenblick dem Familienidyll nach.

“Du hast eine sehr schöne Frau” bemerkte Frank leise. “Was auch immer passiert, das Glück wird dir keiner nehmen.”

Zornig schaute Jan ihn an. “Da ist sie wieder. Deine Lust an unheilschwangeren Andeutungen. Soll ich das Ratespiel spielen? Also:: Carola ist nicht meine Mutter. Du hast einen Mörder auf sie angesetzt, weil sie dich verlassen hat. Der arme Witwer Horst hat Nicklaus Natterton eingesetzt, um dich zu überführen oder zu ermorden. Und außerdem haben Außerirdische noch eine offene Rechnung zu begleichen. Oder habe ich etwas vergessen?”

Frank schüttelte müde lächelnd den Kopf: “Nun, ganz so schlimm ist es nicht.”

Jan starrte ihn an. Der Spott war Ungeduld gewichen. Seine Stimme klang ein wenig heiser: “Aber fast, oder? Ok, schieß los. Ich bin erwachsen und du noch nicht verkalkt .Glaube ich“, fügte er spöttisch hinzu.

“Stimmt. Also machen wir chronologisch weiter, weil es sich so ja abgespielt hat.” Frank schaute hoch und holte Luft, als müsse er zu einer langen Rede ausholen.

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Paris. Das war, wie du weißt, unsere zweite Station nach Prag. Eine unruhige aber aufregende, lebendige kurze Zeit. Die Stadt war voll von Emigranten verschiedenster Nationen und Ausrichtungen, von interessanten Menschen. Linke, Juden, Intellektuelle jeder Couleur denen das hasserfüllte Gebrüll des Führers Übelkeit verursachte, sogenannte entartete Künstler, denen man die Existenzgrundlage geraubt hatte. Kommunisten, Anarchisten, Sozialisten, Monarchisten. Schlicht Menschen, denen dieses neue, schreiende Deutschland zuwider war und Angst machte. Und siehe da, Carola und ich konnten in diesem quirligen Umfeld überraschend gut leben. Fast besser als in Berlin. Es gab für uns beide Arbeit. An jeder Ecke der Stadt gründeten sich Exilantengruppen der Parteien, der Gewerkschaften, der Hilfsorganisationen mit einem unersättlichen Hunger nach Beiträgen für Pamphlete, für die etablierte französische Presse, für subversive Schriften in Deutschland und für deutsprachige Zeitungen in Frankreich. . Wer einmal drin war im Kreis konnte vergleichsweise gut leben. Wir auch. Und du, du wurdest rund und pausbäckig und fingst an, erste französische Sätze zu plappern. Es war ja alles nur, - davon waren wir überzeugt - vorübergehend bis der Spuk in der Heimat sich verzog. Und wir wähnten uns relativ sicher. Die Festung Frankreich war uneinnehmbar, so wurde es uns und der ganzen Welt erfolgreich von den französischen Medien suggeriert. Wir glaubten es gerne.

Dann, im Sommer 1939, kam Carola eines Tages nach Hause - wir wohnten deinetwegen in einem Reihenhaus am Rande der Stadt - und berichtete erregt, sie habe wahrscheinlich Felix gesehen.

Ich freute mich, denn der Groll über die missratene Abiturrede und sein sehr karriereorientierter Werdegang, soweit ich ihn verfolgt hatte, war längst verflogen. Auch er war also ein Flüchtling vor der Finsternis.

“Bist du sicher?“, fragte ich gespannt.

“Nein, nicht ganz. Ich kam gerade aus Claudines phantastischer Wohnung und überquerte die Strasse, als mich ein großes schwarzes Auto anhupte und fast erwischte. Ich war zugegebenermaßen schuld, denn ich las im Gehen die Schlagzeilen des Figaro. Nun, es rauschte vorbei. Vorne saß der Fahrer und hinten ein Mann mit Hut....” Einen Augenblick zögerte sie als wolle sie das Bild vor ihren Augen wieder auferstehen lassen. “Es war Felix. Ich bin fast sicher.”

“War es ein Taxi?”, fragte ich unbeholfen.

“Nein, kein Taxi. Und es bog an der nächsten Kreuzung nach links.”

“Na und?”

“Ich bin bis zur Kreuzung gegangen. Weißt du, was an der Strasse liegt.”

“Ich bin kein Taxichauffeur. Also, was?”

“Die deutsche Botschaft Und davor stand der Wagen.”

Einen Augenblick schwiegen wir betroffen “Du bist ja nicht sicher, dass es Felix war?”

“Nein, nicht sicher, aber er war es. Ich war immerhin, wie du dich vielleicht erinnern kannst, eine Zeitlang mit ihm zusammen.....”

“Ich weiß, ich weiß. Aber erstens sind es zehn Jahre, zweitens ist es sehr unwahrscheinlich, dass er in Paris ist und drittens gibt es unzählige Gründe, die deutsche Botschaft aufzusuchen, wenn man zum Beispiel geschäftlich hier ist.”

“Du hast bestimmt Recht,” stimmte Carola ohne Überzeugung zu. “Es war nur so ein starker Eindruck.”

Wir haben darüber nie wieder gesprochen.

Kurz darauf war das Friedensintermezzo zuende. Die deutschen Truppen überrannten die französischen Linien im Norden und drangen mit ungeheurer Geschwindigkeit auf Paris zu.. Ohne Vorwarnung wurde ich Anfang 1940 von der französischen Polizei als verdächtiger Ausländer abgeholt. Carola blieb das nur deinetwegen erspart.

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Einen Augenblick verlor Frank den Faden. Ruhig ließ er seinen Blick über den See streifen als suche er Gabis Boot..

“Na und, war´s Felix?”, fragte Jan ungeduldig.

“Ja, wie ich später erfuhr.”

“Also hast du ihn doch wieder getroffen.”

“Ja, schon bald .”

“Und, verdammt?”

“Jan, so weiter zu machen, macht keinen Sinn. Du musst gleich Gabi abholen und wir werden wieder unterbrechen. Es ist so viel, was ich dir erzählen muss. Inzwischen weiß ich auch, wer Frank Nickel ist.”

Jan sprang auf und starrte Frank entgeistert an: “Was, das sagst du so nebenbei. Du sitzt da und sagst seelenruhig, du wüsstest wer Carola ermordet hat als sei es eine Lappalie. Weiß es auch die Polizei?”

“Jan, bitte, beruhige dich. Ich bin nicht sicher, wer der Mörder ist. Ich habe nur erfahren, wer Frank Nickel ist, mehr nicht. Was die Polizei weiß, kann ich dir nicht sagen. Mit der habe ich nicht gesprochen.”

“Verdammt, warum nicht?. Dieser Frank Nickel hat doch eindeutig etwas damit zu tun. Hast du Angst, dass sie ihn schnappen?”.

“Nein, bestimmt nicht. Ich will aber erst sicher sein. Und vor allem möchte ich, dass du die ganze Geschichte erfährst, bevor wir zu falschen Schlussfolgerungen kommen. Hab bitte noch ein wenig Geduld.” Frank überlegte. “Komm noch diese Woche zu mir, am besten direkt nach der Arbeit. Und lass dir dafür Zeit. Es ist wichtig.”

Jan schaute seinem Vater prüfend ins Gesicht. Er sah angespannt, müde aus. “Gut, ich werde es einrichten. Übermorgen, also Dienstag. Ich komme zwischen sechs und sieben. OK?”

“Schön, ich erwarte dich.”.

Möglichst dicht an der Wahrheit

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