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Der Sturm

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Der Sturm

Julia konnte weder aufstehen noch sich bewegen als das Erdbeben, das Berlin in dieser Nacht erfasst hatte, endlich vorbei war. Sie blieb stattdessen genau dort, wo sie war: unter dem massiven Eichentisch in ihrem Esszimmer. Scheiße! Ihr kleines Reihenhaus schien nicht beschädigt zu sein, aber durch das Fenster konnte sie sehen, dass das Einfamilienhaus gegenüber eingestürzt war. Mit zitternden Händen entsperrte sie ihr Smartphone. Kein Netz! Verdammt! Sie versuchte trotzdem, den Notruf zu wählen, kam aber natürlich nicht durch. Der Strom war ausgefallen, das Handynetz war tot und draußen tobte immer noch ein Sturm. Was löste sowohl ein Erdbeben als auch einen so starken Sturm aus? Zumindest in ihrem Zuhause schien noch alles dicht zu sein. Keines der Fenster war zersprungen, keine Tür aufgerissen und alle Wände waren intakt. Aber das musste nicht so bleiben. Es gab bestimmt Nachbeben!

Von draußen hörte Julia Hilferufe und Sirenen. Verdammt … sie konnte niemanden helfen. Die 31-Jährige fühlte sich völlig überfordert. Was tat man bei einem Erdbeben am besten? Sollte man sich in einen Türrahmen stellen oder lieber schnell das Haus verlassen? Ruhig atmen, ermahnte sie sich selbst, um nicht wieder eine Panikattacke zu bekommen. So ein Mist! Das leidige Thema mit den Panikattacken hatte sie eigentlich hinter sich gelassen. Promethazin! Sie hatte noch ein paar Tropfen davon in der Küche. Wenn sie es bis dahin schaffte … Mit zitternden Knien kroch sie unter dem Tisch hervor und richtete sich auf. Mit der Handytaschenlampe beleuchtete sie das Zimmer. Das Stehen fiel ihr schon ungewohnt schwer. Ihre Beine schlotterten so stark, dass sie sich festhalten musste.

Einen Schritt. Dann noch einen. Nach und nach tastete sie sich an der Wand entlang bis zum Flur und dort dann in die Küche. Alle Schränke hatten sich geöffnet und alles, was nicht irgendwo befestigt war, war auf den Boden gefallen. Es war ein totales Durcheinander und sah schlimmer aus, als ihr früheres Kinderzimmer. Sie trug immer noch ihren Pyjama und hatte keine Strümpfe an. Gut aufpassen, sagte sie zu sich. Innere Monologe halfen gegen die Angst. Zaghaft ging sie ein paar Schritte durch das Chaos und achtete genau darauf, nicht in eine Scherbe zu treten.

Oh nein … Der Schrank mit den Medikamenten war auch aufgegangen. Dutzende Schachteln lagen überall verteilt. Ängstlich kniete Julia sich runter und wühlte zwischen den Scherben, hob immer wieder eine Packung auf und leuchtete mit dem Licht auf die Beschriftung.

»Scheiße!!«, fluchte sie schließlich laut, als sie nach der bestimmt zwanzigsten Packung aufgeben wollte. In dem Moment klopfte es laut an ihre Haustür.

»Polizei!«, rief jemand mit lauter Stimme. Der Mann brüllte richtig, was er wohl aufgrund des lauten Sturms tun musste. Was zum Teufel tat die Polizei denn nun hier? Julia stand auf und verließ die Küche. Im Flur blieb sie einen Moment vor ihrer Haustür stehen.

Ob das wirklich Polizisten waren? Sie wagte einen Blick durch den Türspion und sah vier Beamte in Uniformen und mit Taschenlampen in der Hand, die sich eng an die Haustür quetschten. Hinter ihnen war das pure Chaos. Der Sturm wehte abgetrennte Äste, Blätter und ganze Trümmerteile durch die Straßen. Julia entriegelte die Tür, ging einen Schritt zurück und öffnete.

Sofort liefen die vier Beamten, drei Männer und eine Frau, hinein. Dass der Sturm so laut und windig war, bekam Julia erst jetzt mit. Als die Polizisten alle in ihrem Flur standen und mit ihren Taschenlampen in ihr Gesicht leuchteten, schloss die Frau die Haustür wieder.

»Wir haben Frau Julia Bach gefunden!«, sagte ein groß-gewachsener Polizist mit rasiertem kantigen Gesicht in sein Funkgerät.

»Was ist hier los?«

»Sie müssen mit uns kommen«, erklärte die Polizistin mit dem Pferdeschwanz.

»Warum ich?«

Der Polizist, der eben in sein Funkgerät gesprochen hatte, drehte sich kurz um, schien sich mit irgendeiner Leitstelle zu beraten und sah dann wieder zu ihr.

»Der Bundeskanzler und der Außenminister sind in Hamburg und nicht erreichbar!«, erklärte er. »Der Verteidigungsminister und die Innenministerin sind tot. Sie sind die erste, die wir lebend aufgefunden haben.«

»Was wollen Sie von mir? Ich bin Ministerin für Bildung und Forschung!«, protestierte Julia.

»Spielt keine Rolle! Sie haben vorerst das Kommando!«

Nachdem Frau Bach sich schnell angezogen hatte, ging sie umringt von den Polizisten nach draußen in den Sturm. Es war ein heilloses Durcheinander. Die Menschen flohen panisch aus den einsturzgefährdeten Gebäuden, rannten umher oder suchten in den Trümmern nach Freunden oder Familienmitgliedern. Julia musste sich die Augen verdecken, um sich vor dem starken Wind zu schützen. Als sie in den Polizeiwagen einsteigen wollte, brachte sie es kaum fertig, die Türe selbst zu schließen. Mit zwei Autos hatten die Beamten sich zu ihr durchgeschlagen und machten sich nun auf den Weg zum Kanzleramt. Die enorm aufgebrachte Julia Bach konnte sich das alles nur als einen Traum erklären. Ein furchtbarer Albtraum! Sie wollte diesen Posten eigentlich nicht. Warum hatte sie sich nur von ihrem Ex-Mann dazu überreden lassen? Er hatte sich sowieso kurz nach der Wahl von ihr scheiden lassen und war dann ausgewandert. Ob er sich nun Sorgen um sie machen würde? Eine solche Naturkatastrophe wurde sicher auf der ganzen Welt übertragen.

Tausende Fragen schossen Julia durch den Kopf. Doch zuerst einmal wollte sie um jeden Preis verhindern, dass sie nun irgendwelche Verantwortung tragen musste. Katastrophenmanagement war so ziemlich das Schlimmste, was sie sich vorstellen konnte.

»Haben Sie inzwischen den Bundeskanzler erreichen können?«, fragte sie nach vorne den Polizisten, der eben Kontakt zu einer Leitstelle hatte.

»Nein, Frau Bach. Wir haben keinen Kontakt zu Hamburg.«

»Wie meinen Sie das? Wegen dem Stromausfall?«

»Ich weiß auch nicht mehr als Sie, Frau Bach.«

Irgendetwas stimmte hier nicht. Julia holte ihr Smartphone aus der Hosentasche und überprüfte noch einmal das Netz. Es gab nirgendwo auch nur einen Balken und auch kein WLAN in der Umgebung. Dafür empfing sie einen Haufen Bluetooth-Geräte. Wahrscheinlich waren das die Smartphones mit der installierten Corona-Warn-App. GPS jedoch … funktionierte nicht. Julia öffnete ihre Navigationsapp, starrte einige Zeit darauf und runzelte die Stirn. GPS sollte doch bei jedem Wetter funktionieren oder nicht?

Der Polizeiwagen hielt abrupt an. Julia konnte erkennen, dass es an einem umgestürzten Wohnhaus lag, dessen Trümmer die Straße versperrten. Auf der anderen Seite erkannte sie einen Krankenwagen und mehrere Menschen, die, trotz des Wetters, versuchten, Menschen aus den Trümmern zu befreien und Verletzte in Sicherheit zu bringen. Wenn sie doch nur so viel Mut gehabt hätte …

»Wir müssen einen anderen Weg nehmen!«, stellte der Polizist klar und holte sein Funkgerät heraus. »Zentrale? Die Invalidenstraße ist nicht passierbar. Wir brauchen …«

Der Mann verstummte und sah an die Decke des Autos, als er, wie seine Kollegin und Julia Bach, ein merkwürdiges Geräusch hörten, das irgendwo über ihnen sein musste. Julia konnte das merkwürdige Brummen nicht zuordnen. Dann ging ein heller Scheinwerfer an, der den Streifenwagen von oben in ein helles Licht tauchte.

»Ist das ein Hubschrauber?«, fragte die Politikerin ängstlich.

»Bei dem Wind?«, rief der Polizist und schaltete das Blaulicht und die Sirene ein. »Unmöglich! Wir müssen hier weg!«

Die Polizistin trat aufs Gaspedal, fuhr mit quietschenden Reifen los und machte eine volle Wende. Julia hielt sich an der Autotür fest. Der andere Polizeiwagen folgte ihnen, genau so wie das merkwürdige Flugobjekt, das über ihnen war. Die laute Sirene übertönte sogar den Sturm und Julia bekam das Klacken der Dienstwaffe fast nicht mit als der Mann diese entsicherte und in der Hand bereithielt.

»Was ist hier los?«, wollte Julia wissen als der Wagen mitten in der Stadt auf mindestens 80 Sachen beschleunigte. »Was verfolgt uns da über uns?«

Der Mann mit dem kantigen Gesicht warf nur einen kurzen Blick über die Schulter und die Ministerin konnte erkennen, dass der Polizist genauso ratlos war, wie sie. Schließlich drückte er wieder den Knopf an seinem Funkgerät.

»Einheit Zwo, könnt ihr erkennen, was das da ist über uns?«

»Nein!«, ertönte eine Männerstimme. »Wir sehen nur ein helles Licht. Es scheint hinter euch her zu sein.«

»Zentrale? Wir werden von einem unbekannten Objekt verfolgt! Wir können es nicht identifizieren.«

Mit einer solchen Geschwindigkeit durch einen Sturm zu fahren, auf Straßen, die nach einem Erdbeben kaum noch befahrbar waren, war schon lebensgefährlich. Julia hielt den Griff der Autotür mit einer solchen Kraft fest, dass sie ihre Finger kaum noch spüren konnte. Ihr ganzer Körper zitterte vor Angst. Das konnte jetzt nur noch ein Traum sein!

»Verstärkung wartet an der Kreuzung zur Rathenower Straße!«, ertönte eine Stimme aus dem Funkgerät und nur einen Wimpernschlag später sah Julia zwei weitere Einsatzwagen ihnen entgegenkommen. Sollte das nun die Rettung sein?

»Achtung! Hier spricht die Polizei!«, hörte die Ministerin eine Frauenstimme aus dem Megafon eines der anderen Polizeiwagen. »Verlassen Sie umgehend diesen Luftraum!«

Doch das helle Licht folgte ihnen wie ein Schatten.

»Scheiße!«, fluchte die Polizistin am Steuer und fuhr zwischen den beiden anderen Einsatzwagen hindurch. Beim Vorbeifahren konnte die Politikerin erkennen, dass einer der Polizisten gerade mit einer Maschinenpistole ausgestiegen war. Schnell drehte Julia sich um und sah aus der Heckscheibe auf die Szenerie. Der Polizist zielte mit der Waffe nach oben, direkt über ihnen und feuerte. Das laute Rattern der MP-5 war so laut, dass es von den umliegenden Häuserwänden widerhallte. Schlagartig verfolgte der Scheinwerfer sie nicht mehr. Julia sah den Lichtkegel nun hinter ihr und kleiner werden, als würde das Objekt, das diese Lichtquelle beherbergte, aufsteigen. Es dauerte nur einige Sekunden, da war es ganz verschwunden.

»Was zum Teufel war das?«, wollte die Polizistin wissen. Ihr Kollege steckte die Waffe wieder weg und seufzte.

»Vielleicht eine Drohne oder so.«

»Bei dem Sturm?«

Julia fielen die Risse im Steinboden der Eingangshalle als Erstes auf, als sie und die Polizisten das Bundeskanzleramt betraten. Ein junger Mann und eine ältere Frau in schicken Anzügen kamen ihr sofort entgegengelaufen. Der Mann deutete nach links zu einem der Aufzüge.

»Hier entlang, Frau Ministerin!«

Julia, die sich notgedrungen einen ihrer älteren Hosenanzüge angezogen hatte und die immer noch eine völlig zerstörte Frisur hatte, nickte ihm eifrig zu. Jetzt wurde es ernst! Hier erwarteten die Menschen nun von ihr, Entscheidungen zu treffen. In einer solchen Situation vielleicht sogar Entscheidungen über Leben und Tod und sie hatte keine Möglichkeit, sich hier noch irgendwie herauszureden. Hätte sie wenigstens noch in letzter Minute das Promethazin gefunden. Jetzt konnte sie sich keine Panikattacke mehr erlauben.

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