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Verantwortung

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Verantwortung

Julia Bach presste die Fingerspitzen aneinander und nahm tiefe Atemzüge, um sich zu beruhigen, als die Türen des Aufzuges sich wieder öffneten. Dieses Untergeschoss des Bundeskanzleramtes kannte sie noch gar nicht. Düsteres Neonlicht beleuchtete einen gepanzerten Korridor, an welchem man die Leitungen an den Wänden sehen konnte, wie in einem alten Luftschutzkeller.

»Hier entlang, Frau Bach!«, wies der gut aussehende Anzugträger ihr den Weg und ging voraus. Drei Polizisten schirmten sie zu allen Seiten ab und die junge Frau mit dem Hosenanzug trug ihr ein großes Tablet hinterher, auf dem sie immer wieder herum wischte. Schnellen Schrittes ging die Gruppe durch mehrere Korridore und kam nach drei Abzweigungen in einen großen Saal, der aufgebaut war, wie ein Kontrollzentrum der NASA. An der Wand direkt rechts waren zahllose Monitore angebracht und ein besonders großer Monitor, fast so groß wie eine Kinoleinwand, in der Mitte. Davor waren in mehreren Reihen Tische mit Computern aufgestellt, an denen mehrere Dutzend Menschen arbeiteten. Dabei waren sowohl Anzugträger als auch Soldaten, Polizisten, Securitys, ein Mann in einer Feuerwehruniform und drei Mitarbeitende der Berliner Stadtwerke. Der Raum war teilweise abgedunkelt und funktional erleuchtet. Links ging eine Tür in einen Konferenzraum, den man durch ein großes Glasfenster von Außen beobachten konnte. Direkt vor dieser Wand, im Kontrollraum, stand ein Mann, etwa Mitte 40, in einer schicken grauen Uniform der Bundeswehr. Die Mütze hatte er unter den Arm geklemmt. Julia kannte sich mit den Rangabzeichen nicht besonders aus, aber das Jackett des Mannes war mit Orden und Abzeichen verziert wie ein Weihnachtsbaum. Der Mann selbst hatte einen Drei-Tage-Bart, stechende blaue Augen und ein kantiges Gesicht. Eine klassische Autoritätsperson. So verwunderte es auch nicht, dass er ständig Befehle durch den Raum rief.

»Legen Sie noch einmal alle Stützpunkte der Armee auf die Karte, mit denen wir noch Kontakt haben!«

Julia hielt auf ihrem Weg zu dem Mann kurz an und warf einen Blick auf den großen Monitor. Eine große Europakarte, zentriert auf das Bundesgebiet, war dort eingeblendet. Überall in Deutschland tauchten jetzt kleine blaue Punkte mit Beschriftungen auf. Teile von Norddeutschland, vor allem um Hamburg herum, blieben jedoch dunkel. Der Anzugträger tippte Julia wieder an und wies sie freund doch auch bestimmt an, weiter zu gehen. Als sie nur noch fünf Meter von dem hoch-dekorierten Soldaten entfernt waren, begann er bereits sie einander vorzustellen.

»Frau Bildungsministerin, das ist Generalleutnant Christopher Kohl von der Luftwaffe. Er ist Kommandierender General Luftwaffentruppenkommando. General Kohl, das ist Bildungsministerin Julia Bach, das aktuell einzige erreichbare Kabinettsmitglied.«

Unsicher sah die Bildungsministerin dem General in die Augen. Der Kommandeur reichte ihr hingegen selbstbewusst die Hand.

»Frau Bach«, begann er. »Ich bin froh, dass sie hier sind. Wir brauchen Sie, um den Ausnahmezustand zu verhängen und das Militär mobilisieren zu können.«

Julia bekam Schnappatmung.

»Das Militär?«, wiederholte sie mit flacher Stimme. »Was ist denn überhaupt passiert, was ein solches Erdbeben in Berlin erklären könnte?«

»Nicht nur in Berlin!«, rief eine Männerstimme von einer der hinteren Reihen dazwischen. Julia drehte den Kopf zu der fremden Person und sah einen etwa 1.70m großen Mann mittleren Alters mit einem weißen Hemd, einer Krawatte, einer Hornbrille und einem runden rasierten Gesicht. Gerade versuchte er, sich durch die Menge an anderen Mitarbeitenden zu quetschen, kam jedoch nicht zwischen zwei sehr eng stehenden Tischen vorbei. »Entschuldigung, darf ich kurz?«

»Wer sind Sie?«, fragte Julia, ohne die höflichen Umgangsformen zu beachten.

»Ich bin Professor Leitges, Seismologe von der Freien Universität Berlin. Darf ich mal bitte durch??«

Erst, nachdem der Professor seine Frage wütend wiederholte, schreckten die beiden Soldaten an den Tischen auf und schoben diese etwas zur Seite, damit der Mann hindurch kam. Fix schloss er zu der Ministerin und dem General auf und atmete dann tief durch, um die Puste wieder zu bekommen.

»Bisher gehen wir davon aus, dass das Erdbeben das gesamte Bundesgebiet gleichermaßen getroffen hat. Nicht nur Berlin.«

»Was?«, fragte Julia Bach ungläubig. »Und wo war das Epizentrum?«

Professor Leitges machte große Augen und zuckte mit den Schultern. »Das ist ja das Verrückte. Nach allen Informationen, die wir zusammengetragen haben war das Epizentrum überall und nirgends. Entweder war das Erdbeben so groß, dass es mehrere Kontinentalplatten betroffen hat, oder …«

»Oder?«

»Oder es war kein Erdbeben im klassischen Sinne.«

Julia wurde ganz anders. Inzwischen war ihr klar, dass das kein Traum sein konnte. Es war ein real gewordener Albtraum, mit einer Katastrophe biblischen Ausmaßes und sie war nun diejenige, die hier Entscheidungen treffen musste. Der Bildungsministerin blieb die Luft weg. Sie ging ein paar Schritte zurück, bis sie mit dem Rücken zur Wand stand und presste sich dann dagegen. Ihr ganzer Körper begann zu zittern.

»Frau Ministerin?« Der General sah sie besorgt an. Auch der Professor und der Mann und die Frau im Anzug versammelten sich um sie. Julia sah an ihnen vorbei auf den Trubel im Kontrollraum. Überall liefen die Menschen herum, taten ihr Bestes und arbeiteten.

Nur sie konnte nichts beitragen. Völlig nutzlos stand sie zwischen all den wichtigen Leuten und musste all ihre Kraft aufwenden, um auf den Beinen zu bleiben.

»Ist hier ein Arzt?«, rief General Kohl durch den Raum. Kurz darauf kam eine junge Sanitäterin mit langen blonden Haaren durch die Tür. Die anderen machten sofort Platz für sie, während der Professor einen Bürostuhl herbei schob, auf den Julia sich setzen konnte. Die Politikerin zitterte immer noch und fühlte sich sowohl überhitzt als auch unterkühlt. Sie schwitzte am ganzen Körper, während sich der Schweiß auf ihrer Haut, wie Eis anfühlte. Die Stimmen um sie herum waren auf einmal so dumpf und schwarze Flecken trübten ihr Sichtfeld.

»Sie hat eine Panikattacke!«, sagte die Sanitäterin laut und holte dann eine Spritze hervor. »Frau Bach? Ich gebe Ihnen jetzt ein leichtes Beruhigungsmittel, damit Sie wach bleiben.«

Den Einstich merkte Julia fast gar nicht. Verdammt war ihr das unangenehm vor all den Leuten. Auch wenn die meisten weiter mit ihrer Arbeit beschäftigt waren und der General weiter auf den großen Monitor starrte, während Julia langsam wieder zu sich kam. Ein paar Minuten vergingen, ohne dass sich etwas merklich änderte, dann ertönte auf einmal ein lauter Alarm und ein rotes pulsierendes Licht schien durch den ganzen Raum.

»Luftraumüberwachung ist wieder online!«, brüllte eine Soldatin aus der vordersten Reihe, ohne von ihrem Monitor aufzusehen. »38 nicht identifizierte Flugobjekte befinden sich in unserem Luftraum.«

»Haben Sie die Positionen live?«, rief General Kohl. Trotz der Entfernung konnte Julia erkennen, dass die Soldatin nickte und etwas an ihrem Computer eingab. Kurz darauf tauchten ein paar Dutzend rote Punkte überall auf Monitor auf.

»Mein Gott!«, rief der Kommandeur der Luftwaffe entsetzt und hielt sich die Hand vor dem Mund und zögerte einen Moment.

»Sind wir …«, röchelte Frau Bach ganz außer Atem und zog sofort alle Aufmerksamkeit auf sich. »Sind wir im Krieg?«

Ratlos sahen sich der General, der Professor und die beiden Mitarbeitenden des Kanzleramtes an.

»Wir müssen davon ausgehen!«, antwortete der Kommandeur schließlich. »Bis wir Kontakt zum Bundeskanzler haben, untersteht das Militär Ihnen!«

Das ganze Adrenalin, dass durch den Körper der Politikerin geschossen ist, sammelte sich in ihren Unterarmen und ihren Knöcheln. Endlich fühlte sie sich wieder etwas klarer. Julia stand auf, ging an den anderen vorbei und stützte sich schließlich auf einem der Bürostühle, der an der hintersten Tischreihe stand, ab. Nachdenklich sah sie auf den großen Bildschirm. Diese roten Punkte waren überall verteilt und bewegten sich schnell auf die Großstädte zu. Merkwürdigerweise waren sie ausschließlich über dem Zentrum der Bundesrepublik. An den Außengrenzen und sonst überall in Europa war alles dunkel.

»Können Sie Kontakt aufnehmen?«, fragte Julia Bach laut in die Runde.

»Jedes Luftfahrzeug muss sich innerhalb von zwei Minuten identifizieren und auf Funksprüche antworten und ansonsten damit rechnen, vom Himmel geholt zu werden«, erklärte General Kohl.

»Da!«, rief eine Männerstimme hinter ihr, die Julia vertraut vorkam. Es war der Polizist, der sie hierher gefahren hatte. Er zeigte auf den Monitor, genauer auf Berlin, wo einer der roten Punkte über der Innenstadt kreiste. »Das ist vermutlich das Flugobjekt, das uns verfolgt hat, Frau Ministerin.«

»Wir müssen reagieren, Frau Bach!«, sagte der General mit bestimmender Stimme. Julia ging alles im Kopf durch. Ein einziger Befehl von ihr reichte nun aus, um einen Krieg zu beginnen. Wie es aussah, sogar ein Weltkrieg von vernichtenden Ausmaßen. Aber nach allem, was sie wussten, war der Krieg bereits im Gange und die Menschen brauchten Hilfe. Jede Sekunde, die sie nun zögerte, konnten weitere Leben kosten.

»Tun Sie, was nötig ist!«, befahl sie und sofort stellte sich der General an ihre Seite.

»Geben Sie Fliegeralarm in allen Städten und Stützpunkten!«, rief Kohl wie aus der Pistole geschossen in den Raum. Mehrere Mitarbeiter und Soldaten nickten ihm zu und gaben die Befehle weiter. Die Soldatin von eben drehte sich währenddessen zu ihnen um.

»Die Luftwaffe meldet immer noch, dass sie bei diesem Sturm nicht starten kann.«

Julia runzelte die Stirn. »Warum können die Angreifer dann fliegen?« Der General sah sie ratlos an und blieb ihr die Antwort schuldig. Dafür rief die Soldatin mit den langen braunen Haaren aus der ersten Reihe wieder etwas.

»Mehrere Luftabwehrstellungen melden, dass sie multiple Ziele mit Lenkflugraketen erfasst haben und auf den Feuerbefehl warten.«

»Alle herhören!«, rief Kohl gestresst durch den Raum. »Senden Sie die Nachricht an alle Stützpunkte und Flugabwehrstellungen, die sie erreichen können: Feuern nach eigenem Ermessen! Bekämpfen Sie den Feind, sofort nach Zielerfassung und halten Sie sich für weitere Befehle bereit!«

Jetzt wurde es ernst. »Jawohl, Herr General!«, riefen mehrere Menschen und gaben die Order weiter. Nur wenige Sekunden später stiegen mehrere, grün blinkende Punkte von den blau eingezeichneten Stützpunkten auf. Julia verfolgte die Flugbahnen auf dem Monitor. Die grünen Punkte verfolgten die roten, wobei die roten versuchten, den grünen zu entkommen. Vor aller Augen entstand eine wilde Verfolgungsjagd. Die roten Objekte verließen die Städte und flogen in Richtung der Landesgrenzen. Dann traf der erste grüne Punkt mit einem der Roten aufeinander. Für einen kurzen Moment blinkten beide in einem größeren orangenen Punkt auf und verschwanden dann.

»Erster Abschuss bestätigt!«, rief die Soldatin. Julia wollte schon kurz erleichtert ausatmen, als ihr ein kleiner blauer Punkt auffiel, der sich selbstständig bewegte. Sie tippte dem General auf die Schulter und zeigte darauf.

»Was ist das?«

»Wo meinen Sie?«

»Der blaue Punkt über Darmstadt!«, erklärte Julia und zeigte noch einmal. Sofort rannte der General durch die Tischreihen nach vorne zu der Soldatin.

»Können Sie das Flugobjekt über Darmstadt identifizieren?«, rief er, noch bevor er ankam.

»Ziviler Rettungshubschrauber«, antwortete sie gerade laut genug, dass Julia es mitbekommen konnte. »Er verlegt drei Patienten von Darmstadt nach Saarbrücken, die eine lebenswichtige OP benötigen.«

»Sind die denn Lebensmüde?«

Julia riss die Augen auf. Dieser Rettungshubschrauber lag genau in der Schusslinie und zusätzlich sah sie auch noch mehrere rote Punkte, die ihren Kurs änderten und jetzt genau auf den Hubschrauber zu hielten. General Kohl drehte sich zur Mitte des Raumes um.

»Melden Sie allen Stützpunkten sofort, das Feuer einzustellen! Fragen Sie herum, welcher Luftwaffenstützpunkt startbereite Eurofighter hat. Wenn sich der Pilot eines Rettungshelikopters traut, bei dem Sturm zu starten, um Menschenleben zu retten, müssen wir das auch!«

Saarbrücken … Bei der Erwähnung von Julias Geburtsort kam ihr eine düstere Vorahnung. Die Ministerin ging zum ersten Mitarbeiter mit großem Monitor, der nicht so aussah, als würde er gerade etwas Welten-Rettendes in ein Terminal eingeben. Es war ein junger Mann mit einem hellgrauen Hemd, südländischem Aussehen und einer ID-Karte, die an einem Band um seinen Hals hing. Wahrscheinlich ein IT-Techniker.

»Entschuldigung«, sprach Julia ihn schüchtern an. »Wann haben wir das letzte Mal Kontakt zu Saarbrücken oder irgendjemanden in der Umgebung gehabt.«

Der junge Techniker antwortete mit besorgten Augen. »Seit dem Erdbeben überhaupt nicht mehr.«

»Also wissen wir aktuell überhaupt nicht, ob Saarbrücken noch existiert?«

Zögerliche nickte der junge Mann und zeigte dann auf den blauen Punkt am großen Monitor, der den zivilen Hubschrauber symbolisierte. »Sie fliegen völlig ins Blaue.«

»Verdammt!«

»Zwei Eurofighter sind gerade von Frankfurt gestartet!«, rief die Soldatin in den Raum. Sofort suchte Julia auf dem Monitor nach den entsprechenden blauen Punkten und fand diese auch gleich.

»Können Sie Funkkontakt aufnehmen?«, fragte der General.

»Verbindung steht!«

»Auf die Lautsprecher!«

Sofort hörten sie im Kontrollzentrum wohlbekannte Düsengeräusche. Die Ministerin wusste gar nicht, wo die Lautsprecher montiert waren, aber sie hatten eine beeindruckende Akustik.

»Hier spricht General Kohl, kommandierender General der Luftwaffe, hören Sie mich?«

Der Mann beugte sich neben der Soldatin zum Schreibtisch runter und sprach in ein dort montiertes Mikrofon hinein. Die antwortende Stimme klang dumpf und verrauscht.

»Leutnant Lewandowski vom Taktischen Luftwaffengeschwader 72 hier. Haben Sichtkontakt zum zivilen Hubschrauber und zum Feind.«

Julia wurde sofort hellhörig. Wenn sie schon gezwungen war, einen so schrecklichen Krieg zu führen, musste sie wenigstens wissen, mit wem sie es zu tun hatte.

»Können Sie ein Bild übertragen?«, rief sie durch den Raum zum Tisch, wo General Kohl stand. Der wiederholte ihre Frage in das Mikrofon.

»Leutnant Lewandowski, können Sie ein Bild übertragen?«

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