Читать книгу Entführung ins Glück - Kristi Ann Hunter - Страница 11

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Ryland fuhr zurück, als die Tür, an die er hatte klopfen wollen, geöffnet wurde und an ihrer Stelle Mirandas entschlossenes Gesicht auftauchte. Seine erhobene Faust traf ihre Nase.

„Oh!“ Ihr Keuchen kam im gleichen Moment wie sein überraschter Ausruf.

„Mylady!“ Gott sei Dank hatte er nicht ihren Namen gerufen. Das verdankte er zweifellos seiner jahrelangen Erfahrung als Spion.

Miranda fiel rückwärts zu Boden und hielt sich ihre Nase. Angesichts des Schmerzes presste sie die Augen zusammen.

Er verzog bedauernd das Gesicht und beugte sich zu ihr hinab.

„Sind Sie verletzt?“ Das klang angemessen verzweifelt. Griffith würde bestimmt nicht freundlich reagieren, wenn er hörte, dass Ryland seine Schwester zu Boden geschlagen hatte. Wenn er ein echter Kammerdiener wäre, müsste er nach einem solchen Vorfall mit seiner Entlassung rechnen.

Sie nahm die Hände von ihrem Gesicht und runzelte die Stirn. „Ich blute.“

Ihre Stimme klang ruhig. Wahrscheinlich stand sie immer noch unter Schock. Diese Frau war wahrscheinlich in ihrem ganzen Leben noch nie geschlagen worden war. Selbst in ihrer Kindheit hatte es vermutlich nie eine Ohrfeige gegeben.

Er betrachtete ihre Hände und entdeckte einige kleine rote Flecken. Er hatte sie offenbar nicht so heftig getroffen, wie er befürchtet hatte, denn aus ihrer hübschen Nase floss kein Blut. Ryland schüttelte den Kopf. Er sollte sich wirklich nicht darum kümmern, wie hübsch Mirandas Nase aussah, egal, ob sie blutete oder nicht.

Sie hielt ihm anklagend die Hände hin. „Ich blute!“, sagte sie noch einmal, dieses Mal mit deutlich mehr Gefühl.

„Aber nicht stark. Ich habe schon Schlimmeres gesehen.“

Das war offensichtlich nicht die richtige Antwort.

Sie schaute ihn finster an. Einige Sekunden vergingen, in denen Ryland nichts anderes tun konnte, als in ihre zusammengekniffenen grünen Augen zu schauen. Es gab viel unangenehmere Arten, seine Zeit zu verbringen, aber ihre Augen gehörten in die gleiche Kategorie wie ihre Nase: Sie waren im Moment für ihn tabu. Wenn diese Mission vorüber war, könnte er vielleicht mehr Zeit damit verbringen, ihr Gesicht zu betrachten, aber im Augenblick war das keine gute Idee.

Er stellte sich auf einen Wutausbruch ein. Alle Anzeichen, die er bis jetzt gesehen hatte, deuteten darauf hin, dass in dieser Frau starke Gefühle brodelten, die aber hinter einer Mauer aus damenhaftem Verhalten gut verborgen waren.

„Ich sollte wahrscheinlich etwas auf meine Nase legen. Trent legt immer Fleisch auf seine Nase, wenn er sich geprügelt hat.“ Ein leichter Schauer durchfuhr sie, bevor sie ihren Monolog fortsetzte.

Dass sie in einer so ungewöhnlichen Situation in der Lage war, pragmatisch zu denken, verschlug ihm die Sprache.

„Das ist bestimmt eklig. Ich ziehe es vor, wenn mein Fleisch gut durchgebraten und mit Soße bedeckt ist. Ich weiß, das ist typisch englisch. Aber ich war noch in keinem anderen Land. Deshalb muss ich mich auch nicht überwinden, halbrohes Fleisch zu essen.“

War sie sich überhaupt bewusst, dass er sich noch im Zimmer befand? Er hatte noch nie eine adelige Dame getroffen, die Selbstgespräche führte. Und er fand es ausgesprochen reizend. „Kälte soll angeblich helfen, Mylady.“

Sie fuhr erschrocken zu ihm herum und errötete. Sie hatte tatsächlich vergessen, dass er im Zimmer war. Das war ein ziemlich demütigender Gedanke.

Sie wedelte mit der Hand herum, als wollte sie ihre Verlegenheit wegwischen, um sich auf das konzentrieren zu können, was wichtig war. „Würden Sie dafür sorgen, dass dieser Brief abgeschickt wird? Sie können ihn an dieselbe Adresse senden wie den Brief letzte Woche.“

Schon seit Jahren war er gezwungen, seine Gedanken und Gefühle vor anderen zu verbergen. Und nur dieser Erfahrung hatte er es zu verdanken, dass er seine Freude darüber verbergen konnte, dass sie seinen Brief so schnell beantwortet hatte. Diese Freude wurde jedoch rasch von Verwirrung abgelöst. Ihre Hände waren leer. Auf dem Fußboden neben ihr lag auch nichts. Falls sie nicht darauf saß, hatte er keine Ahnung, wo der Brief war, von dem sie sprach. „Welcher Brief, Mylady?“

Miranda betrachtete stirnrunzelnd ihre leeren Hände. Dann schaute sie sich um. Sie deutete zu ihrem Schreibtisch auf der anderen Seite des Zimmers. Ein weißes Blatt Papier lag zwischen dem Tisch und dem Stuhl. Er zog eine Braue hoch, als er die anderen Briefe sah, die auf dem Boden verstreut waren, entschied sich aber, lieber nichts zu sagen.

„Dort drüben. Er ist an den Herzog von Marshington adressiert.“

Während er sich bückte, um den Brief aufzuheben, hörte er, wie sie sich zum Bett schleppte. War ihr schwindelig? Sie musste sich an den Möbelstücken festhalten, um auf den Beinen zu bleiben. Er ließ ihr respektvoll einige Sekunden Zeit, sich wieder zu fangen.

Währenddessen betrachtete er den Schreibtisch. Die kleine Ecke eines blauen Blatt Papiers lugte unter einem dünnen Gedichtband hervor. Er hatte Mühe, sich ein Grinsen zu verkneifen. Hatte sie als Antwort auf seine kurze Zeile zwei Briefe geschrieben?

„Sie haben kaum geblutet“, murmelte er leise. Er hatte schon mehr Blut verloren, wenn er sich ohne Spiegel eilig rasiert hatte. Ihr Schock musste also der Grund dafür sein, dass sie sich so mühsam durchs Zimmer schleppte. Er hatte schon genügend Verletzungen erlebt, um zu wissen, dass auch oberflächliche Wunden einen Menschen schwächen konnten.

„Was haben Sie gesagt?“, murmelte sie.

„Ich habe nur überlegt, ob ich Ihnen helfen kann, Mylady.“ Ryland warf den Brief auf den Schreibtisch und ging zu ihr, um sie zu stützen. Ein angenehmer Duft, den er nicht genau einordnen konnte, stieg ihm in die Nase. Der Duft passte gut zu ihr.

„Helfen Sie mir bitte, nach unten zu kommen.“

Er hielt ihren Arm, während sie einige langsame, unsichere Schritte ging. Bei dem Tempo, in dem sie sich bewegte, wäre es Zeit zum Abendessen, bis sie irgendwo ankäme.

„Wenn Sie erlauben, Mylady.“ Ryland schwang sie auf seine Arme und genoss es, als sie sich überrascht und vielleicht auch ein wenig ängstlich an seine Schultern klammerte. Wahrscheinlich hatte sie niemand mehr auf den Armen getragen, seit sie ein kleines Mädchen gewesen war.

„Stellen Sie mich sofort ab!“, zischte sie.

„Mylady.“ Ryland wusste, dass er so klang, als spräche er mit einem unmündigen Kind. „Das ist der schnellste Weg, um Sie dorthin zu bringen, wohin Sie möchten.“

„Dann bringen Sie mich in den kleinen Salon. Sie können Sally holen und ihr sagen, dass sie mir das Fleisch bringen soll.“ Ein weiterer Schauer durchfuhr sie.

Ryland nahm ihn dieses Mal viel deutlicher wahr, da sie in seinen Armen lag. Er begann zu schwitzen.

„Natürlich, Mylady.“

Nachdem er sie im Salon vorsichtig aufs Sofa gelegt hatte, verbeugte sich Ryland und verließ rückwärts gehend den Raum. Er schickte einen Diener los, um Sally zu holen. Er selbst kehrte in Mirandas Zimmer zurück, um den Brief zu holen.

Ryland hob die Briefe auf, die neben dem Schreibtisch auf den Boden gefallen waren. Er hatte leichte Schuldgefühle, weil er ihre morgendlichen Aktivitäten durcheinandergebracht hatte. Nachdenklich strich er mit dem Finger über das Teppichmuster. Das Muster erinnerte ihn vage an einen edlen Teppich in seinem Londoner Stadthaus. Zumindest hatte der Teppich noch in der Bibliothek gelegen, als er das letzte Mal zu Hause gewesen war. Es war möglich, dass sein geldgieriger Vetter ihn zu Geld gemacht hatte, aber das bezweifelte er. Er bezahlte seinem Hausverwalter und seinem Anwalt exorbitante Summen dafür, dass sie seine Verwandten in Schach hielten.

Er legte die Briefe auf den Schreibtisch, dann hob er den weißen Brief auf, den er zur Post bringen sollte. Der blaue Zettel, der unter dem Gedichtband hervorspitzte, weckte erneut seine Neugier. Mit einem Grinsen holte er ihn hervor, dann las er beide Briefe. Sie plante also, dem Herzog von Marshington die kalte Schulter zu zeigen. Der formelle Ton ihres offiziellen Briefs kam seinen Absichten überhaupt nicht entgegen.

Das blaue Blatt steckte er schließlich in seine Tasche und das weiße schob er unter das schmale Buch. Das würde Miranda zweifellos durcheinanderbringen, aber nach dem leichten Schlag auf den Kopf würde sie sich fragen, ob sie sich vielleicht doch geirrt hatte.

Er war schon fast wieder an der Tür angelangt, als ihm bewusst wurde, dass er sich in Mirandas Zimmer befand.

Allein.

Er hatte keine Skrupel gehabt, Georginas Sachen zu durchsuchen, und er hatte sich auch nur leicht unwohl gefühlt, als er in Griffiths Räumlichkeiten gestöbert hatte, aber der Gedanke, in Mirandas Privatsphäre einzudringen, erschien ihm irgendwie falsch. So falsch, dass er das Zimmer fast wieder verlassen hätte. Es wäre nicht das erste Mal, dass die persönlichen Gefühle eines Agenten seine Arbeit behinderten. Entschlossen riss Ryland die Schranktür auf und durchsuchte jede Jackentasche, jeden Saum und jedes Handtäschchen.

Seine Suche war nicht so gründlich, wie sie hätte sein sollen, aber sie genügte, um seine Schuldgefühle zu vertreiben. Er sank auf die Knie und warf einen kurzen Blick unters Bett. Als er darunter eine große, flache Truhe fand, war er überrascht.

Die Gepäcktruhen wurden in einem anderen Teil des Schlosses verstaut. Warum befand sich diese eine Truhe dann hier?

Sie war ungewöhnlich schwer, stellte er fest, als er sie herauszog. Und sie war zugesperrt.

Mit hämmerndem Herzen nahm Ryland zwei Haarnadeln vom Frisiertisch und öffnete das Schloss. Das Letzte, was er erwartete, als er den Deckel anhob, war Papier.

Briefe, um genau zu sein. Hunderte Briefe. Alle an den Herzog von Marshington adressiert.

Sosehr es ihm auch in den Fingern kribbelte, er las sie nicht. Das, was er mit den letzten beiden Briefen machte, die sie geschrieben hatte, war schon schlimm genug.

Aber eine Frage ließ ihn trotzdem nicht los. Er wühlte in der Truhe bis ganz nach unten und fand die ältesten Briefe, die auf einfaches weißes Papier geschrieben waren. Er öffnete einen, um das Datum zu lesen.

1800. Diese Frau schrieb ihm seit 12 Jahren!

Wie sollte er je dem Ideal des Mannes gerecht werden, den sie in ihrer Fantasie erschaffen hatte?

Miranda wartete bis zum letzten Augenblick, bevor sie nach unten zum Abendessen ging. Ihr war es erfolgreich gelungen, Griffith und Georgina seit dem Morgen aus dem Weg zu gehen. Aber es gab keine Möglichkeit, das Abendessen ausfallen zu lassen, es sei denn, sie entschuldigte sich und behauptete, dass sie krank wäre, was aber viele andere Probleme nach sich ziehen würde.

Georgina rümpfte die Nase, als Miranda sich an ihren Platz setzte. Miranda befürchtete, dass ihre Schwester damit nicht auf den unangenehmen Geruch reagierte, der von der Zwiebelsuppe aufstieg. Sie hatte es bis jetzt vermieden, in den Spiegel zu schauen, da sie nicht wissen wollte, ob ihr Zusammenstoß mit Marlows Faust sichtbare Spuren hinterlassen hatte.

„Was ist denn mit dir passiert?“

Miranda seufzte. Die Frage ihrer Schwester veranlasste Griffith, sie genauer zu betrachten. „Was ist passiert? Du hast einen Bluterguss über der Nase.“

Sie konnte ihm schlecht sagen, dass sie diesen Bluterguss seinem neuen Kammerdiener verdankte. Wahrscheinlich würde er dann sofort Mr Herbert aus dem Ruhestand zurückholen. „Ich war nur ein wenig ungeschickt. Das ist alles. Ich habe mich nicht einmal besonders kräftig gestoßen. Ich muss bloß genau die richtige Stelle getroffen haben.“

Georgina kicherte hinter ihrer Serviette, während Griffith fragend die Augen zusammenkniff. „Was genau hat die richtige Stelle getroffen?“

Er klang ruhig, sah aber misstrauisch aus. Sie war noch nie eine gute Lügnerin gewesen.

„Das, ähm …“ Ihr Blick wanderte zu einem Gemälde an der gegenüberliegenden Wand. Darauf saß eine Frau mit einem Buch in der Hand auf einem Sofa. „Buch!“

Seine Brauen schossen in die Höhe. Georgina hustete demonstrativ, um ihr Lachen zu verbergen.

„Ein Buch?“, fragte er.

„Ja!“ Miranda verlagerte ihr Gewicht und ließ ihrer Fantasie freien Lauf. „Ich habe im Bett gelesen und bin eingeschlafen. Dabei ist mir das Buch anscheinend auf die Nase gefallen.“

Griffith aß einen Löffelvoll Suppe. „Was war das für ein Buch?“

Er wollte wissen, welches Buch ihr auf die Nase gefallen war? Miranda schob sich ebenfalls einen Löffel voll Suppe in den Mund und wünschte, sie müsste länger kauen. Die Suppe verschaffte ihr nur wenig Zeit, um sich eine Antwort einfallen zu lassen. „Es war …“ Ein weiterer panischer Blick durchs Zimmer brachte keine neue Idee. „Shakespeare.“

„Shakespeare?“

„Ja.“

Das Gespräch wurde unterbrochen, als die Suppe abgeräumt und der nächste Gang auf den Tisch gestellt wurde. Miranda wurde schon allein beim Anblick des Hauptgangs schlecht. Sie könnte Fleisch nie wieder mit den gleichen Augen sehen wie früher.

Georgina grinste. „Ich habe Shakespeare schon immer geliebt. Welches Stück hast du denn gelesen?“

Es sollte ein Gesetz geben, das lästige jüngere Schwestern verbot. Georgina wäre nicht in der Lage, auch nur drei Stücke von Shakespeare aufzuzählen, selbst dann nicht, wenn ihr Leben davon abhinge. „,Was ihr wollt‘.“

Wie kam sie denn gerade auf diesen Titel? Ach, ja! Dieses Buch hatte Marlow neulich nachts in der Bibliothek gelesen. Es war also eine passende Antwort.

Griffith starrte sie an. „,Was ihr wollt‘?“

„Ähm, ja. Aber ich bin noch nicht weit gekommen. Ich kann also nicht viel darüber sagen.“

Miranda machte sich allmählich Sorgen um ihren älteren Bruder. Er sah aus, als denke er angestrengt nach und versuche, sich an etwas zu erinnern, das ihm einfach nicht einfallen wollte.

Mit einem Kopfschütteln und einem knappen Lächeln entgegnete er schließlich: „Dann sollten wir wohl über etwas anderes sprechen.“

Miranda schob sich ein Stück Fleisch in den Mund. Das würde ein sehr langes Abendessen werden!

Griffiths Bett war wirklich sehr bequem. Wenn er in sein Londoner Haus zurückkehrte, wollte Ryland versuchen, auch eine solche Matratze zu finden. Natürlich konnte es auch einfach an den schäbigen Unterkünften liegen, in denen er jahrelang übernachtet hatte, dass ihm diese Matratze so bequem erschien.

Auf das große Walnussbett könnte er allerdings verzichten. Es war seit Generationen im Besitz der Familie und Griffith bezeichnete es häufig als hässlich. Aber da die letzten sechs Herzöge darin geschlafen hatten und sein Freund viel Wert auf Traditionen legte, führte kein Weg daran vorbei.

Ryland zuckte die Achseln und lehnte sich gemütlich gegen die Kissen. Was sollte er nur mit Mirandas Brief machen? Er musste ihr natürlich antworten. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie merkte, dass der falsche Brief noch auf ihrem Schreibtisch lag. Wer einen solchen Brief bekam wie den, den er gerade in der Hand hielt, antwortete irgendwie darauf. Es war einfach zu absurd! Er hatte beschlossen, dass sie erst nach einer Woche eine Antwort vom Herzog von Marshington bekommen würde. Ihm blieben also ein paar Tage Zeit, um sich etwas zu überlegen.

Er warf einen Blick auf die Uhr. Wahrscheinlich dauerte es noch eine Stunde, bis Griffith seine Dienste benötigte.

Was für eine lächerliche Tarnung! Seine Freundschaft mit Griffith machte es ihm sehr schwer, seine Tarnung aufrechtzuerhalten. Früher hatte er immer in seine Rolle schlüpfen und für längere Phasen seine wahre Identität vergessen können. Das war bei dieser Mission unmöglich. Manchmal hatte er das Gefühl, als wären er und Griffith wieder in Eton, damals, bevor das Leben sie in völlig verschiedene Richtungen geführt hatte.

Hinzu kam, dass er mit dieser Mission nur sehr schleppend vorankam. Er hatte jedes Zimmer im Haus abgesucht und den Kreis der Verdächtigen eingeengt. Innerhalb einer Woche sollte ihm das Kriegsministerium alles schicken, was man dort über die Leute auf seiner Liste wusste. Etwas ließ ihm keine Ruhe. Irgendetwas stimmte nicht, aber er wusste nicht, was es war.

Und das gefiel ihm nicht.

Er war zu dem Ergebnis gelangt, dass mindestens ein höhergestellter Dienstbote involviert sein musste. Jemand hatte im Aufenthaltsraum der höheren Dienstboten einen Brief ins Feuer geworfen. Eine Ecke des Briefes war nicht verbrannt. Und auch wenn Ryland gern gewusst hätte, was darin gestanden hatte, hatte er noch genug entziffern können, um zu wissen, dass jemand Anweisungen bekommen hatte, die der britischen Krone schaden würden.

Diesen Brief zu finden war mühsamer gewesen, als er gedacht hatte. Die Dienstmagd kam zweimal am Tag ins Zimmer, um die Asche zu entfernen. Wer konnte schon sagen, welche anderen Hinweise ihm wegen ihres Arbeitseifers entgangen waren?

Neben den Hausbediensteten gab es mehrere Knechte im Außenbereich, die er genauer unter die Lupe nehmen wollte. Jeder im Stall war verdächtig. Wo könnte man Botschaften besser weitergeben als an einem Ort, an dem man zu Pferden Zugang hatte? Er hatte kontrolliert, wie oft die Pferde ausgeritten wurden. Es wäre für einen Stallburschen ein Leichtes, sich irgendwo mit einem anderen Spion zu treffen.

Die Unterkünfte der Stallknechte waren jedoch schwerer zu durchsuchen, da sie sich in der Nähe des Stalls befanden. Das bedeutete, dass ständig jemand in den Schlafräumen oder in ihrer Nähe war. Ob es ihm gefiel oder nicht, er müsste Griffith bitten, sich etwas einfallen zu lassen, bei dem alle Stallknechte gleichzeitig für eine Weile fort wären.

Bis dahin konnte er nur die Augen offen halten und darauf warten, welche Antwort das Ministerium auf seine Verdächtigenliste sandte.

Er verlor allmählich die Geduld, die Eigenschaft, die bei einer solchen Aufgabe am wichtigsten war. Er hatte keine Lust, auf eine günstige Gelegenheit zu warten oder darauf, dass der Schuldige einen Fehler beging.

Er steckte die Hand in seine Jackentasche, um den angekohlten Rest des verdächtigen Briefs mit den staatsfeindlichen Anweisungen noch einmal herauszuholen, aber seine Finger berührten stattdessen ein gefaltetes Blatt Papier. Mit einem Lächeln zog er es heraus.

Es war gewiss nicht ratsam, sich mit der Schwester seines Freundes zu beschäftigen, aber irgendwie konnte er nicht anders. Die Vorstellung, dass sie ausgerechnet ihn als Ansprechpartner in ihrem Tagebuch benutzte, amüsierte ihn grenzenlos. Was hatte Griffith damals in seinen Briefen aus Eton alles über ihn erzählt? Irgendwie bezweifelte Ryland, dass er ihr berichtet hatte, wie oft Ryland sich Schwierigkeiten mit der Schulleitung eingehandelt hatte.

Da Griffith und er zu den mächtigsten Männern im Land gehören würden, hatten sie die Grenzen des Erlaubten ausgereizt und herauszufinden versucht, was sie sich alles ungestraft erlauben konnten. Natürlich hatten sie nichts Schlimmes angestellt. Das verdankte Ryland Griffiths Glauben und seinem guten Einfluss.

In diesem Augenblick wurde die Tür geöffnet und Ryland sprang auf die Beine. Sein Blick glitt zur Uhr. War das Essen schon vorbei?

Griffith blieb nach wenigen Schritten stehen und betrachtete das unordentliche Bett. „Du hast auf meinem Bett gelegen“, murmelte er.

„Es ist bequemer als meins“, erwiderte Ryland.

„Das kann ich mir denken. Immerhin bin ich bei unserem kleinen Spiel der Herzog und du bloß der Kammerdiener.“

Ryland zuckte die Achseln. Er faltete Mirandas Brief wieder zusammen und steckte ihn in seine Tasche zurück.

Griffith betrachtete ihn prüfend. „Sag mal, hast du Anfang der Woche nicht ,Was ihr wollt‘ gelesen?“

Entführung ins Glück

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