Читать книгу My Soul in Your Hands - Kristin Ullmann - Страница 10

Оглавление

Mad erdrückte mich. Wie viele Arme und Beine besaß dieses Mädchen? Ich bemühte mich unter der Masse an Wondie hervorzukriechen.

»Mad, geh runter von mir!«, flehte ich sie regelrecht an, da mir die Luft ausging.

Und endlich bewegte sich meine Schwester.

»Oh nein, oh nein, oh nein«, faselte sie. »Das ist alles meine Schuld.«

Als ich befreit war, reichte sie mir eine Hand und biss sich dabei auf die Unterlippe, vermutlich um ihren panischen Ausdruck zu verbergen, doch ich kannte ihn nur zu gut.

»Was …«, sagte ich, drehte mich um, da Mad hinter mir etwas entsetzt anstarrte. »Oh, Shit.«

Was ich für Mads Gliedmaßen gehalten hatte, waren nicht nur ihre gewesen. Nacheinander rappelten sich die Verrückten auf. Gen, Eve, Humpty und Hopp. Und …

»Lewis«, stieß ich aus und half ihm nach oben.

Sein fragender Blick schweifte allerdings an mir vorbei und er sah sich um.

Warum hatte ich damit gerechnet, wir befänden uns noch in dem verwüsteten Experimente-Raum? Aber nein, wir hatten es tatsächlich geschafft, durch den Spiegel zu reisen. Sosehr ich es auch versuchte, ich konnte mich an kein Gefühl des Übergangs zwischen dem Reich der Lebenden und Toten erinnern. Als hätten wir lediglich eine Tür geöffnet und wären mit einem Schritt in ein anderes Zimmer getreten.

Nur dass sich dieses hier von allen mir bekannten Räumlichkeiten in dem baufälligen Wonderland-Schloss unterschied. Denn hier war alles … neu. Kein Stein fehlte in dem Gemäuer. Die schweren Vorhänge waren noch ganz, nirgends war auch nur ein einziges Loch in ihnen zu sehen. Weder lagen Glassplitter am Boden noch auf den Fensterbrettern, nur an uns hingen welche.

Moment.

Ich schüttelte, genauso wie es die anderen gerade taten, kleine spitze Überbleibsel von meiner Kleidung. Lewis hatte sogar ein großes Stück in der Brust stecken. Es war viel zu nah an seinem Herzen. Eine Sekunde keimte Besorgnis in mir auf, doch er zog es heraus, ohne dass sich ein roter Fleck darum ausbreitete. Ich schielte zwischen seinem ausdruckslosen Gesicht und dem scharfkantigen und viel zu spitzen Fragment hin und her. Seinem schockierten Blick nach zu urteilen, konnten wir beide sein Glück nicht glauben. Er hätte genauso gut tot sein können. Nicht nur er atmete erleichtert aus.

»Was zum Teufel?«, murmelte Gen angesäuert, woraufhin ich zu den anderen schaute. »Was’n das für ein Mist?«

Sie hob ein spiegelndes Stück in die Höhe und betrachtete es.

Humpty zog argwöhnisch eine kaum sichtbare Augenbraue nach oben. »Oh, oh.«

Sein Freund bibberte mit den Zähnen und seine Pupillen spielten verrückt.

»C… Cat?«, stammelte Al.

Ich war so glücklich ihn zu sehen, dass ich sogar die Königin neben ihm ausgeblendet hatte, bis sie sich mit vor der Brust verschränkten Armen räusperte.

»Da habt ihr euch ja ordentlich was eingebrockt.«

Stutzig folgte ich Als Fingerzeig.

Neben uns war der bekannte Kamin, in dem sogar Feuer lieblich vor sich hin knisterte. Und über ihm hing ein schiefer Rahmen. Ein Rahmen, in dem der Spiegel fehlte.

Ich ging in die Hocke und hob ein Fragment auf. Dann sah ich zwischen ihm und meiner Schwester hin und her. Sie hielt sich die Fäuste vor den Mund und Tränen sammelten sich in ihren Augen. Wie ein dunkles Gewässer, das gleich am Horizont hinabstürzen würde.

»Es … Es tut mir so leid«, wimmerte sie.

Ich spürte eine warme Hand auf meiner Schulter. Während ich mich wieder aufrichtete, nahm ich Als Geruch wahr. Ich drehte die Scherbe in meinen Fingern und seine weißen Iriden blitzten darin auf. Dann sah ich zu dem Haufen Verrückten, die sich murmelnd beschwerten, und Lewis, der aschfahl war.

»Wir haben es alle kapiert«, ertönte Hearts Stimme und schreckte mich auf. »Ihr habt euren Weg nach Hause zerstört. Das ist aber schade.« Sie schritt in ihrem ausladend pompösen Kleid und der Krone mit den langen schwarzen Zacken, die als Waffe hätten eingesetzt werden können, auf uns zu. »Außerdem habt ihr damit auch die einzige Möglichkeit zunichtegemacht, mit euren Liebsten zu kommunizieren. Wie bedauerlich.« Es folgte eine wegwerfende Handbewegung. »Das heißt, ihr könnt euch voll und ganz auf mich konzentrieren.« Dann applaudierte sie.

»Hey, pass mal auf, Lady«, fuhr Gen sie an und preschte vor, doch Eve zog sie wieder zu sich zurück.

Sie bedachte Gen mit einem mahnenden Blick und entschuldigte sich für das Benehmen ihrer Partnerin.

Die Königin richtete ihre ganze Aufmerksamkeit auf die beiden und trat direkt vor sie. Dann nahm sie Eves Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger und hob es nach oben, sodass die kleine, zierliche Person, zu der bösen Königin aufsehen musste. Hearts Mundwinkel hob sich, als sie Eve genauer beäugte.

Gens Augenbrauen senkten sich bedrohlich und ihr Gesicht lief zornesrot an, doch sie behielt sich unter Kontrolle, was mich überraschte.

»Ihr habt noch Überreste meiner Fluchbemalung«, stellte Heart fest. »Also stimmt es, was ich erfahren habe. Meine Macht nimmt ab und ihr konntet aus dem Irrgarten entkommen, Hüllen.«

Ohne auf Gens Gebrabbel einzugehen, dass es Bay gewesen war, der ihnen zur Flucht verholfen hatte, schlenderte die Königin zu Lewis und reichte ihm die Hand.

»Der verschollene Vater.«

Ich sog scharf die Luft ein.

Ruckartig drehte sie ihren Kopf zu mir. »Jawohl, Seelendiebin. Auch das ist mir zu Ohren gekommen. Ein Jammer. Ich dachte wirklich, du seist besonders. Ein Mensch, den ich mir zurechtbiegen konnte. Und nun stellt sich heraus«, sie sah wieder zu Lewis, »dass du nur das Kind von Verrätern bist.«

»Sie hat Angst vor dir«, flüsterte Al hinter vorgehaltener Hand.

Ich konnte ein Schnauben nicht unterdrücken. Es war wohl mein Glück, dass Heart bereits vor Humpty und Hopp stand.

»Ich weiß, dass ihr mich nicht leiden könnt. Doch auch ihr wart Feinde meiner Feinde, das macht euch interessant.« Dann wandte sie sich ab, lehnte sich an einen der beiden Tische und betrachtete uns stumm, bis sie lauthals zu lachen begann. »Das ist der elendste Haufen, den ich je zu Gesicht bekommen habe.«

Da musste ich ihr zustimmen.

»Cat?« Al führte mich zur Seite. »Was machen wir jetzt? Es hat doch keinen Sinn, der Königin jetzt noch zu helfen. Selbst wenn sie uns sagt, wo die Essenzen versteckt sind, können wir es niemandem im Schloss mitteilen.«

Seinen Worten folgte ein tiefer Seufzer.

»Das kann es doch jetzt nicht gewesen sein«, murmelte ich und mein Bauch fühlte sich an, als hätte ich Steine gefrühstückt.

Nein, das ist nicht unser Ende. Das sind ungeplante Schwierigkeiten. Und ungeplante Schwierigkeiten sind kein Fehler. Sie werden erst zu einem, wenn wir aufgeben.

Jemand zog an meinem Oberteil. Es war Humpty.

»Ich habe die Gedanken der Königin gelesen. Sie hat sie mir regelrecht aufgedrängt. Heart kennt einen Ausweg. Außerdem denkt sie an den Blutschwur mit ihrem Sohn. Wenn wir ihr helfen, bringt sie uns wieder nach Hause. Das war Teil des Deals.«

»Heart!«, brüllte ich durch den Raum. »Du hast etwas versprochen.«

Sie hatte ihre langen Finger bereits um den Türknauf gekrallt, als sie innehielt. »Das hat für einen einfachen Weg zurück gegolten. Ich konnte ja nicht ahnen, was für ein Chaos ihr schon wieder anrichtet.«

Ich dachte daran, dass Heart nie etwas umsonst gemacht hat, also räusperte ich mich. »Was willst du?«

»Nur das, was ich von Anfang an wollte, Seelendiebin. Meine Zeit zurück.« Sie zuckte mit den Schultern.

»Nein, davon spreche ich nicht. Den Ort der Seelenessenzen für deine Zeit. Verstanden. Was ist mit unserem Rückweg, der jetzt keiner mehr ist?«

Sie brachte mir ein verschmitztes Lächeln entgegen. »Einer von euch wird dafür wohl etwas seiner Zeit opfern müssen. Diese wird hier gerne als Zahlungsmittel angenommen und kann so einiges möglich machen.«

Schockstarre überfiel mich.

Kein Tausch der Welt war es wert, einen Teil von sich zurückzulassen. Nicht einmal den eines der Irren.

»Verdammt, Heart«, entfuhr es mir und ich stapfte mit erhobenem Finger auf sie zu.

Doch Mad stellte sich mir in den Weg.

»Ich tu es«, sagte sie mit brüchiger Stimme. »Schließlich habe ich uns in diese Lage gebracht.«

Ein Eckzahn funkelte in der amüsierten Fratze der Königin. »Meine aufopferungsvolle Nichte.«

»Mad, nein!«, riefen Al und ich gleichzeitig und ich bat mit einem Blick nach hinten die anderen stumm um Unterstützung.

»Ja, ähm … was sie sagt. Also … opfere dich nicht, Tochter des Hutmachers«, pflichtete Humpty uns bei.

Hopp nickte ganz schnell, sodass seine geweiteten Pupillen wild in seinen Augen tanzten.

Eve stieß Gen in die Seite. »Meinetwegen«, murmelte diese widerwillig. »Entweder alle oder keiner.«

»Stopp«, sagte Lewis und kam zu uns. »Das hat Zeit, nicht wahr, Eure Majestät?« Mit einem Augenzwinkern nahm er ihre Hand und deutete einen Kuss darauf an. »Wir bringen Euch Eure Zeit und können uns dann immer noch einen Weg nach draußen suchen.«

Ihre Braue zuckte nach oben. »Ich wäre sowieso dafür, dass ihr nicht länger trödelt.«

Dann führte sie uns durch die Kellergewölbe eine Etage höher. Dort strotzte alles vor Prunk. Talglampen leuchteten uns den Weg. Sie stanken bestialisch, aber waren tausendmal sicherer als die Fackeln, die diese schon lange abgelöst hatten. Hölzerne Läden verwehrten uns die Sicht nach draußen. Bereits vor Jahren waren die in unserem Wonderland an den verfallenen Mauern hinuntergekracht. Hier verliefen sogar unter pompösen Wandgemälden Zierleisten mit wunderschönen Ornamenten. So musste es ausgesehen haben, als der König noch gelebt hatte. Beeindruckend.

»Hinein mit euch«, befahl uns Heart und brachte uns in exakt den Raum, den wir auch im lebendigen Wonderland für unsere Besprechungen genutzt hatten.

Hier waren jedoch alle Sitzpolster noch ganz und die Federn stachen einem nicht in den Allerwertesten, wie ich feststellte, nachdem ich mich gesetzt hatte. Und da saßen wir nun alle zusammen an einem runden Tisch. Vier Verrückte, mein Vater, Al, Mad, die böse Königin und ich mitsamt einem geschrumpften Monster auf meiner Schulter.

»Lady, erzählt uns doch jetzt endlich mal von dem Zeit-Ding«, maulte Gen, was ihr einen empörten Blick von Heart einbrachte.

Diese atmete durch, setzte sich gerade auf und streckte die Brust heraus. »Jeder tote Wondie kommt auf diese Seite Wonderlands. Allerdings bleibt uns auch hier nur eine begrenzte Zeit. Ein paar Jahrzehnte, bis wir dann einfach«, sie deutete eine Explosion mit ihren langen Fingern an, »puff, ganz verschwunden sind.«

Mad hob die Augenbrauen. »Man kann im toten Wonderland sterben?«

Sie schnalzte mit der Zunge. »Du kleines naives Dingchen, stell dir doch einmal vor, wie voll es wäre, wenn jeder Wondie auf immer und ewig hier verweilen dürfte.«

»Eure Hoheit«, erklang Eves zuckersüße Stimme, »woher weiß man denn, wie viel Zeit einem übrig bleibt?«

»Hat doch noch jemand Manieren von euch«, sagte Heart und nickte in Eves Richtung. »Es ist absolut grausam. Jeder hat seine eigene Uhr. Sie ist eine stete Erinnerung daran, dass man selbst bei den Toten keine Ruhe findet.«

»Ticktack?«, rief Hopp und seine Augen quollen aus den Augenhöhlen.

»Mein Freund wüsste gern«, sagte Humpty, »wie man sich diese Uhr vorstellen kann. Ist es die biologische Uhr? Ist es ein Gespür dafür, wann es mit einem zu Ende geht? Sind es Visionen, die –«

»Es ist eine verdammte Uhr«, unterbrach sie ihn. »Gehäuse, Zahnräder, Ziffernblatt, Zeiger mitsamt dem nervtötenden Ticken.«

»Ticktack«, kam es wieder von Hopp.

»Ich würde sie euch gerne zeigen, allerdings ist meine gestohlen worden, weshalb ihr Idioten schließlich hier seid!«, schnauzte sie uns an.

»Wer hat Euch beraubt?«, meldete sich Lewis zu Wort. »Haben Eure Majestät hier Feinde?«

Humpty, Hopp und Gen prusteten auf der Stelle ungehalten los. Dabei schlug der Eierkopf mit der flachen Hand immer wieder auf die Tischplatte, das Karnickel sich an die Stirn und Gen gegen Hopp.

Auch ich musste ein gehässiges Lachen unterdrücken und presste die Lippen fest aufeinander.

Das Gelächter lockte offenbar einen weiteren Begleiter ans Tageslicht. Ich spürte, wie Mally sich durch mein Haargewirr von einer Schulter zur anderen kämpfte.

»Verachtet dich hier jemand noch stärker als die Allgemeinheit?«, korrigierte ich Lewis Frage.

Hearts Blick huschte über die Gesichter von Gen und Eve. »Jemand, ja … Und er hat euresgleichen für die Drecksarbeit benutzt.«

Gen deutete auf sich selbst. »Hüllen? Echt jetzt?«

»Nicht nur irgendwelche. Fluchbemalte.«

»Mehr werdet Ihr uns nicht verraten«, sprach Lewis das Offensichtliche aus.

Sie schüttelte den Kopf. »Um auf den Punkt zu kommen. Die Fluchbemalten haben meine Zeit verschleppt. Und ich bin hier nicht gerade beliebt«, sagte sie trocken, wobei sich ein schmollender Unterton dazugesellte. »Ich habe keine Hilfe von irgendjemanden zu erwarten.«

»Traurig«, hörte ich Eve Gen zuflüstern, woraufhin die ihre Augen verdrehte.

»Liebling, die alte Schachtel hat’s nicht anders verdient.«

»Ja, aber was will sie denn mit der Zeit, wenn sie hier sowieso nicht glücklich ist?«

Heart hämmerte mit ihrer Faust auf den Tisch, was uns alle zusammenzucken ließ. »Ihr zwei hättet besser im Irrgarten bleiben sollen! Auch wenn es euch nichts angeht, aber lieber bin ich hier alleine und auf mich selbst gestellt noch am Leben, statt …«

Mich durchfuhr ein eisiges Schuldgefühl, weil ich diejenige gewesen war, die sie in das Reich der Toten befördert hatte.

Als könnte Heart meine Gedanken lesen, stierte sie mich an. »Du hast was wiedergutzumachen, Katze.«

»Ich möchte klarstellen, dass du dich quasi selbst geköpft hast«, meinte ich unsicher, was sie nur noch finsterer dreinblicken ließ. »Okay, okay. Dann sag uns, wo sich hier die Fluchbemalten aufhalten.«

Hearts Grinsen wurde noch breiter. »Wo sollen sie denn schon sein? Sie können sich zwar frei im toten Wonderland bewegen, doch sie kehren immer wieder an den Ort zurück, den sie besser als jeden anderen kennen.«

»Ticktack!«, schrie Hopp.

My Soul in Your Hands

Подняться наверх