Читать книгу My Soul in Your Hands - Kristin Ullmann - Страница 6
ОглавлениеDie wabernde Masse des Portals gab uns frei und gemeinsam mit den Schattenbrüdern landete ich nicht unweit von den giftigen Sträuchern kurz vor dem Übergang.
Dee und Dum brachten uns nie direkt vor die Grenze, denn wir befürchteten, dass die Energie eines Portals noch weitere Teile von ihr loslösen könnte. Und viel war von der Barriere sowieso nicht mehr übrig.
Ohne ein Wort zu wechseln, näherten wir uns der Grenze. Es war ein bedächtiger Spaziergang. Auf solch ein grausames Bild zuzuschreiten, verlangte vermutlich nicht nur mir einiges ab.
Die Temperaturen schwankten noch schlimmer als vor dem langsamen Verfall. Ich war es inzwischen gewohnt, dass es hier bis zu zehn Grad kälter oder wärmer werden konnte als im Rest des Landes. Aber momentan fühlte es sich so an, als kämpften Eis und Feuer. Gerade war es dampfig und meine Kleidung klebte an mir, wie ich es an der Grenze noch nie erlebt hatte. Und ich hatte hier fast mein ganzes Leben mit den Brüdern gearbeitet.
Unzählige Male hatten sie mir den Übergang in die Menschenwelt geöffnet, damit ich neue Seelen für Heart stehlen konnte. Ich hatte wirklich gedacht, ich hätte den Menschen dadurch geholfen – ihnen ihre boshaften Gedanken ausgetrieben und ihnen ein besseres Leben als emotionslose Hülle ermöglicht. Wie falsch ich doch gelegen hatte.
»Katze!«, rief Bay und brachte mich dazu, die Erinnerung an meine Tätigkeit als königliche Seelenfängerin in die hinterste Ecke meiner Gedanken zu verbannen.
»Hallo, Bay.«
Ich wahrte auch zu ihm noch Abstand. Die Mischung aus Wahnsinn und Durchtriebenheit, die aus seinen gelben Augen sprach, erinnerte mich immer an seine Handlungen, die auf der einen Seite geholfen, auf der anderen aber zu viele verletzt hatten. Neben uns unterhielten sich die Brüder mit Lewis, ich hingegen ignorierte ihn.
»Bilde ich mir das nur ein oder hat sich die Lage seit letzter Woche nicht verschlimmert?«, wandte ich mich an das kleine Männlein.
Bay berührte einen abgelösten Splitter, der vor seiner Nase schwebte. »Zum Glück nicht. Es gab keinerlei Veränderung. Dieses Fragment hier«, er tippte erneut das buntreflektierende Grenzstück vor sich an, »hängt schon länger als eine Woche an der gleichen Stelle.«
Ich machte einen Schritt zurück und bemerkte, dass sich die Bruchteile tatsächlich nicht mehr langsam bewegten. Es waren immer noch Abermillionen Teile, die in der Atmosphäre um uns herum glänzten und der Grenze zur Stabilität fehlten. Doch der Stillstand könnte etwas Gutes bedeuten.
In den nahestehenden Zwirbelbäumen hörte ich sogar einen Vogel zwitschern und andere Wunderwesen raschelten in den Büschen um uns herum. Dass sie wieder zurückkehrten, war auch kein schlechtes Zeichen.
»Das verschafft uns Zeit«, stieß ich erleichtert aus.
Ich vernahm Schritte, die sich zögerlich näherten.
Lewis kam mit den Brüdern zu uns. »Ich traue der Sache nicht.«
Bevor ich etwas erwidern konnte, zwang uns ein markerschütternder Schrei in die Knie. Schnell presste ich meinen Körper auf die bunten Halme unter mir und vergrub meine Ohren in den Handflächen. Der Laut wollte nicht enden. Dazu gesellte sich eine Vibration, die mich ordentlich durchschüttelte.
Ich wagte einen Blick zur Seite und erkannte, dass die schwebenden Grenzstücke nach und nach auf den Boden krachten.
So endet es also.
Ich würde von den spitzen Fragmenten durchbohrt und so die Last auf meinen Schultern loswerden.
Es war ein überraschend erlösender Gedanke. Aber …
Aber ich spürte keinen Schmerz.
Als ich mich erheben wollte, stieß ich gegen jemanden.
Es war …
»Lewis?«
Er hatte sich schützend über mich gebeugt. Auch er richtete sich nun wieder auf und seine roten Augen glänzten verdächtig, ehe sie schlagartig zufielen.
»Lewis«, keuchte ich, sobald ich realisierte, was mit ihm nicht stimmte.
Er hatte mich vor den Splittern abgeschirmt. Sie steckten in seinem Rücken und Blut breitete sich um jeden einzelnen Einstich aus. Dann sackte er in Richtung des mit Scherben übersäten Waldbodens.
Anders als gerade eben reagierte ich blitzschnell und zerrte an ihm, sodass er nicht auf dem Rücken, sondern auf dem Bauch landete.
»Bay!«, rief ich panisch. »Dee! Dum!«
Sie eilten zu uns. Die Schattenbrüder waren unversehrt, das Gute daran, dass ihre Gestalt rauchiger und damit durchlässiger war als je zuvor. An Bays Schläfe rann eine rote Linie hinunter, aber es schien ihm nichts auszumachen.
»Er … Er hat mich beschützt. Und jetzt –« Schockiert musterte ich die Wunden.
So viele Splitter und so viel Blut.
»Schaffen wir ihn ins Schloss«, meinte Bay gelassen.
War das Optimismus oder dachte er, es sei sowieso schon zu spät?
Nein, bitte nicht …
Der kleine Mann schnippte mit den Fingern der einen Hand und danach mit denen der anderen.
Ein wabernder Durchgang öffnete sich. Der bewusstlose Lewis löste sich vom Boden und verweilte ein paar Zentimeter in der Luft. Dann wurde er, wie an einer unsichtbaren Leine befestigt, hinter dem Männlein durch das Portal gezogen.
»Kommt ihr?«, drängte Bay.
Die Brüder beeilten sich, ich konnte aber nicht widerstehen, mich zur Grenze umzudrehen.
Ohne die schwebenden Bruchstücke davor war nur eine Wand zurückgeblieben, die flimmerte. So wie sie es bisher einzig an der Stelle getan hatte, die ich als Kind gefunden hatte und durch die man in die Menschenwelt schauen konnte.
»Cat!«, rief Dum und ich riss den Blick von der veränderten Grenze los.
»Erst war da ein schrilles Geräusch, dann hat der Boden gebebt und alles, was sich vorher von der Grenze gelöst hatte, ist mit einem Mal auf uns hinabgestürzt«, berichtete ich Steph, die gerade erst wach geworden war.
Sie rieb sich den Schlaf aus den Augen und glättete ihre abstehenden roséfarbenen Locken. »Schöner Mist.«
Dann machte sie auf ihrem Krankenbett Platz, damit ich mich zu ihr setzen konnte, was ich auch tat. Wie viele Male wir schon Witze darüber gemacht haben, dass unsere Rollen als Schwester und Patientin plötzlich vertauscht waren, konnte ich gar nicht mehr zählen.
»Wie geht es ihm jetzt?«, fragte sie mit leicht belegter Stimme.
Ich erinnerte mich unweigerlich daran, wie hektisch Heiler um Lewis herumgeschwirrt waren. Seine Schmerzensschreie waren markerschütternd gewesen und ich würde sie wohl nie wieder aus dem Kopf bekommen.
Tief atmete ich durch und verdrängte diese Bilder. »Sie haben ihm gerade noch rechtzeitig mehrere Heiltränke gegeben und die Schnitte gesäubert.«
»Etwas, was sie auch gut in der Menschenwelt gebrauchen können?«, versuchte sie offensichtlich zu scherzen, wobei das klägliche Halbgrinsen ihre Augen nicht erreichte.
»Explodierende Übergänge oder Wunderheiltränke?«
»Ich glaube, in deren Geschichte gab es schon mal Grenzen, die weggesprengt wurden.«
Wir saßen hier und scherzten über Kriege, obwohl uns bald selbst einer bevorstand, wenn uns keine andere Lösung einfallen würde.
»Hast du mittlerweile mit ihm geredet?«, fragte Steph.
»Sobald er wach und wieder bei Kräften ist, werde ich das Gespräch mit ihm suchen«, beschloss ich. »Immerhin hat er mich heute davor beschützt, zum Schweizer Käse zu werden.«
Steph lächelte schief. »Sieh es so. Schlimmer als mein Vater kann er auch nicht sein.«
Ich schnaubte belustigt, was dann zu einem Kichern wurde. Steph stimmte ein. Es tat gut, wieder mit ihr zu lachen. Das war wie Balsam für die Seele … für meine halbe Seele.
»Cathrine? Hey, du bist ja wach«, rief Al, als er in Stephs Privatbereich im Heilzimmer kam.
Er brachte frisch gepflückte Blumen mit, die er sogleich gegen die abgeblühten in der Vase neben ihrem Bett austauschte.
»Danke dir, mein Lieblingsneffe.«
Al sog scharf die Luft ein. »Hatten wir nicht darüber geredet, dass wir das irgendwie schräg finden?«
Steph zuckte wissentlich mit den Augenbrauen. »Du, mein Lieber, hast gemeint, dass du es schräg findest. Und ich ziehe dich eben gerne damit auf.«
Genervt verdrehte er die Augen und schaute dann mich an. »Im Kellergewölbe wartet jemand auf dich.«
Hatten sich Gen und Eve doch noch dazu entschieden, ihre Suche fortzusetzen?
Bitte, lass sie etwas gefunden haben.
»Ich komme später wieder bei dir vorbei.«
Dann verabschiedete ich mich von Steph, deren Augenlider erneut unendlich schwer wirkten und nicht weit davon entfernt waren, zuzufallen.
Al begleitete mich auf dem Weg an den mit Wandteppichen behangenen Steinmauern vorbei, die fast nur noch aus Löchern bestanden. Beides. Mauern und Vorhänge.
»Ich bin froh, dass dir nichts passiert ist.« Al nahm meine Hand und hauchte im Gehen einen Kuss darauf.
Unsere Schritte hallten auf den Treppen, die wir im Gleichschritt nach unten eilten.
»Weißt du, was mich unendlich ärgert? Gerade als ich mich gefreut habe, dass beim Übergang mal eine Woche Stillstand geherrscht hat, passiert so was.« Vor Wut drückte ich seine Hand fester. »Jetzt ist nur noch eine dünne Schicht übrig. Wenn wir nicht bald die Seelenessenzen finden und ihre Energie wieder zum Erhalt der Grenzen nutzen, haben wir ein größeres Problem als White.«
Al nickte. »Die Menschenwelt und Mirror werden dann für jeden offenstehen. Wenn die Wondies sich zufällig in die Welt der Menschen verirren und plötzlich vor einem heranrasenden Lastwagen wiederfinden, verlieren sie bestimmt ihren Verstand.«
»Das wäre pure Ironie.« Ich stöhnte und ließ die Schultern hängen.
»Wenn wir schon von Wahnsinn reden«, sagte Al in schuldbewusstem Ton. »Wir treffen nicht Gen und Eve.«
Ich blieb stehen.
Al rieb sich den Nacken und fletschte die Zähne, was vermutlich ein Grinsen werden sollte.
Bevor ich nachhaken konnte, hörte ich sie.
Ich riss die Augen auf. »Nein! Tu mir das nicht an.«
Da er mich immer noch an der Hand hielt, konnte ich nicht einmal über eine Flucht nachdenken und musste mich ergeben, denn sie kamen sowieso schon auf uns zu.
»Hallo, Traumwandlerin«, sagte das eierförmige Männlein.
»Hallo, hallo, haaalllooo!«, echote der verrückte Hase hinter ihm.
Die Augenlider zuckten wild, genauso wie es die langen Löffel taten. Das zottelige Fell schien noch ungepflegter zu sein als sonst.
Ich atmete tief durch und blähte dabei die Nasenflügel auf. »Humpty, Hopp.«
Ich hatte nicht damit gerechnet, sie so schnell wiederzusehen. Oder überhaupt wiederzusehen.
»Wir haben dich auch vermisst«, meinte Humpty in einer Tonlage, die vor Missbilligung triefte.
»Was wollt ihr?«, fragte ich mit verschränkten Armen.
Al räusperte sich. »Sie meinten, sie hätten eine Idee, wo sich die Seelen befinden könnten.«
»Sie sind überall und nirgendwo.« Humpty grinste in sich hinein. »Nicht wahr, Hoppler, mein Freund?«
Hopp band sich die Löffel unter seinem viel zu menschlichen Kinn zusammen. »Irgendwo, nirgends, drüber, drunter und links heruuuuuum.« Seine Augen drehten sich wie ein Karussell.
»Du hättest wissen müssen, dass sie wieder nur Schwachsinn von sich geben«, tadelte ich Al.
Er erwiderte nichts darauf, was ich als stille Zustimmung wertete.
»Warte, warte.« Humpty hob eine seiner dicklichen Hände. Dann beäugte er das leere Kellergewölbe kritisch. »Die Königin dachte eine Sache gerne in unserer Gegenwart.«
»Wann habt ihr bitte Heart getroffen?«, fragte ich misstrauisch.
»Verrückte Heart! Verrückte Heart!«, kreischte Hopp und in seinem Gesichtsausdruck lag Panik.
Humpty hüstelte in seine Faust. »Wir werden darauf nicht weiter eingehen. Als wir die Königin trafen, hat sie an Richtungsanweisungen gedacht, um mich davon abzuhalten, ihr Geheimnis aufzudecken. Sie wusste, dass ich Gedanken lesen kann.« Er streckte die Brust heraus. »Aber wer weiß das schon nicht?«
»Ja, du kannst sehr stolz auf dich sein«, murmelte ich zur Seite. »Einen klasse Ruf hast du da.«
»Ich bin der beste Gedankenleser in ganz Wonderland.«
»So gut, dass du ihre Gedanken angeblich bis jetzt vergessen hattest?«, erkundigte sich Al und beäugte Humpty grimmig.
»Ganz langsam, Hübschling.« Humptys Blick verfinsterte sich. »Zweifle nie an meinem Genie, Junge.« Er erhob verärgert den Finger und drückte ihn gegen Als Brust.
Da konnte ich mir ein Auflachen nicht verkneifen, auch wenn es fehl am Platz war. »Okay, Dickerchen. Warum sind wir hier und reden nicht oben, wo es wärmer ist?«
»Weil«, selbstbewusst reckte er die Stirn gen Kellerdecke, »hier etwas Wichtiges ist, das mit den Seelen in Verbindung steht. Das weiß ich genau. Wir müssen nur herausfinden, was es ist.« Grübelnd schielte er auf den Steinboden und seufzte.
Hopp eilte auf seinen Kameraden zu. »Oh, nachdenklicher Humpty-Humpty.«
»Lass mich, du dummer Hase«, schniefte der Eierkopf, der plötzlich sehr aufgelöst war.
Wahnsinn. Purer Wahnsinn.
Hopp ging blind rückwärts und stolperte. Er hielt sich an einem herausstehenden Mauerstein fest, um nicht auf dem feuchten Kellerboden zu landen.
»Knapp, knappetie-knapp«, quasselte er und tätschelte mit seiner menschenähnlichen Pfote, Hand, was auch immer, den rettenden Stein.
Wie ein Hebel sackte dieser nach unten.
»Was …«, hauchte Al erstaunt.
Ich schüttelte den Kopf und zwinkerte ein paarmal.
Eine Geheimtür. Genau gegenüber dem Stein, den Hopp weiterhin schockiert anstierte.
Der Staub, der in dem Licht hinter der Öffnung tanzte, und das Gestein, das von oben herabbröckelte, deuteten darauf hin, dass der kleine Eingang schon länger nicht mehr geöffnet worden war.
»Ihr zwei Verrückten«, stieß ich aus und lachte über ihre gewinnbringende Schusseligkeit.
»Sieh mal einer an, Hasenpfoten bringen also doch Glück«, witzelte Al.
Ich schmunzelte, trat gebückt in das Versteck und richtete mich auf der anderen Seite wieder auf.
Vor mir lag ein von Leuchtsteinen erhellter Gang, der allerdings nicht lang war. Schon nach ein paar Metern führte eine schmale Holztreppe noch weiter nach unten.
»Willst du da wirklich runter?«, fragte Al und musterte das Loch, durch das wir klettern müssten, um voranzukommen.
Ich nickte kräftig. Blut rauschte in meinen Ohren. Adrenalin schoss mir aufgrund des Lichtblicks durch die Adern.
»Da könnten die Essenzen sein. Warte gerne draußen bei Humpty und Hopp.«
»Wie lange kennst du mich schon? Als würde ich dich alleine gehen lassen. Aber ich nehme an, du willst den Vortritt?« Wie gut Al mich doch einschätzen konnte.
Mutig kletterte ich in die Dunkelheit, die sofort durch weitere Leuchtsteine erhellt wurde, sobald ich den ersten Fuß auf die Fliesen setzte.
»Verdammt«, entfuhr es mir, als ich sah, wo ich gelandet war.
Al stellte sich neben mich. »Was ist?« Er schaute ebenfalls in Richtung der parallel nebeneinander aufgestellten, länglichen Holztische.
»Ich habe eine schreckliche Vermutung«, murmelte ich und lief auf die zugezogenen Vorhänge zu.
Glassplitter knirschten unter meinen Schuhsohlen.
Bitte, lass es nicht den Raum sein. Bitte.
Dann riss ich den schweren Stoff beiseite und schloss die Augen.
Verdammt!
»Was? Wieso können wir hier nach draußen sehen?« Al schob Scherben von dem Fensterbrett und lehnte sich dann durch den Rahmen.
»Ich weiß, es ergibt keinen Sinn.« Nie hätte ich gedacht, diesen Raum gerade unterirdisch zu finden.
O Wonderland, du und deine Kuriositäten.
»Was ist das hier?«
Ich drehte mich von den leeren Fensterrahmen und dem bunten Efeu weg, der sich im Laufe der Jahre um das Gemäuer gelegt hatte, und räusperte mich.
»Hier hat Heart ihren Sohn getötet.« Bei der Erinnerung an die grausame Szene, die mir Hettie gezeigt hatte, verkrampfte sich mein Magen. »Nachdem der König damals von White ermordet wurde, hat Heart auf Anraten von Ileria ein Experiment gewagt.« Ich fuhr mit den Fingerspitzen über das Holz eines Tisches. »Hier war die verweste Leiche des Königs aufgebahrt. Dort«, ich deutete auf die Tafel daneben, »schlief ihr Erstgeborener Break.«
Al trat hinter mich und legte seine warmen Hände auf meine Schultern.
»Heart meinte, Ileria hätte ihr von der Macht erzählt, die sie durch den Raub einer Kinderseele erhalten würde. Es war ihr erster Versuch überhaupt, eine Seele zu nehmen. Die von ihrem eigenen Sohn. Sie wollte nur einen kleinen Teil, um den König wieder zum Leben zu erwecken. Stattdessen …« Ich schluckte die Bitterkeit hinunter, die mir in die Speiseröhre kroch. »Stattdessen ist ihr alles um die Ohren geflogen und Gils Bruder hat sich in einen Haufen Asche verwandelt. Das war das Einzige, was sie geschafft hat.«
Ich drehte mich zu Al und schlang meine Arme um ihn. Er fuhr tröstend mit seinen breiten Händen über meinen Rücken.
»Seine Schreie … Es war entsetzlich. Er muss so unvorstellbare Schmerzen gehabt haben.«
Ich schniefte in Als Halsbeuge, weil mich die Emotionen übermannten. Bei Hetties Lesung hatte ich jedes Gefühl tausendmal verstärkt wahrgenommen. Es war grausam gewesen, was meine Mutter hier mitangesehen hatte.
»Du Göre! Ich habe dich nicht zu einer Heulsuse ausgebildet«, ertönte eine Stimme, die das Blut in meinen Adern gefrieren und meine Tränen versiegen ließ.
Ich zog meinen Kopf zurück und starrte Al an.
Seine aufgerissenen Augen verrieten mir, dass auch er sie gehört hatte.
»Hier drüüüben«, sang es fröhlich.
Wir drehten uns und suchten hektisch den Raum ab.
Dann blieb mein Blick an dem Kaminsims hängen, über dem ein riesiger Spiegel angebracht worden war.
»Das kann doch nicht w–«
»Oh, und wie wahr es ist, Kind«, zischte sie in einem überlegenen Ton, der mir durch Mark und Bein ging.
Heart.