Читать книгу Wolfes Schuld - Kristin Veronn - Страница 10
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ОглавлениеVerschwinde, Gavin!« Die beleibte Landfrau mit dem sonst heiteren Gesicht sah finster drein. Es war Rowena vom Bronllys Hof, dem zweitgrößten Pachtgut in Hencod. Das Zornesrot auf ihren runden Wangen ließ ihre Rise weißer strahlen, jenes dünne Leintuch, das von einer Schläfe zur anderen an die Haube gebunden ihr hübsches Gesicht umschmeichelte und darunter ein kräftiges Doppelkinn verbarg. Der Kesselflicker war um ihr Gemüsefeld geschlichen, jetzt zog er den Kopf ein und trollte sich zu seinem Karren, der nahe dem Hofzaun abgestellt war. Rowena stemmte die Fäuste in ihre mächtigen Hüften.
»Die Kessel, die du flickst, halt'n nich' lang'«, rief sie Gavin hinterher. »'n Jammer, dass dein Weib tot is' – sonst wärste nich' kurz vorm Verhungern. Aber auch wir hab'n nix zu verschenk'n.« Bevor Gavin etwas erwidern konnte, wandten beide die Köpfe und blickten hinüber zum Anger, da entfernter Hufschlag sie neugierig aufmerken ließ. Sogleich sahen sie im frühlingshaften Sonnenlicht, wie sich drei Reiter auf der Dorfstraße näherten, alle im Livree von Cyfrinshire, den blau-weißen Waffenröcken des silbernen Drachen. Auch Sir Byron befand sich unter ihnen, der Grundherr von Hencod. In Sichtweite zum Hof zügelten die Männer ihre stattlichen Pferde und lenkten sie unter die große Eiche, die in der Mitte des Dorfangers wuchs, zwischen dem schlichten Kirchenbau und einem großen Forellenteich.
Aus sicherer Entfernung beobachtete Gavin ihr beunruhigendes Erscheinen. Von Westen waren sie gekommen, wo die Hauptstraße aus Castellyn an Hencod vorüberführte. Es ließ Ärgstes ahnen, wenn der Lehnsmann in Begleitung zweier Getreuen des Grafen im Dorf erschien. Ging es um kleiner Delikte, wie Wilderei oder Diebstahl anderer Art, entschied Sir Byron nach eigenem Ermessen; wurden jedoch Männer zu mehreren in die Grafschaft ausgesandt, war niemand in eigener Sache unterwegs, sondern im Auftrag des obersten Herrn, oder weit schlimmer, auf Befehl des Sheriffs. Zumeist wurde nach jemandem gesucht, der in die Burgstadt verbracht und danach womöglich in Pembroke vor Gericht gestellt werden sollte.
Ganz gleich, was sie auch wollten, Gavin hielt stets sein Maul, kein Sterbeswörtchen kam je über seine Lippen, selbst wenn er die Wahrheit kannte. Falls es darauf ankam, stand er allein, und niemand glaubte einem Kesselflicker. Dennoch sah er vieles, das ungesehen bleiben sollte, auf seinen Wegen durchs Land - mehr als gut für ihn war; an Orten, wo andere sich ungestört und unbehelligt fühlten.
Gavin wusste, er war ein armer Schlucker. In seiner dürren Gestalt wirkte er fahl und kränklich, besaß nicht einmal Beinkleider, und so lugten unter seiner geschürzten, braunen Tunika haarige Waden hervor, die in kurzen Schnürstiefeln steckten, sein einziges Paar, das er stets mit größter Sorgfalt flickte. Um seinen dünnen Hals hing eine hellbraune Gugel, eine Art Kapuze, die seinen braunen Schopf vor Nieselregen sowie die dreckigen Ohren gegen schneidenden Wind schützte und Hals und Schultern wärmte. An ihrer Sendelbinde klingelte bei jeder Bewegung leise ein kleines Glöckchen und die Dorflümmel rannten oft hänselnd hinter ihm und riefen ihn den Kesselnarren. Für schlimmstes Wetter lag hinten auf seinem Karren ein fadenscheiniger Mantel. Seine Hände waren übersät mit Brandnarben, denn beim Löten stellte er sich nicht eben geschickt an. Bis zum ihrem Tode hatte meist sein Weib Winnie die Arbeiten ausgeführt. Sie hatte die ruhigere Hand besessen und ein gutes Gefühl dafür, wie lange der zerschlissene Boden eines Topf im flüssigen Zinn verbleiben musste, bis er ausreichend aufgedickt war. Doch im letzten Frühjahr bekam sie die Blattern; die ekligen Pocken frassen sich in ihre dünne Haut, und weil sie vom Winter abgemagert und schwach war, konnte sie der Krankheit nichts entgegensetzen. Kinder hatten sie gottlob nie gehabt, dafür war Gavin stets dankbar, weil er nicht gewusst hätte, wie er die Mäuler stopfen sollte, bei solch geringem Verdienst.
Frei war er wohl und keinem verpflichtet; er konnte gehen, wohin er wollte. Aber er hatte auch kein Heim, kein Dach über dem Kopf und niemand beschützte ihn. Mancherorts traf er in den Dörfern auf herzensgute Landleute, die ihn in der Scheune schlafen ließen und auch etwas von ihrem Tisch abgaben; aber oft hatte es das Vieh in den Ställen weit besser als er. Früher einmal war er ein verdammt hübscher Kerl gewesen. Nicht Größe oder Kraft, sondern sein jungenhafter Liebreiz hatte alle Weiber betört. Aus schönen dunklen Augen war sein Blick vielsagend gewesen, und sein einladender Kußmund hatte die Erfüllung tiefer Sehnsüchte versprochen. In den letzten Monaten jedoch hatte das Schicksal ihm übel mitgespielt, und in den einstmals tief braunen Augen breitete sich zunehmend eine unbarmherzige Leere aus, die sie nur noch grau erscheinen ließ. Einzig der Umstand, dass Cyfrinshire eine der wenigen Grafschaften war, wo ungestraft im Alten Steinwald gejagt werden durfte, solange das Wild geringer war als ein Reh, hatte Gavin bisher vor dem Hungertod bewahrt. In seinen einfachen Drahtschlingen fand sich wahrlich nur Kleingetier wie Kaninchen, Eichhörnchen oder dergleichen. Doch selbst diese geringe Beute wurde ihm zuweilen vor der Nase weggeschnappt, dann fand er in der Schlinge nur eine abgetrennte Pfote.
Der Wind trug die Stimmen der Reiter herüber und Gavin konnte verstehen, was die Männer sprachen. »Lasst mich nach Siorus Ausschau halten, Cole, er ist mein Vogt in Hencod«, schlug Sir Byron vor. »Womöglich wird er uns etwas berichten können. Sein Gehöft liegt auf dieser Seite jenseits der Kirche.« Durch sanftem Tritt in die Flanken versetzte Byron sein Ross in leichten Trab und gab die Richtung vor, die linker Hand der Kirche an den Grenzen zum Bronllys Hof entlangführte.
Kaum hatten alle den Weg eingeschlagen, kam Siorus den Reitern bereits entgegen. Den kahlen Kopf wohl behütet unter einer ledernen Kappe stapfte er über den breiten Sandweg, da er an diesem Tag gemeinsam mit Landmann Sherwin das Weizenfeld auf der Allmende pflügen wollte. Seine untersetzte Statur erlaubt nicht, ihn als stattlich zu bezeichnen, doch waren Herz und Verstand im rechten Maße ausgeprägt und Byron vertraute ihm. Als Vogt unterstand ihm die Verwaltung der Ländereien, und in Abwesenheit seines Herrn war er befugt, an seiner statt den Lehnshof einzuberufen. Dies war eine Zusammenkunft der Dörfler, die in Hencod üblicherweise am Sonntag nach der Messe abgehalten wurde, um gemeinsame Arbeiten und allgemeinen Belange zu erörtern. Zudem wurden dabei mindere Rechtsfälle wie Grenzstreitigkeiten, Regelungen von Erbschaften und dergleichen verhandelt. Sir Byron und sein Vogt pflegten ein freundschaftliches Verhältnis, und obgleich sie als Jungen zusammen gespielt hatten, hielten sich beide nun an die sprachliche Gepflogenheit, die ihrem jeweiligen Stand entsprach.
»Wünsche 'nen recht gut'n Morgen, Sir Byron!«, rief Siorus erfreut. »Wir werd'n heut' das letzte Feld vorbereit'n und morg'n mit der Aussaat beginn'n.«
»Mein lieber Siorus, nichts anderes hatte ich erwartet, als zu sehen, mit welch großem Eifer meine Lehnsleute ihre Arbeit verrichten. Es bedarf keinerlei Bewachung, dessen bin ich sicher. Uns führt ein ganz und gar anderes Anliegen her.« Siorus sah seinen Herrn fragend an.
»Is' was vorgefall'n, Sir Byron?«
»Sicherlich ist dir Sir Vance bekannt, Befehlshaber der Stadtwache?« Siorus nickte.
»Vor wenigen Tagen war er in wichtiger Angelegenheit unterwegs nach Haverfordwest. Bisher ist er nicht zurückgekehrt. Wir suchen nach Hinweisen auf seinen Verbleib, und Hencod liegt auf östlicher Nebenroute zwischen Castellyn und Glynllys.«
»Wieso Glynllys, Sir?«, erkundigte sich Siorus.
»Dort wurde sein Pferd gefunden.« Erstaunt hob Siorus die Augenbrauen und schwieg.
»Hat einer von euch Dörflern Sir Vance letzter Tage angetroffen? Womöglich du selbst?«
»Nein, Sir...« Siorus wurde nachdenklich. »Das letzte Mal, als ich ihn sah, war zu Christmond bei den Feierlichkeiten in Castellyn. Hier in unserer ländlichen Gegend trifft man selten auf Ritter, Herr. Gelegentlich verläuft sich ein Junker im Dorf - erst letztlich habe ich jemanden in der Dämmerung fort reiten sehen...« Siorus grinste zu Raven hinüber. »Aber vermutlich handelte es sich eher um ein persönliches Anliegen.« Jeder ahnte, dass hinter der schalkhaften Bemerkung Ravens Vorliebe für eines der Landmädchen steckte.
»Falls dir etwas zu Ohren kommt, gib' umgehend Bescheid.«
»Sehr wohl, Sir. Ich werd' mich umhör'n.« Sir Byron nickte ihm zu, danach wies er seine Begleiter an, die Pferde zum Dorf hinaus zu lenken. Am Abzweig zur Hauptstraße machten sie nochmals Halt, um sich zu beraten. Unterdessen setzte Siorus seinen Weg fort. Rowena lief ihm entgegen, sie hatte das Geschehen vom Zaun her verfolgt. Gavin hingegen packte seinen Esel am Zügel und führte das Gespann hinüber zum Forellenteich. Beim Davongehen vernahm er, wie sich Rowena lauthals empörte.
»'s wär' 'n Glück für die Weiber von Cyfrinshire, wenn dieser Widerling in 'nen Abgrund gestürzt wär'!« Rowena schnaubte abfällig. »Zurück in die Tief'n der Hölle, aus den'n er einst gekroch'n kam.«
»Schweig still!«, raunte Siorus sie an. »Mit solch'm Gerede machste uns nur verdächtig. Is' wohl nich' sicher, warum der Ritter nich' zurückgekehrt is'.« Besorgt blickte er dabei zu den Reitern, aber die Männer waren zu weit entfernt, um das Gesprochene verstehen zu können. »Vermutlich wurd' er von Wegelagerern überfall'n, wie häufig dieser Tage. Damit möcht' keiner in Verbindung gebracht werd'n!«
»Du erinnerst wohl, wie er auf'm Christfest die kleine Mary angegangen is'!«, ereiferte sich Rowena. »Er hatt' das Kind inne dunkle Ecke gezerrt, und das beim Kirchenfest - das muss sich einer mal vorstell'n! Wenn's mein Sherwin nicht zufällig gesehen hätt' und sie weggeholt! Weiß der Himmel, was dem arm'n Mädchen sonst passiert wär'.«
»Dass er 'n lausiger Kerl is', weiß jeder, auch ohne dass du's laut am Zaun krakelst.« Siorus Worte kamen als zischendes Flüstern. »Doch der Mary hätt' er sicher nix getan.« Rowena senkte kaum die Stimme.
»Woher willste das wiss'n? Du nennst ihn 'nen miesen Kerl!? 'n Frauenschänder is' er – aber wen kümmert's schon, wenn er in der Gunst des Grafen steht.«
Gavin ließ die beiden streiten und beschloss, den Tag über am Teich nah der Kirche zu verweilen, in der Hoffnung, manch einer der Dorfbewohner würde ihm zerschlissene Töpfe zum Ausbessern bringen. Vielleicht war ihm einer der Landleute wohlgesonnen und ließ ihn über Nacht auf seinen Hof. Als Gavin an einem geeigneten Plätzchen anhielt, hatte einer der Reiter sein Pferd gewendet und kam auf ihn zu.
»Wie steht es mit dir, Kesselflicker, bist du Sir Vance letzter Tage begegnet?« Keck blinzelte Gavin zu dem Reiter hinauf, denn die Sonne stand in dessen Rücken. Jung war er, und finster zugleich.
»Wie schaut er denn aus?«
»Du kennst meinen Bruder nicht - Sir Vance?« Augenblicklich spürte Gavin am Tonfalls des Mannes, dass er auf der Hut sein musste. Wohl wusste er, dass Sir Vance Befehlshaber der Stadtwache von Castellyn war.
»Ich komm' viel rum, Mylord, und seh' viele Rittersmänner hoch zu Ross, da vermischt der Kopf, was die Augen zuhauf geschaut hab'n.«
»Ein stattlicher Mann - gutaussehend - das Haar dunkelblond und schulterlang - stets im Livree von Cyfrinshire, mit silbernem Drachen auf der Brust.« Coles Worte kamen stockend; ihm schien nicht zu behagen, eine Beschreibung seines Bruders abgeben zu müssen. Gavin starrte den Ritter an, derweil er vorgab, zu überlegen. Cole wurde ungehalten. »Nun!?«
»Nee«, erwiderte Gavin knapp, wandte sich seinem Karren zu und begann, den Esel auszuspannen. »Jenen Ritter hab' ich schon lang' nich' mehr geseh'n.« Aus den Augenwinkeln konnte er verfolgen, wie Unverständnis die Brauen des Mannes zusammenzog, gefolgt von Zorn.
»Aber anscheinend erinnerst du dich an ihn!?«
»Ja, Euer Gnaden, denn von seiner Art gibt's nur ein'n.« Cole mißachtete die Andeutung und sah ihn prüfend an.
»Ziehst du von Norden her durch Cyfrinshire?«
Von der Seite blinzelte Gavin erneut zu ihn auf. »Von Carmarthen kam ich, über Whitland Abbey, Mylord.« Gavin war zwar ungeschickt, doch tumb war er nicht. Im Lauschen geübt hatte er jedes Wort gehört, das der Vogt mit den Getreuen gesprochen hatte. Bedingt durch das mäßige Fortkommen, zu dem ihn der Karren zwang, hätte er auf nördlicher Route Sir Vance womöglich begegnen müssen. Doch Carmarthen lag in der benachbarten Grafschaft in entgegengesetzter Richtung.
»Solltest du die Unwahrheit sprechen, so gnade dir Gott.«
Nach diesen Worten senkte Gavin still den Kopf. ..sofern man an ihn glaubt, dachte er bei sich. Noch immer fühlte er den verächtlichen Blick im Nacken. Schließlich lenkte der Junker sein Pferd um und trabte grußlos davon.
*
Almina spürte die Sonnenwärme im Eichenholz unter ihrer Hand, als sie sich beim Verlassen der Stube an den Türrahmen stützte, damit sie sicher über die Schwelle steigen konnte; in der anderen Hand trug sie einen Eimer mit Schmutzwasser, den sie oben am Bach säubern wollte. Erneut war sie zur Mittagsstunde gekommen, hatte die Wunden versorgt und Rees geholfen, eine frische Suppe zu kochen. Sie blinzelte in die tiefstehende Sonne und schaute zum Kamm hinauf, wo ihre trüben Augen im Licht des Nachmittags die Umrisse dreier Reiter erkannten. Noch schienen sie zu beraten, welcher von ihnen im nächsten Moment zum Hof hinab kommen würde. Ein kurzer Blick zum Feld gab ihr zu verstehen, dass Rees die Gefolgsleute ebenfalls bemerkte hatte; Pflug und Pferd standen still, wie er selbst, gelähmt vor Schreck.
Almina tat einen Schritt über die hölzerne Schwelle hinaus auf den flachen Lehmboden. Zugleich löste sich einer der Mannen von den anderen und kam im Trab den Pfad hinunter. Immer deutlicher wurde die sich nähernde Erscheinung, ein junger Bursche, ungeduldig und mit finsterer Miene, nur das Licht der Sonne brach sich schimmernd auf dem blonden Schopf. Sein bartloses Gesicht trug edle Züge und barg gleichsam Ungnade wie fehlende Beherrschung. Die abstehenden Ohren schienen ihn allerdings verspotten zu wollen. Almina stellte den Eimer beiseite, faltete die Hände vor dem Leib und beugte sich in Ehrfurcht soweit vor, wie es ihr altes Kreuz erlaubte.
»Willkomm'n, edler Herr.« Ihr Gruß blieb unerwidert, der junge Mann sah sich lediglich nach allen Seiten um. Noch zu jung für die Ritterschaft trug er unter der blau-weißen Tunika statt des Kettenhemds ein gefüttertes Lederwams, wie sich an den Ärmeln erkennen ließ, und auf seiner Brust prangte der Silberdrache von Cyfrinshire. Almina hatte den Burschen schon einige Male gesehen und mutmaßte, dass er der jüngere Bruder des Vermissten sein könnte.
»Wer außer dir lebt noch auf dem Hof?« Er blickte zum Feld hinüber.
»Landmann Rees und seine Magd, edler Herr.«
Der Reiter ließ den Blick schweifen. »Wo ist das Weib?«
»Se liegt im Fieber, drinn'n inner Stube.« Sein dünkelhaftes Antlitz spiegelte Unglauben. »Ich bitt' Euch, geht selbst, werter Herr und schaut.«
»Teufel werd' ich! Weiß der Vogt, dass ihr die Seuche hier habt?«
»Is' keine Seuche, is' 'nen Wundfieber.«
»Was hat sie sich getan?« Ohne zu überlegen, erwiderte Almina: »'Nen Köter war's, hat ihr's Bein aufgeriss'n.«
»Dann wird sie ihn wohl gereizt haben?« Er grinste. »Nun denn, die Weisung des Grafen führt uns übers Land. Zu deinem eigenen Wohle tust du gut daran, auf mein Nachfragen wahrheitsgetreu Auskunft zu geben.«
»Wir Dörfler sind ehrliche Leut', Herr, uns is' stets der Wunsch von Herz'n, 'm jung'n Graf dienlich zu sein.«
»Sir Vance, Befehlshaber der Stadtwache, ist von seinem letzten Ritt nicht zurückgekehrt...es ist die Pflicht eines jeden, bei der Klärung seines Verbleibs von größtmöglichen Nutzen zu sein. Lord Evan ist in ernster Besorgnis.« Alminas schweigsames Aufblicken ließ den Mann im Unklaren, er furchte die Brauen. »Du kennst Sir Vance doch?«
»Kenn' tu' ich 'n edl'n Herrn, doch g'sehen hab' ich ihn zuletzt auf'm Markt zu Castellyn.«
»Weißt du sonst zu berichten, ob dir etwas aufgefallen ist?« Almina schüttelte den Kopf. »Nee, werter Herr.«
Er wies mit einer Kopfbewegung zum Feld. »Ruf' den Kerl, ich will auch ihn befragen.«
»Der wird Euch kaum was sag'n könn'...« Finster runzelte der junge Kerl die Stirn. »... der's stumm.«
»Nun denn, kläre du, ob ihm etwas aufgefallen ist.« Almina zögerte. »Geh' schon!« Beschwerlichen Schrittes begab sich Almina auf den Weg zum Feld. Sogleich erkannte Rees, dass sie ihn erreichen wollte und eilte ihr entgegen. Die Stelle, wo sie aufeinander trafen, lag weit genug entfernt, dass der Mann zu Pferde die gedämpften Worte nicht verstehen konnte. Rees senkte sein Gesicht zu ihr herab. Ihre Stimme glich mehr einem Flüstern.
»Se such'n nach'm Ritter, Rees, nach Sir Vance. - Scheint mir, dass se nich' viel wiss'n - se frag'n wohl überall, ob wer was geseh'n hat...« Obgleich Rees seinen Ausdruck zu beherrschen wusste, sah sie, dass große Sorge seine Brust heftigst hob und senkte.
»Schüttel' nur 'n Kopf, dann denkt'r, ich hätt' dich recht gefragt.« Ohne den Kopf zu heben, schaute Rees mit gehobenen Brauen zum Reiter hinüber und schüttelte zögerlich den dunklen Schopf.
»Gut denn, ich werd' ihn schon wieder los.« Almina begab sich zurück und hatte den Reiter noch nicht ganz erreicht, als dieser sich vorerst zufrieden zeigte und ihr zurief, bevor sie Antwort geben konnte.
»Ich hab' euch beobachtet, Alte, und wie mir scheint, weiß er wohl nichts zu berichten.« Sein hämisches Grinsen verhöhnte Rees, des Sprechens nicht fähig zu sein. Ohne Abschied lenkte er das edle Pferd um und trabte zurück zu seinen Begleitern. Almina holte tief Luft und blickte zu Rees hinüber. Sie konnte seine Miene nicht erkennen, aber an den gelassenen Schritten war zu merken, dass er erleichtert war. Wahrscheinlich waren die Gefolgsleute in Eile und Almina deutete es als gutes Vorzeichen, der Befragung so zügig entgangen zu sein. Anscheinend machten weder Rees noch sie einen verdächtigen Eindruck, und sie betete inständig, dass dies so bleiben möge.